Strassburg Place Kleber mit Weihnachtsbaum
Straßburger Spaziergänge,  Typisch Straßburg

Elsässische Weihnacht Teil 1 – der Weihnachtsbaum


Es ist Advent

Die Blumen sind verblüht im Tal, die Vöglein heimgezogen;
Der Himmel schwebt so grau und fahl, es brausen kalte Wogen.
Und doch nicht Leid im Herzen brennt: Es ist Advent!

Friedrich Wilhelm Kritzinger (1816-1890), Theologe

Ja, es ist Advent! Ich schaue aus dem Fenster und der Himmel bietet in der Tat nur triste Grautöne. Doch immerhin haben sich heute die wattebauschigen Nebelschwaden, die sich häufig vom Rhein her tief über Strasbourg senken, ein anderes Ziel gesucht. Somit ist es genau der richtige Zeitpunkt, um mich ein wenig in der der Weihnachtshauptstadt Europas umzuschauen und auf die Suche nach den besonderen Traditionen in der selbst ernannten Capital de Noël zu machen.

Ihr dürft Euch deshalb in den kommenden Wochen immer wieder auf eine spannende Geschichte rund um das Thema Weihnachten im Elsass freuen. Macht es Euch nun gemütlich auf der Couch, kuschelt Euch mit einer heißen Tasse Glühwein oder vin chaud in eine warme Decke ein und begleitet mich in Gedanken auf der Erkundungstour durch das stimmungsvolle Straßburger Winter Wonderland.

Der Weihnachtsbaum – de Wihnàchtsboem

Mich zieht es heute als Erstes auf den Hauptplatz der Altstadt, den Place Kléber. Hier wird nämlich gerade die Ikone der Straßburger Weihnacht, der riesige Weihnachtsbaum, in Szene gesetzt. Bereits Ende Oktober wurde die 30 Meter hohe, sieben Tonnen schwere und 80 Jahre alte Tanne in der lothringischen Region Meurthe-et-Moselle gefällt. Eine Woche später fand sie dann an ihrem finalen Bestimmungsort Aufstellung.

Schon an den Gardemaßen lässt sich ablesen, dass bei der Auswahl des Baums der Bäume nichts dem Zufall überlassen wird. Ab März durchstreift der Forstmeister der nationalen Forstverwaltung ONF die Vogesenwälder, um die ideale Tanne zu finden. Dabei bezieht sich das Kriterium ideal nicht nur auf die Größe und einen gleichmäßigen Wuchs. Auch die Lage für das Schlagen sowie die Zugänglichkeit für den Abtransport sind mitentscheidend. Nach 120 Stunden harter Arbeit ist der Baum dann in der Regel reisefertig. Doch erst nachdem der immergrüne Riese fest im Boden auf der Place Kléber einbetoniert ist, beginnt die aufwendigste Phase.

Auch ein Weihnachtsbaum braucht ein Team von „Maskenbildnern“

Strassburg Place Kleber; Dekorieren des grossen Weihnachtsbaums

Um kahle Stellen zu kaschieren und ihm mehr Fülle zu verleihen (nobody is perfect), wird de Wihnàchtsboem, wie ihn die Elsässer nennen, mit etwa 80 buschigen Zweigen anderer Tannen aufgepimpt. Anschließend geht es ans Schmücken. Für die ein Dutzend Heinzelmännchen im Baum gibt es jetzt alle Hände voll zu tun. Innerhalb von zwei Wochen müssen sieben Kilometer Lichterketten, 180 Leuchtmotive, 150 Kugeln mit beachtlichen 65 Zentimeter Umfang, 100 Holzsterne sowie 60 stilistische Metallkathedralen müssen bis zur diesjährigen offiziellen Eröffnung des Weihnachtsmarkts am 26. November in luftiger Höhe angebracht werden.

Es bleiben also nur noch wenige Tage, bis der prächtig geschmückte Tannenbaum in hellem Glanz vom Place Kléber über die Gassen und Dächer der Altstadt hinweg erstrahlen wird. Und sein edles weiß-goldenes Outfit wird schnell vergessen lassen, dass er zum ersten Mal nicht als höchster Weihnachtsbaum in der Region Grand Est glänzen kann. Um 50 Zentimeter hat ihm dieses Jahr tatsächlich sein Kollege aus dem oberrheinischen Neuf-Brisach den Rang abgelaufen. Das nenne ich mal ganz schön spitz“nadel“findig.

Der Weihnachtsbaum im Wandel der Jahrhunderte

Wenngleich das Aushängeschild der Straßburger Weihnacht vorübergehend einen Superlativ-Titel abgeben muss, so hat er doch nach wie vor die Nase in Sachen älteste dokumentierte Erwähnung vorn. Diese stammt aus dem Jahr 1492. Während Kolumbus also um die halbe Welt segelte und Amerika entdeckte, verzeichnete die Straßburger Münsterbauhütte in ihren Chroniken den Kauf von neun Tannen, um die Pfarrkirchen der Stadt zu schmücken und so das neue Jahr zu feiern.

Gemaelde Vorweihnacht von Franz Krüger; ca. 1857

Die einfachen Leute hatten sich allerdings mit „gryn tannriß“, sprich Tannenzweigen zum Schmücken von Haus, Hof und Stall zu begnügen, wie der Straßburger Humanist Sebastian Brandt 1494 in seiner Moralsatire „Das Narrenschiff“ kundtut. Offensichtlich konnte sich damals nicht jedermann einen ganzen Baum leisten, zumal sich die Wälder überwiegend im Besitz von Klöstern, Adligen oder Städten befanden. Um unerwünschtem Baumschwund vorzubeugen, gab die Gemeinde Schlettstadt (Sélestat) im Jahr 1521 sogar vier Schilling für einen Forstmeister zur Beaufsichtigung des städtischen Tannenwalds aus. Andernorts behalf man sich in den sozial schwächeren Schichten mit Stechpalmen, Eiben oder Buchsbäumchen als Alternative zum Tannenbaum.

Protestantischer Weihnachtsbaum versus katholische Krippe

Benjamin Zix; 1806; Gravur Er Schlaft
Benjamin Zix; Gravur 1806;
Cabinet des Estampes et des Dessins Strasbourg

Ab dem 17. Jahrhundert spiegelte sich der gesellschaftliche Wandel mit einem wirtschaftlich erstarkten Bürgertum auch zur Adventszeit wieder. Der Christbaum wurde salon- bzw. stubenfähig. Vor allem in der protestantischen Bevölkerung fand das Brauchtum des Baumaufhängens eine breite Anhängerschaft. Allein schon, um sich von den Katholiken abzuheben, die nicht von der Tradition des Krippeaufstellens abrückten.
Und ja, das Baumaufhängen ist genauso gemeint. Entweder kopfüber oder in Wuchsrichtung. Damit hielt man einerseits unerwünschte Nager vom essbaren Baumschmuck fern und löste andererseits das Problem der Raumknappheit in der guten Stub.

Weitere einhundert Jahre vergingen, bis sich die Begeisterung für den geschmückten Nadelbaum europaweit durchsetzte. 1738 ließ die Gattin des französischen Königs Louis XV., Maria Leszczyńska erstmals das Schloss von Versailles damit dekorieren und auch Johann Wolfgang von Goethe leistete seinen Beitrag zur Verbreitung des Christbaums. In den „Leiden des jungen Werther“ verarbeitete er mit Sicherheit die 1770/71 während seines Studienaufenthaltes in Strasbourg gemachten Eindrücke, als er den Protagonisten von dem Vergnügen und den Zeiten reden lässt, „da einen die unerwartete Öffnung der Tür und die Erscheinung eines aufgeputzten Baumes mit Wachslichtern, Zuckerwerk und äpfeln in paradiesische Entzückung setzte.“

Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts konnten sich auch die katholischen Familien für den Christbaum erwärmen. Nur der Vatikan zögerte noch bis ins Jahr 1982, ehe er diesem „profanen“ Weihnachtssymbol einen Platz vor dem Petersdom einräumte.

Eine kleine Fichte macht Karriere

Doch wie kam es eigentlich dazu, dass die Tanne zu einem der traditionellsten Sinnbilder der Weihnacht wurde?
In Anbetracht der jahrhundertelangen Antihaltung des Vatikans gegenüber dem geschmückten Nadelbaum muss man wohl an der weitverbreiteten Legende des Heiligen Bonifatius zweifeln. Diese datiert den Ursprung des Christbaums bereits in das 8. Jahrhundert, als sich Bischof Bonifatius auf Missionarsreise durch das Germanische Reich befand.

Bei der heidnischen Bevölkerung stand damals Thor, der Herr über Blitze und Donner, hoch im Kurs. Um ihm zu huldigen, brachten die Germanen dem nordischen Gott regelmäßig Menschenopfer an der Donar-Eiche dar. Ein barbarisches Ritual, dem Bonifatius durch Fällen der Eiche ein Ende bereitete. Das heidnische Kultobjekt hinterließ eine Schneise der Verwüstung im Wald, der nur ein einziger Baum widerstand. Eine kleine Fichte. Daraufhin segnete Bonifatius den immergrünen Nadelbaum als göttliches Zeichen für das ewige Leben und die Dreifaltigkeit. Doch damit nicht genug. Als Erinnerung an das Paradies sowie den ständigen Kampf der Unschuld gegen die Versuchung schmückte er die Fichte mit roten Äpfeln und gab ihr den Namen „Baum des Christuskindes“.

So oder ähnlich mag sich der vermeintliche Karrierestart des Christbaums vor etwa 1300 Jahren zugetragen haben. Übrigens darf man heute überhaupt noch Christbaum sagen, ohne gleich in eine diskriminierende Sprachfalle zu tappen?

Vom christlichen Symbolträger …

Auf jeden Fall setzte sich die Tradition des Baumschmückens mit roten Äpfeln bis weit ins Mittelalter in den sogenannten Paradiesspielen fort. Immer an Heiligabend wurde in den Kirchen die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden aufgeführt. Im Mittelpunkt des Schauspiels stand ein mit Äpfeln geschmückter Nadelbaum als Mahnung an die Erbsünde, die nur durch die Geburt Christus als Erlöser überwunden wurde.

Um zum sündigen Paradiesapfel ein positives Gegengewicht zu schaffen, befestigte man früher häufig ungeweihte Hostien am Christbaum. Dementsprechend ist in einem Dokument aus dem Jahre 1605 zu lesen: „Auff Weihnacht richtet man zu Straßburg in den Stuben Dannenbäume uff. Daran henket man Roßen auß vielfarbigem Papier geschnitten, Aepfel, Oblaten und Zucker“. Die vorgenannten Papier-Rosen besaßen gleichfalls einen biblischen Bezug. Sie verkörperten die blühende Wüste aus Jesaja Vers 35 und damit die Herrlichkeit des Reich Gottes. Während die „Roßen“ wieder außer Mode kamen, setzten sich die Nüsse als beliebter Baumschmuck durch. Schwer zu knacken, waren sie die ideale Metapher für das Rätsel um Gottes Plan für die Menschheit.

Hinzu gesellten sich Strohsterne, die ihre Existenz als Dekorationselement einer Legende um einen Hirten auf einem Strohsack verdanken. Der arme Hütejunge machte gerade sein Nachtlager zurecht, als er den Stern von Bethlehem am Himmelszelt erblickte. Schnellstens wollte er dem Christuskind zur Geburt ein Geschenk darbringen. Doch außer einem Sack voll Stroh besaß er nichts. Inspiriert vom Sternenhimmel entstand so der Strohstern.

