Blaues Herz, eine ueberdimensionale Glas-Stahl-Konstruktion am Zugang zum Marktplatz in Delft
Niederlande,  Unterwegs

Delft – ein Spaziergang durch Raum und Zeit


Wie ich im Tourismusbüro in der Kerkstraat erfahre, gehöre ich zu der einen Million Touristen, die jedes Jahr nach Delft strömen. Verständlicherweise, denn an die Prinzenstadt kann man sein Herz verlieren. In diesem Fall ein Blaues.

Laut Definition der Internationalen Statistikkonferenz zählt Delft mit knapp 102.000 Einwohner zu den Großstädten. Eingekeilt zwischen Den Haag und Rotterdam gehört die Gemeinde am Rhein-Schie-Kanal zur sogenannten Randstad, einem Ballungsgebiet, das zwar nur ein Fünftel der Fläche der Niederlande, aber knapp 40% seiner Wirtschaftskraft ausmacht.

Ich bin kein Fan von Großstädten. Wenn möglich, mache ich einen großen Bogen um diese urbanen Konglomerate. Zu laut, zu schmutzig, zu wenig frische Luft und zu viele Menschen. Da aber das Vermeer-Centrum in Delft schon seit geraumer Zeit weit oben auf meiner Museums-Wunschliste steht, habe ich kurzerhand meine Anti-Großstadt-Einstellung ganz tief unten im Reisekoffer verstaut und mich auf den Weg gen Westen gemacht.

Inzwischen neigt sich mein dreitägiger Delft-Aufenthalt dem Ende entgegen, und mein Großstadt-Dämon fristet immer noch ein kümmerliches Dasein in seiner dunklen Kofferecke.
Ich verstehe jetzt, warum Delft, völlig zurecht, Platz 2 der niederländischen Tourismus-Hot Spots belegt (die Pole-Position gebührt selbstverständlich Amsterdam). Und ich kann, ohne eine lange Nase zu bekommen, versichern, dass ich bestimmt auch in Zukunft meinen Beitrag zur steigenden Tourismusstatistik Delfts leisten werde.

Delfter Geschichts-Telegramm

Eine Stadt lebt durch die Menschen, die in ihr wirken und gewirkt haben, die Spuren hinterlassen haben, die wir heute in Museen oder im architektonischen Erbe wiederfinden.
Doch kann man ein Verständnis für die Stadt entwickeln, ohne ihre Geschichte zu kennen? Ich denke nicht. Ohne historischen Kontext bleibt ein Gebäude eben nur ein schön anzusehendes Mauerwerk, mehr nicht.

Deshalb gibt es an dieser Stelle einen kurzen Abriss über die Geschichte von Delft.

Die einarmigen Banditen von Delft

Übrigens, Stadtpläne kann man sich in Delft an fast jeder Ecke aus der Slot-Maschine ziehen. Kostenlos, natürlich!

Eine witzige Idee, finde ich.
Möglicherweise verdrehen jetzt einige die Augen, zücken ihr IPhone, suchen nach einer entsprechenden App und denken, in welchem Jahrhundert lebt denn die gute Frau? Ja, ich weiß, Papier ist out, der arme Regenwald und so weiter, und so weiter. Aber ganz ehrlich, wo bleibt bei der App der Spaßfaktor? Die einarmige Banditen von Delft muss man einfach ausprobiert haben.

Geschichte trifft Moderne

Großstadt hin oder her, Delft ist ganz nach meinem Geschmack. 
Zahlreiche Grachten, über sechs Dutzend Brücken, ein historisches Zentrum, das das Flair des Goldenen Zeitalters bewahrt hat, dazu ein vielfältiges kulturelles Angebot und ganz viel Gemütlichkeit auf dem Marktplatz und in den Gassen drumherum, haben mich überzeugt.

Gracht in Delft

Ich bin nach Delft gekommen, um mich auf Spurensuche nach Johannes Vermeer zu begeben. Dabei habe ich noch so viele weitere Entdeckungen in der Grachtenstadt gemacht, dass ich sie unbedingt mit Euch teilen muss. Deshalb gibt es nun, neben dem Vermeer-Spaziergang, einen weiteren Delfter Stadtrundgang.
Unter dem Motto „Geschichte trifft Moderne“ möchte ich Euch zeigen, wie sich das Gesicht der Stadt an ausgewählten Orten über die letzten Jahrhunderte verändert hat. Mal zum Guten, mal zum Schlechten oder auch überhaupt nicht.

Gebäude, Plätze, Museen oder Orte, auf die ich in einem anderen Blogbeitrag ausführlicher eingehe (z. B. die Oude und die Nieuwe Kerk), sind an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Die entsprechende Verlinkung auf die anderen Blogposts findet ihr dann beim jeweiligen Besichtigungspunkt.

Ein Spaziergang durch Raum und Zeit


1. Marktplatz

Kirchliche und weltliche Macht haben ein Auge aufeinander

Am Marktplatz in Delft schlägt das Herz der Stadt. Deshalb starten wir unseren Streifzug durch die historischen Gassen von hier aus. Eigentlich stehen wir jetzt gerade auf einer Insel, denn Delft bestand einst aus unzähligen kleinen Inselflecken, die nur über Brücken miteinander verbunden waren. Allein acht Übergänge gab es von den umliegenden Gassen auf den Marktplatz. Im Zentrum hat sich in den vergangenen Jahrhunderten an der Topographie der Stadt nur wenig verändert. Ohne weiteres könnte man den 80er Jahre Hit „Über sieben Brücken musst Du gehen„, abwandeln in „Mehr als 70 Brücken sind in Delft zu sehen„.

Druck Ansicht auf den Markt mit Rathaus und Neuer Kirche in Delft; Gezicht op de Markt, de Nieuwe Kerk en het stadhuis te Delft, Iven Besoet, 1765
Gezicht op de Markt, de Nieuwe Kerk en het stadhuis te Delft, Iven Besoet, 1765

Wenn wir den Blick im Kreis schweifen lassen, sehen wir, dass die Machtverhältnisse auf dem rechteckigen Platz klar verteilt sind. Im Osten wirft die hoch aufschießende Silhouette der Nieuwe Kerk (Neue Kirche) als Repräsentantin der kirchlichen Macht ihren langen Schatten über die Pflastersteine, während im Westen das herausgeputzte Rathaus als Vertreterin der weltlichen Autorität dagegen hält. Dazwischen mahnt das Standbild des Völkerrechtlers und Philosophen Hugo Grotius (Hugo de Groot) zu Toleranz und Selbstbestimmung.

Seit dem 13. Jahrhundert besitzt Delft das Marktrecht. Schon damals fand der Wochenmarkt immer donnerstags statt und einmal im Jahr durfte ein großer Jahrmarkt ausgerichtet werden. Leider war der Markt im Mittelalter auch Schauplatz von menschenunwürdigen Veranstaltungen. Folterungen und öffentliche Hinrichtungen waren bis ins 16. Jahrhundert hinein keine Seltenheit.

2. Neue Kirche / Nieuwe Kerk – Markt 80

Königliche Grablege

Die Bauanfänge der spätgotischen Neuen Kirche am Marktplatz datieren aus dem frühen 15. Jahrhundert. Ihre Fertigstellung erfolgte aber erst einhundert Jahre später. Mit 109 Metern Höhe besitzt sie den zweithöchsten Kirchturm der Niederlanden.
Seit der Ermordung des Prinzen Wilhelm von Oranien dient die Basilika als Grablege für das niederländische Königshaus.

3. Blauwe Hart – Oude Langendijk neben der Nieuwe Kerk

Mein Herz schlägt blau

Blaues Herz, eine ueberdimensionale Glas-Stahl-Konstruktion am Zugang zum Marktplatz in Delft

1998 schrieb die Stadt einen Wettbewerb zur Verschönerung des Bus-Wendehammers an der Oude Langendijk vor dem Zugang zum Marktplatz aus. Marcel Smink überzeugte die Jury von seinem Entwurf einer Glas-Stahl-Konstruktion in Form eines überdimensionalen, blauen  Herzens.
Die Symbolik hinter dem nachts von innen heraus leuchtenden Kunstwerks ist unmissverständlich: Delft als Stadt mit Herz, Delfter Blau als Aushängeschild für die niederländische Hauptstadt des Porzellans und das Stahlgerüst als Brückenschlag zur Moderne, zur Technischen Universität von der Delft.

4. Fahrräder / Fietsen – Oude Langendijk / Ecke Vrouwenregt

Klischees können so schön sein

Die beiden holländischen Ikonen, die idyllisch am Grachtengeländer lehnen, bedienen vorbehaltslos das Holland-Klischee. Auch wenn die beiden Fahrräder schon in die Jahre gekommen sind, geben sie immer noch einen romantischen Hingucker ab.

