Westfassade Kathedrale von Strasbourg
Münstergeschichten,  Straßburger Spaziergänge

Die Reiterkönige am Straßburger Münster


Das Straßburger Münster ist mit seiner emblematischen Silhouette nicht nur das Wahrzeichen der elsässischen Grenzstadt, sondern zählt auch zu den beeindruckendsten christlichen Sakralbauten Europas. Allein an der 66 Meter hoch aufschießenden Westfassade mit der wunderschönen Fensterrose kann man Stunden mit Staunen, Gucken und nochmal Staunen verbringen.

Jeder Zentimeter der in Stein gehauenen Bibel aus Pfeilern, Arkaden, Archivolten, Giebelfeldern erzählt eine Geschichte, in der man Propheten, Aposteln, Engeln, Märtyrern weisen und törichten Jungfrauen, der Tugend und dem Laster sowie Jesus auf seinem Lebens- und Leidensweg begegnet. Doch Moment einmal! Wer hat denn da im zweiten und dritten Gebäudeabschnitt in den Nischen der Stützpfeiler Aufstellung bezogen? Ein 20-köpfiges Defilee gekrönter Häupter mit dem Zepter in der Hand trabt und galoppiert zwischen der Versammlung an Heiligen und Sündern hin und her.

Was treibt die Könige und Kaiser hier am Gotteshaus um? Sind sie auf der Suche nach ewiger Vergebung und hoffen so dem Himmel ein Stückchen näher zu kommen? Oder haben sie sich, unter dem Vorwand die herrliche Aussicht auf die Gassen der Altstadt zu genießen, gar zum Geheimtreffen mit dem Ziel einer politischen Verschwörung verabredet? Ja, ich weiß. Die Fantasie geht mal wieder mit mir durch. Dennoch könnte man aus diesem fiktiven Stoff(faden) einen spannenden historischen Roman stricken (mir kommen da sofort das Erlkönig-Manöver und das Hamlet-Komplott von Robert Löhr in den Sinn). Doch zurück zum Boden der annähernden Tatsachen und der vermeintlichen Wahrheit.

Westfassade Kathedrale von Strasbourg

Die „führnehmsten“ drei Könige

Im 12. Jahrhundert geriet der Münsterbau ein ums andere Mal ins Stocken. Wiederkehrende Brände, wechselnde Baumeister und ein ambitionierter Neustart leerten die Münsterkassen im Handumdrehen. Zeit für drei heroische Könige in Aktion zu treten. Sie besaßen allesamt unendliche Reichtümer und ein gütiges, frommes Herz. Als sie von den finanziellen Engpässen der Kathedrale erfuhren, beschenkten sie die Kirche mit unermesslichen Schätzen. Jedoch war es nie genug. Der Bau verschlang das ganze Vermögen der Könige.

Aber die gläubigen Monarchen ließen sich davon nicht abschrecken. Sie wussten, dass das letzte Hemd keine Taschen hat und einzig und allein die guten Taten mit dem Himmelreich belohnt wurden. Bettelarm zogen sie durchs Elsass, um die Bevölkerung um Spenden für den Bau der Kathedrale zu bitten. Dabei spannten sie sich sogar selbst vor den Karren, um keine Mittel für Pferde oder Futter ausgeben zu müssen. Das einfache Volk war von den edelmütigen Königen schwer beeindruckt, sodass enorme Summen zu Ehren der Jungfrau Maria zusammenkamen. Das Münster reifte zu immer größerer und schönerer Blüte und die drei anonymen Könige lebten arm, aber glücklich und zufrieden, bis man sie am Lebensende mit Pauken und Trompeten im Paradies willkommen hieß.

Soweit die Legende. Nun zur Wahrheit. (?)
Eine Chronik berichtet, dass man sich im Jahr 1291 im Straßburger Stadtrat dafür entschied „alle führnehmsten könige, so statt und land die grossen Gutthaten gethan, ihre bildnisse auf triumphpferde“ zu setzen. Gesagt getan. Die Wahl fiel auf drei Monarchen, die sich als besondere Gönner der Kirche, Kathedrale bzw. der Stadt hervorgetan hatten: Chlodwig I., Dagobert I. und Rudolf von Habsburg.

