Steinernes Wappen von Culemborg mit der jahreszahl 1718 gehalten von zwei Loewen
Niederlande,  Unterwegs

Culemborg – Historischer Stadtrundgang – Teil II


Nachdem wir im ersten Teil unseres Rundgangs an einem Bastardhaus vorbeigekommen, über säbelbeinige Stühle gestolpert, einen verrückten Grafen kennengelernt und mehrmals den Weg der Heiligen Barbara gekreuzt haben, beschäftigen wir uns in diesem Teil mit mordlüsternen Fischweibern, staunen über ein Wunderpferd, machen kurze Abstecher nach Japan und Kap Horn, bevor es am Scharfen Eck mit Bier und Bildung zu Ende geht.

Culemborg – Historischer Stadtrundgang – Teil II


Was gibt es zu entdecken?
ein Vorzeige-Rathaus mit Schandpfahl, mordlüsterne Fischweiber und eine verführerische Grande Dame, kaiserliche Residenzen, dazu scharfe und vierkantige Ecken und ein Museum mit Alleinstellungsmerkmal

Wegstrecke:
etwa 1 Kilometer

Dauer:
35 Minuten in gemütlichem Tempo incl. ausführlicher Fotostopps (ohne Museumsbesuch)

Binnenpoort

Vier Tortürme, einer in jeder Himmelsrichtung  waren im Mittelalter für jede Stadt, die etwas auf sich hielt, das Minimum. In Culemborg kamen mit der späteren Eingemeindung der Marktflecken Lanxmeer, Nieuwstad und Havendijk drei weitere hinzu. Doch nur eines der Bollwerke der ersten Generation blieb erhalten.

Der im 14. Jahrhundert entstandene Lanxmeerpoort öffnete sich direkt zum gleichnamigen Viertel.  Als dieses in die erweiterte Stadtmauer mit eigenem Wach- und Wehrturm, dem Zandpoort, integriert wurde, bekam er einen neuen Namen: Binnenpoort – inneres Tor. Gleichzeitig tauschte er seine Verteidigungs- gegen eine Reservistenfunktion. Die Gelegenheit, den gedrungenen Bau in ein ästhetisches Bauwerk zu verwandeln. Zunächst streckte man ihn optisch auf eine Höhe von 37 Meter und bekrönte ihn mit einer Turmspitze. Als weitere Zugabe gab es 1617 ein Vortor mit zwei schmucken Rundtürmen.

Ein ungelöstes Rätsel

Damit der Binnenpoort nicht verwaiste, richtete man hinter den dicken Mauern Arrestzellen ein, die bis ins 18. Jahrhundert Bestand hatten. Ein Novum, denn im Mittelalter kannte man bis dato nur Ehren-, Geld-, Leibstrafen oder die Verbannung. Ein überlieferter Sanktionskatalog lässt tief blicken: Wer einen Mitbürger schwer verletzte, verstümmelte oder einen Drink ins Gesicht schüttete, musste 5 Pfund in die Gemeindekasse zahlen. Auf Verleumdung als Dieb oder Verräter oder bei einer blutigen Prügelei hieß das Strafmaß 3 Pfund. Teilte man nur kräftige Faustschläge aus, kam man mit einem Pfund davon.

Eine häufig ausgesprochene Ehrenstrafe war der „Stock“. Dabei handelte es sich um einen zweigeteilten Holzbalken, in dessen untere Hälfte hufeisenförmige, mit Metall ausgekleidete Aussparungen eingelassen waren. Die Verurteilten mussten sitzend ihre Füße in die Vertiefungen legen, dann wurde der obere Holzbalken aufgelegt und verriegelt. Im Elisabeth Weeshuis Museum ist der aus dem 15. Jahrhundert erhalten gebliebene Stock des Binnenpoorts ausgestellt. Ein außergewöhnliches Schaustück mit rätselhaften 13(!) Beinlöchern. Das Versehen eines Dyskalkulisten oder ein Schildbürgerstreich? Wer weiß, womöglich ein Stock für Einbeinige?

Ein Tisch mit drei Beinen

400 Jahre später hielt das Automobil Einzug in Culemborg. Die Tordurchfahrt entwickelte sich zum Flaschenhals. Kurzerhand entschloss man sich, die vier Sockelfundamente zu reduzieren und so die Passage zu verbreitern. Die Folgen des Aktionismus machten sich fünf Jahrzehnte später bemerkbar. Die Stabilität des Mauerwerks hatte enorm gelitten, der Vergleich eines Tisches mit drei Beinen machte die Runde. In der Schublade der Stadtverwaltung lagen bereits die Abrisspläne. Erst in letzter Minute entschied man sich für eine Restaurierung.

Huis de Man und Breiglocke – Binnenpoort 6 & 8

Giebelstein mit drei Ochsen und Jahreszahl 1581 am Binnenpoort 6 in Culemborg

Ist das Backsteinhaus an der Binnengracht nicht eine Augenweide? Treppengiebel an den Stirn- und der Traufseite, Schmuckfriese aus Naturstein, Gesimse mit Löwen- und Menschenköpfen, dazu repräsentative Maueranker. Neben dem schönen Äußeren liest es sich wie ein offenes Geschichtsbuch. Das Wappen mit den drei Ochsenköpfen verweist auf die einstige Eigentümerfamilie de Man, die Jahreszahl 1581 gibt Aufschlüsse über sein Alter, der gebänderte Eckpfeiler und das vorstehende Rundtürmchen liefern den Beweis, dass Gebäude Bestandteil des abgetragenen Binnenpoort-Vortors war. 

