alte Kirchenbaenke in der evangelischen Kirche von Wolkendorf
Rumänien,  Unterwegs

Kirchenburg Wolkendorf / Vulcan im Burzenland


Ein Dutzend Kirchenburgen haben sich im Burzenland, dem südöstlichen Teil Siebenbürgens, ins 21. Jahrhundert hinübergerettet. Die Aushängeschilder unter ihnen sind zweifelsfrei das UNESCO-Welterbe von Tartlau (rum. Prejmer), als auch mein ganz persönlicher Favorit, die Kirchenburg in Honigberg (rum. Hărman). Neben diesen beeindruckenden Verteidigungsbauten, überraschen aber auch die kleineren christlichen Wehranlagen wie Weidenbach (Ghimbav) mit der Blumenwiese als Gewölbeschmuck, Petersberg (Sânpetru) mit seinem dreifachen Bering und den Wandmalereien in einer Geheimkapelle, oder Neustadt (Cristian) mit dem wunderschön renovierten Chorraum.

Um es vorwegzunehmen, die Kirchenburg von Wolkendorf kann keine dieser Trumpfkarten ausspielen. Trotzdem lohnt sich der Katzensprung von Neustadt in das nur wenige Kilometer entfernte Vulcan. Denn die kleine Kirchenburg ist das Paradebeispiel eines Stehaufmännchens. Ein kulturgeschichtliches Zeugnis einer einstmals rein sächsischen Gemeinde, die allen Rück- und Schicksalsschlägen zum Trotz, über Jahrhunderte nie aufgab.

Kirchturm und Ringmauer der Kirchenburg in in Wolkendorf

Wolkendorf – oder wie die Wölfe auf die Wolke kamen

Die Gemeinde wurde auf Initiative des Deutschen Ritterordens im frühen 13. Jahrhundert mit Siebenbürger Sachsen besiedelt, wobei zuvor bereits eine slawische Siedlung existiert haben musste. Zu dieser Zeit war das Gebiet unter dem Namen wulk bekannt, denn Wölfe gab es in den nahe gelegenen Bergwäldern des Persaner Höhenzugs in Hülle und Fülle. Da den sächsischen Siedlern die Bedeutung des Wortes wulk wohl nicht geläufig war, transferierten sie es nach bestem Wissen in eine Wolke. Folglich musste es sich geradezu himmlisch angefühlt haben, in einer neuen Heimatstadt namens Wolkendorf zu leben.

Allerdings sollte sich für die Wolkendorfer der Traum von einem wattebauschigen Erdendasein für lange Zeit nicht erfüllen. Denn wie am Himmel immer wieder auf, neben und über der Wolke Sieben heftige Unwetter heraufziehen können, so wurde auch in der wirklichen Welt die siebenbürgisch-sächsische Gemeinde über Jahrhunderte von Zerstörungen, Plünderungen, Großbränden, Seuchen, Verschleppung bis zur beinahe Total-Auslöschung nicht verschont. Zwar stand Wolkendorf damit ganz in der Schicksalstradition aller sächsischen Gemeinden in Siebenbürgen, doch das kleine Dorf erwischte es besonders heftig.

Ungeahnte Rotwein-Vorräte

Den Anfang allen Unheils machten die Türken unter Sultan Murad II., der die Ortschaft 1421 dermaßen verwüstete, dass die Gemeinde über elf Jahre hinweg von den Steuerzahlungen an König Sigismund befreit wurde.

Besagter König hielt sich übrigens öfters im Burzenland auf. Dabei verknüpfte er das Notwendige, nämlich das Vorantreiben der Befestigung Kronstadts gegen weitere Türkeneinfälle, gerne mit dem Vergnügen. Die bergige und bewaldete Gegend, insbesondere der Geisterwald, sprich das Perşani-Gebirge, war ein beliebtes Ziel für die Jagdausflüge des Monarchen. Man erzählt sich, dass der lebenslustige König Sigismund einen erfolgreichen Jagdtag gerne ausgelassen feierte. Also versprach er demjenigen, der ihm als erstes ein 400 Liter Fass Rotwein auf die Hohe Koppe bringen würde, selbiges Gebiet als Besitztum zu überschreiben. Die Hohe Koppe war eine begehrte Gebirgsweide, weshalb die Wolkendorfer alles dransetzten, den Wunsch des Königs zu erfüllen. Die 400 Liter Rotwein aufzutreiben, war nicht so sehr das Problem, als vielmehr ein volles Fass dieser Größe auf den über 1000 Meter hohen Berg zu schaffen.