Schaureiten an der Westfassade

Majestätisch thronen die drei Könige auf stattlichen Rössern unter den eigens für sie angefertigten Baldachinen. Manche Pferde strecken dabei keck ihre Köpfe über die Stützpfeiler hinaus. Sie wittern den frischen Wind, der ihnen in luftiger Höhe um die Nase weht. Doch Achtung! Ein falscher, unbedachter Tritt und der Abgrund mit dem ewigen Pferdehimmel wartet auf dem Münstervorplatz.

Die Herrscher wurden von den Baumeistern prachtvoll mit Krone, Schwert und Zepter als Zeichen ihrer Königswürde ausgestattet. Letzteres wurde ihnen während der Französischen Revolution in hohem Bogen abgeschlagen. Zum Glück fiel dem Bildersturm nur die Insigne der Macht zum Opfer und nicht gleich Ross und Reiter. So konnten die Schäden nach 1811 durch kleinere Eingriffe wieder behoben werden.

Um nun herauszufinden, inwiefern sich gerade diese drei Gutmenschen Chlodwig, Dagobert und Rudolf ihren prominenten Platz auf der Schauseite der Kathedrale verdient haben, schauen wir uns doch ein wenig in ihrem Leben um.

Chlodwig I. und sein Bekehrungserlebnis

Merowingerkoenig Chlodwig I.

Für mich beginnt die Geschichte Frankreichs mit Chlodwig, der vom Stamm der Franken zum König von Frankreich gewählt wurde und der Frankreich seinen Namen gab. […] Das entscheidende Element für mich ist, dass Chlodwig der erste König war, der sich christlich taufen ließ. Mein Land ist ein christliches Land und für mich beginnt die französische Zeitrechnung mit der Thronbesteigung eines christlichen Königs, der den Namen der Franken trägt.„, so lautete das Urteil Charles de Gaulles über Chlodwig I. Zweifelsfrei eine eindeutige, wenn auch sehr reduzierte Sicht auf den Gründer des Fränkischen Reiches aus dem Geschlecht der Merowinger. Nichtsdestotrotz umreißt sie in wesentlichen Zügen die Verdienste Chlodwigs für seine Reiterfigur am Straßburger Münster.

Allerdings darf man nicht vergessen, dass hinter diesem mächtigen Herrscher im nördlichen Stützpfeiler seine unsichtbare, aber nicht minder starke Frau Chlothilde stand. Die Prinzessin von Burgund war in Gegensatz zu ihrem heidnischen Gatten in christlichem Glauben getauft und erzogen worden. Eifrig war sie bemüht, ihren Mann zum Glaubensübertritt zu bewegen, doch vergeblich. Erst die Ereignisse der Schlacht von Zülpich im Jahre 496 brachte das entscheidende Bekehrungserlebnis. Angesichts einer drohenden Niederlage gelobte der Frankenkönig, sich taufen zu lassen, falls es ihm gelang, die alemannischen Truppen doch noch in die Flucht zu schlagen. Tatsächlich trug Chlodwig schlussendlich den Sieg davon, aber sein Versprechen hatte er bereits kurze Zeit später wieder vergessen.

Der erste getaufte Frankenkönig


Nicht jedoch Chlothilde, die ihren Mann mit einem mächtigen Schubs an sein Gelübde erinnerte, sodass es Ende des Jahres 498 endlich so weit war. Zusammen mit 3.000 Gefolgsleuten ließ sich Chlodwig von Bischof Remigius in Reims taufen. Dabei soll das Salbölfläschchen direkt aus dem Himmel herab gereicht worden sein. Ein wundersames Ereignis, das sich spätere Monarchen mit dem Titel eines Königs von Gottes Gnaden zu eigen machten.

Taufe Chlodwigs I.

Das wertvolle Fläschchen fiel übrigens während der Revolution einem übermotivierten Volksabgeordneten zum Opfer, der es als symbolische Kampfansage gegen Kirche und royalistische Staatsmacht in aller Öffentlichkeit kaputt schlug.