Damit nicht genug. Die sechs Flutsteine an der Südfassade erzählen von den immer wiederkehrenden Überflutungen, die Leid und Elend in die Stadt trugen. Aus dem Jahr 1651 stammt der älteste Wasserstandsanzeiger, der jüngste aus 1820 markiert zugleich den höchsten Wasserstand nach einem Deichbruch.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Stadtkanals erhielt eine Culemborger Klang-Ikone ein plastisches Gesicht. JanIsDeMan, ein Virtuose der Spraydose, schuf dieses großformatige Mauerbild der berühmten Papklok. Die im Turm der Großen Barbarakirche beheimatete „Breiglocke“, verrichtet seit 1506 zuverlässig ihren Dienst. Zehn Minuten vor Schließung der Stadttore um 22 Uhr fing sie an zu läuten, um alle Nachzügler von den Feldern ans nach Hause-gehen zu mahnen. Dort wartete eine Schüssel Haferbrei auf die Bauern, bevor sie sich zu Bett begaben. Auch wenn heute kein Stadttor mehr geschlossen wird, läutet die Papklok aus Tradition weiter. Allerdings, aus Rücksicht auf die umliegenden Anwohner, keine zehn, sondern nur noch fünf Minuten lang. 

RK Barbara Kirche – Markt 50

Die 1555 gegossene Elisabeth-Glocke, die im 62 Meter hohen Barbaraturm der Römisch-Katholischen Kirche am Marktplatz hängt, musste dagegen ihren Dienst ganz einstellen. Mehrere unfreiwillige Ortswechsel hatten dem 382-Pfund-Schwergewicht zu sehr zugesetzt. Den Umzug aus der baufälligen Sint Janskerk überstand die Glocke noch ganz gut, aber dann warfen die deutschen Besatzer während des II. Weltkriegs ein Auge auf sie. Sie wurde beschlagnahmt, zur Verschiffung über den Rhein verladen, um eingeschmolzen und als Munition verfeuert zu werden. Glücklicherweise ging dieser Kelch schlussendlich an ihr vorüber, aber ein entstandener Riss ließ sich nur noch behelfsmäßig verschweißen. Der edle Klang war dahin, und die Glocke fortan zum ewigen Schweigen verurteilt.

Ziemlich still ist es seit geraumer Zeit auch im Kircheninnern der dreischiffigen Kreuzbasilika.  Für die geschrumpfte römisch-katholische Gemeinde laufen die Kosten für den Unterhalt der Nachfolgerin der Sint Janskerk aus dem Ruder. Der Verkauf an eine Stiftung, die eine Umnutzung als Gemeindetreffpunkt mit Bibliothek und angrenzendem Pflegeheim favorisiert, ist in die Wege geleitet. Der architektonische Charakter des neogotischen Schmuckstücks mit den beiden Rosetten in der Westfassade und im südlichen Querschiff soll dabei erhalten bleiben. Schade nur, dass in der Nachkriegszeit die polychrome Ausmalung des Chorraums aus nicht nachvollziehbaren Gründen einem Einheitscremeweiß weichen musste. Als Wiedergutmachung erhielt die dritte Barbarakirche auf unserem Rundgang  an ihrem 105. Geburtstag im Jahr 1991 immerhin rote Farbakzente an Sockeln und Säulen.

Aktuell für die Öffentlichkeit zugänglich ist alleinig die Tageskapelle. Ihr ganzer Stolz, das Gemälde „De Genadestoel – die Heilige Dreifaltigkeit“, stammt aus der Hand des Antwerpener Malers Jan Cossiers (1600-1671). Es handelt sich um ein Frühwerk des Künstlers, der nach dem Tod seines Mentors Peter Paul Rubens, zum gefragten flämischen Meister für Historien- und Altarbilder aufstieg.

Neogotische, roemisch-Katholische Sint Barbarakerk in Culemborg

Marktplatz und Herberg de Croon – Markt 2-4

Lassen wir einen Blick über den 200 Meter langen Marktplatz mit dem malerischen Rathaus an der Stirnseite schweifen. Im Mittelalter von Gast- und Kaufmannshäusern gesäumt, spielte sich hier das ökonomische und gesellschaftliche Leben der Handelsstadt ab; speziell seit der Erteilung des Stadtrechts am Nikolaustag 1318. Begünstigt durch die zuerkannte Zollfreiheit, die Erlaubnis zur Einführung des Dienstagsmarkts und dank der Handelswege zu Land und Wasser, gedieh Culemborg mit seinem fruchtbaren Umland zum Mekka der Händler für Weizen, Butter, Honig, Bohnen und anderes Gemüse.

Am heutigen Tag mit seinen tief hängenden Wolken geht es auf dem Marktplatz deutlich unaufgeregter zu. Lediglich das sogenannte Hochwassermonument versucht durch sein Geplätscher auf sich aufmerksam zu machen. Das fünfteilige Kunstwerk tritt in dreidimensionaler Ausführung in die Fußstapfen der herkömmlichen Flutsteine. Ihre unterschiedlichen Höhen erinnern an die jeweiligen Wasserstände während der Deichbrüche 1741 (20 cm), 1784 (35 cm), 1809 (60 cm), 1855 (45 cm) und 1995 (113 cm!).