Je nach Jahreszeit oder Anlass, erhalten die Zweiräder vom Inhaber des nahegelegenen Hotels de Emauspoort eine neue Bepflanzung oder einen anderen farbenfrohen Anstrich.
Als 2015 die erste Etappe der Tour de France in Utrecht gestartet wurde, erhielt eines der beiden fietsen in Anlehnung an das gelbe Trikot eine gelbe Farbdusche. Sofern sich das niederländische Fußballteam für eine Europa- oder Weltmeisterschaft qualifiziert, bekommen die beiden Räder selbstverständlich einen Oranje-Look verpasst.

ein rot und ein tuerkis bemaltes Fahrrad mit Geranien dekoriert an einer Gracht in Delft

5. Vrouwe van Rijnsburgerbrug – Kerkstraat

Bitte melden, falls das Haus zu vermieten ist

Ganze in der Nähe der Nieuwe Kerk, direkt an der gemauerten Bogenbrücke, die den Namen der Äbtissin von Rijnsburg trägt, habe ich mein persönliches Idyll gefunden.

Idyllische Ansicht auf die Vrouwe van Rijnsburgerbrug an der Kerkstraat in Delft

Der Eigentümer des minimalistischen Häuschens mit dem kleinen Hinterhof hat sich hier ein malerisches Refugium geschaffen. Bei Sonnenuntergang kann man unter der Miniatur-Straßenlaterne mit Blick auf die Modell-Hollandmühle und das dunkle Wasser der Gracht sowie der grünen Lebendtapete im Rücken, bestimmt gemütlich den Tag ausklingen lassen und über die Freuden des Lebens sinnieren.

Und bei schlechtem Wetter würde ich vom Fenster, das direkt über der Wasserlinie der Gracht endet, dem Tanz der Regentropfen auf dem Kanal und den vorbeitreibenden Seerosen zuschauen.

Jetzt bin ich doch ein wenig abgeschweift, denn eigentlich wollte ich Euch noch mehr über die Namensgeberin der Brücke aus dem 16. Jahrhundert erzählen.

Mächtige Frauen haben es nicht leicht

Frau van Rijnsburg, mit bürgerlichem Namen Ada van Holland (1208 – 1258), war von hoher Geburt. Als Tochter Willems I., Graf von Holland, erhielt sie im Kloster Rijnsburg eine ihrem Stand entsprechende elitäre Ausbildung. Die nördlich von Delft gelegene Benediktinerabtei nahm ausschließlich Mädchen höheren Standes auf, wofür die Eltern das Kloster mit großzügigen Schenkungen entlohnten. Zusätzlich verfügte die Nonnengemeinschaft über das Privileg das Erbe verwitweter Damen, die in das Kloster eintraten, zu verwalten. Rijnsburg avancierte so zur mächtigsten Frauen-Abtei Hollands. 

Als der Zeitpunkt gekommen war, die Weichen für den späteren Lebensweg zu stellen, sprich Heirat oder Verbleib im Kloster, fiel ihr die Entscheidung leicht. Ada blieb und legte das Gelübde als Nonne ab. Mit 31 Jahren wurde sie zur Äbtissin berufen. Keine einfache Aufgabe wie sich herausstellte. Während ihrer knapp 20-jährigen Amtszeit musste sie sich mehr als einmal gegen ihre männliche Verwandtschaft zur Wehr zu setzen, die ihr den Reichtum neidete. Glücklicherweise wusste sie den Papst auf ihrer Seite, der dem missgünstigen Treiben der Grafen ein Ende bereitete.

Auch innerhalb der Klostermauern brodelte es. Nicht alle Klosterschülerinnen waren dem enthaltsamen Leben zugetan. Als der Papst von diesem Fehlverhalten erfuhr, drohte er den Betroffenen mit Exkommunikation. Ada hingegen wählte einen diplomatischen Ansatz, um der „Meuterei“ Herr zu werden. Mit päpstlicher Zustimmung lockerte sie die benediktinischen Klosterregeln. Anstatt einer, gab es nun zwei Mahlzeiten am Tag. Gleichzeitig wurden Anzahl und Dauer der täglichen Gebete reduziert. Hinter den Klostermauern kehrte wieder Ruhe ein.

Allerdings nur für eine kurze Zeitspanne. Dann bereiteten der Äbtissin der Klosterkaplan und im Kloster beschäftigte Laienbrüder erneutes Kopfzerbrechen. Die Männer hatten offensichtlich Probleme die Autorität der Klostervorsteherin anzuerkennen. Womöglich war Ada von Rijnsburg der ständigen Querelen überdrüssig, denn mit nur 50 Jahren, bettete sie sich zur ewigen Ruhe.

6. Haus der St. Lucas Gilde – Voldersgracht 21

Vermeer und das Goldene Zeitalter

Die Sint Lucas-Gilde von Delft war die Künstlerzunft der Stadt. Wer kein Mitglied der Gilde war, durfte seine Werke nicht in Delft auf den Markt bringen. Heute beherbergt das wunderschöne Gebäude das Centrum Vermeer, das alle Werke Vermeers als Reproduktionen in Originalgröße zeigt.

Haus der ehemaligen St. Lucas Gilde an der Voldersgracht in Delft; heute das Vermeer Centrum

7. Graffiti Hotspot – Bonte Ossteeg 22

Kunst oder Kitsch?

Zwischen Markt und Voldersgracht versteckt sich eine der kürzesten und schmälsten Gassen Delfts, der Bonte Ossteg. Benannt wurde sie nach dem gleichnamigen Gasthaus, das ab dem 16. Jahrhundert bis 1957 an dieser Stelle stand. 2013 spaltete der schmale Durchgang die öffentliche Meinung in zwei Lager. Auf der einen Seite klatschten die Bewunderer Beifall, auf der anderen schüttelte man ungläubig die Köpfe und wandte sich schamvoll ab.

Was war geschehen?
Die Gasse zum bunten Ochsen diente seit Jahren Spray wütigen Vandalen als Übungsterrain. Ein Schandfleck in der pittoresken Innenstadt. Also beschlossen die Ratsherren, wenn schon Graffiti, dann richtig. Dementsprechend beauftragten sie den renommierten niederländischen Sprayer, Hugo Kaagman, im Durchgang ein professionelles Graffiti bzw. Stenciling (Graffiti mit Schablonen) anzufertigen. Dadurch sollten die Vandalen ferngehalten werden.

Kaagman ging an die Arbeit und zauberte, in der ihm eigenen Handschrift, ein blau-weißes Happening an die Wand. In Anlehnung an die traditionsreiche Delfter Porzellan- und Kachelindustrie entstand ein Fassadenkunstwerk der besonderen Art.

Er bannte das Konterfei berühmter Delfter Persönlichkeiten wie Hugo Grotius, Willem von Oranje und das Mädchen mit dem Perlenohrring auf die Wand. Daneben sind Vermeers Allegorie der Malerei, das Wappen von Delft, die Silhouette der Nieuwe Kerk und des Oostpoorts zu bestaunen. Selbstverständlich darf auch die Szene mit der Ermordung des Prinzen von Oranje nicht fehlen. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Delft und der erotischen Rückenansicht einer jungen Fahrradfahrerin, kann wohl nur der Künstler selbst beantworten.

Nun, Kaagman ist bekannt dafür, dass er mit seiner „Kunst“ polarisiert und provoziert. Andererseits ist seine Street-Art inzwischen weltweit salonfähig und nachgefragt. Ich finde die Wandbemalung originell. Auf jeden Fall ein Hingucker, der nebenbei seinen Zweck erfüllt. Doch Kunst ist bekanntermaßen Geschmackssache.

8. Rathaus / Stadthuis – Markt 87

Aus schön mach hässlich und wieder schön

Wir stehen vor einem Prachtbau, einem Musterexemplar der Spät-Renaissance, dessen Entstehung einem unglücklich-glücklichen Zufall zu verdanken ist. Wie durch ein Wunder blieb nämlich das mittelalterliche Rathaus vom Stadtbrand 1536, dessen Ausgangspunkt die Neue Kirche gegenüber war, verschont. Doch keine achtzig Jahre später brannte der Delfter Amtssitz bis auf die Grundmauern nieder. Nur der berüchtigte, gemauerte Gefängnisturm „Het Steen“ (der Stein) blieb wie ein Fels in der Brandung des um ihn herum wütenden Feuers stehen.

Graphik mit Ansicht des Rathauses (stadhuis) von Delft; Robbert Muys, after J. ten Comte, 1762
Stadhuis van Delft, Robbert Muys, after J. ten Comte, 1762

War dies ein Zeichen? Ein Mahnmal, für alle, die vom rechten Weg abkommen, dass sie ihrer gerechten Strafe nicht entgehen werden? So wie der berühmteste Insasse von Het Steen, Balthasar Gérards, der Mörders des Prinzen von Oranien, der hier verhört, gefoltert und zum Tode verurteilt wurde. So waren sich die Ratsmitglieder schnell einig, was den Wiederaufbau anging. Der Turm hatte stehen zu bleiben, und das Rathaus musste drumherum gebaut werden.

