Lichtertor zur Weihnachtshauptstadt Strassburg
Straßburger Spaziergänge,  Typisch Straßburg

Elsässische Weihnacht Teil 2 – die Weihnachtshauptstadt Strassburg


Überall glitzert und funkelt es. Glühweinschwaden hängen in der Luft und Lebkuchenduft zieht durch die Gassen. Maronenverkäufer preisen im Wettstreit mit den Bredeleanbietern ihre Köstlichkeiten an, während in weihnachtlich geschmückten Holzbuden handgemachte Geschenke auf leuchtende Kinderaugen und elsässische Spezialitäten auf hungrige Weihnachtsmarktbesucher warten. Die Grand-Île von Strasbourg hat sich auch dieses Jahr wieder mächtig herausgeputzt. Schließlich muss sie ja ihrem selbstbewusst selbsternannten Titel der Weihnachtshauptstadt gerecht zu werden.

Straßburg und sein Verhältnis zur Weihnachtszeit ist nicht nur wegen seines Budgets von drei Millionen Euro ein ganz Besonderes. Mit der 451. Ausgabe ihres traditionellen Weihnachtsmarktes kann die Eurometropole auch auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken.

Wobei es schlichtweg eine Untertreibung ist, von nur einem Weihnachtsmarkt zu sprechen. Denn neben dem klassischen Christkindlesmarkt auf der Place Broglie, laden in diesem Jahr an 12 weiteren Plätzen der Altstadt über 300 festlich in Szene gesetzte Chalets zum Staunen und Verweilen an. Die Dezentralisierung soll aber nicht nur die Einhaltung der pandemiebedingten Abstandsregeln unterstützen, sondern auch mehr Raum für den Geist der Weihnacht lassen. Und während in beinahe allen Bundesländern die Weihnachtsmärkte entweder ihre Pforten wieder schließen oder gar nicht erst öffnen durften, empfängt der Straßburger Marché de Noël noch bis zum 26. Dezember die Besucher aus Nah und Fern. Selbstverständlich mit Maske und auf den stark frequentierten Plätzen Broglie und Kléber sowie in den speziell eingerichteten „Verzehrbereichen“ mit 3G-Nachweis.

Doch bevor wir auf den verschiedenen Märkten die weihnachtliche Atmosphäre in der Altstadt von Strasbourg mit ihren märchenhaft dekorierten Häusern und Gassen genießen, begleiten wir zunächst den Christkindelsmärik auf seiner abwechslungsreichen Reise durch die Jahrhunderte.

Christkindelsmärik Strassburg

Das Aus für den Nikolaus

Bereits seit dem 12. Jahrhundert ist ein Nikolausmarkt rund um das Münster dokumentiert. Süßigkeiten, Lebkuchen, Kurzwaren, Kerzen oder Kräuter füllten schon im Mittelalter die Auslagen der Holzbuden. Also kein allzu großer Unterschied zu heute. Und trotz der Beliebtheit des Marktes, der immer um den 6. Dezember abgehalten wurde, kam 1570 das Aus für den Nikolaus. Das Elsass mitsamt der freien Reichsstadt Straßburg war mittlerweile ins protestantische Lager gewechselt. Ein katholisches Relikt wie der Heilige Nikolaus von Myra mit seinen vielerlei Wundertaten musste dringend aus dem Weg geräumt werden.

Der evangelisch-lutherische Münsterprediger Johann Finner erwirkte deshalb beim 21-er Rat der Stadt das Verbot des Nikolausmarkts. Stattdessen rief man drei Tage vor Weihnachten den Christkindelsmärik ins Leben. Damit war ein für alle Mal klargestellt, dass das Christkind(el) die Geschenke überbringt und nicht ein legendenbehafteter alter Mann mit Bischofsmütze. Wie das Christ-, sprich das Jesuskind allmählich die Gestalt eines engelgleichen Wesens annahm, steht allerdings auf einem anderen Blatt der Weihnachtsgeschichte.