Hoogwater in Culemborg; 1809; Jan Gerritsz. Visser
Hochwasser in Culemborg 1809; Jan Gerritsz. Visser; Rijksmuseum Amsterdam

Die zahlreich nach Culemborg strömenden Bauersleute und Händler wollten nach einem erfolgreichen Markttag gut bewirtet sein. Dafür reihten sich gleich drei Gasthäuser einer Perlenkette gleich am Zugang des Platzes aneinander: das Eckhaus an der Koestraatje, die Herberg de Croon, daran anschließend Het Gulden Hoofd (der goldene Hof – No 6) sowie De Golden Leeuw (der goldene Löwe – No 8). Bis vor einigen Jahren ließ sich die Geburtsstunde (1569) des Gasthofs zur Krone noch über dem Türsturz ablesen. Inzwischen hat ein neuer Anstrich die letzten sichtbaren Spuren der Herberge getilgt.

Mehr Resilienz bewies die Koestraat, die ihren Namen behauptete, obwohl dieser Tage keine Wiederkäuer mehr durch die Kuhgasse zum Varkensmarkt getrieben werden, wo die tierischen Milch- und Fleischlieferanten am Markttag ihre Besitzer wechselten.

De Vier Hoeken

Bevor wir uns mit dem Stadhuis beschäftigen, machen wir einen Abstecher zu den Vier Ecken. Der Knotenpunkt von Slot-, Katten-, Goilberdinger- und heutiger Tollenstraat besaß in zweierlei Hinsicht eine besondere Bedeutung. Im Mittelalteralter mussten sich hier säumige Schuldner outen und öffentlich um ein Darlehen bitten. Die Beichte der Zahlungsunfähigkeit verbreitete sich daraufhin wie ein Lauffeuer in der Stadt.

Außerdem wurde kein Dahingeschiedener zur finalen Ruhe gebettet, bevor der Trauerzug nicht De Vier Hoeken passiert hatte. Ersetzte die Wegkreuzung als gut geölte Stille Post die Traueranzeige oder maß man ihr bzw. den vier Himmelsrichtungen eine religiöse Symbolik bei? Da wäre der Osten, in dem die Sonne aufgeht, stellvertretend für den Anfang des Lebens. Im Westen neigt sich der Tag und das Dasein seinem Ende entgegen. Dazwischen kann jeder selbstverantwortlich entscheiden, welche Richtung er zwischen den Optionen Himmel oder Hölle einschlagen möchte. Habe ich jetzt zu viel in das seltsame Ritual hineininterpretiert? Durchaus möglich.

Oude Vismarkt

Wenn schon die Rache einer Frau grausam sein kann, was erwartet dann einen zum Stadtfeind Nummer 1 erklärten Mann angesichts eines Mobs von Fischweibern? Ich mache es kurz: ein blutiges Gemetzel. Das Relief des Türsturzes neben dem Eingang zum Tourismusbüro liefert davon eine plastische Darstellung.

Wir machen eine Rückblende in das Jahr 1428. Im 30 Kilometer entfernten Utrecht entbrannte zwischen Rudolph von Diepholz und Zweder von Culemborg ein erbitterter Kleinkrieg um den begehrten, da reichlich mit Pfründen, Macht und Einkommen ausgestatteten Bischofssitz.

Während Rudolph die Unterstützung des Domkapitels besaß und von diesem rechtmäßig gewählt die Mitra trug, sägte Zweder als Favorit des Papstes unentwegt an dessen Stuhl.

Da kam Jan van Buren, Domherr der Marienkirche zu Utrecht und Parteigänger Rudolphs, ins Spiel. Mehr Kriegsherr als Geistlicher suchte er weniger nach einer diplomatischen als vielmehr einer praktischen Lösung, um den Usurpator ein für alle Mal in seine Schranken zu weisen. Mit einer kleinen Streitmacht zog er gen Culemborg, von wo aus Zweder, gut protegiert durch die dicken Mauern der Burg seines Bruders, gegen den amtierenden Bischof intrigierte. Allerdings hatte Jan van Buren die Rechnung ohne die tapferen Einwohner von Culemborg gemacht. Am Slotpoort traf er auf heftige Gegenwehr. Seine Männer flohen, er selbst wurde überwältigt und von den Fischweibern am Oude Vismarkt in Stücke zerhäckselt.

Fischgestank und Ablasshandel unerwünscht

Auf denselben Fischbänken, die Schauplatz des Blutbads waren, wurde noch bis 1519 fleißig weiter Fisch verkauft. Dann hatten die noblen Herren des Stadtrats genug von dem penetranten Geruch und Marktgeschrei unter ihren Fenstern. Der Fischmarkt zog zwangsweise zum Havendijk weiter.

Übrigens feierten die Einwohner alljährlich ihren Sieg über Jan van Buren mit einer feuchtfröhlich endenden Prozession. Wer darüber hinaus an der speziell aus diesem Anlass zelebrierten Heiligen Messe teilnahm, erhielt als Sahnehäubchen obendrauf 40 Tage Ablass. Die Protestanten beendeten diesen Kuhhandel ohne Wenn und Aber. Sie strichen den Feiertag samt Feierlichkeiten ersatzlos. Dennoch ist die Erinnerung an Jan van Buren in Culemborg nicht gänzlich getilgt. Wer die Backsteinfassade in der Slotstraat 14-16 genauer in Augenschein nimmt, entdeckt über dem mittleren Fenster einen in Stein gemeißelten Kopf. Vom 1870 abgetragenen Stadttor Slotpoort, wo er als Mahnung platziert worden war, wanderte das Antlitz des streitlustigen Dompropsts an seinen jetzigen Aussichtspunkt.