Wie es das Schicksal wollte, weilte zur Zeit des Unglücks der Architekt und Bildhauer Hendrick de Keyser in der Stadt. Er arbeitete nämlich gerade am prunkvollen Mausoleum für das Grab des ermordeten Prinzen Willem van Oranje gegenüber in der Nieuwe Kerk. Insofern war es naheliegend, dass man den berühmten Künstler für den Wiederaufbau des Stadthauses engagierte. Durch diese günstige Fügung konnte 1620, nur zwei Jahre nach dem Brand, das neue Gebäude mit den üppigen Goldverzierungen und der über Recht und Ordnung wachenden Justitia, eingeweiht werden.

Ein misslungener Modernisierungsversuch

Postkarte mit Ansicht des Rathauses (stadhuis) von Delft ca. 1890 - 1900
Stadthuis Delft ca. 1890-1900

Kaum war das 19. Jahrhundert angebrochen, breitete sich an mehreren Ecken in Delft ein Modernisierungsvirus aus, von dem auch das Stadthaus nicht verschont wurde. Emsige Stadtarchitekten ersetzten die Buntglasfenster durch große, nüchterne Fensterfronten, demontierten die markanten roten Fensterläden, machten die Zugangstreppe dem Erdboden gleich und schufen einen überdimensionierten Eingangsbereich mit einem Aussichtsbalkon.
Aus dem einzigartigen Vorzeigeobjekt Hendrick de Keysers war ein unscheinbares und glanzloses graue-Maus-Gebäude geworden. Zum Glück kamen die Stadtoberen im 20. Jahrhundert wieder zur Vernunft und gaben 1975 den Rückbau der Fassade in den Zustand von 1620 in Auftrag.

Rathaus bzw. Stadthaus (stadhuis) am Marktplatz in Delft

Viele administrativen Büros sind inzwischen aus dem Gebäude am Markt in das neue Rathaus in Bahnhofsnähe umgezogen. Dafür gibt es nach wie vor eine lange Warteschlange für trauungswillige Delfter, die sich im historischen Ambiente, in dem sich auch schon Johannes Vermeer und Catharina Bolnes verlobten, das Ja-Wort geben möchten.

9. Städtisches Butterhaus / Stadsboterhuis – Markt 17

Monopolstellung für die Delfter Butter

Nicht nur das Delfter Porzellan wurde im 18. und 19. Jahrhundert über die Stadtgrenzen hinaus geschätzt, sondern auch die Echte Delfter Butter. Gehandelt wurde sie im städtischen Butterhaus, das seit 1765 seinen Platz am Markt hatte. Butter anderer Herkunft blieb das Privileg des Handels am Marktplatz versagt.

Seiner Bestimmung entsprechend zieren zwei Butterfässer neben dem Stadtwappen das Giebelfeld der Backsteinfassade und drei weitere Exemplare sind auf dem Dachfirst verteilt. Damit auch von der Rück- und damit der Kanalseite des Gebäudes die per Schiff einlaufenden Händler ihr Ziel nicht verfehlten, prangt im Ochsenauge des Schweifgiebels ebenfalls ein Butterfass.

10. Stadtwaage / De Stadswaag – Markt 11

Rechtschaffenheit und Falschmünzer unter einem Dach

Direkt hinter dem Stadthaus fällt ein Backsteingebäude mit riesigen Holztüren auf. Im Giebelfeld ist eine Waage mit Gewichten, Fässern und verschnürten Ballen abgebildet. Darunter prangt in vergoldeten Lettern der Schriftzug „STADS-WAAG – MDCCLXX“.

Die Stadtwaage (stadswaag) in Delft am Marktplatz

Bei der Stadtwaage handelte es sich, wie der Name schon vermuten lässt, um eine städtische Einrichtung. Alle Handelsgüter, die schwerer als zehn Pfund wogen, mussten sich einer objektiven Gewichtsprüfung durch die städtische Waagenaufsicht unterziehen. Damit sollte verhindert werden, dass die potentiellen Käufer oder Verbraucher von den Händlern übervorteilt wurden. Nicht nur, dass es schon immer gewiefte Zeitgenossen gab, die versuchten, ihre Mitbürger durch manipulierte Gewichte über den Tisch zu ziehen, sondern die zum Teil unterschiedlichen Maßeinheiten der einzelnen Provinzen und angrenzenden Staaten konnten zusätzlich für Verwirrung sorgen.

Gewogen wurde Alles. Schweine und Vieh, Butter, Käse, Bier, Mehl und Salz, Stoffballen, Holz, Eisen, Sand und Torf. Das muss ein rechtes Durcheinander gewesen sein. Dabei fuhren die Karren mit dem Wägegut einfach durch die großen Tore in die Wägehalle. Da das Gebäude im rückwärtigen Teil gleichfalls Tore zur Kanalseite besaß, entlud man die Waren, die Delft auf dem Wasserweg erreichten, direkt vom Boot.

Nach dem Stadtbrand von 1536 musste die Stadtwaage wieder aufgebaut werden. Einhundert Jahre später folgten die ersten Umbaumaßnahmen. Die Waage war zu klein geworden. Ein Anbau war nicht möglich, also machte man aus zwei eins. Die Stadt erwarb das Nachbargebäude und entfernte im Erdgeschoss die Trennwand. 1770 erhielt die Stadswaag sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite ein Facelifting. Das Ergebnis kann sich heute noch sehen lassen.

Eine Zunft in Verruf

Druck mit Ansicht der Stadtwaage (stadswaag) in Delft am Marktplatz

Möglichweise hatte die generalüberholte Fassade auch eine symbolische Bedeutung, denn hinter den Mauern ging nicht immer alles mit rechten Dingen zu.

Die Stadt hatte zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen Teil der Räumlichkeiten im Obergeschoss an die Zunft der Gold- und Silberschmiede vermietet, die anderen Zimmer bekam die Apothekerzunft zugeteilt. Während im Erdgeschoss Genauigkeit und Korrektheit groß geschrieben wurden, nahmen es die Goldschmiede im Obergeschoss mit der Ehrlichkeit nicht so genau. Da wurde bei dem einen oder anderen Schmuckstück durchaus mal ein falscher Goldgehalt angegeben oder die Goldwaage nicht richtig justiert. Der Schwindel flog auf, Klage wurde eingereicht und die Zunft verurteilt.

1960 wurde im Haus Nummer 11 am Marktplatz das letzte Stück Käse gewogen, danach war die Stadtwaage Geschichte. Das historische Gebäude gab ein kurzes Intermezzo als Fahrrad-Unterstellplatz und Theater, bevor es 1999 als Restaurant-Café de Waag wieder seine großen Türen öffnete. Gemütlich lässt es sich im historischen Ambiente mit den Backsteinwänden und offen Holzbalken speisen. Im Gastraum hängt noch immer der alte Waagbalken. Zum Einsatz kommt er allerdings nicht mehr. 

11. De Kaerskorf – Markt 2 / Ecke Voldersgracht

Zwei Superlative

Das markante Ziegelsteingebäude an der Ecke Markt und Voldersgracht gehört zu den beliebtesten Fotomotiven Delfts. Auch ich kann dem Charme des imposanten Treppengiebels, den großen Kreuzfenstern mit den rot-lackierten Fensterläden und dem halbrunden Anbau zur Gracht hin, hinter dem sich eine Wendeltreppe versteckt, nicht widerstehen.

Dass sich die Touristen vor seinem Antiquitätengeschäft gegenseitig auf den Füßen stehen, daran hat sich der Besitzer, Koos Rozenburg, inzwischen gewöhnt. Ebenso gelassen nimmt er zur Kenntnis, dass der Grund hierfür nicht immer sein breit gefächertes Angebot, sondern das mit zehn Metern Grundstückstiefe recht kleine, aber wirklich sehr feine Haus ist.

Geschäft ist zwar Geschäft, aber für den 84-Jährigen schon lange keine Verpflichtung mehr. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, genießt der älteste Delfter Geschäftsmann jeden Tag in seinem Laden. Hier findet er Abwechslung, trifft Menschen, kann sich unterhalten und amüsieren. Auch über die Touristen. Sein „winkel“ ist  das perfekte Mittel gegen Langweile und Trübsal. Und er hält ihn fit, denn Koos Rozenburg wäre kein waschechter Holländer, wenn er nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit käme.

Erst seit 1965 erstrahlt das ehemalige Haus eines Kerzenmachers (daher der Name „de Kaerskorf“) wieder im Glanz des 16 Jahrhunderts. Davor litt das Gebäude 125 Jahre lang unter einem pragmatischen aber nicht ästhetischen Modernisierungs-Aktionismus à la Stadthuis.

12. Visbrug – Voorstraat 53

Warum die Visbrug nichts mit Fisch zu tun hat

Delft wird gerne als Klein-Venedig Hollands bezeichnet. Diesen Kosenamen verdankt die Stadt den zahlreichen Brücken und Kanälen, die neben den unzähligen Patrizierhäusern das Stadtbild bestimmen. 99% der historischen Überwege in Delft sind aus Stein, nur eine einzige Brücke ist eine Eisenkonstruktion. Im Stile einer venezianischen Brücke und ganz in weiß gestrichen. Da sich diese Brücke so grundsätzlich von allen anderen in Delft unterscheidet, gibt es selbstverständlich eine Erklärung hierfür. An ihrer Glaubwürdigkeit darf, muss aber nicht gezweifelt werden.

weiße Neo-Renaissance-Bruecke, genannt Visbrug in Delft

Die Voorstraat war eine der Brauerei-Hochburgen in Delft. Mindestens ein Dutzend Bier-Unternehmer hatten sich im 17. Jahrhundert in der heute ruhigen Wohn- und Parkstraße niedergelassen, darunter die Brauerei „de Vis“. Weshalb die Brauerei diesen Namen trug, ist nicht bekannt. Womöglich hieß der Eigentümer Vis, eventuell handelten auch seine Vorfahren mit Fisch. Auf jeden Fall war das Fischerbier sehr beliebt.

Einer der glühendsten Verehrer des flüssigen Hopfenerzeugnisses, wohnte auf der gegenüberliegenden Kanalseite. Beinahe jeden Tag nahm der Italiener den umständlichen Weg bis zu einer der nächsten Brücken auf sich, um in den Genuss seines Lieblingsgetränkes zu kommen. Nicht selten entwickelte sich nach einem durchzechten Abend der Nachhauseweg zu einem mühsamen, um nicht zu sagen, unmöglichen Unterfangen. So konnte es nicht weitergehen.
Der Italiener schlug deshalb dem Braumeister einen Deal vor. Er würde zu beiderseitigem Nutzen eine Brücke über den Kanal bauen und sie auf den Namen der Brauerei taufen, wenn er dafür Freibier auf Lebenszeit bekäme. Die Beiden wurden sich wohl einig, der Italiener hielt Wort und errichtete die venezianisch angehauchte Brücke.

Tatsächlich wurde die Brücke im Neo-Renaissance-Stil erst 1869 gebaut und ersetzte zwei Holzbrücken eingangs und ausgangs der Voorstraat. 

13. Alte Kirche / Oude Kerk – Heilige Geestkerkhof 25

Schiefer als der schiefe Turm von Pisa

Die Oude Kerk ist die älteste Kirche in Delft. Ihr Ursprünge gehen bis in das 11. Jahrhundert zurück. Anschließend durchlief sie mehrere Bauphasen und Veränderungen, erhielt An- und Aufbauten, so dass sie eigentlich erst im 16. Jahrhundert ihre finale Gestalt bekam.
Ihr Markenzeichen ist der sogenannte Alte Jan (Oude Jan), der 75 Meter hohe Kirchturm, der den schiefen Turm von Pisa ohne weiteres aussticht.

In der Kirche haben zahlreiche Delfter Persönlichkeiten ihre letzte Ruhestätte gefunden, darunter Johannes Vermeer, Maarten Tromp, Piet Hein und Antonie van Leeuwenhoek.

14. Geheimtunnel zwischen Prinsenhof und Oude Kerk

Durch diese hohle Gasse muss er kommen

Geheimer Fluchtweg vom Prinzenhof in Delft zum Oude Delft Kanal

„Durch diese hohle Gasse muss er kommen“. Nein, nicht der Landvogt Hermann Gessler, auch nicht Wilhelm Tell, sondern der Mörder des Prinzen von Oranien.
Eigentlich sollte dieser Tunnel, der direkt gegenüber der Oude Kerk im Oude Delft Kanal mündet, Prinz Wilhelm für den Fall der Fälle als geheimer Fluchtweg dienen.

Leider, man weiß nicht, ob es Nachlässigkeit oder Verrat war, blieb die Tür, die den Geheimtunnel mit dem Prinsenhof verband, unverschlossen. So konnte der Meuchelmörder Balthasar Gérards sich unbemerkt Zutritt zu den Räumlichkeiten des Prinzen verschaffen und Wilhelm I. am 10. Juli 1584 mit einem Pistolenschuss in die Brust töten.

15. Der Prinzenhof / Prinsenhof – Sint Agathaplein 1

Der lange Weg zur geschichtlichen Aufbereitung

Hinter der strengen Backsteinfassade gegenüber der Oude Kerk spielten sich einst dramatische Ereignisse ab. Ursprünglich befand sich an dieser Stelle ein Frauenkloster, welches um 1380 gegründet worden war. Erst als Willem I. van Oranje nach Delft floh, und sich das Kloster als geeignete Residenz auserwählte, erhielt der Gebäudekomplex den heutigen Namen.

Nach der Ermordung des Prinzen 1584, sah der Prinsenhof viele Eigentümer und Bewohner kommen und gehen. Gerber, Musiker, Lateinschüler gaben sich die Klinke in die Hand. Am längsten blieb das Militär, das hier bis 1925 eine Kaserne unterhielt. Erst mit der Zeit keimte die Idee, aus dem historischen Gebäude ein Museum zu machen. Seit 2014 beherbergt es nun das Museum Prinsenhof Delft in seinen Räumlichkeiten.

16. Sint Agathaplein / Garten des Prinsenhof

Blau, Blau und nochmal Blau

Wenn sich der Abend über den Prinzenhof senkt und die drei Laternen im Innenhof angehen, muss es unter den Kastanienbäumen besonders romantisch sein. Es sind nämlich keine „normalen“ Laternenpfähle, die seit 2010 hier stehen, sondern Porzellan verkleidete Lichtsäulen in Delfter Blau.

Die Idee zu diesem originellen Projekt entstand im Rahmen des kulturellen Dauer-Austausches der beiden Keramik-Hochburgen Delft und Jingdezhen in China. Die Umsetzung erfolgte in der königlichen Manufaktur  Porceleyyne Fles, der letzten von einst 32 in Delft ansässigen Porzellan Fabriken.

Steht im Museum Prinsenhof Wilhelm von Oranien im Mittelpunkt, so stiehlt ihm im Garten zweifelsfrei die „Hommage an Gaudí“ die Show. Das Keramik-Kunstwerk aus unzähligen, blau-weißen-Kachelspilttern ist der weltberühmten, wellenförmigen Terrassenbank im Parc Güell in Barcelona nachempfunden.

Die blaue-weiß gekachelte Bank "Hommage an Gaudí" im Garten des Prinzenhofes in Delft

17. Mühle / Molen de Roos – Phoenixstraat 111

Die letzte ihres Standes

Die Muehle de Roos in Delft

Der Abstecher in den nordwestlichen Zipfel der Binnenstadt von Delft lohnt sich. Und das gleich in doppelter Hinsicht. Die Getreidemühle de Roos ist nicht nur ein lebendiges Relikt des Goldenen Zeitalters, sondern beherbergt auch ein gut sortiertes Ladengeschäft mit allerlei Zutaten und Accessoires, die das Herz jeden Hobbybäckers höher schlagen lassen.

Die Ursprünge der Getreidemühle „zur Rose“ gehen bis in das Jahr 1500 zurück. Damals handelte es sich noch um eine Holzkonstruktion, doch man hatte aus dem Stadtbrand von 1536 gelernt. Außerdem war es an der Zeit die zu Wohlstand gekommene Stadt gegen unerwünschten Besuch abzuschotten. Ein Stadtwall mit befestigten Toren und Türmen war genau das richtige. Und gab es einen optimaleren Platz, wo der Wind so richtig in die Mühlensegel fahren konnte? Wohl kaum, deshalb entschied man sich dafür, der Mühle einen neuen Standort mit Aussicht, sprich auf dem Befestigungswall, zu geben.

So erhielt de Roos nach und nach ihr heutiges Aussehen. Als erstes bekam sie einen steinernen sechseckigen Unterbau, später wurde das Holz des konischen Mühlenturms gegen Mauerziegel ausgetauscht und schlussendlich das Wohn- und Geschäftshaus des Müllers im Halbkreis drumherum gebaut. 1760 war das Gesamtkunstwerk mit der ungewöhnlichen Silhouette fertig.

linker Abschnitt eines Druckes mit der Ansicht auf Delft von Coenraet Decker, 1678 - 1703
Gezicht op Delft (linker Teil), Coenraet Decker, gem. Jan Verkolje (I), 1678 – 1703

Früher standen die Flügel von de Roos und der anderen 17 Delfter Mühlen keinen Moment still. Es gab viel zu tun in der umtriebigen Stadt. Die Bäcker brachten Weizen und Mais, die Bierbrauer luden einen Sack Gerste nach dem anderen ab, und die Bauern wollten ihr Getreide zu Tierfutter gemahlen bekommen. Heute drehen sich die Flügel von de Roos nur noch einmal in der Woche. Immerhin. Alle anderen Mühlen sind längst aus dem Stadtbild verschwunden.