Aber unter der sächsischen Gemeinde gab es einige clevere Zeitgenossen. Mit 40 Mann machten sie sich am nächsten Tag auf den Weg zum Ciuma, dem Scheusal, wie der Berg heute auf Rumänisch heißt. Jeder von ihnen hatte sein Pferd mit einem Eimer Rotwein, reichlich Werkzeug und Teilen eines zerlegten Fasses gesattelt. Auf dem Gipfel angekommen, setzten die Wolkendorfer ihr Fass in Windeseile zusammen und füllten es mit dem Rotwein. Der zufriedene König hielt sein Versprechen, sodass die Gemeinde ab 1427 stolzer Eigentümer des wertvollen Weidegebiets wurde.

Die rote Laterne des Burzenlands

Trotz des unerwarteten Besitztums bildete die Dorfgemeinschaft weiterhin konstant das ökonomische Schlusslicht im Kronstädter Distrikt. Das sollte sich auch bis weit in das 18. Jahrhundert nicht ändern. Denn mit den Schrecken des Burzenlandes, suchte eine wiederkehrende dunkle und gewalttätige Wolkenfront die Ortschaft am Fuße des Bucegi-Gebirges heim.

Als Vorreiter zündete 1599 der walachische Fürst Mihai Viteazul das Dorf an. Nur vier Jahre später hielt sich der nächste walachische Woiwode am Besitz der Wolkendorfer schadlos, sodass die Einwohner sich selbst vor den Pflug spannen mussten, um ihre Felder zu bestellen. Aber es kam noch schlimmer.

Der 23. September 1611 ging als Schreckenstag in die Dorfgeschichte ein. Der siebenbürgische Fürst Gabriel Báthory machte das Dorf und die Kirchenburg dem Erdboden gleich. Zwar gelang es den Einwohnern rechtzeitig in der Kirchenburg Schutz zu suchen, allerdings konnte diese einem Angriff von solcher Brutalität nicht standhalten. Die Angreifer stürmten den einfachen Befestigungsring, töteten zuerst die Frauen und Kinder und setzten anschließend den Glockenturm in Brand. Wer nicht in den Flammen umkam, wurde gnadenlos niedergemetzelt. Nur fünf von 300 Wolkendorfern überlebten das Massaker.

Kirchenburg von Wolkendorf / Vulcan, Burzenland
Verschluss einer Vorratskammer

Doch für Resignation blieb keine Zeit. Die Hinterbliebenen rappelten sich notgedrungen wieder auf, neue Siedler fanden den Weg nach Wolkendorf, sodass über die Jahre wieder ein Gemeindeleben entstand. Die nachfolgenden Heimsuchungen, darunter ein erneuter Türkenangriff, fahrlässig oder mutwillig gelegte Brände, die Cholera und Pest, die Wolkendorfer rappelten sich immer wieder hoch. Erst die wirtschaftliche Not zu Beginn des 20 Jahrhunderts, die daraus resultierende Auswanderungswelle nach Amerika, die beiden Weltkriege, Enteignungen und Verschleppungen machte die einst deutschsprachige Mehrheit zur Minderheit in ihrer eigenen Gemeinde. Zählte man Mitte der 1940er Jahre noch knapp 1400 Siebenbürger Sachsen in Vulcan, sind es heute weniger als 50, die weiterhin treu im Schatten ihrer Kirchenburg leben.

Ein wechselvolles Schicksal

Kirchturm der evangelischen Kirche der Siebenbuergisch-saechsischen Gemeinde in Wolkendorf

Fährt man heute nach Wolkendorf hinein, blinzelt einem schon bald die Glockenturmspitze neugierig entgegen. Nach einer Ringmauer hält man zunächst vergeblich Ausschau, denn sie hat sich zur Hauptstraße hin mit einer Fassade profaner Gebäude gut getarnt. Diese vor den Bering geklatschte, städtebauliche Zwangsjacke ist wahrlich kein ästhetischer Zugewinn für die Wehranlage. Wesentlich schlimmere Folgen zog allerdings das 1963 von der kommunistischen Stadtverwaltung verhängte Zutrittsverbot zur Kirchenburg über den bisherigen Eingang nach sich. Dieser führte ungeschickterweise mitten durch das 1893 vor die Ringmauer angebaute Rathaus. Verständlicherweise empfanden die neuen Stadtoberen den ständigen siebenbürgisch-sächsischen Durchgangsverkehr nach der Verschiebung der Macht- und Ethnien-Verhältnisse im Bürgermeisteramt als Provokation.