Stadhuis – Markt 1

1530 zählte Culemborg 3.500 Einwohner. Grund genug, dem stetig gewachsenen Selbstverständnis der Stadt durch einen prestigeträchtigen Rathausbau Ausdruck zu verleihen. Mit der Herrin Elisabeth von Culemborg und ihrem Ehemann Anthonis von Lalaing, seines Zeichens Graf von Hoogstraaten und Statthalter von Holland, Zeeland als auch Utrecht, standen zwei finanzkräftige Kreditgeber parat. Sie besaßen ebenfalls das gewisse Vitamin B, um den Stararchitekten der Brabanter Gotik, Rombout II. Keldermans, für dieses Projekt an Land zu ziehen. Bereits vier Jahre später nahmen die Ratsherren ihre Amtsgeschäfte in den neuen Räumlichkeiten auf.

Zwei steinerne Löwen mit den Wappen des Sponsoren-Ehepaars bewachen den Treppenaufgang, der zum Gerichtsaal im ersten Stock führt. Da die Verhandlungen früher öffentlich erfolgten, besaßen die Fenster keine Glaseinsätze, sondern wurden nur durch Läden verschlossen. Aus Gründen der Authentizität behielt man dies bei. Weitere Souvenirs der mittelalterlichen Rechtsprechung finden sich an der Ecke zum Oude Vismarkt. Die beiden Eisenringe in der mannshohen Nische zeugen von dem Schandpfahl, an dem bis Mitte des 19. Jahrhunderts Ehrenstrafen vollzogen wurden. Dabei blieb es nicht nur bei verbalen Demütigungen. Häufig bespuckte oder bewarfen die Vorbeigehenden den Delinquenten mit Abfällen oder anderem übelriechendem Unrat.

Bei Kapitalverbrechen zeigte die hohe Gerichtsbarkeit keine Gnade. Der Henker vollstreckte das Todesurteil an Ort und Stelle. Der mit blauen Steinen abgegrenzte Halbkreis vor dem Rathaus markiert den Standort des einstmaligen Richtplatzes. Dahinter befand sich die Fleisch- und Wiegehalle. Während vorne menschliche Köpfe rollten, feilschten unter der Treppe die Schlachter um die besten Preise für Rinderzungen, Schweinefüße, Kalbsleber, Lammkeulen und andere tierische Gaumenfreuden.

Habt Ihr übrigens den Fauxpas bemerkt, der bei der Renovierung des Türsturzes passiert ist? Übermotiviert durch den ebenfalls über dem Haupteingang platzierten Leitspruch Elisabeth von Culemborgs „mit Feuereifer ist alles zu erreichen“ (großzügig interpretiert) datierte der Verantwortliche das Stadthaus auf 1734 und verjüngte es damit um ganze 200 Jahre.

Haus In den Keyser – Markt 11 & 13

Ein Name, zwei Gebäude, darunter ein falscher Kaiser.

Das 1549 in Auftrag gegebene Patrizierhaus Nummer 11 bietet alles auf, was zu einer Vorzeige-Renaissancefassade gehört: Natursteinbänder, -bögen, -muscheln, Konsolenköpfe, auffällige Medaillons mit Porträts, Masken und Fratzen, dazu zwei Halbmondgesichter unterhalb des Dachfensters. Ein architektonisches Kunstwerk, das eines Keysers würdig war. Nomen est omen, wie es so schön heißt, traf auf den Eigentümer des Prestigebaus, Engbert von Keyserswert, durchaus zu. Der Weinhändler war nicht nur erfolgsverwöhnt, sondern auch mit einem übergroßen Selbstbewusstsein ausgestattet. „So es Gott behagt, besser beneidet als beklagt“, verkündete die Inschrift auf dem Schmuckband des Giebelaufsatzes, die leider kaum mehr zu entziffern ist. Noch bis in das 18. Jahrhundert behielt das Haus die Bezeichnung „In den Keyser“ bei. Dann zog das Rad der Fortuna samt Namen nach nebenan in die Nummer 13.

Zunächst bewohnte Gerrit van Harn das Nachbargebäude. 1661 zum designierten Nachfolger des Gründers der niederländischen Kolonie am Kap der Guten Hoffnung berufen, veräußerte er vor der Abreise zur Südspitze Afrikas alle immobilen Besitztümer. Beschlich den VOC-Kommandeur zu diesem Zeitpunkt schon eine ungute Vorahnung? Tatsächlich sah van Harn weder seine alte Heimat wieder, noch trat er je seine neue Stelle an, sondern verschied unerwartet auf der langen Seereise zur Südspitze Afrikas.

Als weiterer Eigentümer trug sich ein Nicolaes Heinsius in die Besitzurkunde der Immobilie ein. Sein Ruf als Hasardeur ebnete ihm den Weg zum Oberbefehlshaber von Fort Batensteyn. Der befestigte Handelsposten am westlichen Küstenabschnitt Afrikas entwickelte sich für ihn und die West-Indische Companie WIC im wahrsten Sinne des Wortes zur Goldgrube. Mit gut gefüllten Taschen kehrte der Heinsius 1763 nach Culemborg zurück. Er erwarb die beiden nebeneinander liegenden Häuser an der Marktstätte und verbrachte darin einen keyserlichen Lebensabend.

Vierheemskinderstraatje

Jacob van Deventer; Karte Culemborg, ca. 1559-1575
Jacob van Deventer; Culemborg, ca. 1559-1575; Quelle: Gelders Archief

Bereits auf der von Jacob van Deventer in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts angefertigten Stadtkarte ist die Vierheemskinderstraatje deutlich auszumachen. Man darf sie sich als lebhafte Straße mit zahlreichen Kaufmannsläden, Handwerksbetrieben und der namensgebenden Herberge “ De Vierheemskinderen“ vorstellen.