Selbst den Kerzen, die 1611 nachweislich zum ersten Mal an den Tannenbaum gesteckt wurden, schrieb man eine religiöse Bedeutung als Licht, das mit der Geburt Christi am Weihnachtstag in die Welt kam, zu. Diese Assoziation mag sich lange gehalten haben, doch spätestens die erste elektrische Christbaumbeleuchtung 1901 entmystifizierte diese Vorstellung.

…  zum dekorativen Trendsetter

Über die Jahrhunderte entfernte sich der Christbaumschmuck mehr und mehr von religiös konnotierten Motiven zu weltlichen Gegenständen. Lametta als Eiszapfenimitation waren eine Zeit lang hip, ebenso wie mit Bildchen beklebte Lebkuchen, Papierfiguren, Girlanden oder Blechspielzeug. Viele Trends kamen und gingen. Manche davon entstanden sogar aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus.
1857-1858 überzog eine heftige Dürreperiode das Elsass, in deren Folge die Ernten katastrophal gering ausfielen. Dank eines pfiffigen Glasbläsers aus Meisenthal in den Nordvogesen blieben die Weihnachtsbäume in diesen entbehrungsreichen Jahren dennoch nicht ohne roten Zierschmuck. Anstelle der roten Äpfel setzten sich fortan Glaskugeln als Weihnachtsschmuck durch. Und selbstverständlich dürfen bis heute an keinem Wihnàchtsboem die Bredele, das berühmte elsässische Weihnachtsgebäck, in all ihren Geschmacks- und Formvarianten, fehlen. 

Der 2017-er Fluch

So, inzwischen haben auf der Place Kléber beinahe alle Dekorationselemente am großen Straßburger Sapin de Noël ihren perfekten Platz gefunden. Die kritischsten Arbeitsschritte sind gemeistert, die Mitarbeiter des Forstamts und der künstlerische Direktor der Weihnachtshauptstadt können aufatmen. Der 2017-er Fluch scheint tatsächlich gebannt zu sein. Ein Albtraumjahr für alle Beteiligten.

Drei Anläufe brauchte es damals, bis der finale Baum stand. Der Favorit brach noch an Ort und Stelle im Wald beim Verladen entzwei. 36 Meter Höhe und 12 Tonnen Gewicht waren dann doch des Guten zu viel. Der schnellstens herbeigeschaffte Ersatzkandidat stand schon fest einbetoniert an seinem Platz, als man einen Riss im Stamm entdeckte. Aus Sicherheitsbedenken entschieden sich die Verantwortlichen, ihn wieder abzubauen. Um das Debakel zu verharmlosen, machte man von offizieller Seite einen Weihnachtskobold für das Desaster verantwortlich. Zur glaubwürdigen Bestätigung dieser fantasiereichen Theorie sprang dann tatsächlich ein verkleideter Kobold vor dem Auseinandersägen aus dem Baum, hüpfte wutentbrannt wie Rumpelstilzchen auf dem Platz herum und ward seither nie mehr gesehen. 

50.000 Euro kostete die gesamte Aktion. Eine gewaltige Summe, die natürlich die kontroversen Diskussionen um den Sinn und Zweck des Schlagens jahrzehntealter Weihnachtsbäume neu befeuerten. Ist diese Tradition sowohl aus ökologischer als auch sozialpolitischer Sicht überhaupt noch vertretbar? Sollte man das städtische Weihnachtsbudget nicht sinnvoller in soziale oder karitative Programme investieren? Mit Sicherheit! Dennoch wäre auch für mich, wie für viele Straßburger in der Adventszeit, der Kléberplatz ohne seine hell strahlende Galionsfigur kaum denkbar. Aber vielleicht waren die Ereignisse 2017 dennoch ein Zeichen. Für mehr Demut und mehr Bescheidenheit. Das würde uns in vielen Bereichen guttun.

Strassburg Place Kleber mit Weihnachtsbaum; © Paul Prim; 2018
© Paul Prim; 2018

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