Offensichtlich alternativlos (?) durchbrach die evangelische Kirchengemeinde deshalb die Nordmauer, um einen neuen Zugang zur Kirche zu gestalten. Leider riss man dafür ein Dutzend der über 400 Jahre alten Getreidekammern auf der Innenseite der Ringmauer ab. Ironischerweise wird dieser Zugang heutzutage kaum benutzt. Touristen als auch Kirchgänger erhalten durch ein großes Tor neben dem Rathaus Zutritt zur Kirchenburg.

Hier fällt sofort die ungewöhnliche Form der 1521 errichteten Ringmauer auf. Während sie im Süden und Westen schnurgerade im rechten Winkel zueinander verläuft, umschließen die 10 Meter hohen Mauern im Norden und Osten die kleine Kirche in einem ovalen Bogen. In der Südflanke blieben glücklicherweise noch alle Fruchtkammern erhalten. In Kriegszeiten deponierten die Dorfbewohner in den Minispeichern ihre Getreidevorräte und Grundnahrungsmittel. So konnten sie im Falle einer längeren Belagerung in der Kirchenburg ohne Hungersnot ausharren.

Zur Belagerung kam es in Wolkendorf jedoch nie. Dennoch blieb die ursprünglich romanische, und nach ihrem Umbau im 15. Jahrhundert, gotische Kirche vor feindlichen Angriffen nicht verschont. Nach ihrer Zerstörung 1611 durch die Truppen Báthorys dauerte es 50 Jahre, bis die beinahe ausgelöschte Gemeinde genügend Manpower und Mittel besaß, um sie wieder aufzubauen und ihr das heutige Aussehen zu verleihen.

Nichts währt ewig

Durch den 1794 neu gebauten Glockenturm gelangt man in das Kircheninnere. Nach den Renovierungen von 1935 und 1969 präsentiert es sich sehr aufgeräumt und puristisch. Die einzigen Farbtupfer in dem pastellgelben Raum mit den hellblauen Brüstungen sind die kleine Orgel vor dem Zugang zum Chorraum als auch die mit abstrakten Sonnen/Blumen bemalte Kassettendecke.

Die für den Gottesdienst genutzte und vor dem Chorraum platzierte barocke Orgel stammt ursprünglich aus der Kirche in Streitfort. Der Umzug nach Wolkendorf im Jahr 2002 erwies sich für das Schmuckstück als wahrer Segen. Ansonsten wäre sie wahrscheinlich, wie das restliche Kircheninventar in Streitfort, zum Opfer gewissenloser Vandalen geworden.

Im Gegensatz zu Streitfort, gibt es in Wolkendorf zum Glück noch eine deutschsprachige Kirchengemeinde, die ihr historisches Erbe mit viel Hingabe pflegt. Nur so konnte die zweite Orgel auf der Westempore, die Biedermeierkanzel sowie der wertvolle Taufstein aus dem Jahre 1741 den Widrigkeiten des Schicksals trotzen.

Ich bin mit meinem Rundgang in der Kirchenburg am Ende. Bis auf eine in der Nordmauer eingelassene Gedenktafel gibt es in Wolkendorf nichts mehr zu entdecken. Sie ehrt den langjährigen Gemeindepfarrer Johannes Rauß, der mit 58 Jahren an der Pest verstarb und unter einem (heute leider nur noch gedanklich vorhandenen) Blumenhügel begraben liegt.

Grabmahl Pfarrer Rauss am Eingang zur Kirchenburg in Wolkendorf

Des Edlen Grabmahl ward zum Blumenhügel
Des Moders Heimath schmückt ein Blütenkranz.
Es rauscht die Zeit auf ihrem schnellen Flügel,
Entflieht des Todes Graus, des Lebens Glanz,
Entflieht der Ruhm und edlen Thaten Schimmer,
Nur edler Thaten Frucht verschwindet nimmer.


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