Les jardins des remparts und der Turm du Connétable in Vannes
Frankreich,  Unterwegs

Vannes – mittelalterliches Flair am Golf von Morbihan


Die Hauptstadt des Départements Morbihan an der Südküste der Bretagne ist nicht nur ein idealer Ausgangspunkt zur Erkundung des Golf du Morbihan, sondern lädt mit einer Fülle von insgesamt 272(!) unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden zu einem ausgedehnten Stadtspaziergang in die Vergangenheit ein.

Vannes bedeutet Geschichte zum Anfassen. Enge, kopfsteingepflasterte Gassen mit schmalen, Spalier stehenden Fachwerkhäusern, robuste Stadttore und Befestigungswälle, Heilige und Herzöge, Epochen-übergreifende Bauten, mittelalterliche, romantische Plätze, malerische Promenaden und Gartenanlagen zum entspannten Flanieren. Und da auch kein Mangel an Cafés, Boutiquen und Crêperien herrscht, kommt hier ein jeder auf seine Kosten.

Schon Aramis, einer der Helden von Alexandre Dumas „Die drei Musketiere“, hatte als Bischof eine Schwäche für die heimliche Hauptstadt der Bretagne. Auf die Frage seines Mitstreiters d’Artagnan, ob er sich hier zeitlebens, so weit von Paris, begraben lassen möchte, antwortete dieser: „Vannes ist ein Bistum, das 20.000 Livres im Jahr einbringt. Das ist für einen armen Prälaten ganz hübsch. Und dann: ich werde alt; das großstädtische Treiben fällt mir auf die Nerven. Mit meinen 57 Jahren sehne ich mich nach Ruhe. Und die habe ich in dieser alten ehrwürdigen Stadt gefunden.“

Ein Steno-Blick in die Geschichtsbücher von Vannes

Bevor wir uns in dem alten ehrwürdigen Bischofssitz von Aramis genauer umsehen, steht noch ein Schnelldurchgang durch die nicht immer so ruhige Geschichte von Vannes an.

56 v. Chr.

Stadtgründung

durch die Römer nach ihrem Sieg über das keltische Volk der Veneter. Die Stadt erhält den Namen Darioritum.

56 v. Chr.
5. Jh. n. Chr.

Besiedlung durch die Bretonen

Das römische Reich ist passé, Daritorium wird zu Civitas Venetum und wenig später zu Venetis. Ein Bistum entsteht. Erster Erzbischof ist St. Patern, späterer Schutzpatron der Stadt und einer der Heiligen Gründer der Bretagne.

5. Jh. n. Chr.
9. Jh. n. Chr.

Königliche Stadt

Nominoë, Graf von Vannes, wird zum Herzog der Bretagne und gilt als Landesvater der Bretonen. Vannes wird kurzzeitig zur königlichen Stadt.

9. Jh. n. Chr.
10.- 14 Jh. n. Chr.

Normanneneinfall & Bretonischer Erbfolgekrieg

Teilweise Zerstörung von Vannes durch einfallende Normannen. Danach gerät die Stadt zwischen die Fronten des Bretonischen Erbfolgekrieges und wird mehrmals belagert.

10.- 14 Jh. n. Chr.
1379 – 1442

Regierungssitz der Herzöge der Bretagne

Die Herzöge der Bretagne Jean III. und Jean IV. wählen Vannes als bevorzugte Residenz. Während ihrer Regierungszeit wird die Stadtfläche verdoppelt, der Befestigungsring erweitert und das Château de l’Hermine gebaut.

1379 – 1442
Januar 1, 1532

Provinz des französischen Königreichs

Der französische König François I. unterschreibt in Vannes den sogenannten Unionsvertrag. Das Herzogtum Bretagne wird damit offiziell zur Provinz des französischen Königreichs.

Januar 1, 1532
1675-1689

Parlament im Exil

Das bretonische Parlament zieht von der Hauptstadt Rennes nach Vannes ins Exil. Wirtschaftlicher Aufschwung  und Stadtentwicklung durch den Zuzug von etwa 7.000 Personen (Parlamentarier und ihre Angehörigen, die komplette Administration, Handwerker, Baumeister, Händler etc.).

1675-1689
Januar 1, 1795

Französische Revolution und Spaltung der Stadt

Während der französischen Revolution Spaltung der Stadt in Republikaner, die die Oberhand behalten, und aufständische Royalisten und Chouans. In Vannes werden über 700 Revolutionsgegner hingerichtet.

Januar 1, 1795
1940-1944

Deutsche Besatzung & Befreiung

Besatzung durch deutsche Truppen. Nach 1504 Tagen wird Vannes durch die Alliierten befreit.

1940-1944
Januar 1, 2018

Vannes im 21. Jahrhundert

Vannes ist mit 53.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt der Bretagne

Januar 1, 2018

Lieber sterben als besudelt werden oder die Sache mit dem Hermelin

Vannes steht ganz im Zeichen des Hermelins.
Angefangen beim Stadtwappen, über das gleichnamige Schloss mit seinen Gartenanlagen,  Boutiquen, Bronzeplaketten, Fußabtreter, Kühlschrankmagnete oder Schlüsselanhänger, überall stolpert man über den wieselflinken Marder.

Das Wappentier von Vannes, ein Hermelin als Blumenteppich

Einer Legende nach verfolgte ein bretonischer Herzog während seiner Jagd durch die karge Landschaft der Bretagne ein Hermelin in seinem weißen Winterfell mit der typisch schwarzen Schwanzspitze. Als einzige Fluchtmöglichkeit blieb dem edlen Marder nur der Weg durch sumpfiges Gelände. Doch anstatt sein reinweißes Fell zu beschmutzen, hielt er im Angesicht des nahen Todes inne und ergab sich seinen Verfolgern. Zutiefst vom Mut des Hermelins beeindruckt, verschonte der Herzog dessen Leben und erhob es stattdessen zum ethischen Aushängeschild seines Reiches. So wurde „Malo mori quem foedari“ („lieber sterben als besudelt werden“) zum Leitspruch des bretonischen Herzogtums.

Angesichts der Symbolträchtigkeit des Hermelins stellt sich mir einmal mehr die Frage nach der Scheinheiligkeit und Doppelmoral der Menschen. Denn trotz allem Respekt vor der Tapferkeit des Wappentieres, zeigten weder der Adel noch der Klerus Skrupel, die edlen Tiere wegen ihres Fells zu töten. Vielmehr galt ein Hermelinmantel oder Umhang als prestigeträchtige Insigne von Macht und Wohlstand.

Ein Stadtrundgang durch Vannes 

Stadtplan von Vannes am Golfe von Morbihan

Da mir das Hermelin als omnipräsentes Wappentier von Vannes ans Herz gewachsen ist, wird es uns auf dem Bummel durch die historische Altstadt den Weg weisen.

  1. Le Port
  2. Porte und Tour de Calmont
  3. Château de l’Hermine
  4. Les Lavoirs
  5. Tour du Connétable
  6. Les Remparts
  7. Porte Prison
  8. Rue Saint-Guenhaël
  9. Kathedrale Saint Pierre
  10. La Cohue
  11. Place Henri IV.
  12. Place Valencia
  13. Vannes et sa femme
  14. Porte Vincent Ferrier

Mit einem Klick auf das Hermelin im Text kommt Ihr wieder zur Übersicht zurück.

Le Port – Der Hafen

Bereits zu Zeiten der römischen Besiedlung im 1. bis 4. Jahrhundert n.Chr. existierte an dieser Stelle ein Hafen mit Zugang zum Golf du Mor-Bihan (kleines Meer). Danach schweigt sich die Stadtgeschichte über seine Existenz weitgehend aus. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ihm keine bedeutende wirtschaftliche oder gar strategische Bedeutung zukam. Erst im 17. Jahrhundert berichten die Annalen über eine Instandsetzung der rechten und später der linken Uferseite.

Seit einigen Jahren können die Damen und Herren des örtlichen Tourismusbüros die Aussicht auf das langgestreckte Hafenbassin genießen. Von ihrem modernen, lichtdurchfluteten Gebäude auf der östlichen Kaianlage aus, macht es sicherlich Spaß, den munter auf dem Wasser tänzelnden Sportbooten oder Yachten zuzuschauen. Wären da nur nicht solche Touristen wie in Reiselaune mit ihren störenden Fragen, ob es für diesen attraktiven Arbeitsplatz noch offene Stellen gibt.

