Grabsteine der alliierten Bomberbesatzung der HK-568 auf dem Militaerfriedhof in Strasbourg-Cronenbourg
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25. Juli 1944 – Lancaster-Absturz im Forêt de la Robertsau


Der Forêt de la Robertsau im Norden von Straßburg gehört zu meinen absoluten Lieblingsplätzen. Unweit des heutigen Wohn- und ehemaligen Viertels der Gemüseanbauer erstreckt sich der 493 Hektar große, sehr urtümliche Rheinwald. Ein perfekter Ort für ausgedehnte Spaziergänge oder abwechslungsreiche Fahrradtouren.

Das tragische Geheimnis des Forêt de la Robertsau

Kürzlich stieß ich bei einem meiner Ausflüge ins Grüne auf eine großformatige Hinweistafel an der Wegkreuzung Allée des trois sapins und Chemin du Beulengrund. Teilweise nur noch schemenhaft zu identifizieren, konnte ich ihr entnehmen, dass an dieser Stelle im Wald in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1944 ein alliierter Bomber mitsamt seiner siebenköpfigen Besatzung abstürzte. Meine Neugier war geweckt, zumal mich die Zeichnung des Lancaster-Bombers sofort an die vielen unvergesslichen Flying Legends Airshows im englischen Duxford bei Cambridge erinnerte.

Da zudem der verwitterte Zustand der Hinweistafel nichts Gutes verhieß, beschloss ich, mich zu Hause umgehend an die Recherche zu machen. Die Natur hatte schon ganze Arbeit geleistet und in 77 Jahren gnadenlos und gnädig zugleich ihren dichten grünen Mantel über dem tragischen Ereignis ausgebreitet. Doch das Schicksal der sieben jungen Männer, die im Kampf für ein freies Europa ihr Leben gaben, darf nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb erzähle ich hier ihre Geschichte.

Die 75 (NZ) Squadron

Die Whitehouse-Crew, benannt nach ihrem Piloten Keith Owen Whitehouse, gehörte zur 75. (New Zealand) Squadron. Dieses Geschwader war nicht nur die erste, sondern auch einzige neuseeländische Einheit des Bomber Command der Royal Air Force während des II. Weltkriegs, die mit schweren Bombern ausgestattet war. Zunächst mit der zweimotorigen Vickers Wellington operierend, später abgelöst durch die behäbige Short Stirling, wurden der No. 75 Squadron erst ab März 1944 die schlagkräftigen Avro Lancaster-Bomber zugeteilt.

Von 1943 bis zum Kriegsende hatte das 75. Geschwader seine Basis in Mepal, einer kleinen Ortschaft in der Grafschaft Cambridgeshire im Südosten von England.

Insgesamt flog die 75 New Zealand Squadron auf dem europäischen Kriegsschauplatz  8017 Einsätze. Mehr als jede andere Einheit des RAF Bomber Command. Gleichzeitig erlitt sie aber auch die höchste Anzahl an Verlusten. 

75 (NZ) Squadron
75 (NZ) Squadron(1)

Steckbrief der Vickers Armstrong Avro Lancaster

Die 1941 vom Hersteller A. V. Roe and Company, kurz AVRO, entwickelte viermotorige Lancaster galt als das Flaggschiff unter den britischen Bombern des II. Weltkriegs. Sie wurde vom RAF Bomber Command überwiegend bei Nachtaktionen auf deutsche Städte und zum Bombardement von Spezialzielen eingesetzt.

In der Zeit von Ende 1941 bis 31. Juli 1945 fertigten fünf Produktionsstätten (eine davon in Kanada) insgesamt 7178 Lancaster in verschiedenen Ausführungen. Ihre Produktionszahl übertraf diejenigen der anderen britischen viermotorigen Bomber, darunter die Handley Page Halifax sowie die Short Stirling, bei Weitem.

Ihre Verluste waren aber gleichermaßen verheerend. 45 % also um die 3.300 Bomber gingen im Einsatz verloren, 20 davon im Elsass. Heute existieren weltweit noch 17 Avro Lancaster, von denen allerdings nur zwei flugfähig sind. Neben einem Exemplar in Kanada ist die PA474 fester Bestandteil der Battle of Britain Memorial Flight und immer ein spektakulärer Gast auf internationalen Airshows.

Daten und Fakten über die Avro Lancaster

  • Länge: 21, 18 m
  • Spannweite 31,09 m
  • Höchstgeschwindigkeit: 448 km/h
  • Antrieb: 4 Rolls-Royce Merlin Motoren à 1280 PS
  • Bewaffnung: standardmäßig max. 6350 kg Bomben und 8 MGs. Vier davon befanden sich im Heckturm und zwei jeweils in der Nase bzw. im Rückenturm. Somit besaß die Lancaster keinerlei nach unten gerichtete Abwehr, was sie für den Abschuss durch deutsche Flak oder Jäger besonders anfällig machte.
    Ein Sondertyp der Avro Lancaster BI mit schubstärkeren Propellern und leistungsstärkeren Motoren konnte die 10 Tonnen schwere Grand Slam Bombe (die schwerste Fliegerbombe aller Zeiten) transportieren.
  • Die Produktionskosten einer Lancaster betrugen etwa 42.000 GBP (1943) (2)
  • Für jeden Bomber wurden 5.000 Tonnen Hartaluminium verbaut, was 11 Millionen Kochtöpfen entsprach.(2)
  • Mit dem Material, das man für die Funk- und Radar-Ausrüstung eines einzigen Bombers benötigte, hätten  zur damaligen Zeit 1 Million Haushalte mit einem Radio ausgestattet werden können.(2)
  • Einsätze im II. Weltkrieg: 156.000
  • Abgeworfene Bomben: 618.000
  • Eine Avro-Lancaster schloss durchschnittlich 21 Einsätze ab, bevor sie abgeschossen wurde oder anderweitig verloren ging.

Die Lancaster-Besatzung und ihre Aufgaben

Auch die Aufgaben an Bord einer Avro Lancaster waren klar verteilt.

Pilot

Bis in das Jahr 1942 waren sowohl der Pilot als auch sein Co-Pilot für das Erreichen des Ziels, die erfolgreiche Bombardierung sowie die sichere Rückkehr zum Heimatflughafen zuständig. Mit der Auslieferung der schweren Bomber lag diese Aufgabe nur noch in der Hand eines Piloten. Er trug somit die alleinige Verantwortung für seine Crew und die Maschine. Von seinem Platz links im Cockpit koordinierte die Aufgaben der anderen Besatzungsmitglieder und erteilte die Kommandos, auch wenn er nicht zwangsläufig der ranghöchste Offizier an Bord war. Seine Flug- und Führungsqualitäten hatten entscheidenden Einfluss auf das Überleben seiner Männer. Im Falle einer Notlandung oder eines Absprungs durfte er das Flugzeug erst als Letzter verlassen.

Flight Engineer 

Der Flugingenieur saß neben dem Piloten auf einem Klappsitz. Er war während des Fluges für die Überwachung, Einstellung und gegebenenfalls Not-Reparatur aller technischen Systeme zuständig. Das schloss sowohl die Hydraulik, Elektronik, Mechanik als auch die Kontrolle der Sauerstofftanks, der Treibstoffvorräte oder Triebwerke mit ein. In Notfällen sprang er als Reserve-Bomberschütze ein.

Navigator

Der Platz des Navigators war direkt hinter dem Flugingenieur. Obwohl er keine Sicht nach außen besaß, musste er jederzeit die Position des Flugzeugs bestimmen können. Er war zu allen Seiten durch einen Vorhang abgeschottet, sodass das Licht, das er für seine Berechnungen benötigte, nicht nach draußen drang. Vor sich hatte der Navigator einen Kartentisch mit Instrumentenbrett, mit dessen Hilfe er aus der Fluggeschwindigkeit, Höhe und weiteren Details die Kurs- und Zielberechnungen durchführte.