Auf jeden Fall erlebte der Christkindelsmärik 1570 seine Feuertaufe und zählt damit zu den ältesten Weihnachtsmärkten der Welt. Ursprünglich ebenfalls auf dem Vorplatz der Kathedrale einschließlich der Rue Mercière sowie dem Fronhof, dem heutigen Place du Château, beheimatet, wechselte er später mehrmals seinen Standort. Das 19. Jahrhundert brachte gleich mehrere Veränderungen. Als Appendix zum traditionellen Christkindelsmärik etablierte sich alsbald eine Weihnachtsmesse, die sogenannte Bimbeloterie, bei der zunächst an sechs, später an sieben Tagen nach Weihnachten allerlei Kleinkram feilgeboten wurde.

Schreien und Singen verboten!

Verordnung zum Abhalten des Weihnachtsmarktes in Strasbourg aus dem Jahr 1863

Die Verordnung aus dem Jahr 1863 zur Abhaltung beider Märkte offenbart weitere aufschlussreiche Details. Damals wurde auf ein streng einheitliches Erscheinungsbild der Stände Wert gelegt. Ausnahmslos mussten die Dächer aus Zink sein, während das Anbringen von Dekorationen oder Beschriftungen, die die Baracken verschandelt hätten, strengstens untersagt war. Mit Sicherheit lag auch der Standpreis von 13,50 Francs deutlich unter dem Niveau von heute.

Dagegen wurden die Nerven der Anwohner der Place Kléber mit den Öffnungszeiten von 7 Uhr morgen bis Mitternacht ganz schön strapaziert, wenngleich das Schreien und Singen auf dem Platz per Dekret verboten war.

Das Herzstück der Straßburger Weihnacht – der Christkindelsmärik

Mit Eingliederung der Stadt Strasbourg ins Reichsland Elsaß-Lothringen 1871 zogen die beiden Veranstaltungen vom Hautplatz der Stadt zum heutigen Standort auf der Place Broglie um. Nicht nur das Warenangebot hatte sich inzwischen erheblich vergrößert, auch die Dauer des Weihnachtsmarktes betrug damals schon stattliche 21 Tage.

Ende des letzten Jahrtausends geriet die jahrhundertealte Tradition immer weiter ins Hintertreffen. Gegen das Bling-Bling der riesigen Shoppingcenter mit ihren Massenangeboten von A wie Adventskranz bis Z wie Zuckerwerk wirkte der Weihnachtsmarkt wie ein anachronistisches Überbleibsel aus einer anderen Zeitrechnung. Die Stadtverwaltung handelte und stellte ein neues Marketingkonzept auf die Beine. Ausgefallener Beleuchtungsschmuck sowie die Ausweitung des Weihnachtsmarktes auf weitere Plätze in der Altstadt sollten fortan die Attraktivität erhöhen. Der Plan ging auf und die Weihnachtshauptstadt war geboren. Nichtsdestotrotz schlägt bis heute das Herzstück der Straßburger Weihnacht beim Christkindelsmärik auf der Place Broglie.

Daran ändert für mich auch der dieses Jahr eingeführte Mindestabstand der festlich geschmückten Holzhütten nichts. Während die Chalets bisher geradezu aneinanderklebten und sich die Menschenmassen dicht an dicht im Schneckentempo durch die schmalen Gassen zwischen den Verkaufsständen schoben, wirkt die Entzerrung geradezu wohltuend. Außerdem freue ich mich besonders auf die Freiluft-Ausstellung, die mit Bild- und Texttafeln die Geschichte des Christkindelmarkts erzählt. Dazu gibt es jeden Tag für die Amateure in Sachen elsässische Weihnachtsikonen eine Videoprojektion auf der rückseitigen Fassade des Rathauses. Immer um 17:20 und 18:40 Uhr kann man in deutscher Sprache allerlei Wissenswertes über den Heiligen Nikolaus und seinen treuen Peckeresel sowie das himmlische Christkind und den bösen Gegenspieler Hans Trapp lernen.

Der Geist der Weihnacht im Dorf des Teilens

Unter der riesigen Weihnachtstanne locken dieses Jahr nicht nur zahlreiche Chalets kauflustige, hungrige Besucher an, sondern auch „Le village du partage„. Im „Dorf des Teilens“ auf der Place Kléber haben sich eine Vielzahl von karitativen und gemeinnützigen Organisationen zusammengefunden, die sich für Solidarität, Bürgerengagement, Mitmenschlichkeit, soziale Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung einsetzen.

