Kirchenburg von Meschen in Siebenbuergen
Rumänien,  Unterwegs

Meschen – Moşna – Sächsische Kirchenburg mit UNESCO-Potential


Nur zehn Kilometer südlich von Mediasch entstand vor gut 500 Jahren in der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinde Meschen eine der imposantesten Kirchenburgen im Kokelgebiet. Beeindruckende Wehranlagen konkurrieren mit einem Reichtum an Bauplastik, dass man sich kaum entscheiden kann, wohin zuerst schauen. Speck- und Glockenturm sowie Wehrgeschosse laden zur Erkundung ein und spiralförmige Säulen verdrehen einem den Kopf. Während Schlusssteine farbige Akzente setzen, buhlen teuflische Drachen, mythische Einhörner und seltsames Federvieh über die Hallenkirche verteilt um Aufmerksamkeit. Dazu sorgen spätgotische Steinmetzarbeiten, darunter ein Sakramentshaus auf Höhenflug, für ein besonderes ästhetisches Erlebnis. Doch eins nach dem anderen. Zuerst beschäftigen wir uns mit einem kleinen Vogel, der in der Historie von Meschen eine große Rolle spielte.

Der Spatz von Meschen

Es war einmal ein Spatz, der fühlte sich im siebenbürgischen Weinland rundum wohl. In der fruchtbaren Gegend im Seitental der Großen Kokel (rum. Târnava Mare) mangelte es weder an Nahrung noch an Wasser. Nur ein wenig eintönig war es zuweilen. Doch eines Tages nahm der kleine Sperlingsvogel im Tal völlig neue Geräusche wahr. Ein ratloses Stimmengewirr drang bis zu ihm in den stahlblauen Himmel hinauf. Das musste er sich genauer anschauen. Heftig diskutierend, ausladend gestikulierend entdeckte er eine Gruppe Männer und Frauen mitsamt Kind und Kegel, oder was sie sonst noch so auf ihren Rücken geschultert oder in ihren Holzkarren mitgebracht hatten.

Abwechselnd zeigten die Sprecher der Runde mal nach Süden, mal nach Westen, dann nach Norden und Osten. Anschließend steckten sie wieder die Köpfe zusammen und es wurde kurzzeitig still. Doch wenig später gingen die Debatten vor vorne los. Der Spatz verlor allmählich das Interesse an dem seltsamen Verhalten. Zudem wurde er langsam müde. Lustig vor sich hin zwitschernd machte er sich auf den Heimweg.

Doch siehe da, plötzlich waren alle Finger auf ihn gerichtet. Es kam Bewegung in die Gruppe. Verwundert stellte er fest, dass die kleine Menschenschar ihm folgte. Beschleunigte er seinen Flug, eilten sie ihm hinterher, verlangsamte er seine Geschwindigkeit, hielten sie abwartend inne. Das seltsame Spiel belustigte das Vögelchen. Als es sich endlich auf seinem Lieblingsbaum niederließ, zeigten wieder alle Finger auf ihn und ein erleichtertes, fröhliches Gelächter breitete sich unter ihm aus. Die Menschen sprachen ein kurzes Gebet, breiteten ihr Nachtlager aus und begannen am nächsten Tag mit dem Bau von Kirche und Heimstätten. So nahm der Ort Meschen seinen Anfang. Zumindest der Legende nach.

Was des einen Leid ist des anderen Freud

Viehbrandzeichen Meschen

Wie viel Wahrheitsgehalt in der Geschichte steckt, darf jeder selbst entscheiden. Dennoch sei erwähnt, dass der Spatz bis ins 19. Jahrhundert das Viehbrandzeichen schmückte und bis heute fester Bestandteil des offiziellen Wappens ist. Warum die Siedler dem neu gegründeten Weiler den Namen Meschen gaben, was auf Slawisch „Fliege“ (muşina) bedeutet, ist eine andere Geschichte. Eine Geschichte, die erst noch geschrieben werden muss.