1100 Tonnen ziehen um

Auch de Roos stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon kurz vor dem Aus. Eine unkontrollierte Ausbreitung nimmersatter Käfer verwandelte die Mühlenhaube in ein poröses Dachgestühl, während zur gleichen Zeit das Fundament aufgrund von Schienenarbeiten in der Nähe wegsackte, und die Mühle zu kippen drohte. Zum Glück konnte der Supergau verhindert und die holländische Ikone nach erfolgreicher Restaurierung 1990 wieder eröffnet werden.

Als 2012 die benachbarten Delfter Einwohner aus ihren Fenstern schauten, trauten sie ihren Augen kaum. Die Mühle hatte zum Höhenflug angesetzt. Um die Eisenbahntrasse nach Rotterdam auszubauen, musste unter der Mühle ein Tunnel verlegt werden. Da ein Abriss des Gebäudes mit der 500-jährigen Tradition außer Frage stand, war eine logistische Meisterleistung gefragt.
Die 1100 Tonnen schwere Mühle wurde um einen Meter angehoben und nach Abschluss des Tunnelbaus wieder abgesenkt. Jetzt fahren unter der Mühle die Züge im Minutentakt hindurch.

18. Het Wapen van Savoyen – Oude Delft 169

Vom Statussymbol zur theologischen „Zuchtanstalt“

Wir stehen vor dem Statussymbol des reichsten Delfter Bürgers im 16. Jahrhundert.
Jan Peris Buzijn betrieb seine Geschäfte sowohl in Delft als auch in Rotterdam. Er selbst bezeichnete sich als Banker, alle anderen nannten ihn den Lombarden, ein im Goldenen Zeitalter gebräuchlicher Sammelbegriff für Personen, die Geld gegen Pfand und Zinsen verliehen (die norditalienische Region stand damals stellvertretend für das Finanzen- und Bankwesen der einflussreichen Medici). Mijnheer Buzijn (in manchen Quellen auch Buzin geschrieben) stammte nicht aus Italien, sondern sehr wahrscheinlich aus dem Gebiet Savoyen in den Französischen Alpen, daher auch der Name des Hauses.

Frontansicht des Renaissance-Gebaeudes mit Treppengiebel Het Wapen van Savoyen an der Oude Delft 169 in Delft

Das imposante Renaissance-Gebäude entstand 1565. Buzijn hatte ein immenses Vermögen angehäuft, den höchsten Steuerbescheid der Stadt erhalten und reich geheiratet. Als er Ende des 16. Jahrhunderts starb, zeigten die Erben kein Interesse an dem großen Haus mit den zehn Kaminen. Es ging durch mehrere Hände, bevor sich die Stadt das Gebäude, neben vielen anderen auch, 1798 selbst übereignete, zunächst als Artillerie-Kaserne und von 1816-1856 als Werkstatt zur Waffenherstellung nutzte. Dazwischen war Kontrastprogramm angesagt.

Durch die Enge, zu Ruhm und Ehre. […]. Kein Ungeratener trete über diese Schwelle, noch entheilige das Heiligtum innen durch sündhafte Moral. […].

So in etwa mahnt der Blendstein an der Hausfassade. Er stammt von der Theologie- und Lateinschule, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts hier einzog. Nur der mit Mühsal, Hindernissen, Ecken und Kanten gepflasterte Weg durchs Nadelöhr, bringt am Ende das beste Ergebnis. Auch wenn der Spruch antiquiert klingt, so hat er, meines Erachtens, bis in die Gegenwart Gültigkeit.

Als von 1957 – 2017 das Gemeindearchiv in das Prunkhaus einzog und die Zimmer mit Bergen von Akten, Dokumenten und historischen Unterlagen füllte, bestand keine Gefahr für die Moral. Heute ist wieder richtiges Leben in die Wohnräume eingekehrt.

19. Gemeenlandhuis van Delfland – Oude Delft 167

Wo Kaiser Karl V. knapp bei Kasse war

Gleich neben dem Prachtbau mit der Hausnummer 167, zieht der Hauptsitz der Delfländer Wasserbehörde die Blicke auf sich. Das riesige, gotisch angehauchte Gebäude wurde bereits 1505 in Auftrag gegeben. Es stand also bereits, als der Grundstein für das Nachbarhaus, Het Wapen von Savoyen, gelegt wurde. Kein Wunder, dass der Eigentümer von Oude Delft 169 demjenigen von 167 in Pracht, Prunk und Pomp nicht hinten anstehen wollte. Die Oude Delft war das beste Viertel der Stadt. Man musste zeigen, wer man war und was man war.

Druck mit Ansicht des Gemeenlandshuis von Delfland in Delft (Wasseraufsichtsbehoerde), Coenraet Decker 1678 - 1703
Gezicht op het Gemeenlandshuis van Delfland te Delft, Coenraet Decker (toegeschreven aan), 1678 – 1703

Wer, das war in diesem Fall Jan de Huyter, seines Zeichens Mitglied des Delfters Stadtrats, der Deichaufsicht und Steuereinnehmer für Hopfen. Kurzum, einer der reichsten Männer des Landes, ausgestattet mit adäquaten Mitteln, sich einen Stadtpalast diesen Ausmaßes zu bauen. Es heißt, dass im de Huyterhuis einst sogar Kaiser Karl V. übernachtet haben soll. Auf der Durchreise gerade etwas knapp bei Kasse, lieh der Finanzmagnat dem Habsburger Herrscher, großzügig das nötige Kleingeld.  

Nach dem politisch-religiösen Umbruch im ausgehenden 16. Jahrhundert gelangte das Gebäude in Staatseigentum. Bis in das Jahr 1645 wurde hier Oberstes Gericht gehalten, dann erwarb die Wasserkontrollbehörde Delfland das Haus und richtete es als ihren Hauptsitz ein. Daran hat sich bin heute nichts geändert.

Ansicht des Gemeenlandshuis von Delfland in Delft (Wasseraufsichtsbehoerde)

Wasserstandkontrolle vom Schreibtisch aus

Neben den üppigen Fassendenverzierungen stechen natürlich die zahlreichen Wappenschilder über der Eingangstüre ins Auge. Neben dem Emblem des Königreich des Niederlande und Delflands, schufen sich diverse Deichgrafen an dieser Stelle ein bleibendes Andenken.

Ganz bequem lässt sich der Pegelstand in der Region Delfland sozusagen vom Schreibtisch aus kontrollieren. Dreht man dem Gebäude den Rücken zu, sieht man nämlich an der gegenüberliegenden Kaimauer des Kanals, den Richtpegel als auch den aktuellen Wasserstand.

Habt Ihr übrigens den tönernen Ritter auf dem Mauerabschnitt neben dem Eingangstor bemerkt? Im 14. Jahrhundert schmückte er den Vorgängerbau, fiel dann aber offensichtlich vom Dach und geriet unter die Räder. Erst bei Restaurierungsarbeiten in jüngster Zeit kam der arme Rittersmann, ein wenig lädiert, wieder zum Vorschein.
Und hier noch eine Knobelaufgabe: Was denkt Ihr? Handelt es sich bei der vergoldeten Wetterfahne, die die Spitze des Dachtürmchens krönt, um eine Meerjungfrau oder einen Wassermann?

Ein privater Bürgersteig

Sind Euch die Betonpfeiler mit der Eisenkette vor dem Haus der Wasseraufsichtsbehörde aufgefallen? Läuft man mit offenen, neugierigen Augen durch die Delfter Innenstadt-Hauptverkehrsadern, begegnet man ihnen öfters und immer wieder anderen Ausführungen.
Bedeutende Delfter Persönlichkeiten oder solche, die sich dafür hielten beziehungsweise das notwendige Kleingeld besaßen, markierten sich mit den Abtrennungen in den zurück liegenden Jahrhunderten ihr Revier. Der Gehsteig gehörte zum Privatbesitz. So schuf man in der Praxis die gewünschte Distanz zum einfachen Volke.

20. Das Haus von Pieter van Foreest – Oude Delft 147

Ein großer Mann in einem kleinen Haus

Plakette mit dem Kopf von Pieter van Foreest am kleinsten Haus in Delft an der Oude Delft 147

Kein Fremdenführer wird achtlos an diesem Haus vorbeigehen, auch wenn es mehr als unscheinbar ist. Aber genau das ist der Grund für seine Berühmtheit. Hinter der Fassade des rot gestrichenen Backsteingebäudes mit den zwei Türen verbirgt sich nämlich das kleinste Haus von Delft.