Mehrere Generationen später zeigte sich ein anderes Bild. Die Pforten des Gasthofs hatten geschlossen, viele Geschäfte ihre Aktivitäten eingestellt. Die Gasse verkam zusehends. Dabei bildete sie die kürzeste Verbindung zwischen Markt und parallel verlaufender Herenstraat, in der die städtische Bibliothek und das Waisenhausmuseum sowohl einheimische als auch auswärtige Besucher anzogen. Im Rathaus rauchten die Köpfe. Das Schmuddelimage der Vierheemskinderstraatje konterkarierte eindeutig die touristischen Ambitionen. Die Marketingspezialisten der Stadt bekamen Arbeit.

Ansicht Scherpenhoek; Ölbild von Jan Weissenbruch; ca. 1861

So gelangten die Werke des aus Den Haag stammenden Malers Jan Weissenbruch (1822-1880) zu neuen Ehren. Den Vermeer der Stadtansichten, wie er genannt wurde, zog es häufig in das verschlafene Städtchen. Die halb verfallenen Stadttore, Brücken, Kanäle und Backsteinhäuser boten ihm eine ergiebige Motivwahl für seine von starken Licht-Schatten-Kontrasten geprägten Gemälde. Über ein Dutzend Mal porträtierte er die unterschiedlichsten Facetten Culemborgs, verband Realität mit verklärender Romantik. Die Stimmungsbilder vergangener Zeiten lenken nun in kopierter Form die vorbeischlendernden Passanten von den unattraktiven Aspekten der Umgebung ab.

Als weitere Initiative rief man 2023 einen Ideenwettbewerb ins Leben, mit dem Ziel, die Bedeutung der Gasse für die einstigen Waisenkinder der Herenstraat sichtbar zu machen. Während sich das Waisenhaus nach den damaligen Vorstellungen von Pädagogik bemühte, den schmerzlichen Verlust der oder eines Elternteils zu ersetzen, stellte die Vierheemskinderstraatje die Verbindung zur Außenwelt, sprich Schule und Kirche, und damit zur Normalität dar.

Kintsugi mitten in Culemborg

Kunstwerk Goldklang in der Vierheemskinderstraatje in Culemborg; Messingband, das das Kopfsteinpflaster der Gasse im Zickzack kreuzt

Der junge Kunstschaffende Bouke Groen überzeugte die Juroren mit einem Kunstwerk von besonderer Symbolkraft und audiovisuellem Erlebniswert. Seither mäandert ein Messingband durch die  Vierheemskinderstraatje, dazwischen laden Fußabdrücke zum Innehalten ein, um den von Kindern gesungenen Musikkompositionen zu lauschen. Die Inspiration zur Installation „Goldklang“ stammt aus Japan. Kintsugi nennt sich dort die Tradition, zu Bruch gegangenes Porzellan mithilfe von Goldlack zu reparieren. Der auffällige Kitt soll den Defekt nicht kaschieren, sondern die wechselvolle Geschichte des Objekts veranschaulichen. Welch perfekter Brückenschlag zum Schicksal der Waisenhauskinder, in deren Leben das Wertvollste in Scherben lag, die Familie.

Die Vier Haimonskinder

Nun bleibt noch zu klären, was es eigentlich mit dem Straßennamen auf sich hat. Für die Lösung  tauchen wir in das Universum der Ritterlegenden ein, das uns mit einem Drama von Freundschaft, Gewalt, Verrat und Sühne konfrontiert.

Graf Haimon, liiert mit der Schwester des fränkischen Königs Karl des Großen, hatte vier Söhne: Adelhard, Ritsart, Witsart und Nachzügler Reinhold, der ihm der Liebste von allen war. Anlässlich ihrer Erhebung in den Ritterstand schenkte er jedem ein prächtiges Pferd, wobei er Reinhold, den mutigsten und kräftigsten unter ihnen, mit einer besonderen Herausforderung bedachte. Bayard war nämlich kein gewöhnliches Ross, sondern ein Wildfang von kolossaler Statur und mit allerlei übernatürlichen Kräften ausgestattet. Reinhold gelang es, das Vertrauen des Hengstes zu gewinnen, sich mit ihm in Menschenworten zu verständigen und ihn zu zähmen. Ab diesem Moment wich der Braune nicht mehr von seiner Seite.

Als die vier Brüder zu einem Fest am Hofe des Königs geladen wurden, nahm das Unglück seinen Lauf. Reinhold fühlte sich beim Schachspiel von Vetter Ludwig betrogen. In einem Anfall von Raserei, indem sich nicht nur die Wut über die Demütigung, sondern ein lang schwelender Zwist zwischen Vasalle und König entlud, schlug er dem Kaisersohn kurzerhand den Kopf ab. Die Brüder flohen gemeinsam auf Bayard, der sich zur Stretchlimousine verwandelte, sodass alle auf seinem Rücken Platz fanden. Es verstand sich von selbst, dass das Ross zudem uneinholbar für alle Verfolger war.

Drama, Drama, Drama

Die vier Haimonskinder in Ritterrüstung auf dem Wunderpferd Bayard

Nach sieben langen Jahren der Flucht und des Blutvergießens zwang der König die Haimonskinder mit einer List zur Aufgabe. Er nahm ihren Vater Haimon gefangen und verlangte im Austausch den Tod des Wunderpferdes. Reinhold ließ sich auf den Deal ein. Mit einem Mühlstein um den Hals trieben die Gefolgsleute des Königs Bayard in einen reißenden Fluss. Doch der Hengst befreite sich von der tödlichen Last  und schwamm zurück ans Ufer. Nun war es an Reinhold, seinen treuen Begleiter erneut ins Wasser zu führen, wollte er seinen Vater lebendig wiedersehen. Bayard verstand die Welt nicht mehr. Todunglücklich über den Verrat seines Freundes ergab er sich seinem Schicksal und ertrank. Wem dieser Ausgang zu brutal ist, darf sich gerne vorstellen, dass Bayard noch einmal den Fluten entkam und irgendwo auf einer saftigen Weide sein Erdendasein weiterfristet.

