Der königliche Palast von Olite in Navarra
Navarra,  Spanische Erinnerungen

Olite – Königssitz, Parador und Weinmetropole


Mein nächstes Navarra-Rendezvous führt mich nach Olite, in eine knapp viertausend Einwohner zählende Kleinstadt in der Ebene des beschaulich dahinfließenden Río Cidacos. Kleinstadt, das mag auf Anhieb wenig aufregend klingen. Doch die einstige Provinzmetropole ist ein wahrer Talentschuppen in Sachen Architektur, Kultur und neuerdings auch der Önologie.

Von den Römern bis ins 21. Jahrhundert

Für ein besseres Verständnis der Talente von Olite werfe ich zunächst mit Spannung einen Blick auf die lange und abwechslungsreiche Historie. Archäologische Ausgrabungen konnten eine Besiedlung von Olite seit dem 1. Jahrhundert nach Christus durch die Römer belegen. Ihnen folgten nach einem halben Jahrtausend die Westgoten, deren König einen ersten Befestigungsring zum Schutz gegen baskische Übergriffe aus dem Norden errichten ließ. Ganz offensichtlich hatten einhundert Jahre später, die aus dem Süden kommenden arabischen Eroberer leichtes Spiel mit dem Schutzwall. Allerdings war ihr Stelldichein nur von kurzer Dauer. Im Zuge der christlichen Rückeroberung der iberischen Halbinsel mussten sie ihrerseits nach einem Jahrhundert dem Anführer des frisch aus der Taufe gehobenen Königreichs Pamplona weichen.

Endlich konnte sich die Bevölkerung auf die wirtschaftlichen Aufgabenstellungen konzentrieren. Dabei profitierte sie von der zentralen geografischen und klimatisch optimalen Lage. Peu à peu rückte die Ortschaft so in den Focus der navarresischen Monarchen. Die Erteilung von Gewohnheitsrechten und Privilegien, den sogenannten Fueros, löste eine erste Zuwanderungswelle aus. Bauern, Handwerker und Händler strömten herbei. Der einstmals kleine Weiler mauserte sich zu einem prosperierenden wirtschaftlichen Umschlagplatz.

Mit der wachsenden ökonomischen Bedeutung warfen plötzlich die aufmüpfigen Nachbarreiche Kastilien und Aragón ein gieriges Auge auf Olite. Dagegen half nur der Bau einer Verteidigungsanlage. Mit dem Palacio Viejo, dem alten Palast, legte König Sancho VII. el Fuerte den Grundstein. Auch seine Nachfolger erkannten das Potenzial des Ortes. Sie erteilten im 13. Jahrhundert nicht nur die Markterlaubnis, sondern erhoben ihn auch zum Versammlungsort der navarresischen Ständeversammlung, der Cortes. Der königliche Hof von Navarra behielt jedoch sein Basislager im vierzig Kilometer nördlich gelegenen Pamplona bei.

naechtlich beleuchteter alter Palast und Parador Olite in Olite, Navarra

Luxuspalast statt Festung

Dies änderte sich 1406 unter der Regentschaft von Carlos III. el Noble, denn er Edelmütige war des Schlösser- und Burgen-Hoppings überdrüssig. Er wünschte sich eine feste Residenz, die den Ansprüchen eines dauerhaften Wohn- und Regierungssitzes gerecht werden sollte. Der alte Palast kam dafür nicht infrage. Dieser war zu unbequem, zu wenig repräsentativ und nicht mehr à la mode. Dem König verlangte es nach einem Prunkbau, der alle bisherigen Königsschlösser in den Schatten stellen sollte. Es wurde gemunkelt, dass nicht nur das französische Blut in seinen Adern, sondern auch der anspruchsvolle Geschmack seiner Gattin, Leonor de Trastámara, dem ambitiösen Unterfangen weitere Nahrung gab.

Außerdem ernannte Carlos III. Olite zur Hauptstadt des gleichnamigen Verwaltungsbezirks und stellte sie damit auf eine Stufe mit den anderen vier Metropolen Sangüesa, Estella, Tudela und Pamplona. Die Blütezeit Olites hatte ihren Höhepunkt erreicht.

Mit dem Tod des Herrschers, dem dadurch ausgelösten Erbfolgekrieg und der Integration Navarras in das geeinte Königreich Spanien 1512, versank Olite wieder in der politischen Bedeutungslosigkeit. Geblieben ist allerdings der prachtvollste und luxuriöseste, gotische Profanbau des 15. Jahrhunderts. Und den werde ich jetzt als Erstes in Augenschein nehmen.

Französisches Lebensgefühl an Navarras Königshof

Wie bereits erwähnt, entstammte der Bauherr Carlos III. einer mächtigen französischen Adelsdynastie. Im Gegensatz zu seinen kriegserprobten Vorgängern auf dem Königsthron von Navarra, lag ihm nichts an einer von militärischer Zweckdienlichkeit geprägten Festungsanlage. Vielmehr gelüstete es ihm nach einer prunkvollen Residenz, die dem französischen Lebensgefühl, dem joie de vivre Ausdruck verlieh. Deshalb engagierte er französische Baumeister, katalonische Innendekorateure und für die Gipsarbeiten sowie die Herstellung der gebrannten Kacheln und bemalten Ziegel, maurische Handwerker.

Schnell machte die außergewöhnliche Schönheit des Bauwerks an den Fürsten- und Königshöfen Europas die Runde. Doch wie so vieles im Leben, ist nichts von Dauer.

Die Ehe von Carlos III. mit Leonor de Trastámara war mit acht Nachkommen, darunter zwei Söhnen, reichlich gesegnet. Dennoch, so wollte es die Fügung, überlebte der König seine beiden Stammhalter. Als er 1425 verschied, stand Navarra ohne männlichen Thronfolger da. Folglich ging die Regentschaft an die einzige, in regierungsfähigem Alter befindliche Tochter Blanca über. Nach ihrem Ableben, sollte ihr Sohn Carlos, Fürst von Viana, das rechtmäßige Thronerbe antreten. Allerdings war Carlos Vater, der nach Navarra eingeheiratete Juan de Aragón, keineswegs bereit den bereits warm gesessenen Königsthron freiwillig zu räumen.

Das traurige Schicksal des Prinzen von Viana

Bald wehte dem Usurpator der scharfe Gegenwind der Cortes ins Gesicht, die die Interessen des Prinzen zu schützen gedachten. Um den wachsenden Protest der Ständeversammlung zum Schweigen zu bringen, musste der lästige Thronfolger aufs Abstellgleis befördert werden. Also ließ Juan seinen Sohn verfolgen und einsperren. Diesem gelang glücklicherweise die Flucht ins Exil, aus dem er vier Jahre später, unter Sympathiebekundungen der Bevölkerung, zurückkehrte.

Ein Grund mehr für den Thronräuber, Carlos unter einem verleumderischen Vorwand erneut unter Arrest zu stellen. Das war für die loyalen Anhänger des Prinzen zu viel des Guten. Es kam zum Aufstand. Juan de Aragón lenkte angesichts des auf ihn zurollenden Mobs ein. Er versprach Carlos die Thronfolge zugunsten seiner Kinder aus zweiter Ehe. Allerdings sollte der Príncipe de Viana seinen legitimen Anspruch auf die Krone Navarras nie durchgesetzt bekommen. Im Alter von 40 Jahren verstarb der hintergangene Erbprinz völlig unerwartet. Bis heute, halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass die zweite Gemahlin Juan de Aragóns, zum Schutz des Erbanspruches ihres gemeinsamen Sohnes Fernando, dabei ihre Giftmischerfinger im Spiel hatte.

Ab diesem Zeitpunkt kam Navarra nicht mehr zur Ruhe. Permanente Thronstreitigkeiten und mysteriöse Tode schwächten das kleine Königreich immer mehr. So war es nicht weiter erstaunlich, als Navarra 1512 durch die gewaltsame Konsolidierung mit Kastilien seine Eigenständigkeit verlor. Drahtzieher hierfür war kein Geringerer als besagter Fernando, später berühmt geworden als Ferdinand der Katholische.

Eine unwürdige Nation?

Der Palast von Olite war als Königsresidenz überflüssig geworden und verfiel in einen dreihundert Jahre andauernden Dornröschenschlaf, aus dem er 1813 mehr als unsanft geweckt wurde. Der spanisch-französische Unabhängigkeitskrieg lag bereits in den letzten Zügen. Trotzdem fürchtete ein spanischer General, dass das Schloss von französischen Truppen besetzt werden könnte. Um dies zu verhindern, zündete er, nach dem Motto der „verbrannten Erde“, kurz entschlossen einen Sprengsatz in der Anlage. Die Beschädigungen und Brandfolgen waren verheerend.

Hätte es nicht die Comisión de Monumentos Históricos y Artísticos sowie weitere, einflussreiche Fürsprecher gegeben, wären das alte und neue Schloss heute womöglich nur noch Geschichte. Zum Glück blieben die anklagenden Worte des spanischen Historikers Juan Iturralde y Suit, die dieser 1870 unter dem Titel „Memoria sobre las ruinas del Palacio Real de Olite“ (Erinnerung an die Ruinen des Königlichen Palasts von Olite) veröffentlichte, nicht ungehört:

 „El pueblo que mira indiferente los monumentos de sus pasadas glorias, es indigno de ocupar un lugar en la historia, y doblemente criminal, cuando el pasado es tan brillante y glorioso como el del antiguo Reino de Navarra„.

Juan Iturralde y Suit packte seine Landsleute bei der Ehre: „Das Volk, das gleichgültig auf die Denkmäler seiner glorreichen Vergangenheit hinabschaut, ist unwürdig einen Platz in der Geschichte einzunehmen, und umso krimineller, wenn die Vergangenheit derart strahlend und ruhmreich ist, wie die des ehemaligen Königreichs Navarra.“

Litografía del Castillo-Palacio de Olite de 1850 (Fuente: Gobierno de Navarra)
Litografía del Castillo-Palacio de Olite de 1850 (Quelle: Gobierno de Navarra)

Bald waren sich Regionalregierung sowie kunst- und kulturhistorische Institute einig, dass nur eine umfassende zeit- und monetäre Mittel verschlingende Rekonstruktion der ehemaligen Königsresidenz zu alter Pracht verhelfen würde. Allerdings benötigte man insgesamt über sechs Jahrzehnte um zunächst die finanziellen Ressourcen zu sichern und anschließend die Pläne in die Tat umzusetzen. Ich bin gespannt auf das Ergebnis.

Ein Rundgang durch das königliche Schloss

Ich bin eine bekennende, miserable Kartenleserin. Wobei manche Karten auch einfach miserabel sind.
Oftmals denke ich, dass in diesen Fällen die staatliche Gesundheitsbehörde ihre Finger im Spiel hat. Bestimmt hat sie sich die irreführenden Touristen-Wegweiser als versteckte Initiative für mehr Bewegung ausgedacht. Meistens werfe ich deshalb nur einen knappen Blick in die ausliegenden Besuchsführer. So erspare ich mir das Frustpotenzial über die wiederholte Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit. Stattdessen halte ich mich an das Try- and-Error-Prinzip.

Allerdings ist der Königspalast von Olite von einem speziellen Kaliber. Schon auf den ersten Blick sehe ich nichts als ein unübersichtliches Konglomerat aus Erkern, Giebeln, Schießscharten, Treppenauf-, -ab- und Durchgängen, Arkaden, Innenhöfen, Gärten, Brunnen und Galerien.
Nicht zu vergessen, die sage und schreibe fünfzehn Türme und Türmchen in allen erdenklichen Größen und Formen.
Damit ich mich in diesem Labyrinth halbwegs zurecht finde, vertraue ich dann doch dem Übersichtsplan.

Ein mittelalterliches Biotop

Meine Entdeckungstour im Märchenschloss startet im Orangenhof, von dem ein schmaler Durchgang in den Patio de la Morera abzweigt. Ein Hof für einen Maulbeerbaum oder ein Maulbeerbaum für einen Hof? Keine Ahnung was zuerst hier war. Auf jeden Fall handelt es sich nicht um irgendein Gewächs, sondern um ein 500 Jahre altes Naturdenkmal, das seine Majestät, der Bauherr, einst eigenhändig gepflanzt hat.

Um zu den einander gegenüberliegenden Gemächern des Königs und der Königin zu gelangen, ist sportliche Höchstleistung gefragt. Zunächst muss man den 40 Meter hohen Torre del Homenaje erklimmen, um dann die Hälfte der 133 Stufen der Wendeltreppe wieder hinabzusteigen. Beide Räume dienten dem Monarchenpaar weniger dem privaten Vergnügen als vorrangig zu Repräsentations- und Empfangszwecken. Leider sind alle innenarchitektonischen Finessen der damaligen Epoche verschwunden. Weder die bemalten oder mit Gold überzogenen Holzdecken, noch die sorgfältig ausgeführten Gobelinarbeiten oder die kunstvoll glasierten Fliesen konnten dem Lauf der Geschichte trotzen. Der luftige Hauch der einstigen Schönheit weht heute nur noch durch die filigranen Bögen und grazilen Säulen der Galeria del Rey, den gotischen Arkadengang des Königs.

Gotischer Arkadengang am Koenigspalast von Olite

Die sich anschließende Galerie der Königin steht derjenigen ihres Gemahls in Nichts nach. Für die anspruchsvolle Dame des Hauses wurde inmitten des Schlosses eine einmalige grüne Oase geschaffen. Die sogenannten hängenden Gärten des Königspalastes waren ausschließlich ihrer Majestät vorbehalten. Begünstigt durch das milde Klima in der Zona Media von Navarra, gediehen im windgeschützten Zentrum des mit Efeu überwucherten Kreuzganges die exotischsten Pflanzen und Früchte. Von Jasmin aus Alexandrien, Myrte, Kürbissen, Melonen, Oliven, Haselnusssträuchern, Bitterorangen, Grapefruit und anderen Zitrusfrüchten ist in diversen Überlieferungen die Rede. Selbst an ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem und riesige Zeltplanen, die zur sicheren Überwinterung der Pflanzenpracht über den Gärten aufgespannt wurden, hatte man gedacht.

Haengende Gaerten der Koenigin im Neuen Palast von Olite

Türme über Türme

Weiter geht es zum westlichen Vorposten des Schlosses, den Torre de la Joyosa Guarda. Allerdings hege ich berechtigte Zweifel, ob die Wachmannschaft, angesichts des pfeifenden Windes in schwindelerregender Höhe, tatsächlich so vergnügt war, wie der Name des Turmes besagt.

Aussichts- und Wehrturm La Joyosa Guarda des Koenigssitzes von Olite

Mein persönlicher Favorit unter all den Türmen des Schlosses ist der Torre de los Cuatro Vientos. Seine exponierte Lage und majestätische Erscheinung, lässt nur einen Rückschluss zu. Der Turm der vier Winde war nur in zweiter Linie ein Wachturm. In erster Linie diente die Zinnen bewehrte Aussichtsplattform als Balkon des Sehens und Gesehen-Werdens für den königlichen Hofstaat.

Unter den schützenden, spitz zulaufenden Bleidächern der drei Erker sowie einem hoch aufschießenden Turm fanden die noblen Herren und Damen Zerstreuung durch die mittelalterlichen Unterhaltungsaktivitäten, die ihnen am Fuße der Palastmauern dargeboten wurden. Gab es kein organisiertes Spektakel, vertrieb man sich die Zeit mit der kontemplativen Betrachtung der lebenden zoologischen Exponate des Königs. Im Graben neben der Zisterne hielt der Monarch in seinem privaten Tiergarten klassische Jagdtiere, Windhunden, Kamele, Strauße, Löwen, Greifvögel und sogar eine Giraffe.

verschachtelter Turm Tres Coronas der Koenigsresidenz von Olite

Auf halber Höhe zwischen Zisternen- und Drei-Kronen-Turm löst sich plötzlich ein Schatten aus einem Mauervorsprung. Mit einem bedeutungsschweren Blick auf seinen Zeitmesser gibt er mir zu verstehen, dass sich die Audienz dem Ende zuneigt. Es heißt also vorzeitig Abschied nehmen von dem getürmten königlichen Labyrinth.

Mittelalterliche Schlemmerorgien

Eiskeller der Koenigsresidenz von Olite

Freundlich hinauskomplimentiert, setze ich meinen Rundgang entlang der Außenmauer fort, denn von oben fiel mir neben dem Torre de las Tres Coronas ein steinernes Riesenei auf. Was wie Obelix’ Hinkelstein aussieht, diente vor mehr als einem halben Jahrtausend als Kühlschrank des Palastes. In der acht Meter tiefen Aushebung im Innern wurden im Winter Eis und Schnee angesammelt, gepresst und mit Stroh als Dämmmaterial abgedeckt. So blieben die Schneemassen bis zum Sommer gefroren. Diese Konservierungsmöglichkeit war in mittelalterlicher Zeit von enormem Wert.
Insbesondere wenn man historischen Dokumenten Glauben schenken darf, wonach einem Gelage des königlichen Hofes nicht weniger als 120 Hühner, 2 Kälber, 10 Ferkel, 10 Kaninchen, 15 Pfund Speck und 3 Schinken zum Opfer fielen.

Der Gedanke an das majestätische Mahl und der verwinkelte Ausflug in die Wohnwelt Carlos III. haben mich hungrig und durstig gemacht. Deshalb belohne ich mich in der gut gefüllten Cafeteria des im alten Palast untergebrachten Paradores-Hotels mit einer ausgiebigen Zwischenmahlzeit. Im Vergleich zum kapriziösen Neuen Schloss herrscht hier, ganz dem Namen entsprechend, ein rustikales Ambiente. Ein kleiner, etwas düsterer Raum mit schweren Polsterstühlen und einfachen, auf Hochglanz polierten Holztischen.

Mit Glück habe ich noch einen freien Platz ergattert, denn ganz offensichtlich ist die Bar eine Oliter Institution. Mit Kind und Kegel wird bei einer Runde copas oder cortados bald lautstark der Feierabend eingeläutet. Sobald ich meinen Koffein- und Kohlehydrat-Pegel wieder hochgefahren habe, ergreife ich deshalb die Flucht nach draußen auf den Schlossvorplatz.

Die königliche Kirche Santa María la Real

Hier wartet nämlich ein weiteres mittelalterliches Highlight auf mich, die gotische Kirche Santa María la Real. Eingekeilt zwischen altem und neuem Palast entstand das Gotteshaus zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert. Trotz der zentralen Lage nutzte das Königshaus die Kirche nur für offizielle, publikumsreiche Anlässe wie Hochzeiten oder Totenmessen. Ansonsten bevorzugten die Majestäten die Intimität der palasteigenen Kapelle.

Ein schmollender Josef und die Tür zum Himmelreich

Das Westportal mit dem vorgelagerten gotischen Arkadenhof, der wunderschönen Rosette und dem mit Stuckwerk überfrachteten Portal ist ein Augenschmaus. Sofort springen mir mehrere Parallelen zur Wehrkirche San Saturnino in Artajona ins Auge: das Motiv der französischen Lilie als Hinweis auf die Verbindung der navarresischen Könige mit dem französischen Adelsgeschlecht der Évreux, die Figuren des Königspaares im Tympanon, die Arkadenbögen der Apostel, als auch die viereckigen Türeinfassungen.
Was für ein in Stein gemeißeltes Meisterwerk! Eine unerschöpfliche Fundgrube mystischer Fabelwesen, tierischer Bestien, menschlicher Dämonen und apokalyptischen Szenen, eingebettet in florale Verrenkungen und Lianen artige Verschlingungen.

Inmitten der überbordenden Dekoration der Archivolte hält sich das navarresische Herrscherpaar, Juana I und Felipe el Hermoso versteckt. Man muss schon genau hinschauen, um sie zu sehen. So klein und unscheinbar sind sie dargestellt. Ich frage mich, ob dem Steinmetz hier ein Fauxpas unterlaufen ist? Hatte er die Monarchen vergessen? Musste er sie deshalb an unterschiedlichen Stellen inmitten des wirren Blattwerks platzieren, um das Gesamtkunstwerk nicht zu zerstören?

Im darunterliegenden Tympanon nimmt die Jungfrau Maria mit Kind als Patronin der Kirche auch die zentrale Stellung ein. Ihre Mundwinkel umspielt ein verzücktes Lächeln, während Josef im danebenliegenden Bildausschnitt mit aufgestütztem Ellenbogen vor sich hin schmollt. Er wirkt nicht glücklich über die ihm zugedachte Rollenverteilung als an den Rand gedrängter, passiver Statist.

Tympanon mit Maria mit Kind an der Kirche Santa Maria la Real in Olite

Am rechten Türpfosten entdecke ich eine wundersame Miniaturtüre. War sie als symbolische Hilfestellung für Neugierige und Zauderer gedacht? Wer möchte nicht erst einen vorsichtigen Blick durch die angelehnte, nur einen spaltbreit geöffnete Türe erhaschen, um zu schauen, was sich dahinter verbirgt? Sie ist eine Einladung, die jedem offen steht. Man muss nur den Mut besitzen, die Tür aufzustoßen. Dann steht jedem die Welt des Glaubens, des Gottvertrauens und vielleicht auch die Tür ins Himmelreich offen.

Ein nächtlicher Debattierklub

Bereits im Himmelreich angekommen, sind der Erlöser und die elf Apostel, die das Portal zu beiden Seiten einrahmen. Trotz unterschiedlicher Statur und Ausführung gestaltet sich eine sichere Identifikation für mich schwierig. Außer Frage stehen nur Jakobus, den die Jakobsmuschel an seinem Umhang verrät, sowie Johannes mit seinem jugendlichen Antlitz, der den Platz neben Jesus einnimmt. Aber welcher Apostel präsentiert sich zur Linken des Lieblingsjüngers? Ein wenig mehr Demut stünde diesem Herrn mit dem hochnäsig erhobenen Kopf und der wichtigtuerischen Haltung durchaus gut zu Gesicht.

Wenn ich mir die Apostel so anschaue, bin ich überzeugt, dass sie mit ihrem bewegungslosen Schicksal hadern. Ihre Bestimmung war es hinauszuziehen und zu predigen. Hier sind sie zum ewigen Verharren und Schweigen verurteilt. Wäre es deshalb nicht denkbar, dass sie allabendlich nur darauf warten, bis sich der Vorplatz leert und sie unter sich sind?
Dann kommt Bewegung in die elf steinernen Jünger und ihren Anführer. Sie dehnen und strecken sich, im Bemühen die lähmende Starre abzuschütteln. Nach dem Aufwärmprogramm steigen sie von ihrem Sockelplatz herab, um sich, im Licht des angestrahlten Säulengangs munter debattierend, die Beine zu vertreten. Sobald der erste Lichtstreif am Horizont heraufzieht, nehmen sie schnellstens wieder ihre zugedachte Position ein.

Was wäre es doch für ein Spaß, wenn sie eines Tages in der frühmorgendlichen Hektik, ihre Plätze vertauschten? Würde dies überhaupt jemandem auffallen?

Es gäbe noch so viel Spannendes über dieses Portal zu erzählen. Angefangen bei den farbigen Überresten auf Figurenschmuck und Säulen, über das rautenförmige, blutrote Muster an der Fassade oder den anonymen Mann, der sich mit entblößtem Oberkörper, und in einer anatomisch absurden Position, krampfhaft an der Eingangssäule festklammert. Doch die letzten, kraftlosen Sonnenstrahlen sind einer unangenehmen Kühle gewichen, und der Tag neigt sich langsam dem Ende entgegen.

naechtlich beleuchtete Kirche Santa María in Olite

Authentisches Burgfräulein-Feeling im Parador

Flur im Parador von Olite

Es zieht mich nach drinnen, in die geschichtsträchtigen Wände des alten Palastes, der seit 1960 eine Metamorphose zu einem 4-Sterne-Parador-Hotel durchlebt hat. Gemächlich schlendere ich in dunklen Gängen vorbei an schmiedeeisernen Lampen, großformatigen Gobelins und blank gewienerten Ritterrüstungen hinauf zu meinem Zimmer. Auch in meiner Kemenate ist mit Natursteinwänden, bodenlangen, wappenbestickten Samtvorhängen und rustikalem Mobiliar für ein authentisches Burgfräulein-Feeling gesorgt. Ich falle todmüde auf mein Himmelbett, von dem aus ich noch eine Weile das bunte Lichtspiel in den Glasfenstern der Kirche Santa María beobachte.

Mitten in der Nacht schrecke ich hoch. Ein verzweifelter Hilferuf und schlurfende Schritte auf dem Steinboden im Gang vor meinem Zimmer haben mich geweckt. Instinktiv ziehe ich die dicke Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch. Ich versuche, meine fünf Sinne zu sammeln und lausche angestrengt in die Dunkelheit hinein. Doch keine weiteren Geräusche sind zu hören. Langsam kämpft sich mein Bewusstsein aus den diffusen Untiefen meines Schlafes an die Oberfläche. Ich habe geträumt.

Der Geist des Prinzen von Viana

Hätte ich doch als Gute-Nacht-Lektüre bloß ein anderes Thema als das unglückselige Schicksal des Prinzen von Viana gewählt. Hier im Palacio Viejo wurde der legitime Thronerbe Navarras von seinem eigenen, machthungrigen Vater gefangen gehalten. Besagter Kerker existiert heute noch in einem für Hotelgäste eingerichteten Salon. Lässt man sich allerdings mit falscher Blickrichtung in die plüschigen Sessel fallen und entdeckt das Gemälde des um seine Rechte betrogenen Thronfolgers, ist es mit der Gemütlichkeit vorbei.

Grauen, Furcht und Ungläubigkeit spricht aus den Augen des Carlos‘ von Viana. Als ob er bereits seinen eigenen Geist gesehen hätte, der hier im Schloss umhergeht.

Porträt des Prinzen von Viana im Kerker des alten Palastes von Olite

Augenzeugen berichteten sogar von einem wundersamen Phänomen in Zusammenhang mit dem Porträt des Prinzen.
Als der Palast noch nicht mit dem Fortschritt der Elektrizität gesegnet war, musste der Nachtwächter auf seiner letzten nächtlichen Runde immer alle Kerzen löschen. Doch vor dem Bildnis des jungen Mannes wiederholte sich Abend für Abend ein unerklärliches Schauspiel. Kaum hatte der Nachtwächter die Flammen mit seinem Kerzenlöscher erstickt, flackerten sie wieder auf, sobald er seinen Rundgang fortsetzte. Der Geist des Prinzen sehnte sich wohl nach Gesellschaft. Einsamkeit und Dunkelheit mussten ihm verhasst gewesen sein.

Olite – Weinhauptstadt Navarras

Ein neuer Tag und der Talentschuppen Olite hat wieder geöffnet.

Heute gönne ich mir im multimedialen Museo del Vino eine virtuelle Reise durch Olite als Hauptstadt des navarresischen Weines. Das im Gebäude des Tourismusbüros untergebrachte Museum steht ganz im Zeichen der Weintraube und ihrer flüssigen Endprodukte. Auf drei Ebenen werde ich in sanft geschwungene Weinberge mit knorrigen Rebstöcken, Bodegas mit bauchigen Weinfässern und Weinkeller mit bis unter die Decke gestapelten Flaschen entführt. Neben einem Einblick in den Lebens- und Jahreszyklus der Reben, erfahre ich interessante Hintergründe zur Geschichte des Weinbaus und zum Handwerk der Winzer.

Der Weinbau hat eine jahrtausendelange Tradition in dieser Region. Als geografisches Zentrum eines klimatischen Übergangsgebiets profitiert Olite vom atlantischen Einfluss aus dem Norden, den mediterranen Zügen des Ebrodeltas im Süden und den gemäßigten, kontinentalen Verhältnissen in der Mitte der Provinz. Schon die Römer wussten die Vorteile der unterschiedlichen Klimazonen zu nutzen. Allerdings war der Weinanbau damals ausschließlich auf die Deckung des persönlichen Bedarfs ausgerichtet. Im Vergleich dazu bedeutete die Kultivierung durch die Klöster im frühen Mittelalter bereits eine deutliche Progression in Bezug auf Qualität und Quantität. Hinzu kam die Renaissance der Jakobspilger-Bewegung, die einen nicht unerheblichen Beitrag zum Aufschwung des „flüssigen Goldes“ leistete.

Bis dato unbekannte Rebsorten wurden eingeführt, mit den alten gekreuzt, Know-how ausgetauscht und, selbstredend, der Konsum angekurbelt. Auch die Verbindung der navarresischen Monarchen mit den französischen Adelsdynastien wirkte sich vorteilhaft auf den Variantenreichtum des Weinanbaus aus. Sukzessive vergrößerte man die Weinberge und verfeinerte die Verarbeitungstechniken. Bald hatte der Weinanbau einen Großteil der Anbauflächen für Getreide verdrängt. Die Mehl- und Brotpreise stiegen ins Unermessliche, der Wein vergärte mangels Absatz. Es entstand sogar das Gerücht, dass die Klöster beim Kirchenbau Wein statt Wasser zum Anfeuchten des Zements verwendeten.

Die Reblaus kennt keine Staatsgrenzen

Nichtsdestotrotz erfolgten, bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts, alle Verarbeitungsschritte manuell. Die Umstellung auf eine industrielle Fertigung geschah mehr oder weniger unfreiwillig. Schuld daran war die Reblaus. Der Schädling fand zunächst besonderen Gefallen an den französischen Weinbaugebieten. Im Zeitraum von 1865 bis 1885 verwandelte er  auf mehr als zwei Millionen Hektar Anbaufläche, fruchttragende Rebstöcke in nutzlose, abgestorbene Sträucher. Doch was des einen Leid ist des anderen Freud. Die Weine aus dem grenznahen Navarra erlebten eine völlig unerwartete Hochkonjunktur. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, mussten die Weinbauer auf industrielle Produktionsmethoden umsteigen.

Kaum hatte sich Navarra als potenzieller Exporteur etabliert, überquerte die staatenlose Reblaus die Pyrenäen und besetzte Spanien. Der Schaden war verheerend, vielen Winzern die Existenzgrundlage entzogen. Nur ganz zaghaft erholte sich dieser Wirtschaftszweig über die letzten Jahrzehnte. Das Pflanzen resistenterer Rebsorten, die Erhöhung der Rebenvielfalt sowie der Zusammenschluss zu Kooperativen half dem Weinanbau in Navarra wieder Fuß zu fassen.

Mittlerweile glänzen die Weine der Herkunftsbezeichnung Denominación de Origen Navarra mit einer enormen Vielfalt an Rebsorten. Zahlreiche nationale als auch internationale Preise und Auszeichnungen konnten die Rot- und Roséweine in den letzten Jahren einfahren. Ob zurecht, davon werde ich mich jetzt selbst bei einer Weinprobe überzeugen.

Salud!

Olite (Comunidad Foral de Navarra) , Februar und Oktober 2011


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