Wie eine kleine Plakette über der Hausnummer verrät, bewohnte dieses Haus Pieter van Foreest, Leibarzt des Prinzen Willem van Oranje und Stadtarzt von Delft von 1558 – 1595. Sein Portrait findet sich in einem bronzenen Medaillon über der linken Eingangstür.

Der Hilferuf aus Delft

Pieter van Foreest wurde im Februar 1558 nach Delft gerufen. Die Pest wütete seit Monaten, die Leichenberge häuften sich und der Stadtarzt fühlte sich nicht verantwortlich. Schlauerweise hatte dieser nämlich mit dem Stadtrat einen Vertrag ausgehandelt, der ihn von jeglicher Verpflichtung zur Behandlung von Pestkranken entband. Der bis dahin in Alkmaar als Stadtarzt praktizierende Mediziner, Pieter der Foreest, erkannte die Dringlichkeit der Lage und machte sich ohne zu zögern auf den Weg nach Delft.

Das kleinste Haus in Delft an der Oude Delft 147 gehoerte dem Arzt Pieter van Foreestrte

Im Gegensatz zu seinem Arztkollegen, scheute er nicht den Kontakt mit den Pestkranken und schien immun gegen die Seuche zu sein. Mit Hochdruck entwickelte er ein Heilmittel, das sich aus zwanzig verschiedenen Kräutern zusammensetzte und verordnete den Pestilenzkranken zusätzlich Umschläge aus einer Zwiebel-Senf-Paste, die zu einer Abheilung der Pestbeulen führten.

Wenige Monate später, konnte die Seuche als eingedämmt erklärt werden. Über 5000 Menschen, ein Fünftel der Einwohner Delfts, hatte die Pest dahingerafft.

Trotz der Verdienste des neuen Stadtarztes zeigte sich der Gemeinderat knauserig gegenüber dem fleißigen und pflichtbewussten Mediziner. Er erhielt mit nur 40 Gulden im Jahr einen deutlich geringeren Lohn, als sein älterer Kollege, dazu Steuerfreiheit auf Wein und Bier, sowie das rote, kleine Haus Nummer 147 in der Straße Oude Delft.

Aber de Foreest war Idealist, und als solcher, ließ er sich nicht von den finanziellen Kleingeistern entmutigen. Immerhin gelang es ihm den Stadtrat, davon zu überzeugen klare Regelungen bezüglich der Zulassung von Ärzten aufzustellen. Scharlatane und Quacksalber hatten in Delft nichts verloren.

Leibarzt von Wilhelm I. von Oranien

1574 konsultierte Wilhelm I. von Oranien den Arzt, der bereits so viel von sich Reden gemacht hatte. Die Chemie zwischen Herrscher und Mediziner stimmten, so dass van Foreest bis zu Wilhelms Ermordung der Leibarzt der Familie blieb. Es war daher eine Selbstverständlichkeit, dass die Autopsie und Einbalsamierung des Fürsten unter seiner Leitung stattfand.

Van Foreest erwarb sich mit seiner Stellung als Leibarzt des Prinzen von Oranje und seinen innovativen Ansätzen und entwickelten Heilmitteln ein überregionales Renomée. Die damals auf dem Gebiet der Medizin führende Universität Leiden ernannte den bescheidenen Arzt zum Professor und wollte ihn für die Lehrtätigkeit  gewinnen. Doch vergeblich. Van Foreest bevorzugte die Praxis, nicht die Theorie, auch wenn er damit vielen angehenden Medizinern zu einer soliden Ausbildung hätte verhelfen können.

Das Verhältnis zu den Ratsherren in Delft blieb angespannt. Leider erfuhr Pieter van Foreest in der Stadt, in der er seine größten medizinischen Erfolge feiern konnte, nicht die gebührende Anerkennung.
1594 kehrte er Delft verbittert den Rücken und zog zurück in seine Geburtsstadt Alkmaar. Dort wurde er mit offenen Armen und einem Jahresgehalt von 200 Gulden empfangen. Dies wird ihn ein wenig über die Undankbarkeit seines vorherigen Arbeitgebers hinweg getröstet haben. Allerdings konnte van Foreest sein neues Glück nur kurz genießen. Drei Jahre später starb er im Alter von 76 Jahren. Auf seinem Grabstein ist zu lesen: Hippocrates batavus si fuit ille fuit – Wenn es einen holländischen Hippocrates gab, dann war er es!

Alles nur Marketing

Auch wenn ich damit einen Mythos stürze, in Wahrheit wohnte Pieter van Foreest, seinem Stand und seiner Position entsprechend, im linken Nachbarhaus. Korrekt ist zwar, dass die Stadt dem Arzt das Minihaus mit der Nummer 147 zur Verfügung stellte, es diente aber nur als Annex zum eigentlichen Wohnhaus. Eventuell nutzte der Leibarzt den Anbau als Praxis.

21. Inde Gulden Mee Bael – Oude Delft 137

Beinahe für immer in der Versenkung verschwunden

Roter Färberkrapp (auch als Färberröte oder Meerkrapp bekannt) war im 16. und 17. Jahrhundert heiß begehrt. Textilindustrie und Maler standen Schlange nach dem roten Farbstoff. Kein Wunder, dass sich ein gewisser Herr van Beresteyn eine goldene Nase daran verdiente. So war es ein Leichtes für ihn, sich an der Oude Delft 137 einen Prunkbau hinzustellen. 10 Kamine soll das Haus 1593 gehabt haben, frieren musste hier im Winter niemand.
Berensteyn handelte aber nicht nur mit Färberkrapp, Wein und Gewürzen, sondern war einer der Hauptinvestoren der VOC (Vereinigte Ostindische Compagnie), Vertreter der Niederländischen Staaten und Bürgermeister von Delft.

Giebelstein des Hauses Inde Gulden Mee Bael aus dem 16. Jahrhundert; Oude Delft 137 in Delft

Als sichtbares Zeichen seines Wohlstandes brachte der Hauseigentümer einen symbolträchtigen Giebelstein an seiner Fassade an. Ein goldenes Kissen (?), darunter die Inschrift „Inde Gulden.Mee.Bael“, was in etwas bedeutet „Im goldenen Meerkrapp Ballen“.

Irgendwann zwischen 1625 und 1892, als das Berensteyn-Haus abgerissen und der jetzige Neo-Renaissance-Bau entstand, muss das Schild wohl heruntergefallen und in den Tiefen einer Baugrube versickert sein. Glücklicherweise entdeckte ein Archäologenteam den Giebelstein bei Umbauarbeiten des Gebäudes zu städtischen Verwaltungsbüros. Jetzt hängt er in der Passage neben dem Hauseingang zur Phoenixstraat.

Haus in der Oude Delft 137 in Delft; vormals das Inde Gulden Mee Bael

22. Ost-Indisches-Haus / Oost-Indisch-Huis – Oude Delft 39

Das größte Handelsunternehmen des Goldenen Zeitalters

Im 17. Jahrhundert brach das Goldene Zeitalter in den Niederlanden an. Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft erlebten eine nie zuvor dagewesenen Blüte. Und Delft  war mittendrin statt nur dabei. Das vorangegangene Katastrophen-Jahrhundert war vergessen, das Butter- und Brauereigeschäft florierte, Johannes Vermeer, Antonie van Leeuwenhoek, und Hugo Grotius waren in aller Munde. Jetzt war es an der Zeit, die Türen aufzustoßen und die Welt für Delft bzw. Delft für die Welt zu öffnen.

Zeichnung Blick auf eine Gracht in der Nähe des Ketelpoort vonDelft, Georg Balthasar Probst, 1742 - 1801
Gezicht op een gracht in de omgeving van de Ketelpoort te Delft, Georg Balthasar Probst, 1742 – 1801

Die Gründung der VOC, der Vereinigde Oost-Indische Compagnie, kam dabei genau zum richtigen Zeitpunkt. Um den Konkurrenzgedanken in den eigenen Reihen auszuschalten, schlossen sich im Jahr 1602 alle Handelsschifffahrtsunternehmen Hollands und Zeelands zu einer Gesellschaft zusammen mit dem primären Ziel, sich die Monopolstellung für die kaufmännischen Beziehungen zu den Staaten im Indischen Ozean und Ostasien zu sichern. Dass es dabei später auch um teils gewaltsame Annexion von Land, Einrichtung von Kolonien, Sklaverei und Kriegsführung ging, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Auf jeden Fall, die Delfter Kaufleute und Unternehmen standen in den Startlöchern, um im erfolgversprechenden ostindischen Handel mitzumischen. Ein Schiff war geheuert, sein bedrohlicher Name „de Haai“ ausgetauscht gegen den versöhnlichen „Eendracht“ und Delft wurde zu einer von sechs Kammern (entspricht einer regionalen Niederlassung) der VOC erhoben. Nun konnte es losgehen.