Zurück zu Chlodwig. Die Konvertierung eines ganzen Stammesverbandes war ein Novum in der christlichen Tradition. Es wird deshalb gemunkelt, dass sich Chlodwig die Massentaufe mit einem Händel gut bezahlen ließ. Fortan musste der Klerus auf fränkischem Stammesgebiet Steuern zahlen und die Besetzung aller geistlichen Ämter bedurfte nun der Zustimmung des Königs. Im Gegenzug bestand Bischof Remigius auf die Zerstörung aller heidnischen Tempel. Dieser Verpflichtung kam Chlodwig nach. In Straßburg ließ er die heidnische Opferstätte niederreißen und legte an dieser Stelle den Grundstein für den ersten christlichen Sakralbau. Im Jahre 510 wurde die fertiggestellte Kirche zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria geweiht. Das komplett verschwundene und auch nicht mehr lokalisierbare Gotteshaus gilt somit als Vor-Vorgängerbau des Vorgängerbaus des heutigen Münsters. 

Reiterstatue Koenig Chlodwig in einem Stuetzpfeiler an der Kathedrale von Strasbourg

Dagobert I.der Stifterkönig

Dagobert I.

Am inneren nördlichen Stützpfeiler neben der Rosette positionierten die Baumeister entsprechend der Chronologie der historischen Ereignisse Dagobert I. aus dem Geschlecht der Merowinger. 629 zum König des Frankreichreichs gekrönt, galt er mit Unterwerfung Burgunds und Aquitaniens als mächtigster Herrscher seiner Epoche. Da kann man das lange Zepter schon mal locker selbstbewusst auf der Schulter abgelegen. Man schreibt dem Monarchen, der nur knapp 30 Jahre alt wurde, zahlreiche Schenkungen an das Straßburger Hochstift zu. Diese halten zwar nach neuesten Erkenntnissen einer Echtheitsprüfung ebenso wenig stand wie die Legende um den Heiligen Florentius oder das Wunder des Heiligen Arbogast, dennoch haben sie weiterhin ihren festen Platz in der Vita von Dagobert I.

Arbogast kam Mitte des 6. Jahrhunderts als irischer Missionar ins Elsass. Schnell machten wundersame Ereignisse, sonderbare Krankenheilungen und erfolgreiche Dämonenaustreibungen die Runde. Als Dagoberts Sohn Sigibert bei einem Jagdunfall tödlich verunglückte, ließ der verzweifelte König umgehend nach dem Mönch schicken. Arbogast verbrachte die ganze Nacht betend am Bett des aufgebahrten Jünglings. Doch kaum dass der erste Sonnenstrahl des nächsten Morgens am Himmel aufzog, schlug Sigibert die Augen auf und nichts erinnerte mehr an den schmerzlichen Zusammenstoß mit dem Keiler. Aus Dankbarkeit ernannte der König ihn zum Bischof von Straßburg und überhäufte ihn mit unzähligen Gütern.

Ich will ja nun kein Spielverderber sein, dennoch stelle ich einfach mal in den Raum, dass Arbogast 618 verschied, während Dagoberts Sohn erst 630 das Licht der Welt erblickte. Auch wenn diese Geschichte folglich nicht in die Ära Dagoberts passt, hat sie es trotzdem bis in das Deutsche Sagenbuch der Gebrüder Grimm geschafft.

Reiterstatue Koenig Dagobert I.in einem Stuetzpfeiler an der Kathedrale von Strasbourg

Rudolf I. von Habsburg – im Einsatz für Straßburg

Von Dagobert I. springen wir mit einem Riesensatz über die Rosette auf die Südseite der Fassade in die 1260-er Jahre zu Rudolf von Habsburg. Straßburg stand seinerzeit unter der Fuchtel des ehrgeizigen Fürstbischofs Walther von Geroldseck. Als vom König bzw. Kaiser eingesetzter Landesherrn übte er sowohl die geistliche als auch weltliche Macht auf dem Territorium seines Hochstifts aus. Doch offensichtlich reichten ihm die königlichen Regalien nicht aus, um seine machtpolitischen Ambitionen zu befriedigen. Er versuchte den Einfluss des aufstrebenden Bürgertums in Straßburg einzuschränken, was schließlich zu offenen Konfrontation und der Schlacht von Hausbergen führte. Durch den Mut des Ritters Reinhold Liebenzeller und der Rückendeckung des Grafen Rudolf von Habsburg gelang es den Straßburgern, sich 1262 ein für alle Mal von der Herrschaft der Fürstbischöfe zu befreien.