Yachthafen von Vannes

Direkt in Verlängerung des Yachthafens Richtung Innenstadt finde ich mich mit meiner fixen Idee der Spontanbewerbung um eine Praktikantenstelle im Office de Tourisme bestätigt. Keine 400 Meter trennen nämlich meine Wunsch-Arbeitsstelle vom halbrunden Platz Gambetta, der sich perfekt für eine kleine Kaffeepause zwischendurch oder einen erfrischenden Cidre nach Feierabend anbietet.

Doch genug der Tagträumereien! Bevor mein Koffein-Gen die Oberhand gewinnt, lenke ich meine Schritte besser Richtung Nordosten, um eine der am besten erhaltenen Festungsmauern Frankreichs in Augenschein zu nehmen.

Porte et Tour de Calmont Calmont Stadttor und Turm

Schon der erste Verteidigungsturm, der Tour de Calmont, lässt die Massivität der Befestigungsanlage aus dem 14. Jahrhundert erahnen. Hinter den Mauern des gedrungenen, einstmals dreigeschossigen Rundturms wartete schweres Geschütz auf den Feind. Eine Kanone richtete sich gegen unwillkommene Eindringlingen von Hafen bzw. Golfseite, während ihr Zwilling die danebenliegende Festung des Herzoges der Bretagne sicherte. Zusammen mit dem leicht zurückversetzten Stadttor, dessen Zugbrücke mit einem ausgeklügelten System von Gegengewichten bedient wurde, konnte jeder Angreifer ausreichend auf Distanz gehalten werden.

Heute dürfen sowohl Zwei- als auch Vierbeiner durch die große Toröffnung Richtung Innenstadt schlendern. Früher war dieser Zugang nur den Händlern mit ihren Karren oder den Reitern des Herzogs vorbehalten. Das Fußvolk musste dagegen mit dem engen Durchgang daneben vorlieb nehmen. Unterhalb der jetzigen Holzbohlenbrücke ist ein weiterer Mauerdurchbruch zu erkennen. Hier legten kleinere Frachtboote auf dem direkt vor den Festungsmauern vorbeiplätschernden Fluss Marle an, denn schon damals wussten Händler und Kunden die Vorteile eines „von Haustür zu Haustür-Transports“ zu schätzen.

Château de l’Hermine Hermelin-Schloss

Zeitgleich mit der Erweiterung der Stadtbefestigung um 1380 gab Herzog Jean IV. den Bau einer Festung in Auftrag. Allerdings zog ein Großteil der bretonischen Verwaltung schon ein Jahrhundert später nach Nantes, so dass die herzogliche Residenz verwaist blieb. 1697 gelangte die Anlage als Schenkung des Sonnenkönigs Louis XIV. in den Besitz der Stadt. Damit war das Schicksal des einstigen Schlosses der bretonischen Herrscher besiegelt, denn die Stadtchronik vermerkt, dass 50 Jahre später nur noch 250 Karrenladungen Mauerwerk davon übrig waren. Den Rest hatten die Vannetaiser offiziell zum Ausbau des Hafens verwendet.

Das Château de l’Hermine (Hermelinschloss) war somit Geschichte. Ein überregional berühmter Delikatessenhändler erwarb das Grundstück Ende des 18. Jahrhunderts, um sich den Traum eines Feinkostgeschäfts samt prestigeträchtigem Hotel zu erfüllen. Nach seinem Tod nahm der neue Besitzer umfangreiche Umbauarbeiten vor, die einen gar gruseligen Fund zu Tage förderten. Der Boden des Kellergewölbes war mit unzähligen Katzenknochen übersät, sodass die einstmals hochgelobte Kaninchenpastete des Meistertraiteurs plötzlich einen ganz üblen Nachgeschmack bekam.

Chateau (Schloss) de l'Hermine in Vannes

Anschließend sah das neoklassizistische Gebäude die unterschiedlichsten Eigentümer kommen und gehen. Von der Militärschule über die Finanzverwaltung des Départments bis zur juristischen Fakultät. Seit einigen Jahren werden die großen Räume für temporäre Ausstellungen genutzt. Doch irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Stadt nicht wirklich weiß, was sie mit dem geschichtsträchtigen Gebäude anfangen soll.

Les Lavoirs de la Garenne Waschhäuser an der Garenne

Die Steinbrücke, die von der Promenade Garenne zum eher unscheinbaren Stadttor Porte Poterne führt, ist der Foto-Hotspot von Vannes. Von hier aus genießt man den besten Ausblick auf das malerisch an der Flussschleife der Marle gelegene, öffentliche Waschhaus. Das langgestreckte, perfekt dem kurvigen Flussverlauf angepasste Fachwerkhaus ist ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Es entstand etwa um 1820, wurde noch bis Mitte des letzten Jahrhunderts aktiv genutzt und erst 2006 umfassend renoviert.

Wäschewaschen war früher Schwerstarbeit. Ein Knochenjob, der vielen Dienstmädchen die Gesundheit kostete. Auf Knien schrubbten sie die Wäsche auf sogenannten Waschsteinen im aufgestauten Fluss. Anschließend breiteten die Wäscherinnen das nasse und schwere Waschgut bei schönem Wetter zum Trocknen auf dem Gelände am Fuße der Stadtmauer aus. Aber auch für die kältere Jahreszeit war vorgesorgt. Dann wurde die Wäsche entweder direkt unter dem Schutz des tiefgezogenen Schieferdachs oder gegen eine Gebühr in den eigens dafür vorgesehenen Trockenräumen aufgehängt.

Tour du Connétable Connétable-Turm

Könnten Steine sprechen, dann hätte der höchste Turm des Befestigungsringes einiges zu erzählen. Während die unteren Etagen mit Kasematten und Kanonen ausgestattet waren, dienten die oberen drei Stockwerke dem Wohnkomfort des Oberbefehlshabers der herzoglich-bretonischen Streitkräfte.

Tour du Connétable und Remparts (Stadtbefestigung) von Vannes

Im 17. Jahrhundert die militärischen Konflikte allmählich in den Hintergrund. Deshalb brachte man hinter den massiven Mauern des einstigen Verteidigungsbollwerks der östlichen Stadtmauer „Mädchen mit schlechtem Lebenswandel“ und geistig instabile Personen unter. Doch mit Ausbruch der französischen Revolution stieg die Nachfrage nach befestigten Strafanstalten plötzlich exponentiell an. Um die wesentlich gefährlicheren Widersacher der Liberté-Egalité-Fraternité-Bewegung sicher hinter Gittern zu wissen, quartierte man die untugendhaften Frauen kurzerhand um.

Les Remparts Die Stadtbefestigungen

Dreiviertel seiner mittelalterlichen Befestigungsanlagen konnte die Stadt Vannes bis ins 21. Jahrhundert hinüberretten. Auch wenn knapp die Hälfte davon (vor allem im Norden und Westen des Stadtzentrums) ver- oder zugebaut wurde, gehören die 500 Meter zwischen der Porte Calmont und der Porte Prison mit Fug und Recht zum touristischen Aushängeschild der Stadt.

Mit einem großangelegten militärarchitektonischen Aufrüstungsprojekt verdoppelte der bretonische Herzog Jean IV. gegen Ende des 14. Jahrhunderts die Grundfläche der ummauerten Stadt auf 10 Hektar. Neben fünf zusätzlichen Stadttoren gehörte zum Festungsring auch der neu geschaffene Herrschaftssitz, das Château de l’Hermine. Dadurch hatte sich Vannes im ausgehenden Mittelalter zum Vorzeigeobjekt der Herzöge der Bretagne entwickelt.

Tour du Connétable und Les Jardins des Remparts in Vannes

Mit dem Ende der Hugenottenkriege verlor die Stadtmauer von Vannes ihre eigentliche Zweckbestimmung. Dafür diente sie als kostenfreier Steinbruch. Im vorletzten Jahrhundert hatte schlussendlich auch der Wassergraben zwischen Festungsring und gegenüberliegendem Wall ausgedient. Er wurde zugeschüttet, jedoch misslang die vollständig Trockenlegung, die für eine sichere Bebauung notwendig war. Das Terrain erwies sich dafür als besonders fruchtbar. Also machte man aus der Not eine Tugend und legte stattdessen Obst- und Gemüsegärten an.

1950 entstand dann die wunderschön gepflegte, barocke Gartenanlage. Besonders an lauen Sommerabenden, wenn die Festungsmauern effektvoll angestrahlt werden, lockt sie Touristen als auch Einheimische gleichermaßen in Scharen an. 

Porte Prison Gefängnistor

Porte Prison Vannes

Beim Anblick des ältesten Tores der Stadt bin ich mir sicher, dass die Vannetaiser im Mittelalter gut schlafen konnten. Definitiv war an dieser Stelle des Befestigungsringes kein Durchkommen für den Feind. Imposant, wuchtig, abweisend sind nur einige Adjektive, die dem Stadttor heute immer noch gerecht werden, obwohl es vor knapp 140 Jahren den Südturm wegen Altersschwäche einbüßte. Allein die beeindruckenden Vorrichtungen für das Fallgitter sowie der Ring von Maschikulis sprechen für sich.

Ähnlich wie bei der Porte Calmont öffne(te)n sich auch in diesem Fall zwei Durchgänge zur Innenstadt, wobei der extrem enge Mauerdurchbruch zur Linken keinem architektonischen Fehler, sondern der raffinierten Überlegung geschuldet ist, derart den Zugang effizienter kontrollieren zu können. 

Der Name „Gefängnistor“ für die einstige Porte St. Patern stammt aus der Zeit der Französischen Revolution. Royalisten, Chouans (königstreue Katholiken) und Geistliche verbrachten 1795 in den dunklen Gewölben des Turms ihre letzten Stunden, bevor sie, des Hochverrats an der jungen Republik angeklagt, der Tod durch Erschießen ereilte.

Rue Saint-Guenhaël 17/19

mittelalterliches Fachwerkhaus aus dem 13. Jahrhundert in Vannes

Nach der Porte Prison beginnt die eigentliche Zeitreise zurück ins mittelalterliche Vannes, denn rund um die Kathedrale Saint-Pierre reiht sich in den engen, kopfsteingepflasterten Gassen ein Fachwerkhaus an das nächste.

Eines sticht dabei ganz besonders heraus. Das sandfarbene Eckhaus an der Ecke Rue Guenhaël / Rue de la Bienfaisance. Archäologische Untersuchungen ergaben, dass das vierstöckige Gebäude mit der Basis aus Mauerwerk und zwei überkragenden Geschossen aus Fachwerk, bereits Ende des 14. Jahrhunderts entstand. Demzufolge darf es sich mit dem Prädikat „älteste Privathaus der Stadt Vannes“ schmücken.

Und weil aller guten Dinge drei sind, gibt es noch ein kniffliges Rätsel obendrauf.
Die beiden gut erhaltenen Eckkragsteine des Wohnhauses zeigen das Antlitz einer Frau und darunter dasjenige eines Ritters. Direkt gegenüber dem Gebäude befindet sich der einst nur für den bretonischen Herzog reservierte Zugang zur Kathedrale. Ob hier wohl ein Zusammenhang besteht?

Cathédrale Saint Pierre Kathedrale Saint Pierre

Die Kathedrale von Vannes befindet sich am höchsten Punkt der Altstadt.
Ihr unübersehbarer Stilmix spiegelt die unterschiedlichen Bau- und Erweiterungsphasen wieder, die sich über annähernd 600 Jahre erstreckten.

Aus dem 13. Jahrhundert und damit zu den ältesten Elementen romanischen Ursprungs zählen der Glockenturm und die Arkadenreste entlang der Nordwand. 1419, mit dem Tod des Heiligen Vincent Ferrier, dem wir später auf unserem Rundgang durch die Stadt ein weiteres Mal begegnen, stieß das Gotteshaus räumlich an seine Grenzen. Folglich musste ein Neubau her, der die Pilgerscharen, die nach Vannes strömten, um die Reliquien des katholischen Mönchs zu verehren, aufnehmen konnte. 

Zunächst entstanden das gotische Hauptschiff und die Sakristei. Etwa einhundert Jahre später wurde das Querschiff sowie die Renaissance-Rundkapelle  des Heiligen Sakraments hinzugefügt. Weitere zweihundert Jahre zogen ins Land bevor man Chor und Gewölbe vollendete. Zu guter letztfand das Bauwerk mit dem zweiten Spitzturm im Süden und der neogotischen Westfassade seinen Abschluss.

La Cohue Markt und Parlament La Cohue

Rund um die Kathedrale und den vorgelagerten Place Saint-Pierre spielte sich das klerikale, politische und wirtschaftliche Leben im Mittelalter ab. Besonders im imposanten Fachwerkhaus mit der senfgelben Fassade gegenüber dem Hauptportal der Kathedrale herrschte damals ein reges Kommen und Gehen. Im Erdgeschoss wurde, wie uns der bretonische Name „Cohue“ (dt. Gedränge, Gewühl) verrät, eifrig Handel getrieben. Zahlreiche Geschäfte und Marktstände hatten sich in dem zur Place St. Pierre auf der Vorderseite und der Rue des Halles zur Rückseite hin offenen Gebäudes eingerichtet.

Das Obergeschoss hingegen war der Rechtsprechung und den großen politischen Entscheidungen vorbehalten. Die Herzöge der Bretagne hielten hier ab dem 13. Jahrhundert Gericht, später tagte die Ständeversammlung in den Räumlichkeiten, bevor sich das bretonische Parlament von 1675 bis 1689 hierher ins Exil zurückzog. Nach einer umfassenden Renovierung in den 1970er Jahren beherbergt La Cohue heute das Museum der Schönen Künste mit ausgesuchten Werken französischer Künstler.

Place Henri IV. Platz Heinrich IV.

Der von sorgfältig restaurierten Fachwerkhäusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert umsäumte, rechteckige Platz gilt als das eigentliche historische Zentrum der Stadt. Wo heute kleine Cafés mit Blick auf die Kathedrale zum Verweilen einladen, wechselten im ausgehenden Mittelalter Tuch- und Wollstoffe ihre Besitzer, bevor um 1860 Vogelhändler mit dem Gezwitscher ihrer Finken und Stieglitze den Platz mit Leben erfüllten.

Besonderes Augenmerk verdient das ein wenig windschiefe Eckhaus Nummer 5 (place Henri IV / 2, rue St. Salomon) mit dem ockerfarbenen Fachwerk. Es datiert aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und zählt folglich zu den ältesten Gebäuden der Stadt.

Place Valencia – Valencia-Platz

Weiter geht es mit dem Mittelalter-Feeling in der Rue Saint Salomon über die Rue des Halles bis zum Place Valencia. Gleich zwei Vanneteser Institutionen teilen sich hier die Aufmerksamkeit der Touristen. Zum einen die Wahrzeichen der Stadt, Vannes et sa femme und zum anderen die Skulptur des Heiligen  Vincent Ferrier.

Der Wanderprediger mit dem glühenden Blick

Der Dominikanermönch mit den spanischen Wurzeln wurde 1418 von Herzog Jean V. höchstpersönlich an den bretonischen Hof nach Vannes gerufen. Er erhielt den Auftrag, das durch Kriege und Hungersnöte gepeinigte bretonische Volk moralisch wieder aufzurichten. Mit seinem Charisma sollte er die Bretonen zu einem starken Glauben zurückzuführen. 24 Tage hintereinander predigte Vincent Ferrier deshalb voller Inbrunst auf dem Place des Lices, dem ehemaligen Turnierplatz der Stadt. Danach zog er sich in das Hinterhaus des Gebäudes mit der Nummer 17 an der Ecke Rue Noé / Rue Pierre-René-Rogue zurück und verstarb am 05. April 1419 an völliger Erschöpfung.

Statue Vincent Ferrier an der Place Valencia in Vannes

Bei den Wundern und Legenden, die man sich über den Heiligen erzählt, frage ich mich natürlich, ob dem Brunnen in der Nähe seines Hauses eine besondere symbolische Bedeutung zukommt. Der Wanderprediger soll einer verzweifelten Frau, die sich bei ihm über ihren gewalttätigen Mann beschwerte, Wasser aus einem Klosterbrunnen mit nach Hause gegeben haben. Er wies die Frau an, sie solle, sobald der Mann ins Haus trete, einen Schluck von dem Wasser in den Mund nehmen, aber nicht hinunter schlucken. Und siehe da, der Mann verhielt sich lammfromm. Am nächsten Tag eilte die Frau zu Vincent Ferrier zurück, um ihm für das Wunderwasser zu danken. Der Mönch lächelte nur milde. „Nicht das Wasser hat das Wunder bewirkt, sondern Dein Schweigen. Mit dem Wasser im Mund konntest Du Deinem Mann keine Widerworte geben und ihn nicht provozieren.“

Für diese frauendiskriminierende Bauernschläue muss ich dem Heiligen doch glatt ein paar Sympathiepunkte abziehen.

Vannes et sa femme – die Maskottchen der Stadt

Granitskulptur Vannes et sa femme

An der Hausecke 3, Rue du Bienheureux Pierre-René-Rogue / Rue Noé haben seit dem 16. Jahrhundert Monsieur Vannes und seine Frau das Geschehen auf dem kleinen Platz fest im Blick. Bis heute spekuliert man, welche Art von Klientel  die beiden polychromen Granitskulpturen in ihr Eckhaus zu locken versuchten. Von einem Theater ist die Rede, doch nichts genaues weiß man nicht, zumal mit dem Verlust ihrer Hände jeder mögliche Hinweis ebenfalls verloren gegangen ist. Auch der tatsächliche Name der beiden Geschäftsleute wird wohl nie mehr gelüftet werden. Also adoptierte die Stadt das Ehepaar und vermarktet es seither gekonnt als Maskottchen von Vannes.

Porte Vincent Ferrier – Stadttor Vincent Ferrier

Über den Places de Lices, den heutigen Markt und mittelalterlichen Schauplatz von Turnieren und Hinrichtungen, geht es weiter über den Platz der öffentlichen Waage (Place du Poids public) durch das Stadttor Saint Vincent zurück zu unserem Ausgangpunkt.

Porte Saint Vincent in Vannes

Ursprünglich war das Stadttor über eine Zugbrücke direkt mit dem Hafen verbunden, wodurch die Hafenarbeiter und Lastenträger nach Entladen der vollbeladenen Kähne direkten Zugang zum Marktplatz hatten. Nachteilig allerdings für die Bausubstanz des Tores, das durch den Gezeitenwechsel beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Mitte des 18. Jahrhunderts musste der alte Bau deshalb weichen, und der barock-klassizistische Durchgang entstand.

Auf der dem Hafen zugewandten Seite erinnert ein großformatiges Reliefbild an ein entscheidendes Ereignis in der Geschichte der westfranzösischen Halbinsel. Zwei aufrecht, nur auf einer Hinterpfote stehende Windhunde präsentieren stolz das Stadtwappen von Vannes. Die bretonische Ständeversammlung machte die beiden flinken Tiere in natura dem französischen König François I. zum Geschenk, als dieser sich im August 1532 in der Hafenstadt aufhielt. Anlass dafür war die Unterzeichnung des sogenannten Unionsvertrages, wodurch das autonome Herzogtum der Bretagne offiziell als Provinz dem französischen Königreich angegliedert wurde. Nur einige wenige Privilegien wie die selbständige Verwaltung der Steuereinnahmen oder die Jurisdiktion unterlagen nicht der Zentralmacht des Königs.

Oberhalb des Stadtwappens mahnt seit 1891 der Heilige Vincent Ferrier in seiner Nische mit erhobenem Arm und Zeigefinger zu einem gottesfürchtigen und tugendhaften Leben in Arbeit und Gebet. Es bleibt zu hoffen, dass der Heilige niemals einen Schwächeanfall erleiden und seinen Arm senken wird. Ein Aberglaube besagt nämlich, dass wenn dies geschieht, die Stadt Vannes unrettbar in den Fluten des Golfe du Morbihan versinken würde.

Damit dies zumindest am heutigen Tage nicht mehr geschieht, schicke ich zum Abschied dem Heiligen ein kurzes Stoßgebet empor.

Stadtbefestigung mit Blick auf die Kathedrale von Vannes

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