Das Oost-Indisch-Huis

Selbstverständlich benötigte die Kammer ein entsprechendes Gebäude, um ihre Geschäfte abzuwickeln, zu repräsentieren, die Buchhaltung zu führen, die Schiffsbesatzungen anzuheuern und, last but not least, die Import-Export-Güter zwischen zu lagern. Hierfür erwarb die Kompanie 1631 zunächst das Haus Nummer 39 an der Oude Delft Gracht. Ein schmuckes Gebäude mit imposantem Treppengiebel, auffälligen Mauerankern, grünen Buntglasfenstern und braun lackierten Fensterläden, das etwa 1580 gebaut worden war. Man taufte es Oost-Indisch-Huis und brachte über der massiven, eisenbeschlagenen Holztür für alle Vorbeigehenden gut sichtbar das Emblem der VOC D(elft) an.

Der Handel boomte und in mehreren Etappen erwarb der VOC weitere benachbarte Gebäude und Räumlichkeiten, darunter auch das gegenüber dem Oost-Indisch-Huis gelegene Armamentarium, das als Pack- und Lagerhaus genutzt wurde.
Wenn auch ein wenig umständlich, so stellte es dennoch kein Hindernis dar, dass Delft selbst keinen Seehafen besaß. Dafür hatte man ja das an der Nieuwe Maas gelegene Delfshaven, das über einen direkten Zugang zur Nordsee verfügte. Die Waren und Handelsgüter wurden dort einfach auf kleinere Schiffe umgeladen, die mühelos den Delfshavense Schie-Kanal hinauf bis ins Zentrum von Delft fahren konnten.

Die Geburtsstunde des Delfter Porzellans

Die VOC hatte sich im Laufe der Zeit zum größten Arbeitgeber in Delft entwickelt. Jährlich wurden mehrere Schiffe ausgestattet, die gen Osten fuhren. In knapp einhundert Jahren heuerten über 10.000 Seeleute für die meist achtmonatige Reise an. Ihre Zukunft war meist ungewiss. Nur ein Drittel kam zurück. Manche blieben im ostindischen Paradies, andere kamen nicht einmal dort an. Viele Schiffe gingen unterwegs verloren oder die an Bord grassierenden Krankheiten, die schlechten hygienischen Verhältnisse und die Mangelernährung taten ihr Übriges.

Tulpenvase aus Delfter Porzellan

Das Exportgeschäft stieg exponentiell an. Im Gegenzug brachten die Schiffe neben Gewürzen, Tee und Kaffee, vor allem chinesisches Porzellan mit zurück in die Heimat. Die Gewinnspannen waren enorm und die Nachfrage groß. Warum also importieren und nicht selbst herstellen, dachten sich die Delfter Töpfer und machten sich an die Arbeit, die chinesische Keramik nachzuahmen. Das war die Geburtsstunde des Delfter Blau mit der VOC als Geburtshelfer.

Bald entwickelten die Delfter Manufakturen ihren eigenen Stil, setzten auf niederländische anstelle von orientalischen Motiven und machten das Delfter Blau, dessen Farbstoff, man höre und staune, größtenteils aus dem Schwarzwald kam, weltberühmt.

VOC – Untergang durch Korruption

Frontansicht des Oost-Indisch-Huis; Haus der VOC in Delft

Vier zermürbende Seekriege innerhalb von weniger als 150 Jahren gegen England, die außenpolitisch angespannte Lage mit den französischen Truppen vor der Haustüre, dazu die Verlagerung der Händlernachfrage weg von Gewürzen und Porzellan hin zu Seidenstoffen, Tee oder Kaffee, aber vorallem die Korruption und Selbstbereicherung innerhalb der Führungsspitze der Gesellschaft führten 1795 schlussendlich zu ihrem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die VOC wurde liquidiert und verstaatlicht.

Das war natürlich gefundenes Fressen für alle Neider und Spötter. Aus der Vereinigde Oost-Indische Compagnie VOC wurde die Gesellschaft Vergaan Onder Corruptie. Zugrunde gegangen durch Korruption.

Das Kriegsministerium nahm den weitläufigen Gebäudekomplex in Beschlag und richtete darin die Kleiderkammer für die niederländischen Streitkräfte ein. Danach stand das Oost-Indisch-Huis lange Zeit leer, bis es, wie so viele anderen historischen Gebäude in Delft, zu  einem Studentenwohnheim umgebaut wurde. Ob sich die Studenten bewusst sind, dass einst hinter den Mauern dieses markanten Gebäudes die vermögendste und einflussreichste Handelsgesellschaft der Niederlande beinahe 200 Jahre lang Delfter Geschichte geschrieben hat?

23. Armamentarium – Korte Geer 2 / Oude Delft

Wachet und vertraut auf Gott

Gegenüber des Sitzes der VOC, kurz bevor die Oude Delft Gracht eine Kehrtwendung zurück Richtung Markt macht, erstreckt sich auf etwa 50 Metern Länge, das sogenannte Armamentarium, die einstige Waffenkammer Hollands und Westfrieslands.

Wappen der Grafschaft Holland auf dem Armamentarium in Delft

Schweres Gerät wurde seit 1602 hier gelagert, das verraten nicht nur die riesigen, über drei Stockwerke verteilten, doppelflügeligen Türen, sondern auch das detailliert ausgearbeitete Wandrelief mit dem Wappen der Grafschaft Holland. Darunter der Leitspruch „Vigilate Deo Confidentes“ – „Wachet und vertraut auf Gott„.
Ja, ich bin auch der Meinung, doppelt hält besser. Gottvertrauen, recht und gut, aber ansonsten immer schön wachsam bleiben und den Feind im Auge behalten.

In der Rüstkammer des quadratisch angelegten Gebäudekomplexes stapelten sich von 1692 an Kanonen, Feuerwaffen, Munition und logistisches Gerät bis unter die Decke, während im später zugefügten Anbau, die VOC ihre importierten Waren zwischen lagerte.

Blick vom Oude Delft Kanal auf den Anbau des Armamentarium in Delft

Seitdem die Sammlung des Königlich Niederländischen Armeemuseums, das von 1986 bis 2013 die Räumlichkeiten nutzte, nach Soesterberg verlegt wurde, steht das riesige Gebäude leer. Aber es scheint sich etwas zu tun, ganze Handwerkergeschwader gehen im Innenhof ein und aus.

24. De Handboog – Koornmarkt 81

Brauerei-Hochburg Delft

Schlendert man den Koornmarkt  wie ein Hans-Guck-in-die Luft entlang, sticht einem das Kanalhaus mit den roten Fensterläden sofort ins Auge. Mit seinen vier Geschossen und dem Treppengiebel überragt die Hausnummer 81 alle Nachbargebäude um Längen.

Frontansicht der ehemaligen Brauerei de Handboog in Delft, Backsteinfassade mit Treppengiebel und roten Fensterlaeden

De Handboog, wie es genannt wird, entstand 1540. Nicht nur der Name „Langbogen“, sondern auch die ungewöhnlichen Schmuckelemente an der Fassade lassen mögliche Rückschlüsse auf die ehemaligen Besitzer, die Armbrust-Gilde, zu. Die Maueranker wurden als Pfeil und Bogen-Kunstwerke gestaltet und mehrere Wappenschilde sowie eine Männerbüste mit Helm zieren die halbrunden Bogengiebel über den Fenstern. Leider existieren keine Unterlagen, die diese Vermutung bestätigen. Gesichert ist nur, dass das schmucke Gebäude 1575 in das Eigentum des Brauereibesitzers Cornelis van der Wel überging, dem schon das Nachbarhaus Het Vliegende Paard (das fliegende Pferd), ebenfalls eine Brauerei, gehörte.

Ich muss gestehen, dass ich Delft bislang nur als die Stadt Vermeers und Wilhelm V. von Oranien, als letzte Ruhestätte der niederländischen Könige und Königinnen und als Zentrum des weltberühmten blau-weißen Porzellans kannte. Inzwischen wurde ich eines Besseren belehrt. Auf meinem Weg durch Delft bin ich weiteren Berühmtheiten begegnet, habe wahre Kunst- und Kulturschätze entdeckt und viele neue Erkenntnisse über die Stadtgeschichte gewonnen. Dabei hat mich eine Information vollkommen überrascht: im 15. Jahrhundert existierten auf dem Gemeindegebiet von Delft 200 Brauereien!