Reiterstatue Koenig Rudolf I. von Habsburg in einem Stuetzpfeiler an der Kathedrale von Strassburg

Straßburg erhielt fortan den Status einer freien Reichsstadt. Damit verloren die zukünftigen Bischöfe auch ihren Einfluss auf den Bau der Kathedrale, der nun ganz in den Händen eines bürgerlichen Stadtrats lag. Ohne die klerikale Einflussnahme bestanden folglich auch keine Einwände, dass nicht nur der Weltenherrscher, sondern auch die drei weltlichen Herrscher, die sich um die Kathedrale und Straßburg verdient gemacht hatten, ihren Platz am Münster zugewiesen bekamen.

Schlechtes Timing

Rudolf von Habsburg

Rudolf selbst musste noch weitere neun Jahre warten, bis er 1273 endlich als erster Habsburger den Königsthron des Heiligen Römischen Reiches besteigen durfte. Zum Kaiser schaffte er es allerdings nie. Eigentlich eine reine Formalie, die jedoch vom Papst abhing, dem das Privileg der Kaiserkrönung oblag. Und da schon damals galt, dass eine Hand die andere wäscht, verlangte der oberste Kirchenherr für die Verleihung des Kaisertitels keine geringere Gegenleistung als die Ausstattung und Durchführung eines Kreuzzugs ins gelobte Land. Dieser Forderung wäre Rudolf mit Sicherheit nachgekommen, doch plötzlich starben die Päpste wie die Fliegen. Keiner der acht Päpste hatte in Rudolfs verbleibenden Lebensjahren lange genug das Pontifikat inne oder besaß auch nur die Ambition, um den Startschuss für einen Kreuzzug zu geben. Schlechtes timing würde man heute dazu sagen.

Der verwaiste vierte Platz

Über Jahrhunderte blieb der Baldachin des vierten Stützpfeilers am südlichen Außenposten der Westfassade verwaist. Lange Zeit galt Kaiser Konstantin als potenzieller Kandidat die Lücke zu füllen. Immerhin war er der erste christliche Herrscher, der sich im Jahr 337 taufen ließ. Doch dann entschied man sich mit neu erwachtem royalen Patriotismus die Rechtsaußenposition an den einstigen Sonnenkönig zu vergeben.

Gemaelde Louis XIV.

Jean-Baptiste Vallastre, damaliger Chef-Bildhauer des Frauenwerks, nahm sich der Aufgabe an und fertigte die Reiterstatue mit dem prunkliebenden Monarchen, der als einziger mit einem Lorbeerkranz ausgestattet wurde. 1823 hievte man Louis XIV. an seinen zukünftigen Platz, den er allerdings 1940 wieder räumen musste. Die deutschen Besatzer störten sich am souveränen Auftreten des steinernen französischen Monarchen und setzten ihn kurzerhand von seinem Sockel. Fünf Jahre später hieß es für den königlichen Lebemann dann wieder zurück an seinen Platz. Nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten, wie die Chronisten vermerkten.

Der Sonnenkönig Ludwig XIV.

Natürlich stellt sich mir die Frage, warum gerade Ludwig XIV. die freie Stelle ergatterte.

Wie wir zuvor bei Rudolf von Habsburg gelernt haben, war Straßburg seit dem 13. Jahrhundert freie Reichsstadt. Auch nach Beendigung des 30-jährigen Kriegs und dem Westfälischen Frieden wurde sie nicht wie andere Städte und Landgrafschaften am Ober- und Unterrhein dem französischen Herrschaftsgebiet zugeschlagen. Doch Louis XIV. war kein Freund des elsässischen Flickenteppichs. Er strebte ein einheitliches Reich mit dem Rhein als Ostgrenze an.

Unter dem Decknamen Reunionspolitik gelang es ihm zunächst gerichtlich seine geforderten territorialen Zugewinne durchzusetzen. Welche Instanz hätte sich schon getraut, sich mit dem französischen Souverän anzulegen? Dennoch blieb Strasbourg für ihn tabu. Also griff er zu Plan B, zumal er die Ausweitung der Besitztümer als „würdigste und angenehmste Beschäftigung der Herrscher“ betrachtete. Am 30. September 1681 ließ er Straßburg überfallen, das sich völlig überrascht von dem Angriff ohne Gegenwehr ergab. Dass diese Aktion auf wenig Gegenliebe stieß, kann man sich denken. Weshalb also im Nachhinein ein Denkmal für den machthungrigen König?

Dazu müssen wir noch einmal kurz den Rückwärtsgang in der Geschichte einlegen. Ludwigs Großvater Henri IV. erhob 1598 im Edikt von Nantes den Katholizismus zur Staatsreligion bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber den Protestanten bzw. calvinistischen Hugenotten. Diese wurden fortan nicht mehr verfolgt, durften weiterhin ihre Gottesdienste ausüben und erhielten ihre Bürgerrechte zurück. Einer weiteren Ausbreitung des protestantischen Glaubens wurde durch die Deklaration der Staatsreligion jedoch ein Riegel vorgeschoben. Die seit 1521 protestantisch geprägte (hier lebten ca. 21.000 Protestanten und nur etwa 5.000 Katholiken) Freie Reichsstadt Straßburg tangierte das Edikt von Nantes nicht. 

Das Münster wird wieder katholisch

Mit der Annexion durch die französische Krone änderte sich die Situation. Als der Sonnenkönig am 8. Oktober 1681 in Straßburg einzog, feierte er im Münster das erste katholische Hochamt seit über 150 Jahren. Das Münster blieb fortan katholisch. Und damit haben wir die einzig mögliche Rechtfertigung für die Reiterstatue von Louis XIV.: die Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes im Münster.

Übrigens widerrief der König im Jahr 1685 das Edikt von Nantes. Unter dem Motto „La France toute catholique“ – ganz Frankreich katholisch – verbot er den Protestanten die Ausübung ihres Glaubens und entzog ihnen ihre Bürgerrechte. Straßburg kam als nachträgliches Besitztum des französischen Königreichs mit einem blauen Auge davon. Hier durfte der Protestantismus weiter praktiziert werden, jedoch entstanden häufig Simultankirchen, sprich Katholiken und Protestanten teilten sich räumlich oder zeitlich dasselbe Gotteshaus.

Prominente Lückenfüller als politisches Statement

Die übrigen 16 Könige und Kaiser des Franken- und des Heiligen Römischen Reiches stießen erst 1890 zu den noblen Vorreitern dazu. Zeitlich lassen sie sich vom 7. bis in 11. Jahrhundert ein- und den Geschlechtern der Merowinger, Karolinger, Liudolfinger und Salier zuordnen. Ein heroischer Bezug zu Straßburg oder zur Kathedrale war nun kein Pflichtkriterium mehr für die Zuteilung eines Ehrenplatzes. Wie erklärt sich dann die Existenzberechtigung der weltlichen Fürsten an diesem Sakralbau?

Wäre es den städtischen Auftraggebern um rein ästhetische Aspekte gegangen, um die Symmetrie und Harmonie der Münsterfassade aufzuwerten, hätten sich unter den über 6000 offiziell anerkannten katholischen Heiligen oder Märtyrern bestimmt passende Kandidaten für die unbewohnten Stützpfeiler gefunden. Doch offensichtlich beabsichtigte man nach der Annexion des Elsass durch das Deutsche Kaiserreich, ein politisch versöhnliches Zeichen zu setzen. Die deutschen Strippenzieher im Rathaus bedienten sich der historischen und genealogischen Verbundenheit des ehemaligen Frankenreichs und des daraus hervorgegangenen Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation (HRR), um so die Sympathien der teilweise germanophoben Straßburger für sich zu gewinnen.