Fakt ist, dass die Gemeinde 1283 erstmals schriftlich erwähnt wurde. Eine Urkunde bestätigte, dass Pfarrer Petrus de Musna als Geistlicher des Mediascher Kapitels von den Zehntabgaben auf Früchte, Wein, Bienen und Lämmer profitierte. Indirekt erfahren wir so auch, dass der Weinanbau in der Region eine gewichtige Rolle spielte. Man geht davon aus, dass Meschen zu dieser Zeit noch eine untertänige sächsische Siedlung auf Komitatsboden war, denn erst ab 1359 wurde sie als freie Gemeinde des Schenker Stuhls geführt.

Mit dem Nachbarort Furkeschdorf entwickelte sich im 15. Jahrhundert ein ausgiebiger Hattertstreit. Als die Türken in den 1470-ern die Ansiedlung mehr oder weniger dem Erdboden gleichmachen, erledigten sich die nachbarschaftlichen Auseinandersetzungen von selbst. Das Dorf musste trotz zehnjähriger Steuerbefreiung aufgegeben werden. Die verbliebenen Bewohner siedelten nach Meschen über und König Matthias Corvinus teilte ihren Gemeindebesitz zwischen Meschen und Mediasch auf. Was des einen Leid war des anderen Freud. Mit 400 Hektar zusätzlichem Grund und Boden sowie der Hälfte des Zehnten von Furkeschdorf erhielt Meschen ungeahnten wirtschaftlichen Rückenwind.

Der ökonomische Aufschwung lieferte dem König Vladislaw II. von Ungarn Argumente genug, um 1495 der Ortschaft das Wochen- und Jahrmarktrecht zu erteilen. Das Jahr 1520 beschenkte Meschen erneut mit unerwartetem Grundbesitz aus der ebenfalls untergegangenen Weiler Weißdorf. Mit zwischenzeitlich über 235 Haushalten erwarb sich Meschen Mitte des 16. Jahrhunderts als drittgrößte und drittreichste Gemeinde im Mediascher Stuhl das Anrecht auf Abhaltung eines weiteren jährlichen Jahrmarkts.

Das Ende einer Blütezeit

Nach der lang anhaltenden Erfolgswelle brachen ab 1660 schwere Zeiten an. Zunächst störten weitere Türkeneinfälle den Landfrieden, bevor sich Siebenbürgen zum Spielball wechselnder Fürsten und Gegenfürsten entwickelte, die ihre Sympathiefähnchen je nach eigenem Vorteil in den ungarischen, habsburgischen oder osmanischen Wind hängten. Da sich für die ständig aufflammenden Konflikte keine diplomatische Lösung fand, litt ein ganzer Landstrich jahrzehntelang unter den militärischen Auseinandersetzungen. Der Pro-ungarische Woiwode János Kemény hinterließ Meschen „jämmerlich verwüstet, verheeret und verbrennet“. Keinen Deut besser verhielt sich der in osmanischen Diensten stehende Widersacher Michael I. Apafi. Mit 2000 ruchlosen Söldnern quartierte er sich Jahre später zwischen 3, 13 oder 22 Wochen (die Zahlen der Geschichtsschreibung gehen hier ihre eigenen Wege) im Dorf ein. Das Ergebnis: die Bevölkerung war psychisch, physisch und wirtschaftlich am Boden.

Kaum erholt, plündern zwei Generationen später die Kurutzen den Ort und lassen keinen Stein auf dem anderen. Auch in den kommenden drei Jahrhunderten ging kein bitterer Kelch an Meschen vorüber. Der Pest folgten Großbrände, Missernten und Überschwemmungen. Dazwischen rafften sich die Sachsen immer wieder auf. Ackerbau und Viehzucht dienten als Haupteinkommensquellen. Die Zählung des Viehbestands im Jahr 1883 ergab 798 Rinder, 220 Büffel, 625 Schafe und 520 Schweine – wahrlich kein Schlaraffenland, um 435 Höfe, davon 343 sächsische zu unterhalten. Immerhin brachte 1853 die Weinlese einen soliden Ertrag von 12.483 Eimern. Zudem konnte sich das Zunftwesen sehen lassen. An die 50 Handwerker aus 9 Zünften unterhielten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Werkstatt im Ort.