Wireless Operator

Der Funker saß in der Nähe des Navigators. Neben dem Führen des Logbuchs war es seine Aufgabe, den Kontakt zu den anderen Fliegern der Staffel als auch zur Basis zu halten. Meistens wurden die Einsätze jedoch unter Funkstille durchgeführt, weshalb er nicht selten als Reserve-Schütze einsprang und im Notfall die Positionssignale absetzte.

Bomb Aimer

Auf dem Bombenschützen lag die Hauptverantwortung für die erfolgreiche Erfüllung der eigentlichen Mission. Im Moment des unmittelbaren Anflugs auf das Zielgebiet übernahm er die Führung und entschied über den Zeitpunkt des Bombenabwurfs. Als Beweis musste er anschließend das Bombenfoto schießen.
Der Bomb Aimer war einerseits in der Handhabung der Bombenausrüstung ausgebildet, musste aber auch exzellente Karten-, Zielerkennungs- und Navigationskenntnisse vorweisen. Während des An- und Abflugs vom Zielgebiet bediente er außerdem die beiden Maschinengewehre im Frontturm.

Mid upper Gunner

Die beschränkte Welt des oberen mittleren Bordschützen war der Plexiglasturm im letzten Drittel des Flugzeugs. Auf seinem flexiblen Segeltuchsitz besaß er eine 360° Rundumsicht. Ausgestattet mit zwei Maschinengewehren à 1000 Schuss Munition, musste der „Rückenschütze“ feindliche Jäger im seitlichen und oberen Luftraum der Lancaster auf Distanz halten.

Rear Gunner

Zusammen mit dem Rückenschützen besaß der Heckschütze den exponiertesten, unbequemsten und kältesten Platz im Bomber. Häufig wegen seiner abgeschiedenen Position am äußersten Ende des Flugzeugs als „Tail-End-Charlie“ bezeichnet, konnte er während des gesamten Einsatzes seinen Sitz im hinteren Geschützturm nicht verlassen. Seine Aufgabe war es, dem Bomber und der Crew im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken freizuhalten. Und das bei bis zu -40 °C. Lediglich ein beheizter Anzug verhinderte Frostbeulen und Erfrierungen. Allerdings blieb dem Schützen dadurch auch kein Platz mehr, in der beengten Plexiglaskuppel den Fallschirm an seinem Körper zu tragen.

Lancaster Bomber PA474 beim Start auf der Flying Legends Airshow in Duxford 2015
Lancaster Bomber PA474 kurz vor dem Take-off bei der Flying Legends Airshow in Duxford 2015

Die Whitehouse-Crew

Die am 24. Juli 1944 im Wald von Robertsau zu Tode gekommene Bomber-Besatzung setzte sich aus den beiden Neuseeländern Keith Owen Whitehouse und Keat Dudding, den beiden Australiern Jack Thomas Milliner und George Alfred Badge Taverner sowie den drei Engländern Ray Steele Horsford,  Bernard Leighton und Robert Charles Baker zusammen.

Seit dem 10. Mai 1944 befand sich die Whitehouse-Crew  unentwegt im Einsatz über Europa. Abwechselnd flog sie Ziele in Belgien, Deutschland und vor allem in der Metropolregion Paris als auch über der Normandie an. Dabei kamen sie innerhalb von zweieinhalb Monaten überwiegend in Nachtaktionen auf 24 Einsätze mit knapp 80 Flugstunden. Trotz ihrer unterschiedlichen Nationalitäten galt die Crew als gut eingespieltes Team und mit ihrem Durchschnittsalter von nur 24 Jahren bereits als „alter Hase“ unter den Bomberbesatzungen.

