Skulptur Gaenseliesel im Parc de l'Orangerie, Strasbourg
Straßburger Spaziergänge,  Straßburgs Grüne Seite

Kunst im Parc de l’Orangerie


Der kalendarische Frühling hat bereits Einzug gehalten, die Beete sind frisch bepflanzt und die Störche mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen zu ihren Untertassen großen Nestern in die grüne Lunge der Stadt Straßburg zurückgekehrt. Höchste Zeit für mich, ein schon lange gegebenes Versprechen einzulösen. Deshalb lade ich Euch heute auf einen Kunst-Spaziergang durch den Parc de l’Orangerie ein.

Uebersichtsplan Parc de l'Orangerie, Strasbourg
  1. Le puits voleur
  2. Gänseliesel
  3. Erdsäule
  4. Sphinx
  5. Pierre Pflimlin
  6. Les armours du poète
  7. Victor Nessler
  8. Hercule terrassant le lion

Mit einem Klick auf den Storch im Text kommt Ihr wieder zur Übersicht zurück.

Le puits voleur – ein Kunstwerk gibt Rätsel auf

Wir müssen uns gar nicht lange in Geduld üben, denn schon nach halber Wegstrecke auf der Hauptzugangsallee lenkt linker Hand ein Rundtempel auf vier Säulen die Aufmerksamkeit auf sich. Unter dem knallig blauen Kuppeldach leuchten 500 Lichtpunkte als Sterne am Betonfirmament. Darunter nimmt ein mit einer Plexiglasscheibe versiegelter Zylinder das Zentrum des Tempels ein. Auf dem Grund des Pseudo-Brunnens sollte sich, so das Versprechen des Künstlers, ein vom fiktiven Himmelsgewölbe entführter Mond spiegeln. Daher der Name Le Puits voleur – der diebische Brunnen.

Doch trotz der funkelnden „Sterne“ bleibt mir dieses künstlerische Mini-Universum ein Rätsel. Der versprochene Mond hat sich mir bisher nie gezeigt. Vielleicht wäre es an der Zeit, die reichlich zerkratzte und inzwischen stumpfe Plexiglasabdeckung durch ein anderes Medium zu ersetzen? Oder ist dies bewusst nicht gewollt? Denn solange der Betrachter mit Blindheit geschlagen ist, kann der Brunnen nicht des Diebstahls überführt werden.

Den auffälligen Kuppeltempel schuf Patrick Bailly-MaÎtre-Grand 1994 im Auftrag des Centre Européeen d’Actions Artistiques Contemporaines (CEAAC). Mittlerweile hat sich der in Paris gebürtige und heute in Straßburg lebende Künstler ganz der Fotografie verschrieben. Seine Werke genießen nicht nur in Frankreich, sondern auch in renommierten Museen der USA wie das MoMA in New York oder das Museum of Fine Arts in Houston große Anerkennung.

Allerdings hat für mich die moderne Kunstsprache so seine Tücken. Im Fall des diebischen Brunnens sorgt sie nämlich für ein weiteres Fragezeichen auf meiner Stirn. Deshalb hoffe ich, dass mir jemand erklären kann, was es mit dem schwarzen Schaf unter den ansonsten weißen Säulen auf sich hat? 

Die Gänseliesel – ein Blick in die elsässische Modewelt

Zu einer Zeitreise in das Jahr 1899 lädt das nächste Kunstwerk ein. Nur einen Steinwurf vom puristisch-kühlen Tempel entfernt, beschenkt uns die verspielte Bronzefigur einer jungen Magd in elsässischer Tracht erhellende Einblicke in die Welt der Landhausmode.

Ihr markanteste Markenzeichen ist natürlich die D’Schlupfkapp. Das zu einem Knoten geformte Ungetüm von Kopfbedeckung wurde bevorzugt in und um Straßburg getragen. Ursprünglich eine schlichte Kappe, die mit einem zur Schleife gebundenen Zierband getragen wurde, entwickelte sie im Laufe des 19. Jahrhunderts eine größenwahnsinnige Eigendynamik. In protestantisch geprägten Regionen wuchs bei verheirateten Frauen der anfänglich bescheidene Knoten zu einer gigantischen schwarzen Schleife heran, die zum besseren Halt mit Draht verstärkt werden musste. Auf katholischem Terrain war es dagegen üblich, dass die ledigen Mädchen auf dem Kopf Farbe bekannten. Bevorzugt wurden rote oder mit floralen Motiven bedruckte Stoffe. Zum weiteren Outfit der Gänseliesel gehören eine langärmlige Bluse mit Mieder, ein beinahe knöchellanger Rock mit schmucker Bordüre und Schürze darüber sowie klobige Holzpantinen.

Ursprünglich hatte die Gänseliesel ihren Auftritt als dekoratives Element in der Gemüsehalle im Alten Zollhaus. Doch kaum aufgestellt, wurde sie kurze Zeit später wegen angeblich ungünstiger Ausleuchtung auch schon wieder entfernt. Ein Wink der Vorsehung, wenn man bedenkt, dass das Alte Zollhaus L’Ancienne Douane 1944 einem alliierten Bombenangriff zum Opfer fiel. Zunächst fand die Statue im Château de Rohan eine temporäre Bleibe, bis ein neuer adäquater Platz gefunden war. Den durfte sich der Straßburger Skulpteur Albert Schultz (1871-1953) sogar selbst aussuchen. Seine Wahl fiel auf den Parc de l’Orangerie. Seither zieht die Elsässerin mit dem prall gefüllten Gemüsekorb und der diebischen Gans im Schlepptau auf der Grünfläche gegenüber des Pavillon Joséphine die Blicke auf sich.

Die Erdsäule – der Kreislauf des Lebens

Deutlich moderner präsentiert sich die 1986 anlässlich einer Ausstellung für Moderne Kunst installierte Erdsäule des Künstlerehepaars Kubach-Wilmsen. Dabei handelt es sich um ein u-förmiges Objekt, das direkt aus der Erde wächst, einen horizontal geschwungenen Bogen in zwei Metern Höhe macht, um sich abschließend wieder der Erde zuzuwenden.

Das schlichte, kannelierte Kunstwerk aus Stein symbolisiert Herkunft, Dasein und Zukunft, wobei Letztere unweigerlich zum Ausgangspunkt zurückführt. Dieser Kreislauf bezieht sich nicht nur auf den Werkstoff Stein, sondern lässt sich natürlich auch auf das menschliche Leben projizieren. Der sichtbare Teil entspricht dabei unserem begrenzten Erdendasein.

Eine weniger spirituelle Sichtweise liefert die seitliche Perspektive, bei der die Säule verblüffende Ähnlichkeit mit dem Periskop eines U-Boots aufweist. Und wenn ich ehrlich bin, assoziiere ich mit der Frontalansicht immer noch die Form einer nubischen Perücke. Möglicherweise liegt dies aber auch nur an der räumlichen Nähe zu den beiden nächsten Skulpturen vor dem Pavillon Joséphine.

Zwei altertümliche Schönheiten

Aus dem 20. Jahrhundert springen wir zurück ins Alte Ägypten. Nicht dass die beiden Liegefiguren vor dem Eingang der ehemaligen Orangerie 4500 Jahre alt wären, doch zumindest erlebte zu diesem Zeitpunkt die künstlerische Darstellung eines Löwenkörpers mit Menschenkopf ihren Höhepunkt. Genau genommen haben wir es bei den beiden steinernen Schönheiten mit einer griechischen Variante des Fabelwesens zu tun. Denn im Gegensatz zu den Ägyptern besaßen die Hybriden bei den hellenischen Zeitgenossen ein feminines Antlitz.

Der unbekannte Steinmetz, der 1745 die Skulpturen aus rosafarbenem Sandstein anfertigte, ging sogar noch einen Schritt weiter. Neben dem ebenmäßigen Frauenkopf mit kunstvoll geflochtenem Haar stellte er die beiden Geschöpfe mit entblößtem, weiblichen Modelloberkörper dar. Wollte er damit den Dämoninnen des Unheils ihren Schrecken nehmen und sie zugleich mit dem kunstfertigen Sattelzeug zähmen?

Es scheint ihm gelungen, denn seit 1910 haben die Wächterinnen des Pavilloneingangs ihren Posten nicht mehr verlassen. Davor hatten sie ihre Heimat im Schloss Klinglin, der Residenz des königlichen Präfekten in Illkirch-Graffenstaden.

Ein überzeugter Europäer „en marche“ – Pierre Pflimlin

Bronzefigur Pierre Pflimlin im Parc de l'Orangerie, Strasbourg

Einmal quer über den Rasen hat es die Bronzefigur am Rande des Parks eilig das Europaparlament, eine ihrer ehemaligen politischen Wirkungsstätten, aufzusuchen. Doch Pierre Eugène Jean Pflimlin (1907-2000) war von 1984 bis 1987 nicht nur Präsident des Europaparlaments, sondern prägte davor schon als Straßburger Bürgermeister 24 Jahre lang die Geschicke der Stadt.

Bronzefigur Pierre Pflimlin im Parc de l'Orangerie, Strasbourg

Der studierte Jurist, dessen politische Karriere in der Vierten Republik auf verschiedenen Ministerposten begann, galt als Politiker durch und durch. Und vor allem war er überzeugter Europäer. Die anlässlich des 100. Geburtstages Pflimlins angefertigte Statue spricht davon Bände. Den Hut in der einen Hand, die andere zu einer Willkommensgeste erhoben, macht er einen Schritt auf die anderen Völker zu. Eine Geste der deutsch-französischen Aussöhnung als auch der Vision eines geeinten Europas.

Übrigens besitzt Straßburg noch eine weitere Skulptur des im Bas-Rhin lebenden Bildhauers Thierry Delorme. Und zwar die Badende mit Libelle auf der Place de Zurich, nicht weit vom Denkmal für die Zürcher Hirsebreifahrt und der legendären Straße „Le renard prêchant“ entfernt, wo der Fuchs noch immer den Enten predigt.

Les amours du Poète – Dichterliebe

Auf verschlungenen Wegen oder unromantisch querfeldein geht es zurück zur ehemaligen Winterresidenz der Orangenbäume. In nordwestlicher Verlängerung, gut eingebettet zwischen haufenweise Sträuchern, Büschen und Bäumen, schraubt sich eine verschlungene Brunnenskulptur mit zwei belustigt dreinschauenden Engelsköpfen den Spaziergängern entgegen.

Dichterliebe nennt sich das farbige Werk aus Polyester und Fiberglas des vielseitigen Elsässer Künstlers Jean Claus. Der Titel bezieht sich auf einen Liedzyklus von Robert Schumann, der darin 16 Werke von Heinrich Heine aus dem 1827 erschienenen Gedichtband Buch der Lieder verarbeitete.

Doch so sehr ich mich auch bemühe, keines der von Schumann ausgewählten Heine-Gedichte kommt für mich als Inspirationsquelle für die beiden geflügelten Brunnenwesen in Frage. Stattdessen gebe ich zwei anderen Kurzgedichten aus der Feder des Romanciers den Vorzug: „Wer zum ersten Male liebt“ als auch „Sie liebten sich beide„. Harmonieren sie nicht wesentlich besser mit dem 1993 von der Stadt Straßburg in Auftrag gegebenen Kunstwerk?

Wer zum ersten Male liebt

Wer zum ersten Male liebt,
Sei’s auch glücklos, ist ein Gott;
Aber wer zum zweiten Male
Glücklos liebt, der ist ein Narr.

Ich, ein solcher Narr, ich liebe
Wieder ohne Gegenliebe!
Sonne, Mond und Sterne lachen,
Und ich lache mit – und sterbe.

Sie liebten sich beide

Sie liebten sich beide, doch keiner
Wollt es dem andern gestehn;
Sie sahen sich an so feindlich,
Und wollten vor Liebe vergehn.

Sie trennten sich endlich und sahn sich
Nur noch zuweilen im Traum;
Sie waren längst gestorben,
Und wußten es selber kaum.

Victor Nessler – Versteckspiel im Grünen

Im großen Bogen geht es an der Orangerie vorbei in Richtung zentraler Allee, die gleichfalls den Namen der Kaiserin Joséphine trägt. Im Frühjahr und Sommer umgibt sich das Denkmal für den elsässischen Komponisten Victor Nessler (1841-1890) gerne mit einem tief hängenden grünen Tarnmantel, sodass man es trotz seiner ausdrucksstarken Gestaltung leicht übersehen kann.

Die imposante Bronzebüste als Hommage an den Verfasser der erfolgreichen Oper Der Trompeter von Säckingen gestaltete 1895 der in Straßburg mit mehreren Kunstwerken im öffentlichen Raum präsente Bildhauer Alfred Marzolff. Neben der nur wenige Schritte entfernten Skulptur Hercule terrassant le lion tragen auch das rekonstruierte Marseillaise-Denkmal am Place Broglie sowie die monumentalen Statuen auf der Pont Kennedy seine Handschrift.

Bueste des Komponisten Victor Nessler im Park Orangerie in Strassburg

Wer mehr über Leben und Wirken des Opernkomponisten Victor Nessler (1841-1890) alias „Vogesenbär“ erfahren möchte, dem lege ich meinen Artikel über das Musikerviertel in der Straßburger Neustadt ans Herz.

Der freizügige Herkules und der Nemeische Löwe

Mit Herakles, dem berühmtesten aller Götter der griechischen Mythologie, beenden wir unseren kurzweiligen Spaziergang durch die Kunstlandschaft im Park de l’Orangerie.

Mit dem Fluch des Wahnsinns belegt, hatte das muskelbepackte Kraftpaket unter den antiken Heroen zeitlebens seinen Jähzorn nicht im Griff. Nachdem er in einem Anfall seine eigenen Kinder tötete, musste er als Buße die berühmten zwölf Arbeiten ableisten. Die erste dieser „Herkulesaufgaben“ bestand in der Tötung des Nemeischen Löwen. Das Raubtier trieb seit langer Zeit sein Unwesen auf dem Peloponnes. Niemand, weder Mensch noch Tier, war vor seinem Blutdurst sicher. Und Niemandem war es bisher gelungen, ihn zur Strecke zu bringen. Auch Herkules scheiterte zunächst mit Schwert und Keule. Also besann sich der illegitime Sohn des Zeus auf seine eigene Stärke. Er umschlang die Kehle des Löwen und drückte ihm die Luftröhre zu, bis dieser den letzten Atemzug tat.

Ein wenig ins Abseits gestellt und allzu oft unnahbar von natürlichem Wildwuchs isoliert (möglicherweise absichtlich, um die unkeusche Darstellung vor den neugierigen Blicken des nahen Kinderspielplatzes zu schützen), zählt die 1905 aufgestellte Sandsteinskulptur „Herkules bezwingt den Löwen“ zu den Paradebeispielen der Kunst von Alfred Marzolff (1867-1936). Überdeutlich zeigen sich bei dieser Arbeit die stilistische Parallelen zur französischen Bildhauerikone Auguste Rodin.

Sandstein-Skulptur Herakles bezwingt den Nemeischen Loewen im Parc de l'Orangerie, Strasbourg

In Straßburg und Umgebung haben sich bis heute über 60 Denkmäler, Gebäudeskulpturen, Statuen und Medaillons des „elsässischen Rodin“ erhalten, darunter zehn Werke, die durch die Aufnahme der Grande-Île und der Straßburger Neustadt in das UNESCO-Welterbe mittlerweile internationales Renommee genießen.

Auf meinem Heimweg begegne ich noch unzähligen weiteren kleinen und großen Kunstwerken. Kunstwerke der Schöpfung. Einmalig, unnachahmlich und wunderschön.


Gut zu wissen

Credits:
für den Übersichtsplan © www.openstreetmap.org

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert