Gaden in der Kirchenburg von Tartlau / Prejmer
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Tartlau / Prejmer – UNESCO Welterbe im Burzenland


Die bekannteste, größte und in vielen Augen auch schönste sächsische Kirchenburg Siebenbürgens findet sich nicht weit von Kronstadt in der östlichsten Ecke des Burzenlands.

UNESCO-Welterbe im Burzenland

Unübersehbar im Ortskern von Tartlau (rum. Prejmer) gelegen, sonnt sich die Vorzeige-Kirchenburg seit 1999 mit  dem Titel eines UNESCO-Welterbes. Diese Auszeichnung verdankt das siebenbürgisch-sächsische Kulturgut dem gut erhaltenen bzw. restaurierten Ensemble aus unbefestigter Kirche und übermächtigem Bering. Auf letzteren setzten die Tartlauer ihre ganze Hoffnung zur Abwehr feindlicher Aggressoren. Und auf ihre Geheimwaffe, die unerschrockenen Tartlauer Frauen. Aber dazu später mehr.

Schon aus der Ferne blinzelt eine neugierige Glockenturmspitze über die wuchtigen, weißgetünchten Mauern hinweg, den jährlich 10.000 Besuchern entgegen. Ein Bollwerk sollte sie sein, die Kirchenburg von Tartlau. Acht Mann hoch der Bering. Abweisend, abschreckend, uneinnehmbar. Die Lage der Ortschaft ließ keine Kompromisse zu. Durch die Nähe zum Buzauer Passes, dem südlichen Einfallstor feindlicher Invasoren nach Transsylvanien, stand die Siedlung in vorderster Front der Burzenländer Verteidigungslinie. Historiker haben berechnet, dass die Gemeinde, zwischen ihrer Gründung zu Beginn des 13. Jahrhunderts bis zu den letzten größeren Kamphandlungen in Siebenbürgen 600 Jahre später, alle 16 Jahre vor dem Nichts stand.

Heute herrscht um das fotogene Weltkulturerbe herum Idylle pur. Umso schwerer fällt es, sich auszumalen, welche menschliche Dramen sich über die Jahrhunderte in und insbesondere rund um die Kirchenburg herum abgespielt hatten.

Ringmauer und Barbakane der Kirchenburg von Tartlau / Prejmer

Crime Scene in Tartlau

Den Anfang der durch Tartlau durchziehenden, wütenden, plündernden Aggressoren machten 1278 die Tataren, gefolgt von den Türken 1432 und 1501. Danach erfolgte eine kurze Verschnaufpause, in der sich das Dorf zum potentesten Steuerzahlen im Burzenland mauserte. 1510 weist das Steuerregister 230 Wirte, 11 Witwen, 4 Siedler, 12 Hirten, 6 Diener, 8 Arme, 3 Müller, einen Glöckner, 16 wüste Höfe, ein Schul- und ein Kirchenhaus sowie einen Gräfenhof aus.

Doch dieser Edelhof und seine Besitzer, die ungarische Adelsfamilie Beldi de Bodola, sorgten für mehr als nur Unruhe in der selbstbewussten Gemeinde. Eigentlich im benachbarten Kreuzburg ansässig, beanspruchte sie, neben der Gräfenburg auf Tartlauer Boden, gleichfalls Wälder, Wiesen und Fischteiche für sich. Die bis dahin nur auf Sparflamme vor der Rechtsprechung lodernden Auseinandersetzungen eskalierten, als der Graf eines Tages im Jahr 1508 lauthals schimpfend seinen streitsüchtigen Kopf aus seiner durchs Dorf fahrenden Kutsche streckte und ein Tartlauer ihm daraufhin den Kopf abschlug. Ob in voller Absicht oder aus Versehen blieb ungeklärt. Fakt war jedoch, dass die Tartlauer nicht nur eine immense Strafzahlung auferlegt bekamen, sondern dieser Vorfall die bis 1861 währende Dauerfeindschaft weiter befeuerte.

Dunkle Zeiten für Tartlau

Neben diesen Besitz- und Hattertstreitigkeiten sah man sich 1529 als auch 1552 zunächst von den kriegerischen Moldaufürsten bedroht. 76 Kanonenkugel konnten der Kirchenburg nichts anhaben, dafür wurde das Dorf niedergebrannt. Der Walachenfürst Mihai Viteazul fegte sowohl 1599 als auch 1600 über Tartlau hinweg. Danach war kein Sachsenhof mehr bewohnbar. Es ging jetzt Schlag auf Schlag. Im selben Jahr nahm ein Kosakenführer 20 Tartlauer gefangen, stach ihnen die Augen aus und spießte sie auf. Zwei Jahre später zündete ein anderer Woiwode die Siedlung an, bevor es ihm Gabriel Báthory 1611 nachtat. In den Folgejahren wüteten Türken, Tataren, Walachen, Kosaken, Muntenier und Moldauer unablässig im Burzenland. Mal kämpfte jeder für sich, mal machten sie gemeinsame Sache gegen die Sachsen.

Die Kirchenburg wurde meistens erfolglos belagert, dafür die Häuser geplündert, in Brand gesteckt und dem Erdboden gleichgemacht. Immer wieder hieß es für die Bauern bei Null anfangen. Zu guter Letzt fielen zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch noch die Kurutzen ganze vier Mal über Tartlau her. Danach hieß es einmal kurz Aufatmen vor dem nächsten katastrophalen „Sturm“.

Feuersbrünste, Pest und Cholera suchten den Ort und die Bewohner wiederholt heim. Nur 24 Familien überlebten die erste Pestepidemie. 181 Häuser blieben nach 1719 verwaist. Tartlau war eines der am schlimmsten von den Seuchen gebeutelten Sachsendörfer im Burzenland. Bald besaß ein Hof nur noch den Wert von einem Laib Brot und zwei Maß Schnaps.

Eine kurze Blütezeit

In dieser Zeit litt die Kirchenburg am meisten. Mauerabschnitte stürzten ein, die Schindeldächer des Wehrgangs und der vier Türme verrotteten, zwei von ihnen stürzten nach einem Erdbeben sogar ein. Die Instandhaltung wurde vernachlässigt, die Einwohnerschaft war enorm reduziert. Die Beseitigung existenzieller Nöte stand im Vordergrund.

Stich Kirchenburg Tartlau von Ludwig Rohbock 1883
Kirchenburg Tartlau; Ludwig Rohbock 1883

Doch erneut rappelte sich der Ort ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder auf. Mittlerweile erwies sich die Lage am Buzauer Pass als vorteilhaft für Handel und Gewerbe. Auch die Landwirtschaft kam durch einen Vorschussverein und mehrere Dreschgesellschaften wieder auf die Beine. Dazu gesellten sich eine Spiritusfabrik, eine Ziegelei, ein Möbelunternehmen, ein Betrieb zur Knopf- und Kammherstellung sowie eine Tuchfabrik mit 60 Webstühlen. Allerdings sollte auch diese Blütezeit nicht ewig währen. Welche weittragenden Konsequenzen die politischen Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts den Siebenbürger Sachsen bescherten, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Trotzdem liest sich das Resultat als Zahl erschütternd. Nicht einmal 1% der knapp achteinhalbtausend Einwohner starken Gemeinde Tartlau gehört heute der deutschsprachigen Minderheit an.

Diese permanente Not, das Leid, die Entbehrungen und Rückschläge sind für mich heute unvorstellbar. Woher nur nahmen die Siebenbürger Sachsen diese unerschütterliche Stehauf-Mentalität? Ein halbes Jahrtausend stemmten sie sich mit Fleiß, Disziplin, Durchhaltevermögen und Gemeinschaftssinn allen Gefahren und Widrigkeiten entgegen. Ihre Triebfedern – Freiheitswille und Selbstbestimmungsrecht. Aufgabe war nie eine Option gewesen.

Doch dann verbreitete sich mit dem österreichisch-ungarischen Schulterschluss der K. u. K. Monarchie und dem Verlust der einstigen Rechte und Privilegien, der Nährboden der Desillusionierung und schleichenden Resignation. Für den Todesstoß in Form absoluter Aussichtslosigkeit reichten 50 Jahre Kommunismus aus.

Insofern bin ich froh zu erfahren, dass seit 1972 die Siebenbürgische Sächsische Stiftung in München die Patenschaft für die Kirchenburg übernommen hat. Damit scheint zumindest der Fortbestand des Welterbes gesichert zu sein.