Whitehouse-Crew - Besatzung des Lancaster Bombers HK 568 der 75 (NZ) RAF Squadron

Operation Stuttgart – der letzte Einsatz

Nicht einmal 24 Stunden nach einem erfolgreichen fünfstündigen Einsatz über Kiel mussten die sieben Mann am 24. Juli 1944 erneut in die Luft. Im Rahmen der vom britischen Luftfahrtministerium herausgegebenen „Anweisung zum Flächenbombardement“ hieß das Ziel dieses Mal Süddeutschland. Für die „Operation Stuttgart“ waren innerhalb eines Zeitfensters von fünf Tagen drei Angriffswellen mit 461 Lancaster- und 153 Halifax-Bombern geplant.

Bewegungskarte der Vickers Armstrong Lancaster HK568 während ihrer Einsatzzeit
Bewegungskarte der Lancaster HK568 während ihrer Einsatzzeit

Wie geplant, hob um 21.50 Uhr die Staffel AA-K mit 22 Bombern von ihrer Basis in Mepal ab. Es war der 25. Einsatz der Whitehouse-Crew und der 9. mit der Avro-Lancaster Mk. I der Kennung HK-568, die ihnen erst vor knapp einem Monat von der 115 Squadron zugeteilt worden war. An Bord hatten sie 6.000 Kilogramm Bomben geladen. Eine Lancaster musste aufgrund technischer Probleme vorzeitig umkehren, doch die anderen hielten weiterhin Kurs auf die schwäbische Hauptstadt, wo sie von hefiger Flak-Abwehr und deutschen Nachtjägern unter Beschuss genommen wurden.

Trotzdem konnte die Staffel ihre komplette Bombenladung abwerfen, bevor sie weit nach Mitternacht wieder Kurs auf die heimatliche englische Küste nahmen. Allerdings sollten zwei Bomber und ihre Besatzung nie dort ankommen.

Die Lancaster HK-568 der Whitehouse-Crew wurde in der Nähe von Pforzheim von Oberst Helmut Lent des Nachtjagdgeschwaders /3 dermaßen unter Beschuss genommen, dass sie gegen 02.10 Uhr am Rande von Straßburg im Wald von Robertsau abstürzte. Es gab keine Überlebenden. Dasselbe Schicksal ereilte nur wenig später die HK575 von Flying Officer James Kenneth Mcrae und seine Besatzung über lothringischem Gebiet. 

He gave his life for us to live –
greater gift no man can give

Die bei ihrem 25. Einsatz ums Leben gekommene alliierte Bomber-Crew der 75 (NZ) Squadron liegt auf dem Militärfriedhof Nécropole nationale de Strasbourg-Cronenbourg begraben.

Grabsteine der alliierten Bomberbesatzung der HK-568 auf dem Militaerfriedhof in Strasbourg-Cronenbourg

Sieben junge Männer, die bei jedem Einsatz den Tod vor Augen hatten und dennoch weiterflogen. Sieben mutige Söhne, die wie weitere 55.000 Mitglieder des RAF Bomber Command nicht mehr zu ihren Familien zurückkehrten und fern ihrer Heimat begraben liegen. Sieben tapfere Soldaten, die bei ihrem Einsatz im II. Weltkrieg ihr Leben gaben, damit heute Millionen Menschen in Freiheit leben können. Gibt es ein größeres Geschenk, das ein Mensch machen kann?

Keith Owen Whitehouse – 23 Jahre
Jack Thomas Milliner – 22 Jahre
Ray Steele Horsford – 28 Jahre
Keat Dudding – 25 Jahre
Bernard Leighton – 34 Jahre
Robert Charles Baker – 21 Jahre
George Alfred Badge Taverner – 21 Jahre


Gut zu wissen

Remembrance Poppy

Weiterführende Literatur und Fotomaterial

Quellen & Copyrights:
(1) 75 (NZ) Squadron
(2) The Lancaster & Manchester Bomber Archive
Abbildung Lancaster ergänzt um die Fotomontage der Whitehouse-Crew: © BBC

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