Mit ihren Ständen unterstützen sie allesamt soziale Projekte oder wohltätige Hilfsaktionen. Ein besonderer Clou ist die sogenannte Sternensuppe. Vier Sterneköche aus dem Elsass verwöhnen abwechselnd je eine Woche lang die Besucher des Weihnachtsmarktes mit einer köstlichen Cremesuppe. Mal wird es in den kommenden Wochen aus den Suppenkesseln verführerisch nach Kürbissuppe mit Lebkuchenaromen oder Parmesan duften, mal wird man schon aus der Distanz erahnen, dass der Blumenkohl in Begleitung von Münsterkäse und Kümmel daherkommt.

Auf jeden Fall darf an diesem Stand ohne Reue und schlechtes Gewissen geschlemmt werden. Die Sternensuppe wärmt nämlich nicht nur den Magen, sondern auch die Seele mit dem Geist der Weihnacht. Jeder Becher bzw. jede zusätzlich verkaufte Suppe im praktischen Literbeutel für zu Hause fließt in berufliche Wiedereingliederungsprogramme ein. Und wem der Geschmackssinn gerade nicht nach Cremesuppe steht, der kann zumindest als kleine Geste der Solidarität seinen mit einem Euro Pfand belegten Glühweinbecher in einen der aufgestellten Sammelbehälter einwerfen.  

Pop-up-Boutique, Dekorausch und Delikatessen

Mehr als eine Schlechtwetter-Alternative für Designerfans bietet vom 10. bis 22. Dezember der sogenannte Salon OZ auf der Nordseite des Kleberplatzes. Hinter der klassizistischen Fassade des Einkaufs- und Kulturzentrums Aubette 1928 stellen gleich mehrere Dutzend Kunsthandwerker ihre kreativen Weihnachtskollektionen vor. Die handgefertigten Unikate stammen dabei aus den Werkstätten von Glasbläsern, Schmuckdesignern, Tischlermeistern, Keramikern oder Siebdruckern. Während der Verkaufsausstellung oder in der Pop-up Boutique hoffen die ausgefallenen Designerstücke zum Weihnachtsfest auf einen neuen Besitzer.

Das leibliche Wohl kommt auch bei den Angeboten der Marktbuden auf dem Place du Temple Neuf sowie rund um das Münster auf der Place de la Cathédrale bzw. der Place du Château nicht zu kurz. Dabei sollte man sich einen Bummel durch das Carré d’Or nicht entgehen lassen. Hier scheint der weihnachtliche Dekorausch an den Gebäuden zum einhelligen Selbstverständnis der Ladenbesitzer zu gehören. Dazu finden sich in der schmalen Gasse allerlei exquisite Zutaten für die gehobenen Gaumenfreuden eines besonders zahlungskräftigen Klientels.

Hat man sich anschließend an den glitzernden Männele in der Rue des Hallebardes sattgesehen, seinen adventslaunigen Bedarf an Duftkerzen oder stimmungsvollen Leuchtmitteln gedeckt, ein passendes Geschenk aus dem bunten Angebot an nostalgischem Blechspielzeug  gefunden, dann geht es weiter zum Marché des délices d’Alsace. Gibt es ein stilvolleres Ambiente für den Markt der elsässischen Köstlichkeiten als die Terrasse du Palais Rohan mit der angrenzenden Place du Marché-aux-Poisson? Lokale Produzenten und Verbände bieten hier eine hochwertige Auswahl typischer Spezialitäten aus dem Elsass an. Ein unbedingtes Muss: der weiße Glühwein der regionalen Winzervereinigung la Couronne d’Or sowie als Delikatess-Begleitung ein mit Foie gras belegtes Sandwich. Oder besser gleich zwei.

Lichterglanz und ausgefallene Dekorationen soweit das Auge reicht

Weiter geht es im Zickzack-Kurs Richtung Petite France. Auf unserem Verdauungsspaziergang bewundern wir zunächst die üppigen Fassadendekorationen in der Rue du Maroquin. Anschließend halten wir staunend vor dem Lichtertor in Verlängerung der Pont du Corbeau inne, bevor wir unter den roten Lichtervorhängen mit den edlen Christbaumkugeln in der Rue du Vieux Marché-aux-Poissons durchgehen. Auf Höhe der Statue des Freiheitskämpfers Reinhold Liebenzeller machen wir einen Schlenker in die Rue des Tonneliers. Hier erinnern auf originelle Weise 22 quer über die Straße aufgehängte Leuchtfässer an die ehemalige Zunft der Fassmacher. Endlich auf der Place Gutenberg angelangt, schenken wir dem blauen Bären ein Lächeln, der brav dem blauen Leuchtbaum Gesellschaft leistet.

Mit einem letzten Blick auf die Kathedrale und den musizierenden Engelschor in der Rue Mercière lenken wir unsere Schritte ins Gerberviertel. Vorbei an den Weihnachtsständen auf der Place Saint-Thomas mit der beeindruckenden Silhouette der protestantischen Thomas Kirche im Rücken, finden sich im Herzen der Petite France auf der Place Benjamin Zix und der Place des Meuniers gleichfalls interessante Angebote an Kunsthandwerk und kulinarischen Verlockungen. Und wer noch Anregungen für eine besonders extravagante Dekorationsidee sucht, dem hilft vielleicht der überdimensionale Kronleuchter mit Glitzerbehang an der Ecke Grand’Rue / Rue du Fossé des Tanneurs auf die Sprünge.

Alternatives und Neues

Ein kleines Stück weiter auf der Place Grimmeisen geht es an diesem Nachmittag noch deutlich geruhsamer zu. Seit 2016 bietet hier der OFF-Markt mit seinem ungewöhnlichen Mix aus Schiffscontainer-Geschäften und halbkugelförmigen Kuppelkonstruktionen eine alternative Plattform zu dem rein auf Kommerz ausgelegten Budenzauber. Die etwa 30 teilnehmenden Akteure möchten mit ihrem Warenangebot den Weihnachtsgeschenken einen nachhaltigen und ethischen Sinn geben. Second-Hand-Spielzeug und Bekleidung, DIY-Dekorationen sowie Produkte mit Bio- oder Fairtrade-Label stehen für verantwortungsvollen Konsum.

Zum Konzept des etwas anderen Weihnachtsmarkts gehört außerdem ein umweltbewusster Brunch mit musikalischer Begleitung für sonntägliche Spätaufsteher. Eine Entdeckungsreise durch die Welt der lokalen Bioweine gibt es am Dienstagabend ab 17 Uhr. Die Mittwochnachmittage dagegen gehören mit Workshops und Aufführungen ganz dem Nachwuchs.

Ganz in der Nähe bei den Ponts couverts preist die Agenda der Weihnachtshauptstadt einen neuen Anlauf- punkt an. Das Adventsdorf auf dem Square Louise-Weiss begrüßt große und kleine Gäste mit einem abwechslungsreichen Mitmach-Programm, das die elsässischen Weihnachtstraditionen lebendig halten soll. Passend dazu bildet jeden Samstagabend ab 18 Uhr die Barrage Vauban die perfekte Kulisse für eine faszinierende Lichtinstallation. Unter dem Leitspruch „nach Weihnachten ist vor Sylvester“ verwandelt sich dann vom 27. Dezember bis 06. Januar das Adventsdorf in eine Inspirationsquelle voller wertvoller Tricks und Tipps für einen gelungenen Rutsch ins Neue Jahr.

An dieser Stelle neigt sich unsere gemeinsame Erlebnistour durch das weihnachtliche Strasbourg dem Ende entgegen. Als besinnlichen Abschluss empfehle ich die Sternenpromenade, die erst bei einsetzender Dunkelheit ihre volle Magie entfaltet. Dann weisen nämlich 600 goldgelbe Leuchtsterne den Weg vom Square Louise-Weiss auf dem ehemaligen Treidelpfad entlang der Ill bis zum Quai des Bateliers.

weihnachtliche Sternenpromenade in Strassburg

Gut zu wissen

Mehr über die Straßburger Weihnachtstraditionen in und um das Münster

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