Bier als Grundnahrungsmittel

Bereits 200 Jahre zuvor war Delft als Brauereistadt bekannt. Wasser war teuer und vor allem gesundheitsgefährdend. Von Kläranlagen hatte noch niemand etwas gehört, geschweige denn von Colibakterien, Chemikalien- und Schermetallbelastung. Die Wasserzuläufe in die Stadt hinein dienten gleichzeitig als Abwasserkanäle. Es war also sicherer und günstiger Bier zu trinken.

Zunächst diente die Bierproduktion zur Deckung des Eigenbedarfs der Delfter Bevölkerung und des nahe gelegenen Umlandes. Erst mit dem Bau eines Kanals und dem Zugang zum 13 Kilometer südlich gelegenen Hafen (Delfshaven) eröffneten sich den Bierbrauern neue ökonomische Möglichkeiten. Die Produktion hatte Mitte des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht. 250.000 Fässer zu je 150 Litern wurden in einem Jahr erzeugt. 80.000 Liter davon gingen in den Export.

Die Bierindustrie sorgte für einen allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung. Nicht nur die Brauereien boomten, sondern auch die Zulieferer, darunter Getreidebauern, Müller, Faßmacher, Transportunternehmen und nicht zu vergessen die Torflieferanten. Ein ganz wichtiges Stichwort, denn der Torf und Myrte waren sozusagen die Geheimzutaten des würzigen Delfter Biers. Nicht dass das Bier Torf enthalten hätte, aber das Wasser, das im Brauvorgang verwendet wurde, stammte aus sogenannten Torfseen. Außerdem verdankte die Stadt ihrem Arzt Pieter van Foreest, dass nach der Pestepidemie 1558, Frisch- und Abwasserkanal getrennt wurden. Dadurch erhielt das Bier eine noch bessere Qualität.

Ende des 17. Jahrhunderts musste eine Brauerei nach der anderen schließen. 1740 waren nur noch zehn übrig. Durstlöschende Alternativen und neue Modegetränke wie Tee und Kaffee gruben dem Bier im wahrsten Sinne das Wasser ab. Heute fließt mit Gewissheit wieder das Bier hinter der Fassade, denn wie viele historische Gebäude am Koornmarkt und der Oude Delft, beherbergt es ein Studenten-Wohnheim.

25. Heilige Geesterzusterhuis (Meisjeshuis) – Oude Delft 116

Schamvolle Blicke

Es war einmal ein Delfter Bürger, der der weltlichen Genüsse überdrüssig war und sein Leben zukünftig Gott und der Kirche weihen wollte. Doch bevor er sich hinter die Klostermauern zurückzog, spendete er sein nicht unbeträchtliches Vermögen einem guten Zweck. Willem Nagel hieß der Gutmensch, der mit seinem Vermächtnis 1390 das Heilige Geesterzusterhuis ins Leben rief.

Beim Heilig-Geist-Schwesternhaus handelte es sich um eine religiös-karitative Einrichtung, die sich armer, alter, alleinstehender, kranker, pflegebedürftiger oder notleidender Menschen annahm. Gleichzeitig war es das Zuhause der Schwesterngemeinschaft, die für die Ärmsten der Armen und die Kranken sorgte. Das Haus an der Oude Delft war dabei nur eine der über die ganze Stadt verteilten kirchlich-wohltätigen Anlaufstationen. Damals war es nämlich Aufgabe der katholischen Kirche, sich um die Menschen zu kümmern, die in Not geraten waren, ärztliche Hilfe benötigten oder sich nicht mehr selbst versorgen konnten.

Mit dem Verbot des Katholizismus 1578 und der Auflösung der kirchlichen Einrichtungen, stand auch die Zukunft des Heilige Geesterzusterhuis auf dem Spiel. Grundsätzlich hätte das Pflegeheim weitergeführt werden können. Die Schwestern, die hier tätig waren, lebten zwar nach strengen Regeln, aber sie hatten kein Gelübde abgelegt und waren somit keine Nonnen. Allerdings war das Haus grundsätzlich eine kirchliche Einrichtung. Suspekt genug, um den Stadtrat zur Schließung zu bewegen.

Zwei-Klassen-Gesellschaft

Eingang des Meisjeshuis in Delft

Also erhielt das Gebäude eine neue Bestimmung. Es wurde zum Meisjeshuis, zum Waisenhaus für Mädchen. Es muss ein elitäres Waisenhaus gewesen sein, denn es gab klare Zugangsbeschränkungen. Nur Mädchen, die in Delft geboren waren und einer legalen Ehe entstammten, wurden aufgenommen. Dazu mussten sie mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet sein, um die Kosten für Unterkunft und Kleidung selbst decken zu können, und selbstverständlich war ein zusätzlicher, großzügiger Obolus immer gern gesehen.

1769 wurde das Gebäude abgerissen und das Prunkgebäude, wie es sich heute noch präsentiert, entstand. Von Armut oder Bedürftigkeit keine Spur. Das Waisenhaus muss großzügige Gönner gehabt haben. Seit dem Neubau zieren auch die beiden, ein wenig verschämt zur Seite bzw. nach unten schauenden, Mädchenfiguren das Portal. Nicht ohne Grund, denn das liederliche Verhalten im männlichen Studentenwohnheim auf der anderen Kanalseite hätte den beiden Waisen bestimmt die Schamesröte ins Gesicht getrieben.

Bis 1954 blieb die Institution bestehen. Als die Anzahl der zu betreuenden Mädchen immer weiter zurückging, schloss man das Heim. Heute sind im Gebäude mehrere kulturelle und öffentlich-rechtliche Stiftungen untergebracht.

Heilige Geestkapel, Ecke Oude Delft 118 – Nieuwstraat

Eine Kapelle mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten

Heilige Geestkapel, Delft; Backsteingebäude aus dem 14. Jahrhundert

Gleich neben dem Meisjeshuis schließt sich ein dunkler, schmuckloser Backsteinbau mit drei gotischen Buntglasfenstern an. Über 300 Jahre lang beteten hier die Schwestern des Pflegeheims, taten Buße und zelebrierten den Gottesdienst bis die Ausübung des katholischen Glaubens Ende des 16. Jahrhunderts verboten wurde.

Flugs requirierte die Armee die Kapelle und nutzte sie als Waffenlager. Offenbar war das riesige Armamentarium am Ende der Oude Delft immer noch nicht große genug, um das ganze Waffenarsenal der holländischen Armee aufzunehmen. Nach der Befriedung Hollands, stand das Gebäude über lange Zeit leer und verfiel zusehends. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es Instand gesetzt und von der Technischen Universität als provisorische Auditorium-Außenstelle genutzt.

Seit 1972 hält nun der Schutzpatron der Stadt, der Heilige Hippolytus, seine schützende Hand über die römisch-katholische Gebetskapelle, die wieder für Gottesdienste geöffnet ist.

26. Oostpoort, Oostport 1

Ein idyllischer Platz

Wir verlassen die Enge der Delfter Gassen und machen einen Spaziergang entlang des Rijn-Schiekanals bis zum letzten verbliebenen Bollwerk aus dem 15. Jahrhundert. Delft galt zur damaligen Zeit als sichere Stadt. Acht Stadttore und eine massive Befestigungsmauer sicherten die Zugänge von allen Seiten. Kein Wunder, dass Willem von Oranje Delft als Zufluchtsort vor den Häschern des spanischen Königs auswählte.

Keine 250 Jahre später waren die Befestigungstürme obsolet geworden. Sie strapazierten die Haushaltskasse erheblich, denn an allen Ecken und Enden bröckelte es. Außerdem behinderten sie das ökonomische Wachstum der Stadt. Also fielen sie, einer nach dem anderen, der Abrissbirne zum Opfer. Einzig der Oostpoort durfte stehen bleiben. Ein Glück, dass der Handel mit den östlichen Provinzen nicht besonders ausgeprägt war, und das Backsteingebäude mit den grazilen Türmen kein Bottleneck in Sachen Durchgangsverkehrs darstellte.

Es wäre wirklich schade um das Tor aus dem 14. Jahrhundert gewesen. Es ist weniger Bollwerk als vielmehr ein architektonisches Schmuckstück zumal es ein Land- als auch ein überbautes Wassertor besitzt. So konnte niemand der Zugangs- und Zollkontrolle entgehen. Beide Tore waren über die Stadtmauer miteinander verbunden. Zur besseren Sicherung und Überwachung des Osthafens wurde das Landtor 1514 aufgestockt und erhielt die beiden Türme zur Seite gestellt.

Mit einer Zugbrücke konnte das Stadttor nachts verschlossen werden. Dann war es die Aufgabe des Nachtwächters, der im Torbogen mit seinem treuen Gefährten ein ehrendes Andenken erhalten hat, für die Sicherheit der Delfter Bürger zu sorgen.

Übrigens, direkt neben der romantischen Ziehbrücke, die den Namen kleine Oostpoortbrug trägt, befindet sich die große Oostpoortbrug. Eine der eher selten anzutreffenden Drehbrücken.


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