Gleichzeitig sorgte die Symbolik der Monarchen am Münster für ein eindeutig elsässisches Statement der Unzertrennlichkeit von Kirche und Staat. Eine Botschaft, die sich in den Départements Elsass und Mosel, trotz dem 1905 in ganz Frankreich per Gesetz eingeführten Laizismus, bis heute durchgesetzt hat.

Bleibt nur noch die Frage, wer sich denn jetzt im Auswahlverfahren der fränkischen und deutschen Könige und Kaiser am katholischen Straßburger Aushängeschild durchsetzen konnte.

Von Frommen, Germanen, Großen und Voglern

Majestätische Fußgänger – Karl der Kahle und Heinrich IV. ohne Pferd

Die zweite Garde der Kaiser und Könige fertigte der Elsässer Bildhauer Philipp Graß ganz in der Tradition der ersten Reiterfiguren aus dem 13. Jahrhundert – mit einer künstlerischen Ausnahme. Zwei Monarchen enthielt er ihre tierischen Untersetzer vor, sodass sie stehenden Fußes in schwindelerregender Höhe ausharren müssen. Es traf die beiden Randfiguren im dritten Geschoss, Heinrich IV. im Süden und Karl den Kahlen im Norden.

Waren die finanziellen Mittel für die edlen Vierbeiner ausgegangen? Gab es statische Probleme oder hatten sich der Karolinger als auch der Salier eine Missetat zu Schulden kommen lassen, dass sie der Bildhauer derart abstrafte?

Statue Kaiser Karl der Kahle in einem Stuetzpfeiler an der Kathedrale von Strassburg

Mangels erhellender Belege habe ich mir meine ganz eigene Theorie zurechtgelegt.
Der 823 geborene Karl der Kahle war der vierte Sohn des fränkischen Königs und Kaisers Ludwig des Frommen. Als Nachzügler (er stammte aus der zweiten Ehe des Monarchen) spielte er bei der ordinatio imperii, der vom Kaiser erlassenen Neuregelung des Erbrechts im Jahre 817, folglich keine Rolle. Karl kam sozusagen als Prinz ohne Herrschaftsbereich zur Welt, was ihm den Beinamen der Kahle einbrachte. Und ohne Land bedurfte es natürlich auch keines Pferdes, um die Güter abzureiten, dachte sich wohl Philipp Grass.

Karl der Kahle sollte übrigens durch seine nicht eingeplante Geburt, die Regentschaft seines Vaters noch enorm durcheinanderwirbeln. Die anderen Söhne Ludwigs des Frommen überwarfen sich mit ihrem Vater, die Halbbrüder entzweiten sich untereinander, das ganze Frankenreich stand über mehrere Jahre kopf. Die innerdynastischen Kämpfe führten schließlich zur Teilung des mächtigen Frankenreichs.

Heinrich IV. und der schwerste Gang seines Lebens

Statue Kaiser Heinrich IV in einem Stuetzpfeiler an der Kathedrale von Strassburg

Ebenfalls keinen leichten Stand hatte Heinrich IV. während seiner Regentschaft. Nicht nur aufständische Fürsten und machthungrige Söhne, sondern auch der Papst in Rom machten ihm das Leben schwer. Spätestens beim Stichwort Papst und dem Bild des Monarchen zu Fuß müsste sich nun jeder an seinen Geschichtsunterricht mit dem berühmten „Gang nach Canossa“ erinnern. Der bemitleidenswerte Herrscher, der im Büßergewand zu Fuß vor besagte Burg in Norditalien zog, um beim Papst Abbitte im Investiturstreit zu leisten, war kein geringerer als Heinrich IV. Erst nach drei Tagen Ausharren in Schnee und Eis vor den Toren der Festung wurde der Monarch im Januar 1077 vom kirchlichen Oberhaupt Gregor VII. empfangen und der Kirchenbann aufgehoben. Der König tut mir leid. Der Steinmetz hätte wirklich ein wenig mehr Mitgefühl zeigen und Heinrich IV. mit einer Reiterfigur eine weitere Demütigung ersparen können.


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