Tartlauer Frauenpower

Wie uns der geschichtliche Streifzug durch Tartlau gezeigt hat, wurde die Siedlung in ihrer 800-jährigen Geschichte mehr als 50 Mal angegriffen, geplündert und niedergebrannt. Dass die Gemeinde, wenn auch enorm geschrumpft, bis heute Bestand hat, verdankt sie zwei Faktoren. Der Kirchenburg, die wir uns gleich noch näher anschauen, und den Tartlauer Frauen. Zumindest wenn man den beiden bekanntesten Erzählungen über deren Mut und Tapferkeit Glauben schenkt.

Bereits im 15. Jahrhundert war mit den Tartlauerinnen nicht gut Kirschen essen. Brotbacktag war angesagt. Daran änderte auch der im Dorf wütende Türkenmob nichts. So kam es, dass drei Bäuerinnen zunächst den Feind in ihrem Rücken ignorierten und stattdessen in aller Seelenruhe ihr Brot zu Ende buken. Über die Unverfrorenheit der Frauen erbost, schnappte sich der Türke die frisch gebackenen Brotlaibe und beförderte sie auf den nächstbesten Misthaufen. Das brachte wiederum das Blut der Tartlauerinnen in Wallung. Lebensmittelverschwendung war ein absolutes No-Go. Kurzerhand überwältigten sie den ungehobelten Barbaren und setzten seinem ungebührlichen Verhalten im Brotbackofen ein Ende.

200 Jahre später machten die Tartlauer Bäuerinnen erneut von sich reden.

Dieses Mal hatten sich alle Dorfbewohner rechtzeitig vor den türkischen Angreifern in der Kirchenburg in Sicherheit gebracht. Da der Feind der trutzigen Wehrmauer nichts anhaben konnte, umstellte er die Burg, um die Einwohner zur Aufgabe zu zwingen. Allerdings zog sich die Belagerung in die Länge, so dass sich die Lebensmittelvorräte der Sachsen dem Ende entgegen neigten. Entschlossen kratzten die Frauen die letzten Mehlreste für ein Wagenrad großes Weizenbrot zusammen. Damit stiegen sie auf die Wehrmauer und bissen vor den Augen der Türken herzhaft in den riesigen Brotlaib hinein. Um ihrer Botschaft an die Belagerer noch mehr Nachdruck zu verleihen, entblößte anschließend jede Tartlauerin ihr Hinterteil. Desillusioniert brachen die Türken ihre Zelte ab und zogen weiter. 

Ein Streifzug durch die Kirchenburg von Tartlau

Für einen besseren Überblick dieser monumentalen, siebenbürgisch-sächsischen Wehranlage begeben wir uns gemeinsam auf einen Rundgang durch die Kirchenburg.
Die Zahlen auf nachfolgendem Grundriss, finden sich im Wappen von Tartlau wieder, das uns den Weg weisen wird.

Die Heilig Kreuz Kirche

Der Deutsche Ritterorden gab 1218 den Bau der Heilig Kreuz Kirche in Auftrag. Unbefestigt sollte sie sein, wie alle Kirchen im Burzenland. Und dennoch unterschied sie sich grundlegend von allen anderen siebenbürgischen Sakralbauten. Möglicherweise in Anlehnung an die Heilig Grab Kirche in Jerusalem entstand inmitten der Ortschaft ein byzantinischer Zentralbau mit dem Grundriss eines griechischen Kreuzes. Als der ungarische König den Ritterorden wegen eigenmächtiger Aktivitäten sieben Jahre später aus dem Burzenland verwies, war die Kirche noch längst nicht fertig gestellt.

Fortan nahmen die Zisterziensermönche der Abtei Kerz nicht nur in Tartlau, sondern auch in den benachbarten Siedlungen Honigberg und Petersberg, das klerikale Zepter in die Hand. Die Zisterzienser-Bauhütte von Kerz vollendete die Heilig Kreuz Kirche in dem für sie typischen Stil der Frühgotik. Aus dieser Zeit haben sich bis heute die sechsteiligen Gewölbe, die eleganten Spitzbogenfenster mit Maßwerk, die wunderhübschen Vierpaßfenster oder die durch Arkadenbögen abgeteilten Seitenkapellen erhalten.  

In der zweiten Hälfte des 15. bis in das 16. Jahrhundert hinein veränderte die Heilig Kreuz Kirche nach und nach ihr Gesicht. Zunächst setzte man einen achteckigen Glockenturm auf die Vierung, bevor man die nördliche Seitenkapelle zur Sakristei umgestaltete. Anschließend wandte man sich den gravierendsten Umbauten zu. Die Gemeinde hatte sich in den letzten Jahrzehnten prächtig entwickelt, so dass das Kircheninnere bald nicht mehr allen Gläubigen ausreichend Platz bot. Also hieß es an- bzw. ausbauen.  Aus dem Zentralbau mit dem Grundriss des griechischen Kreuzes entwickelte sich durch die Verlängerung des westlichen Kreuzarmes nun ein lateinisches Kreuz. Fortan besaß die Kirche ein Langhaus, das mit einem Portal und dem Einbau der Westempore abgeschlossen wurde. 

Ein wertvoller Altar und eine überraschende Namensvetternschaft

Der spätgotische Flügelaltar ist sicherlich das wertvollste Inventar der Tartlauer Kirche. Um das Jahr 1450 von einem Burzenländer Künstler gefertigt, gilt er als ältester Altar Siebenbürgens. Neben der Kreuzigungsdarstellung im Mittelbild erinnern die acht weiteren, farbenfroh bemalten Tafeln an besondere Abschnitte und Ereignisse im Leben Jesu.

Warum dieses einzigartige Kunstwerk zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgebaut und vorübergehend im Seitenschiff an die Wand gelehnt ein Schattendasein führte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Irgendwann gelangte der Altar dann ins Burzenländer Museum, von wo aus er nach Bukarest zur fachmännischen Restaurierung weitergereicht wurde. Seit 1965 ist er nun wieder an seine ursprüngliche Wirkungsstätte zurückgekehrt. Hoffentlich passen die beiden goldigen Altarsteher Petrus und Paulus zukünftig besser auf das Schmuckstück auf.

Altar in der Heilig Kreuz Kirche in Tartlau in Siebenbuergen

Für weitere Farbtupfer in der ansonsten eher düsteren und puristischen Kirche sorgen die ockerroten Gewölberippen über dem Hauptschiff, das ebenfalls vergoldete, barocke Orgelprospekt auf der Westempore und die Siebenbürger Schmuckteppiche über den vorderen Kirchenbänken.

Grabstein in der Heilig Kreuz Kirche von Tartlau / Prejmer

Im nördlichen Querschiff sind zwei wuchtige Grabsteine ausgestellt. Der ältere aus dem Jahr 1692 entstand in Gedenken an Pastor Jakobus Jekelius, der sechs Jahre lang die Tartlauer Gemeinde betreute. Auf dem kunstvoll gestalten Gedenkstein hinterlassen nicht nur der bekrönte Pfau über dem Wappenschild, sondern vor allem die beiden bärtigen Engel einen ungewöhnlichen Eindruck.

Inschrift in der Heilig Kreuz Kirche von Tartlau / Prejmer

Fast direkt daneben stoße ich an der Wand auf eine bereits stark verwitterte Inschrift. Dennoch staune ich Bauklötze als ich meinen Geburtsnamen darauf entziffere. Ein gewisser Tartlauer Baumeister Martin Kaul war maßgeblich an dem in den Jahren 1964 – 1970 durchgeführten Konsolidierungs- und Restaurierungsprojekt der staatlichen Denkmalbehörde beteiligt. Obwohl ich vermute, dass es sich hierbei nur um eine Namensvetternschaft handelt, wäre ich doch neugierig mehr über diesen Namenszweig zu erfahren.

Innere und äußere Ringmauer

Die ovale Ringmauer von Tartlau gilt als das Meisterwerk aller siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen. Kein Mauerring ist größer, stärker oder höher. Die Eckdaten sprechen dabei für sich: 72 Meter im Durchmesser, 12 bis 14 Meter hoch und an der Basis bis zu fünf Meter dick.

Die ursprünglich vorhandene Ringmauer wurde vermutlich nach dem verheerenden Mongoleneinfall 1241 aus dem Boden gestampft. Doch ganz offensichtlich erwies sie sich gegen die ständig einfallenden Invasoren als nicht ausreichend. Deshalb begannen die Einwohner etwa 250 Jahre später das vorhandene Mauerwerk zu ummanteln, zu erhöhen und mit vier Wehrtürmen zu verstärken. Leider stehen heute nur noch die beiden Flankierungstürme im Nordwesten und Südosten weiterhin ihren Mann. Die beiden anderen stürzten als Folge des verheerenden Erdbebens 1838 ein.

Auf etwa 10 Metern Höhe legten die Tartlauer einen überdachten Wehrgang an. Den unteren Bereich versahen sie in engen Abständen mit unterschiedlichen Pechnasen-Varianten, während sich auf Augenhöhe Schießschlitze, Schießnischen als auch Maulschießscharten mit Schwenkholz aneinanderreihten. Mehr als alles andere fürchtete der Feind jedoch die Todesorgel. Hierzu bestückten die Verteidiger ein stabiles Holzbrett mit jeweils fünf Geschützrohren auf Ober- und Unterseite. Nach Abgabe der ersten Fünfersalve, drehte man das Brett um die Längsachse, lud die anderen Vorderladerschießrohre und dann hieß es erneut „Feuer frei“!

Eine zweite, wesentlich niedrigere Zwingermauer, die die vier Flankierungstürme miteinander verband, rundete das Tartlauer Maßnahmenpaket zum Schutz von Leib und Leben ab.

Wohn- und Vorratskammern

Entlang der gesamten inneren Ringmauer boten 270 Wohn- und Vorratskammern bienenwabengleich Unterschlupf für annähernd 1600 Einwohner. Die zwei bis vier Geschosse übereinanderliegenden Gaden waren mit einem ausgeklügelten System aus Stiegen, Holztreppen und offenen Gängen miteinander verbunden. Bei „Vollbesetzung“ muss hier ein reges Gewusel und Gedränge geherrscht haben.

Dagegen kann ich mir kaum ausmalen, wie eine mehrköpfige Familie tage- oder gar wochenlang in einer dieser kleinen, dunklen Kammern ausharrte. Dennoch funktionierte dieses Defensivsystem bis weit in das 17. Jahrhundert hinein tadellos. Selbst nachdem Mongolen, Tataren, Türken, Walachen, Moldauer, Habsburger und Kurutzen längst von Siebenbürgen abgelassen hatten, waren die Gaden weiterhin in Gebrauch. Nämlich als großes Schmuckkästchen für die ideellen als auch materiellen Sachsenschätze. Wertvolle Trachten, Nahrungsmittelvorräte oder unersetzliche Familienerbstücke waren hier sicher untergebracht.   

Einige Gaden erfuhren Ende des letzten Jahrtausends eine neue Bestimmung. Als Ausstellungsräume des Museums für sächsische Volkskunst geben sie dem Besucher umfassende Einblicke in die Ausstattungen von Obst- und Weinbauern, Fassbindern, Wagnern oder Weberbetrieben.
Dazu vermittelt eine typische Bauernstube traditionell siebenbürgisch-sächsische Wohnkultur, während die beiden mit Fresken ausgemalten Räumen der „Alte Schule“ an den Bildungsauftrag im 18. Jahrhundert erinnern. Allerdings wird der erste Schulmeister in Tartlau bereits 1460 erwähnt. Schulbildung gehörte für die Siebenbürger Sachsen zum Gemeindeleben wie der Kirchgang oder das Speckritual. Selbst in unruhigen Zeiten durfte die Förderung und Erziehung des Nachwuchses nicht vernachlässigt werden.

Torwehre mit Ratsstube

Bevor im 16. Jahrhundert die beeindruckende Vorburg entstand, sicherten der Wassergraben mit Zugbrücke sowie die befestigte Torwehre im Süden der Anlage den einzigen Zugang in das Herz der Kirchenburg.
Die 32 Meter lange, übertunnelte Toreinfahrt besaß als Schutzmechanismen mehrere schwere Eichentore als auch eisenbeschlagene Fallgatter, von denen eines noch ansatzweise bestaunt werden kann.

Neben den bereits erwähnten Ausstellungsräumen der sächsischen Volkskunst in den Gaden, gehören auch vier Zimmer des ehemaligen Rathauses über der Toreinfahrt zum Museumsbereich. Mit viel Ausdauer und Akribie wurden Mobiliar, Einrichtungs- und Haushaltsgegenstände, Werkzeuge, Textilien und Trachten aus Privathaushalten der Tartlauer Nachbarschaften zusammengetragen. Außerdem beteiligten sich zahlreiche andere siebenbürgisch-sächsische Gemeinden an der Aussteuer des Museums und gaben damit den nostalgischen Gegenständen eine sichere Heimat und dauerhafte Würdigung.

Wassergraben

Einst umgab ein acht Meter breiter und vier Meter tiefer Wassergraben die komplette Wehranlage. Ein essenzielles und wirkungsvolles Element der sächsischen Defensivmaßnahmen, das vielen Tartlauern das Leben rettete. Die Türken standen im Jahr 1501 kurz vor der Eroberung der Kirchenburg als die Zugbrücke unter ihrer Last zusammenbrach, wodurch der Wassergraben den Angreifern ein unfreiwilliges als auch tödliches Badeerlebnis bescherte.
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts löste eine Steinbrücke samt überdachtem, barocken Arkadengang die wartungsintensive Zugbrücke ab. Nach 1850 wurde dann auch der überflüssig gewordene Wassergraben zugeschüttet.

Arkadengang der Kirchenburg von Tartlau / Prejmer

Vorburg – Barbakane

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts rüsteten die Dorfbewohner ihre Kirchenburg weiter auf. Vor der untertunnelten Torwehre entstand eine mächtige, hufeisenförmige Barbakane mit einer 14 Meter hohen Mauer. Diese wurde nicht nur mit verschiedenartigen Gusserkern und Schießscharten ausgestattet, sondern auch mit Blendarkaden à la mode verschönert. So gab es zusätzlich etwas fürs Auge, denn Wehrhaftigkeit muss Ästhetik ja nicht grundsätzlich ausschließen.

Um die Zugbrücke besser im Blick zu behalten, erhielt die viergeschossige Barbakane ein zusätzliches Wachtürmchen aufgesetzt, das man jedoch 1960 wieder abbaute.
Das Innere der Barbakane beherbergt heute mehrere Andenkengeschäfte sowie den Zugang zu den Museumsräumen in der Ratsstube.

Barbakane und Ringmauer der Kirchenburg von Tartlau / Prejmer

Zwinger – Bäckerhof

Zu den Erweiterungsmaßnahmen der Kirchenfestung im 16. Jahrhundert gehörte auch der Bäckerhof. Zwischen Vorburg und Südwestturm zogen die Tartlauer eine Zwingermauer hoch. Vermutlich geschah dies eher aus organisatorischen Gründen, denn aus wehrtechnischen Überlegungen heraus. Der geschützte Zwingerhof bot nun ausreichend Platz für eine Pferdemühle, eine Bäckerei und weitere Wirtschaftsgebäude. Somit war man innerhalb der Kirchenburg weitgehend autark, um längeren Belagerungszeiten problemlos standzuhalten.

Der Wettstreit um die Kirchenburgenkrone geht an…

An dieser Stelle neigt sich unser Rundgang in der Kirchenburg von Tartlau dem Ende entgegen.
Mit ihrer von Blut, Schweiß und Tränen gezeichneten Geschichte und ihrem imposanten Erscheinungsbild hat sich die ungekrönte Königin unter Siebenbürgens Kirchenburgen das Prädikat UNESCO-Weltkulturerbe hart verdient. Und dennoch gebe ich persönlich der Kirchenburg von Honigberg meinen Vorzug. Oftmals nur als Kronprinzessin angesehen, ist sie meine heimliche Majestät des Burzenlands. Warum, fragt Ihr?

Ganz einfach. In der Kirchenburg in Honigberg fühlte ich mich willkommen. Als Gast unter den einstigen hospites (Gästen). In Tartlau dagegen stand auf meiner Stirn „zahlende Touristin“. Das Empfangskomitee am Eingang blieb unterkühlt, desinteressiert, mit sich selbst beschäftigt. Ganz offensichtlich sorgt der Status UNESCO-Welterbe für einen ausreichenden Besucherstrom. Insofern darf man wohl nicht mehr als Dienstleistungs-Minimalismus erwarten. Na ja, vielleicht habe ich zwei Jahre hintereinander auch nur exakt die zwei schlechtesten Tage in Tartlau erwischt.
Doch selbst wenn ich über die mangelnde Identifikation der Angestellten ihrem Job gegenüber hinwegsehe, bleibt immer noch der kommerzielle Nachgeschmack. Der Souvenirladen-Aufmarsch in der Vorburg ist nichts für mich. Mehr Qualität anstelle kitschiger Quantität wäre eine Überlegung wert. 

Burghof der Kirchenburg von Tartlau / Prejmer

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Verein Kulturerbe Kirchenburgen e. V.

Credit:
Die Übersichtsskizze der Kirchenburg von Tartlau stammt aus folgender Quelle:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Biserica_fortificata_din_Prejmer.svg

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