Doch die beiden Weltkriege sowie die Deportation hinterließen prägende Spuren. Von einst sieben Nachbarschaften existierten drei Jahre nach Ende des II. Weltkriegs nur noch vier. Der Sturz Ceaușescus brachte weitere einschneidende Veränderungen. 90 % der Meschener Sachsen verließen ihre Heimat. 2019 zählte die Diasporagemeinde noch zehn evangelische Seelen.

Die siebenbürgisch-sächsische Kirchenburg von Meschen

Wie der Exkurs in die ereignisreiche Geschichte der einst wohlhabenden Gemeinde zeigte, gehörten feindliche Bedrohungen zum Alltagsszenario. Deshalb entschied man sich in Meschen hinreichende Vorsorgemaßnahmen zum Schutz von Leib und Leben zu treffen. Dabei verfolgte man zwei Strategien. Einerseits die Wehrbarmachung der Kirche und andererseits der Bau eines Berings mit allen zeitgemäßen Wehrvorrichtungen. Begonnen wurden die Arbeiten ziemlich genau um 1500 und zogen sich durch immer wieder vorgenommene Verbesserungen bis Ende des 16. Jahrhunderts hin. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: eine neun Meter hohe Ringmauer (1), drei jeweils viergeschossige Wehrtürme und zwei Basteien.

Rundbögen (2) verstärkten die Innenseite des Mauerrings. Sie wurden mit Gaden ausgestattet, die im Belagerungsfall zur Aufnahme von Vorräten, aber auch als temporäre Familienunterkünfte und Schatzkammer wertvoller Erbstücke dienten. Darüber sorgten zwei übereinanderliegende Wehrgänge, teils mit Schießnischen, teils mit Schlitz- und Senkscharten, für geballte Feuerkraft. In den 1960-Jahren trug man die nicht mehr benötigten Kornkammern ab.

Doppelt hält besser – die Südseite der Kirchenburg

Heute betritt man die Kirchenburg auf der Südseite. Der Ringmauer ist in diesem Abschnitt ein zweigeteilter Zwinger (3) vorgebaut. Im Angriffsfall wurde hier das Vieh in Sicherheit gebracht, während man aus dem  Schwarwachttürmchen (4) mögliche Feindbewegungen im Auge behielt. Von den ehemals vier der Zwingermauer aufgesetzten Ecktürmchen hat sich nur dieses einzige Exemplar erhalten.

Hatte der Gegner wider Erwarten die relativ niedrige Zwingermauer überwunden, bot er ein leichtes Ziel für die Schützen auf der Ringmauer. Hielt ihn der Beschuss nicht auf, wartete mit dem Südturm (5) das nächste Hindernis auf den Angreifer. Nur einzeln und zu Fuß konnte er sich durch den Wehrturm Zugang ins Burginnere verschaffen. Allerdings musste er dafür erst einmal das Fallgatter sowie eine mit Eisenbeschlägen verstärkte Holztüre überwinden. Das steil nach innen abfallende Satteldach verhinderte zudem, dass Brandgeschosse größeren Schaden anrichteten.

Im 17. Jahrhundert erhielt der Südturm von einem Nebengebäude Gesellschaft, in dem heute eine ethnografische Sammlung untergebracht ist. Daran schloss sich früher als weiteres Verteidigungselement eine wehrhafte Bastei (6) an, die schon vor geraumer Zeit vollständig abgetragen wurde.

Ein Spaziergang entlang der Meschener Verteidigungslinie

Speckvorraete im Torturm der Kirchenburg in Mosna

Mächtig präsentiert sich der im Südosten aus dem Mauerring herausragende Torturm (7) der Kirchenburg. Von seinem gemauerten Wehrgeschoss im vierten Stock hielten die an einer Perlenkette abwechselnd aneinandergereihten Schieß- und Senkscharten die Angreifer aus allen Himmelsrichtungen auf Distanz. Eichentor und Fallgatter sicherten die tonnengewölbte Einfahrt. Doch Vorsicht! Heutzutage begibt man sich im Innern des Turms in höchste Gefahr. Man muss nur dem verführerischen Duft folgen und schon schnappt die (Speck-)Falle zu.

Ruinen einer Kapelle aus dem 14. Jahrhundert in der Ringmauer der Kirchenburg in Mosna

Ein seltsamer Fremdkörper schiebt sich im nordöstlichen Oval der Wehrmauer ins Blickfeld. Im Rahmen des Ausbaus zur Kirchenburg integrierte man an dieser Stelle die vorreformatorische Kapelle (8) aus Ende des 14. Jahrhunderts in den Verteidigungsring. Gleichzeitig mauerte man die gotischen Spitzbogenfenster und das Portal zu. Abgesehen davon, dass die Südseite um das Jahr 1711 einstürzte, ist über die Baugeschichte und Ausstattung des kleinen Gotteshauses so gut wie nichts bekannt.

Bis heute hat sich der an die Kapelle anschließende Teil der Ringmauer erstaunlich gut erhalten. Dagegen zeigt sich der mittig in den Bering eingebundene Nordturm (9) mit Öffnungen zu beiden Seiten des Wehrgangs stark angeschlagen. Tiefe Risse durchziehen sein Mauerwerk. Er muss sowohl von innen als auch außen mit hölzernen Behelfskrücken gestützt werden. Dazu hält ihn ein über den Senkscharten angebrachter, korsettartiger Spannrahmen in Form. Hoffentlich finden sich zeitnah Mittel und Wege, damit die viergeschossige Wehrvorrichtung dauerhaft seine einstige Standhaftigkeit zurückgewinnt.

Nordturm mit Wehrmauer der Kirchenburg von Mosna

Um die Nordwestflanke zu schützen, setzten die Meschener eine weitere mit Schießscharten ausgestattete Bastei (10) vor die Ringmauer. Vom Kirchhof aus fällt das Bollwerk kaum auf, da sie von den Überbleibseln der einstigen Wohn- und Vorratsgebäude (11) entlang der Nord- und Westmauer in die Zange genommen wird.

Der Glockenturm und sein „Stundenmädchen“

Mit acht Etagen und 50 Metern strebt der Glockenturm (12) konkurrenzlos dem Himmel entgegen. Ursprünglich als frei stehender Turm vor dem Westportal errichtet, verband man ihn zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus strategisch-praktischen Erwägungen mit der umgestalteten Hallenkirche. Außerdem stockte man das Wahrzeichen um ein vorkragendes Wehrgeschoss auf, das 1856 wieder zurückgebaut und durch das markante Weißblechdach ersetzt wurde.

Wer im Besitz eines Adlerauges oder Fernglases ist, sollte sein Augenmerk auf den Viertelstunden-Glockenschläger unterhalb des Zielscheiben-Ziffernblatts auf der Ostseite des Glockenturms lenken. Um ihn rankt sich nämlich eine gar sonderbare Erzählung. Mangels Gefährtin entführte ein einsamer und verzweifelter Jüngling eins ums andere Mal den Glockenschläger vom Turm, um des Nachts in der Kirche eine Stunde lang das Tanzbein mit ihm zu schwingen. Seither trägt die Figur den wenig rühmlichen Spitznamen „Stundenmädchen“.

Bei guter Kondition lässt sich das Innere des Turms über steile, aber massive Holzstiegen bis zum Glockenstuhl erklimmen. Unterwegs lohnt ein Zwischenstopp im Alten Rathaus (13), das zeitweilig auch für den Schulunterricht genutzt wurde. Inzwischen bin ich mit meinem Rundgang wieder am Ausgangspunkt angelangt. Zeit für einen Blick auf die baugeschichtlichen Meilensteine, über die eine dreisprachige Infotafel am Südeingang zur Kirche informiert.

Aller guten Dingen sind drei

Die dreischiffige Hallenkirche, wie sie heute vor mir steht, entstand ab dem Jahr 1481. Zuvor existierte an gleicher Stelle eine gotische Basilika, von der sich nur Fragmente an der Nordwand des Langhauses und am zugemauerten Westportal erhalten haben. Da der Vorgängerbau noch keine hundert Jahre alt war, mussten Johannes von Alzen, den damaligen Pleban von Meschen, gewichtige Gründe bewogen haben, um einen kompletten Umbau zu veranlassen.

In der Tat gab es derer sogar drei. Erstens hatte sich die sächsische Gemeinde in den letzten Jahren wirtschaftlich prächtig entwickelt. Ein größeres Gotteshaus zu Ehren der Heiligen Maria trug diesem Wachstum Rechnung und sicherte gleichzeitig das weitere Wohlwollen der Patronin. Zweitens galt es wehrtechnische Vorkehrungen zu treffen, um gegen zukünftige Türkeneinfälle gewappnet zu sein. Und zu guter Letzt erhoffte sich der Pfarrer mit seinem Engagement gewichtige Pluspunkte für die Seelenwaage des Heiligen Michael zu sammeln, was wiederum einen positiv Einfluss auf seine Verweildauer im Fegefeuer hatte.

Dank des Wohlstands der sächsischen Einwohner holte Johannes von Alzen mit dem renommierten Baumeister Andreas Lapicida das Nonplusultra an Know-how für die Konzeption und Umsetzung der geplanten Maßnahmen an Bord. Zunächst stand die Erhöhung der Seitenschiffe an, bevor die nördlichen als auch südlichen Zugänge eine Vorhalle mit darüberliegendem Kapellenraum sowie ein Wehrgeschoss erhielten. Nachdem 1498 die Arbeiten am Langhaus abgeschlossen waren, konnte bereits zwei Jahre später auch die Fertigstellung des Wehrgeschosses über dem Chorraum gefeiert werden. Dennoch zog sich eine zweite Bauetappe mit einer Umgestaltung und Neueinwölbung des Chorraums noch bis ins erste Viertel des 16. Jahrhunderts hin.

Aussenansicht Chor der Wehrkirche in Meschen im Kokelland

Die Wehrkirche – von kurz vor dem Aus bis zur Perle des Kokellands

Zustand Wehrkirche in Meschen 2011
© Peter Jacobi – CD Stillleben nach dem Exodus – 2011

Trotz zahlreicher Instandhaltungsmaßahmen, die auf der Außenwand des Chores für jedermann sichtbar dokumentiert wurden, fügte im Jahr 1916 ein Erdbeben der Stärke 6,4 der Wehrkirche massive Bauwerksschäden zu. Dank der Intervention des evangelischen Pfarrers konnte der Abriss des einsturzgefährdeten Sakralbaus gerade noch abgewendet werden. Dennoch dauerte es ganze fünf Jahre, bevor das Wahrzeichen von Meschen wieder gottesdiensttauglich hergestellt war.

Da 90 % der sächsischen Einwohner ihrem Heimatort nach 1989 den Rücken kehrten, sah sich die kleine Gemeinschaft der Zurückgebliebenen außerstande, weiterhin für die Instandhaltung der Kirchenburg aufzukommen. Das Gebäude verfiel zusehends, wie auf einer Fotografie von Peter Jacobi zu erkennen ist. Glücklicherweise erlaubten im letzten Jahrzehnt reichhaltige Zuwendungen aus Fördertöpfen der Weltbank und der rumänischen Denkmalbehörde eine umfassende Restaurierung.

Die Wehrkirche von Meschen kann seither wieder zu Fug und Recht als Perle des Kokellands bezeichnet werden. Und dabei habe ich noch nicht einmal einen Blick in den Innenraum geworfen, der durch seine architektonischen Besonderheiten sowie die wertvollen Bauplastiken die äußere Schönheit noch um Längen in den Schatten stellt.

Ich betrete die Saalkirche durch das überwölbte und mit gotischen Steinmetzarbeiten verzierte Südportal und entscheide mich zunächst für einen Rundgang im Kirchenschiffs. Die kunstgeschichtlichen Höhepunkte im Chorraum hebe ich mir „als Kirsche auf der Torte“ für den Schluss auf.

Einzigartige Pfeiler als Hauptdarsteller des Kirchenschiffs

Das Langhaus macht mit über 24 Metern Länge seinem Namen alle Ehre. Darüber spannt sich ein Netzgewölbe, das durch seine blutrot gefärbten Schlusssteine auffällt. Die darauf abgebildeten Motive und Initialen geben gar manches Rätsel auf. Einzig das mächtig aufgeplusterte Federvieh lässt sich konkret als Wappen des von 1628-1639 in Meschen tätigen Geistlichen Simon Hartmann zuordnen.

Doch die eigentlichen Hauptdarsteller des Hauptschiffs sind die vier ungleichen Säulenpaare von neun Metern Höhe. Sie unterscheiden sich in Material und Ausführung. Im Gegensatz zu den beiden grazilen Bündelpfeilern aus Kalkstein kam bei den stämmigen, kannelierten Säulen verputztes Ziegelmauerwerk zum Einsatz. Als Unikum in ganz Siebenbürgen gelten die spiralförmig gedrehten Pfeiler, denen man Stileinflüsse aus Österreich oder Süddeutschland zuschreibt. Aber mit dieser Einzigartigkeit geben sich die Säulen nicht zufrieden. Der nächste Clou ist die wahrnehmbare Neigung der Pfeiler in Richtung Seitenschiffe. Erklärungen für diese ungewohnte, aber gewollte statische Lösung liefern der sumpfige Untergrund, die Platzierung der Pfeiler auf den keineswegs geradlinig verlaufenden Fundamenten der ehemaligen Basilika, als auch die Notwendigkeit, dem horizontalen Schub der Gewölbe der Seitenschiffe entgegenzuwirken.

Von Wien nach Paris nach Meschen – eine Orgel macht Karriere

Der nächste Blick gehört der Westempore mit der 1400 Pfeifen-Orgel von Carl Hesse. Das Jubiläumsinstrument (das 100. Werk von Carl Hesse) mit zwei Manualen und neugotischem Prospekt war kein Schnäppchen. Zwischen 8000 und 9800 Gulden legte im Jahr 1874 die evangelische Kirchengemeinde für das 100. Werk des in Wien ansässigen Orgelbauers auf den Tisch. Im Vergleich dazu verdiente ein Schulrektor gerade einmal 200 Gulden jährlich. Allerdings konnte sich dieser auch nicht mit den Lorbeeren rühmen, auf der Pariser Weltausstellung von 1867 präsentiert worden zu sein, wie die am Spieltisch angebrachten Medaillons verraten.

Carl-Hesse-Orgel in der Wehrkirche in Mosna, Siebenburgen

Mahnende Worte und ein unnachsichtiger Glaubenskämpfer 

Ebenfalls auf Wanderschaft musste sich 1791 die dekorativ mit Weinranken, Blumen und Obst bemalte Empore der Burschenschaft begeben. Zwar nicht über Ländergrenzen hinweg, aber immerhin vom südlichen ins nördliche Seitenschiff. Wenngleich sich die Aussicht auf den Altarraum bzw. die Kanzel dadurch keineswegs verbessert hatte, dann möglicherweise diejenige auf die zukünftigen Heiratskandidatinnen. Damit es die junge Generation auf ihrem Hochsitz nicht zu bunt trieb, versah man die Emporenbrüstung als Dauermahnung mit Psalm 119,9 „Wie wird ein Jüngling seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält nach den Worten des Herren!“

Direkt unterhalb des Glaters brachte man am Hohlkehlepfeiler gegenüber des Eingangs den gotischen Kanzelkorb mit Blendmaßwerk an. Ein reichlich ungewöhnlicher Platz, denn entweder wendeten die Gottesdienstbesucher dem Altar oder dem Prediger den Rücken zu. Den barocken Schalldeckel für die Steinkanzel fertigte Johann Folberth aus Schäßburg im Jahr 1703. Seither wacht der Erzengel Michael mit seinem Flammenschwert, dass sich „der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt, mitsamt seinen vom Himmel gestürzten Engeln“ nicht heimlich die „ganze Welt“ von Meschen verführt.

Ein bedauernswerter Notverkauf 

Der lichtdurchflutete Chorraum ist ein Tummelplatz hochwertiger gotischer Bauplastik. Allein schon die dreiteiligen Fenster sind eine Augenweide. Die Anfertigung des ausgefeilten Maßwerks aus Dreipass, Fischblase und Dreischneuß ließ sich der Steinmetz Andreas Lapicida mit einer Bonuszahlung von 100 Gulden vergüten. Zum Glück für die Gemeinde war die kunstvolle, dreiteilige Sedile an der Südwand des Chorraums bereits im Gesamtpreis des Umbaus inbegriffen.

Wie bereits erwähnt, nahmen die Arbeiten im Altarraum ein Vierteljahrhundert in Anspruch. Ein ungewöhnlich langer Zeitraum, für den es nur zwei einleuchtende Aspekte gab. Der verspätete Wunsch der Geistlichen, sich im Allerheiligsten begraben zu lassen und die Behebung der vom 1523-er Erdbeben verursachten Bauschäden. Die kopfstehende Jahreszahl 1525 auf dem Schlussstein, der Maria mit Kind zeigt, dokumentiert auf eigenwillige Art die Fertigstellung der Wiedereinwölbung des Chors. Der zweite, bunt bemalte Schlussstein des Netzgewölbes zeigt ein sich aus einer Krone aufbäumendes Einhorn. Der Stifter des Chorraums, Alexander von Alzen (Pfarrer in Meschen von 1502-1536), ließ das Wappenschild als Hommage an den Initiator des Umbaus, Johannes von Alzen, anbringen.

Als Nonkonformist im gotischen Gesamtbild erweist sich der Altar. Die angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse zwangen die evangelische Gemeinde, sich 1720 von dem heute überaus wertvollen Retabel des Hermannstädter Malers Vicentius Cibiniensis (Link Taterloch) zu trennen. Für nur 32 Gulden ging der 1521 angefertigte Renaissance-Altar mit dem Bildnis des ungläubigen Thomas in den Besitz der Kirche von Großschenk (rum. Cincu) über. An seiner Stelle leistete man sich ein gutes Jahrhundert später einen neoklassizistischen Säulenaltar des Künstlers József Csűrös aus Klausenburg. Ein Blick hinter die Kulissen verrät uns, dass das Altarbild mit Jesus auf dem Ölberg und den schlafenden Jüngern erst 1970 eingesetzt wurde, und, dass für die beiden Holzstatuen Johannes und Moses die Redensart „ein schöner Rücken kann auch entzücken“ keineswegs zutrifft.

Das Rätsel der Steinmetzzeichen und Jahreszahlen 

Kommen wir zu den beiden Highlights der gotischen Steinmetzkunst in Meschen und versuchen ein wenig Licht ins Dunkel ihrer Urheberschaft zu bringen. Ebenso wie die steinerne Sitznische tragen das Sakristeiportal und das Sakramentshaus die Initialen ALH des Hermannstädter Meisters Andreas Lapicida sowie die Jahreszahlen 1500 bzw. 1501. Parallel dazu verewigte sich aber auch ein weiterer, bis dato nicht namentlich identifizierter Künstler mit seinem Meisterzeichen HIC und der Jahreszahl 1519 auf dem Türstock der Sakristei und im Gewölbe des Hostienschreins des Sakramentshauses. Insofern geht die kunstgeschichtliche Beurteilung neuerdings davon aus, dass die finale Ausführung der filigranen, spätgotischen Steinmetzarbeiten dem unbekannten Steinmetz HIC zuzuschreiben sind. Dabei besteht durchaus die Möglichkeit, dass besagter HIC ein ehemaliger Lehrling oder Angestellter der Werkstatt des Meisters Lapicida war. Zumindest würde der Buchstabe „C“ für Cibiniensis, der offizielle Namen für Hermannstadt zur damaligen Zeit, einen dahin gehenden Ansatz liefern.

Das Sakramentshaus – phantasievolle Türmchengotik auf Höhenflug 

Das 12 Meter hohe Sakramentshaus an der Nordseite des Chors gehört zu den schönsten Exemplaren in Siebenbürgen. Auf einem Vierkantpfeiler ruht ein nach drei Seiten offener Hostienschrein, der in ein lang gezogenes Turmwerk aus Kielbögen, Maßwerk, Krabben, Kreuzblumen und Fialen ausläuft. Für den Zugriff auf das Allerheiligste in 1,85 Metern Höhe benötigte man sogar zwei Treppenabsätze, von denen sich immerhin einer erhalten hat.

Am Sockel des Sakramentshauses wird seit einem halben Jahrtausend der ewige Kampf des Guten gegen das Böse ausgetragen. Zwei Löwen beschützen den eucharistischen Leib Christi gegen die Inkarnation des Satans, einen geflügelten, aber mittlerweile kopflosen Drachen. Darüber verblüfft der ungewohnte Anblick einer weltlichen Insignie an einem sakralen Heiligtum.

Der Pleban Alexander von Alzen muss ein großer Verehrer seines Vorgängers Johannes von Alzen gewesen sein, dass er ihm nicht nur einen Schlussstein widmete, sondern zusätzlich sein Wappen unter dem Hostienschrein anbringen ließ. In der Tat war Johannes von Alzen ein sehr rühriger Mann der Kirche. Nach 20 Jahren Dienerschaft des Herrn in Meschen stieg er zum Dekan in Mediasch auf, wo er an mehreren Tagen im Jahr das Bischofsrecht ausüben durfte. Es folgte die Erhebung in den Adelsstand und im Jahr 1502 die Zustimmung des Papstes, das dem mythischen Wappentier gestattete, zusätzlich ein Kreuz zwischen den Vorderläufen zu halten.

Doch ganz offensichtlich stieß die Kombination aus christlichem Bildzeichen und magischem Horn nicht auf jedermanns Wohlwollen. Beide Symbole schlug man dem Einhorn mutwillig ab und ließ es verstümmelt ohne göttlichen Beistand und mystische Kräfte zurück. Mit der Einführung der Reformation in Siebenbürgen zur Mitte des 16. Jahrhunderts hatte das Sakramentshaus kaum 30 Jahre nach Fertigstellung bereits wieder ausgedient.

Abenteuerspielplatz Wehrgeschoss 

Neben dem Sakramentshaus führt ein kunstvoll gearbeitetes Kragsturzportal in die zweigeschossig angelegte Sakristei. Der stark verwitterte Kielbogen des Portals, in dem sich Eicheln als Wegmarke für den rechten Weg versteckt halten, läuft in die seltene Form einer auseinanderklappenden Kreuzblume aus. Darüber erhebt sich unter einem Baldachin die kopflose Figur des Gottessohns als Triumphator über den teuflischen Drachen zu seinen Füßen. Mit der linken Hand weist Christus auf seine Seitenwunde, aus der das Blut zu einer roten Weintraube als Sinnbild neuen Lebens koaguliert.

Im Erdgeschoss der Sakristei treffe ich auf der im Boden eingelassenen Grabplatte erneut auf den gekrönten Vogel, der schon als Schlussstein im Langschiff auf den Meschener Gemeindegeistlichen Simon Hartmann aufmerksam machte.

Vom einstigen Kapellenraum über der Sakristei schraubt sich eine schwindelerregende Wendeltreppe bis ins Wehrgeschoss. Ein luftiges Balkenwerk ermöglicht interessante Einblicke in die darunterliegende Gewölbearchitektur. Übrigens animieren auch schmale Treppentürme neben dem Nord- und Südportal zur Erforschung der darüberliegenden Wehrgeschosse mit dem ausgetüftelten System an Defensivmaßnahmen. Eine Gelegenheit, die ich mir natürlich nicht entgehen lasse.

Die Speckverkostung – ein Geschmackserlebnis fürs Langzeitgedächtnis 

reichhaltig gedeckter Tisch einer Speckverkostung

Gute zwei Stunden hat mich die Kirchenburg in Meschen in ihren Bann geschlagen. Nach den kräftezehrenden Turmbesteigungen verlangen die Energiespeicher aufgefüllt zu werden. Und was wäre dazu besser geeignet als eine authentische Brotzeit?

Auf Vorbestellung biegt sich in der Meschener Kirchenburg der reichlich gedeckte Tisch unter den regionalen Spezialitäten. Mein Geheimtipp: das Schmalzbrot mit frischen roten Zwiebeln. Keinen einzigen Krümel habe ich davon übrig gelassen.


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