Reinhold, ebenfalls untröstlich, tauschte seine Ritterrüstung gegen ein Pilgergewand, um im Heiligen Land Erlösung zu finden. Später reiste er nach Köln und verdingte sich beim Bau des ersten Doms als einfacher Handwerker. Aus niederen Beweggründen von anderen Arbeitern erschlagen, bewirkte er nach seinem Tod zahlreiche Wunder. Der daraufhin heilig gesprochene Reinhold von Montalban steht seither als Schutzpatron in Diensten der Stadt Dortmund.

Sint Elisabeth Weeshuis – Herenstraat 29

„Die Sprösslinge der Bürger, die zu früh ohne Eltern waren, empfängt hier liebevoll Elisabeth in ihrem Schoß“ steht über dem Torzugang zum ehemaligen Sint Elisabeth Weeshuis. Das 48.000 Gulden-Legat der wohlhabenden, aber kinderlosen Herrin von Culemborg erlaubte den Nachlassverwaltern das seinerzeit erste und damals teuerste, nur für diesen Zweck gebaute Waisenhaus aus der Taufe zu heben. Neben den streng getrennten Wohntrakten für Mädchen und Jungen umfasste es ein Back- und Waschhaus, eine Brauerei, Schule, Kapelle sowie Ländereien, Obst- und Gemüsegärten, um eine autarke Versorgung sicherzustellen. Von 1560 bis zur Schließung 1952 erhielten in den großzügigen Räumlichkeiten über 700 Waisenkinder ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Nahrung und eine schulische sowie berufliche Ausbildung. Zuwendung oder individuelle Förderung hielt man damals für vernachlässigbar.

Ein Großteil des herrschaftlichen Gebäudes wurde mittlerweile zum Waisenhausmuseum umgewidmet. Ein Besuch kann ich wärmstens empfehlen. Anschließend lockt das ebenfalls in den Räumlichkeiten untergebrachte Café „Wees Is Anders“ mit einer verführerischen Auswahl hausgemachter Leckereien und bei schönem Wetter mit lauschigen Sitzplätzen im Garten (geöffnet Di – Sa von 10-17 Uhr) zum längeren Verweilen. 

Lutherische Kirche – Achterstraat 2 / Ecke Goilberdingerstraat

Den Blick auf den Boden zu richten, lohnt öfter als man denkt. Ähnlich wie auf dem Marktplatz weisen graue, im Halbrund ausgelegte Steinplatten auf der Freifläche am Übergang von der Heren- in die Achterstraat auf die einstige Existenz eines historischen Gebäudes hin. In diesem Fall markieren sie die Apsis der mittelalterlichen Stifterkapelle des Sint-Pietersgasthuis, die, wie alle Gotteshäuser in Culemborg, eine religiöse Bäumchen-Wechsel-Dich-Karriere durchlief.

Ursprünglich streng katholisch ein- und ausgerichtet, ging sie 1566 in die Hände der Calvinisten über. Nachdem zwölf Jahre später die Grote-Barbarakirche alle protestantisch gläubigen Schäfchen unter ihrem Dach vereinte, wurde die Kapelle in den Dornröschenschlaf verabschiedet. Erst „Georg Friedrich von Gottes Gnaden, Fürst von Waldeck, Graf in Pyrmont und Cuylenburg. Meister des Johanniter-Ordens in der Mark, in Sachsen, in Pommern und in Mecklenburg. Propst der Domkirche zu Halberstadt und Kommendator zu Lagow. Der Hl. Kaiserlichen Majestät und der vereinigten niederländischen Provinzen Generalfeldmarschall und Gouverneur von Maastricht“ (so die Inschrift auf der Grabplatte des hoch dekorierten Herrn von Culemborg) erweckte sie nach dem Abzug der Franzosen 1672 als lutherische Kirche zu neuem Leben.

Lutherkirche in der Achterstraat in Culemeborg

Die Inschrift und Lutherrosen im Türsturz verraten, dass sich an dieser Stelle, allerdings in neuem Erscheinungsbild, immer noch die Glaubensgemeinschaft der Lutheraner zusammenfindet. Die 500 Jahre alte Kapelle musste 1839 der neogotischen Hallenkirche weichen, die nun nonkonform nach Westen ausgerichtet ist.

Pietersgasthuis – Achterstraat 6

Die beachtlich in den grauen Himmel aufragenden Treppengiebel erinnern an eine der ältesten Institutionen der Stadt. Ab dem 14. Jahrhundert fanden im Sint-Pieter-Gasthaus erkrankte oder mittellose Durchreisende unentgeltlich Aufnahme. Laienbrüder versorgten ihre Blessuren, gaben ihnen eine warme Mahlzeit und sichere Schlafstätte. Pockenkranke brachte man aus Gründen der Ansteckungsgefahr in einem Nebengebäude unter. Für die absoluten Außenseiter der Gesellschaft gab es außerhalb der Stadtmauer bzw. des nicht mehr existenten Lekpoort ein Leprahaus. Die Aussätzigen durften sich nur in besonders gekennzeichneter Kleidung, dem Siechenmantel, in der Öffentlichkeit zeigen. Zusätzlich zur optischen Stigmatisierung mussten sie mit einer Glocke – einer Art mittelalterlichem Cell Broadcast Warndienst – auf sich aufmerksam machen. Deutlich weniger schrill, dafür sicherlich genauso effektiv.

Das kurativ tätige Gasthaus gab ebenfalls Zimmer an wohlhabende Senioren aus, die ohne Familie und nicht mehr in der Lage waren, sich selbst zu versorgen. Als Gegenleistung für das Dauerwohnrecht erhielt die Fürsorge-Einrichtung eine großzügige Schenkung oder Erbschaft. Ein wichtiges Standbein zur Finanzierung. Dennoch stellte die soziale Einrichtung nach 1569 sukzessive ihre Tätigkeiten ein. 

Sint Pietersgasthaus aus dem 14. Jahrhundert mit Treppengiebel und Oberlicht mit Lebensbaum

Jan van Riebeeck und das Huis de Fonteyn – Achterstraat 36-38 / Ecke Binnenmolenstraat

Die Vereinigte Ostindische Compagnie VOC war unangefochten das erfolgreichste Handelsunternehmen des 17. Jahrhunderts. Ohne sie wäre das Goldene Zeitalter der Niederlande deutlich weniger glänzend ausgefallen. Jedoch basierte der Aufstieg zur wirtschaftlichen Weltmacht nicht ausschließlich auf Wagemut, Entdeckergeist und cleverer Handelspolitik. Im gleichen Atemzug sind Ausbeutung und Sklavenhandel zu nennen. Es bleibt ebenso Fakt, dass in den Diensten der VOC unzählige Kaufleute, Seefahrer und Unternehmer zu immensem Reichtum gelangten, indem sie bereit waren, die Komfortzone ihrer Heimat hinter sich zulassen, um auf unbekanntem Terrain ihre Chance zu ergreifen. Einer von ihnen war der Culemborger Jan van Riebeeck. 

Portraet Jan van Riebeeck, Gruender der Kapkolonie
Porträt Jan van Riebeeck (1619-77), anonym, ca. 1660

Der Chirurgenlehrling stach im Alter von 22 Jahren an Bord eines VOC Schiffes mit Ziel Batavia, dem heutigen Jakarta, in See. Weitere Engagements nach Sumatra, Japan und China folgten, bevor ihn die VOC wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten, sprich er hatte kräftig in die eigenen Taschen gewirtschaftet, zurückbeorderte. Doch schon ein Jahr nach seinem Ausschluss verzieh die Handelsgesellschaft den allzu menschlichen Fehltritt und Jan durfte dank seiner Führungsqualitäten in ihre Dienste zurückkehren.

Die Gründe waren selbstverständlich nicht uneigennütziger Natur. Die VOC benötigte dringend eine Versorgungsstation auf halber Strecke der sogenannten Gewürzroute zwischen den niederländischen Heimathäfen und Java. Zu viele menschliche Verluste hatten die Schiffe der Compagnie auf der 9 Monate dauernden Reise in Kauf nehmen müssen, weil es an Bord an sauberem Trinkwasser und frischen Lebensmitteln mangelte.

Der Gründer der Kapkolonie – ein Culemborger

Mit dem Auftrag, einen Verpflegungsposten am Kap der Guten Hoffnung zu gründen, landete Jan van Riebeeck zusammen mit 90 Siedlern im April 1652 in der Tafelbucht. Zügig begannen sie mit dem Bau eines befestigten Forts, Wohnhäusern und der Kultivierung von Gemüsegärten. Mission erfüllt. Langeweile machte sich breit und die stetig wachsende Zahl an Siedlern stritten bald um das Terrain. Jan van Riebeck löste das Problem auf seine Weise. Pragmatisch und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend. Die Zauberformel hieß Expansion ins Landesinnere. Aus der ursprünglich angedachten Verpflegungsstation am Kap der Guten Hoffnung entwickelte sich unter dem Geschick des Culemborger Arztes die erste dauerhafte weiße Siedlung. Zehn Jahre später verließ er nach erfolgreicher Pionierarbeit die Kapkolonie Richtung Batavia, wo er 1677 verstarb.

Museum, Weinhandlung und Kräutergarten

Warum erzähle Euch diese Geschichte? Ganz einfach, weil sich das prachtvolle Doppelhaus am Abschluss der Achterstraat seit 1555 im Besitz von Jan van Riebeecks Familie mütterlicherseits befand. Ob der Gründer der Kapkolonie in den Räumen des Prestigeobjekts das Licht der Welt erblickte, wird unter den Historikern kontrovers diskutiert. Gesichert ist jedenfalls, dass er nach dem Tod der Mutter unter der Obhut des Großvaters hier aufwuchs. Seit 2011 widmet sich deshalb ein kleines Museum dem Leben und beruflichen Werdegang Jan van Riebeecks. Gleichzeitig beleuchtet es die durch Handel und Kolonialisierung entstandenen Verflechtungen der Stadt Culemborg zu Südafrika. Von der Weinhandlung im Erdgeschoss darf man sich dabei nicht irritieren lassen. Sie trägt mit zum Unterhalt der Museumsstiftung bei. Also einfach eintreten.

Um die Ecke in der Binnenmolenstraat liegt der öffentlich zugängliche Fonteynhof. Eine grüne Minioase zum Seele baumeln lassen. Der idyllische Kräutergarten wurde nach dem Vorbild der Verpflegungsstation der VOC am Kap der Guten Hoffnung angelegt wurde, sodass es vom Frühjahr bis in den Herbst hinein hinter den hohen Mauern intensiv nach allerlei Gewürzen und Arzneipflanzen duftet. Schon damals wusste man Rosmarin, Kerbel, Kamille, Majoran, Ysop, Salbei, Liebstöckel, Fenchel, Zitronenkraut und Meerrettich zum Verfeinern der Speisen, zur Förderung der Verdauung oder als Heilmittel gegen kleinere und größere Wehwehchen besonders zu schätzen.

Scherpenhoek

Mauerbild Miss Blanche in Culemborg, Werbung für Virginia Cigarettes

Das Scherpenhoek zeichnet sich nicht nur als nach geometrischen Maßstäben schärfstes, sondern zudem als kulturhistorisch überladenes Eck in der Culemborger Innenstadt aus. In einem Radius von zehn Metern gibt es mit dem Jan van Riebeeck-Haus auf der einen, einem einhundertjährigen Mauerbild auf der gegenüberliegenden Seite der Achterstraat, einem historischen Giebelstein zu Beginn der Tollenstraat, sowie der Französischen Schule am kreuzenden Havendijk reichlich zu staunen. Doch eins nach dem anderen.

Zunächst blickt Miss Blanche, eine vornehm gekleidete Lady der 1920-er Jahre im roten Blazer mit Hut und Handschuhen, von der Backsteinfassade auf uns herab. Selbstbewusst zieht sie an einer Virginia-Zigarette der Vittoria Egyptian Cigarette Company. Das Unternehmen mit Sitz in Rotterdam beauftragte zur „Hoch“zeit der Tabakwerbung den in der Malerei eher erfolglosen, dafür als Designer nachgefragten, ungarischen Künstler Vilmos Huszár mit dem Entwurf einer Identifikationsfigur für ihre echten orientalischen Produkte. Das war die Geburtsstunde von Miss Blanche, die fortan zum trendigen Aushängeschild der Light-Varianten für die Damenwelt avancierte. 

Weitere Wandbilder für Interessierte

Ein Biertrinker mit Sitzfleisch

Giebelstein aus dem Jahr 1614 mit Maischkrueke, Fass und Biertrinker

Zurück zum Scherpenhoek. Einen vergleichbaren Stellenwert zur Tabakindustrie besaßen im 17. Jahrhundert die Bierbrauereien. Mindestens vier an der Zahl verteilten sich über das Stadtgebiet. Eine davon hatte ihren Standort an der Ecke Tollenstraat und Lange Ment, wie der Giebelstein in luftiger Höhe belegt. Eingerahmt von zwei Maischkrüken, Daubenbottichen und einem Fass schlürft der Biertrinker seit 1614 genüsslich den beliebten Gerstensaft.

Fransche School – Havendijk 1

Wir kommen zur letzten Station unseres Rundgangs durch die Stadt am Lek. THEATER verkündet eine Leuchtreklame in großen Buchstaben, während mein Stadtplan an Ort und Stelle die Fransche School – die Französische Schule – platziert. Ich suche nach einer Erklärung.

„Eine Investition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen“, soll Benjamin Franklin im 6000 Kilometer entfernten Philadelphia einmal geäußert haben. Ob den Culemborger Stadtvätern dieser weise Spruch geläufig war, ist nicht bekannt, aber offensichtlich besaßen sie dieselbe Erkenntnis. 1846 veranlassten sie deshalb den Bau der Armenschule am Scherpenhoek. Bildung bedeutete langfristig den gesicherten Weg aus der Armut und viele Bauernfamilien lebten zu dieser Zeit aufgrund von Missernten und Kartoffelfäule am Existenzminimum. Zwei Lehrer und ein Hilfslehrer sorgten fortan für die Bildung von annähernd 200 Sprösslingen aus finanzschwachen Familien. Im Winter fanden sich regelmäßig mehr Schüler in den beheizten Klassenräumen ein als im Sommer. Da passierte es nicht selten, dass die (übrigen sehr schlecht bezahlten) Lehrkräfte vor halbleeren Klassen unterrichteten. Die Ernte ging nun einmal vor.

Von der Eliteschule über die Buswerkstatt zum Theater

In den kommenden Jahrzehnten verbesserte sich die wirtschaftliche Situation erheblich. Die  geschrumpfte Anzahl an Armenschülern machte der stetig wachsenden Zahl an Eliteschülern Platz. Da es in den wohlhabenden und intellektuellen Kreisen als kultiviert galt, in der Sprache des Nachbarlandes zu parlieren, zahlte man bereitwillig Schulgeld, um den Nachwuchs in die Finessen des Französischen einzuweihen. Et voilà, habe ich des Rätsels Lösung für den Namen Fransche School gefunden.

Das Gebäude mit der auffälligen Giebelfront erwies sich zudem als Nutzungstalent. Der Turnverein bot darin Kurse zur Leibesertüchtigung an, die Musikkapelle gab dazu den Rhythmus vor. In den beiden Weltkriegen beherbergte es die Suppenküche, später diente es als Feuerwache und Werkstatt für den Stadtbus. Seit 1981 gehört es wieder ganz der Kultur. Im 130 Sitzplätze fassenden Saal finden regelmäßig Theatervorstellungen, Filmvorführungen und Konzerte statt.

Jetzt frage ich mich nur noch, was es mit dem über Kopfhöhe angebrachten Einlass auf sich hat? Dazu muss ich in der Stadtgeschichte in das Jahr 1855 zurückblättern. Es herrschte ein Mörderwinter mit zugefrorenem Fluss Lek, dem Tauwetter und Deichbruch folgten. Bedrohliche Wassermassen rollten auf Culemborg zu. 250 Personen mussten evakuiert werden und fanden im Hochwasserschutzraum hinter der grün gestrichenen Fluttüre Schutz. Wieder etwas dazugelernt. Damit hat die ehemalige Bildungsstätte auch bei mir ihren Auftrag erfüllt :-).


Gut zu wissen

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert