Maison Rouge – vom mondänen Palast-Hotel zur 70er-Jahre Bausünde
Spieglein, Spieglein an der Wand, welches ist das hässlichste Gebäude im ganzen Land? Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher, dass die Straßburger das FNAC, die eigenwillige Glas-Beton-Stahl-Konstruktion am Rande des Place Kléber, mit Abstand ganz oben auf dem Siegerpodest platzieren würden. Ein verständliches Votum sowohl unter ästhetischen als auch emotionalen Gesichtspunkten.
Einst stand an dieser Stelle das prächtige Palast-Hotel Maison Rouge. Eine wilhelminische Stilikone. Eine Straßburger Institution der Gastfreundschaft und mondäner gesellschaftlicher Ereignisse. Doch in den 1970-er wurde das renommierte Haus dem Erdboden gleichgemacht. Oberbürgermeister und Stadtrat hatten mit Entschiedenheit beschlossen, 600 Jahre Geschichte auszulöschen – unternehmerische Visionen und Höhenflüge, das Andenken an Persönlichkeiten von Welt sowie eine nationalsozialistische Geheimkonferenz eingeschlossen.
Stattdessen erhielt ein für das historische Zentrum absolut deplatziertes Bauvorhaben grünes Licht. Damit der fantasielos gestaltete Kleberplatz nicht alleine an ästhetischer Unterkühlung leiden musste, setzte man ihm mit einem kubistischen Einkaufszentrum die Krone der Tristesse auf. Seit einem halben Jahrhundert ist das Traditionshotel Rotes Haus nun bereits Geschichte. Ein passender Anlass, um die guten alten Zeiten aufleben zu lassen.
Der Stadelhof – ein Getreidespeicher macht Karriere
Im Jahr 1253 erblickte das Maison Rouge als Stadelhof das Licht der Straßburger Archive. Während das Gebäude bis mindestens 1468 als Getreidespeicher Konstanz bewies, stand ihm öfters der Sinn nach einem Namenswechsel. 1387 liebäugelte es bereits mit einer Identität als „Zu dem Rothen Huse“, bevor es sich im 15. Jahrhundert wieder seiner Wurzeln besann und dieses Mal als Gross Stadelhus ein neues Selbstbewusstsein an den Tag legte.
Wer einen großen Namen trägt, muss auch groß denken. In diesem Sinne gab das Haus irgendwann seine Ambitionen als Kornlager auf, um sich einem lukrativeren Betätigungsfeld zuzuwenden. Die Eröffnung eines Herbergsbetriebes erwies sich dabei als Goldgrube. Expansionspläne ließen nicht lange auf sich warten.
Peu à peu streckte die Hausnummer 24 am damaligen Barfüsserplatz seine Tentakeln zunächst nach Norden und dann nach Süden aus. Ein Grundstück nach dem anderen wurde unter die Fittiche genommen. Als Erstes fiel 1685 der „Zu der Schüren“ genannte Annex 24a dem einnehmenden Wesen seiner Nachbarin zum Opfer. Die Häuser wuchsen zur Auberge „À la Maison Rouge“ zusammen, noch bevor sie im Laufe der Französischen Revolution zwei weitere Karrieresprünge hinlegten. Die Herberge hatte sich zum Hotel gemausert und ganz nebenbei noch die Nummer 25 zum Besitzerwechsel überredet. Doch damit nicht genug. 1825 ging das Hôtel de la Maison Rouge erneut auf Beutejagd. Dieses Mal war Haus 26 „Zu der roten Gilgen (Lilie)“ fällig.
Jetzt fehlte zum großen Ganzen nur noch das Eckhaus zur Rue de la Grange. Ein Vierteljahrhundert leistete es mit seiner traufständigen Ausrichtung architektonischen Widerstand, dann ergab es sich ebenfalls der Macht des Geldes. Der Appetit des Maison Rouge war endlich gestillt. Nun ging es noch um eine angemessene Außendarstellung. Fünf individuelle Gebäude erfüllten keineswegs die Anforderungen an eine Corporate Identity. 1860 erhielt das erfolgreiche Gästehaus deshalb eine einheitliche Fassade.
Hochtrabende Pläne
Im Jahr 1892 lag dem Verwaltungsrat der Stadt ein Abbruch- und zugleich umfassender Bauantrag für das zusammengestückelte Hotel vor. Die Konkurrenz hatte nicht geschlafen, wie man Bradshaw’s illustrated hand-book for travellers entnehmen kann. Das Hotel de la Ville de Paris in der rue de la Mésange erhielt im Reiseführer ein „first class, well situated and well managed“-Rating, wogegen das Maison Rouge mit einem Eintrag als „old established hotel“ vorliebnehmen musste.
Der neue Besitzer, ein gewisser A. Goebel, plante anstelle des alt eingesessenen Betriebs Straßburgs Gästen zukünftig ein neues Glanzlicht der Hotellerie zu präsentieren. Ein erhalten gebliebenes Schreiben an den Stadtrat gibt detaillierte Auskunft über das hochtrabende Projekt. Die neue Konstruktion versprach, solide, feuersicher und mit modernsten Einrichtungen ausgestattet zu sein. Keller, Küche, Waschküche, Erfrischungsräume und Toiletten sollten über massive Gewölbedecken verfügen. Steinerne Treppen und feuerfeste Aufzüge ergänzten das Sicherheitskonzept. Außerdem waren eine Zentralheizung und elektrische Beleuchtung für die 71 gut belüfteten Gästezimmer wie auch für die Wohn- und Schlafräume des Direktors und des permanent anwesenden Personals vorgesehen.
Aus unerfindlichen Gründen blieb das Vorhaben leider nur eine Vision. Die Pläne verschwanden in der Versenkung, dafür sah das Haus drei Jahre später einen neuen Eigentümer. Mit einer überdachten Terrasse auf dem Gehweg vor dem Hotel sowie kinematografischen Vorführungen versuchte J. F. Walter dem Kundenschwund entgegenzuwirken. Das Engagement des Unternehmers aus München hatte kaum Gelegenheit, Früchte zu ernten, da im Dezember 1898 das Dach und Teile des Gebäudes in Flammen aufgingen. Ein Neubau konnte nun nicht mehr hinausgeschoben werden.
Das Palast-Hotel – eine Insel der Fröhlichen im Alltagsgraus
Das ortsansässige Architektenduo Albert Brion und Eugen Haug machte sich umgehend ans Werk. Nach zweijähriger Bauzeit begrüßte das Palast-Hotel Maison Rouge im Herbst 1901 seine ersten Gäste. Der vierstöckige Repräsentationsbau mit über 100 Zimmern, Festsälen, Restaurants und einem Art-Déco-Wintergarten übertraf alle Erwartungen. Das feuersichere Luxusetablissement besaß zudem einen Aufzug, elektrisches Licht, eine Dampfheizung sowie pro Etage ein mit WC, Waschbecken und Wanne ausgestattetes Badezimmer. Für die Katzenwäsche und kleinere Bedürfnisse verfügte jedes Zimmer über eine Waschschüssel und einen Nachttopf.
Die bei Dunkelheit beleuchtete Fassade zum Place Kléber war besonders aufwendig gestaltet worden. Schmiedeeiserne Balkone, dekorative Verzierungen, große Fenster, Erker und turmartige Aufbauten sorgten für viktorianische Opulenz.
Unter neuer Führung entwickelte sich das Palast-Hotel zum gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt. Ein dicht gedrängter Veranstaltungskalender belegte die beiden Festsäle mit privaten Feiern, Modeschauen oder Konzerten. Der traditionelle Silvesterball erwarb sich einen ebenso legendären Ruf wie die sonntäglichen Tafelkonzerte ohne Souperzwang. Im Karneval bliesen die Inhaber Wiesmayer & Ruppel zum „Generalangriff auf Trübsinn und Engherzigkeit“, wie eine Zeitungsannonce verrät. Das Kleingedruckte verdient besondere Beachtung: „Um einer irrtümlichen Auffassung entgegenzutreten, glaubt die Hotelleitung nochmals besonders betonen zu müssen, daß nur Personen der guten Gesellschaft zugelassen werden.“ Letztere wurde übrigens höflichst gebeten, sich im schwarzen Anzug oder Kostüm, aber „ohne Visier“ einzufinden.
Im Schlingerkurs des Nationalitätenwechsels
Um mit der Zeit zu gehen, sparten die Eigentümer auch nach der Jahrhundertwende nicht mit weiteren Modernisierungsmaßnahmen. Abgesehen von einer Autogarage kamen nun weitere Zimmer des höheren Preissegments in den Genuss privater sanitärer Einrichtungen. Auch der Deutsche Offiziersverein pflegte das Haus I. Ranges gerne und häufig zu frequentieren. Wer mochte sich schon die Ostender Austern, den Helgoländer Hummer oder die absolut echte (!) Schildkrötensuppe entgehen lassen? Insofern war es wohl kein Zufall, dass die Bombe eines französischen Luftschiffs im April 1915 das Hotel traf. Glücklicherweise kamen mit Ausnahme eines leicht verletzten Portiers und eines Nachtschwärmers, die übrigen Gäste mit dem Schrecken davon. An Schlaf war diese Nacht dennoch nicht mehr zu denken. Die Bombe hatte alle Fenster des Gebäudes pulverisiert.
1918 – Seitenwechsel. Die Kaufhauskette „Nouvelles Galeries“ erwarb das Rote Haus, tauschte zwei Buchstaben und setzte dem „o“ ein Dach auf, um es als Palace-Hôtel im Schlingerkurs durch die Roaring Twenties zu schiffen. Anstelle steifer deutscher Etikette traten ausschweifende Soireen, gedämpfte Barmusik, dekadente Vergnügungen. Paris ließ grüßen. Mit den Dreißigerjahren kehrte der Ernst des Lebens zurück. Das Maison Rouge kassierte eine Ablehnung für den Bau einer hoteleigenen Tankstelle und revanchierte sich mit der Platzierung einer weithin sichtbaren Leuchtreklame auf dem Dach.
1940 übernahmen die „Vereinigten Straßburger Hotels“ das Ruder im Roten Haus. Eine umfangreiche Verjüngungskur sowie die Eröffnung einer Tanzbar wurden kriegsbedingt auf Eis gelegt. Der Bau eines Luftschutzbunkers für 150 Personen im zweiten Untergeschoss hatte Vorrang.
Die Straßburger Geheimkonferenz 1944
Am 11. August 1944 gingen erneut alle Fenster des Nobelhotels zu Bruch. 65 alliierte B-24 Liberator überzogen die Straßburger Innenstadt mit ihrer Bombenlast. Keine 24 Stunden zuvor hatte sich die industrielle Führungselite und Vertreter der wichtigsten Rüstungskonzerne des Deutschen Reichs im Maison Rouge zu einer Geheimkonferenz eingefunden. Bestand ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen? Erhielten die Alliierten zu spät Kenntnis davon oder fand besagtes Treffen nie statt?
Kurioserweise existiert eine auf den 17. November 1944 datierte Aktennotiz des Hauptquartiers der alliierten Streitkräfte SHAEF (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force) über die ominöse Zusammenkunft. Offensichtlich war sie längst nicht so geheim wie gedacht. Zumindest nicht für den französischen Informanten, der Ross, Reiter und Inhalt des Treffens zu Protokoll gab. Die Niederschrift lässt uns wissen, dass Dr. Friedrich Scheid, der Geschäftsführer der Keramischen Werke Hescho, den Vorsitz innehatte. Die einzige reale Person, denn die zwei Dutzend weiteren Teilnehmer konnten trotz exakter Angabe ihrer Unternehmenszugehörigkeit nie identifiziert werden.
Wenden wir uns dem Motiv der Konferenz zu. Bereits zwei Monate nach der Landung der Alliierten in der Normandie zeichnete sich ab, dass der Krieg für Nazi-Deutschland verloren war. Darüber herrschte bei den Geschäftsmagnaten Einigkeit. Es galt deshalb Vorkehrungen zu treffen, sich selbst und alle beweglichen Werte rechtzeitig und möglichst weit weg in Sicherheit zu bringen. Bargeld, Devisen, Gold- und Kunstschätze sollten bevorzugt in Übersee ein neues Zuhause finden, um der Beschlagnahme durch die Siegermächte zu entgehen. Dasselbe traf auf Konstruktionspläne von Industrieanlagen sowie Patente ziviler als auch militärischer Gerätschaften zu. Nur so schien der Aufbau eines 4. Reiches auf ideologisch-politisch im Gleichschritt befindlichem Terrain umsetzbar.
Zukunftspläne zwischen Entenleber und Zwiebelkuchen – nur eine Fiktion?
Diese konkreten Überlegungen bedeuteten im Sommer 1944 Landesverrat. Wer den Endsieg anzweifelte, musste mit drastischen Konsequenzen rechnen. Waren die Teilnehmer tatsächlich so kaltblütig, bei einem opulenten Menü aus Foie Gras, Zwiebelkuchen, Choucroute royale und elsässischem Riesling das Risiko einzugehen, im Konzentrationslager oder durch den Strick ein vorzeitiges Ende zu finden?
Bewegen wir uns noch ein wenig mehr auf dünnem Eis und bringen das Stichwort „Rattenlinie“ in Spiel. Die Parallelen zum Projekt ODESSA springen förmlich ins Auge, wenngleich bisher alle Historikerbemühungen fehlschlugen, die Straßburger Konferenz mit der Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen in Verbindung zu bringen. Ebenso gibt es bis heute keine fundierten Hinweise, dass Hitlers Privatsekretär Martin Bormann das Industriellentreffen initiierte, wie so manche Quelle glauben macht.
Woran mag das liegen? Existierten die Teilnehmer tatsächlich nur in der Vorstellungskraft des als vertrauenswürdig geltenden Kontaktmanns? Sollte er womöglich als Doppelagent die Alliierten aufs Glatteis führen? Warum wurde besagtes Protokoll erst drei Monate später angefertigt? Muss man die konspirative Straßburger Tagung lediglich als eine über Jahrzehnte mit immer weiteren mysteriösen Mutmaßungen gemästete Ente betrachten?
Ein Abriss mit Beigeschmack
Bevor mir noch mehr Fragen ohne Antworten einfallen, schenken wir unsere Aufmerksamkeit wieder dem Maison Rouge. Die Nachkriegszeit prägten wechselnde Besitzer, Konzepte und Namen wie Chambord Grill-Room, Bière Gruber oder Bar Dancing Ambassador. Von einem Haus ersten Ranges konnte keine Rede mehr sein. Die Festsäle verfielen in Winterschlaf. Prunkvolle Bälle, Diener in Livreen, Zimmermädchen mit gestärkten Häubchen gehörten endgültig der Vergangenheit an. Das einstige Aushängeschild unter den Straßburgern Hotels beherbergte nun überwiegend Eintagsfliegen. Messebesucher, Kongressteilnehmer oder grau melierte Bustouristen, die nachts müde in ihre durchgelegenen Betten sanken und am nächsten Morgen unbeeindruckt das Weite suchten.
Die Unterhaltskosten explodierten, die roten Zahlen kumulierten, die Besitzerin kollabierte – beinahe. Ein Verkauf sollte das Problem lösen, als im Sommer 1970 die veraltete Elektrik im Dachgeschoss Feuer fing. Der Brandschaden hielt sich in Grenzen, dennoch bedeutete er den Todesstoß für das Traditionshaus. Ein zweifelhaftes Gutachten attestierte Baufälligkeit, woraufhin das Maison Rouge am 1. Dezember zwangsgeschlossen wurde. Für die Mehrheit des Stadtrats war der Abriss eine schnell beschlossene Sache. Zu schnell, nach Meinung der Öffentlichkeit. Mutmaßungen um Mauscheleien, Korruption und wirtschaftliche Eigeninteressen machten sich breit.
Inmitten der Sommerferien 1973 begannen die Abbrucharbeiten. Ein bewusst gewählter Zeitpunkt. Halb Straßburg weilte an den beliebten französischen Stränden, sodass die Bauleitung auf wenig Widerstand hoffte. Dieser hatte sich nämlich inzwischen gegen das Bauvorhaben formiert. Jedoch zu spät. Petitionen, Demonstrationen, Protestkundgebungen, offene Briefe vermochten das Unvermeidliche nicht mehr aufzuhalten. Selbst ein Sabotageakt in letzter Minute zeigte sich wirkungslos. 400 Kilogramm entwendete Schrauben und Kleinmaterialien dazu ein durchtrennter Antriebsriemen des Baukrans sorgten lediglich in den Medien für Schlagzeilen. Die Frontfassade des Maison Rouge traf es am 14. August zuerst. Somit gab es kein Zurück mehr. Selbst am geheiligten Mariä Himmelfahrtstag legte die Abbruchfirma keine Pause ein. Der schale Beigeschmack der Aktion ließ nicht nach.
Von Napoleon über Hemingway bis Churchill – die namhafte Gästeliste des Maison Rouge
Mit dem Abbruch gingen unzählige Erinnerungen verloren. Für die Prominenz aus Politik, Diplomatie, Wirtschaft und Kunst bedeutete das Maison Rouge zu jeder Epoche eine willkommene Anlaufstelle.
Am 2. Dezember 1797 empfing das Gasthaus Napoleon Bonaparte. Damals noch General und in Eile. Eine Unterredung mit weiteren Offizieren und eine starke Tasse Kaffee – für mehr war keine Zeit. Nach einer halben Stunde gab er seinem frisch gesattelten Pferd wieder die Sporen. Acht Jahre später kehrte der Korse erneut ins Elsass zurück. Dieses Mal als Napoleon I., Kaiser der Franzosen. Als angemessenes Quartier kam nur das Rohan-Schloss infrage, das sich fortan mit dem Titel eines Kaiserpalasts schmücken durfte.
„Endlich in Straßburg mein Freund. Mein Fenster geht auf den Place d’Armes hinaus. Zu meiner rechten befindet sich eine Gruppe Bäume, zu meiner linken sehe ich das Münster […]“, beschrieb Victor Hugo 1839 seinen Blick aus dem Hotelzimmer. Eine gänzlich andere Aussicht animierte den belgischen König Leopold zu einem monatlichen Stelldichein. Ihm hatte es der natürliche Charme und frische Esprit der Bardame Julia besonders angetan inklusive eines gediegenen Apértifs in einem eleganten Fin-de-Siècle-Ambiente.
Nur um ein Jahr verpassten sich zwei Literatur-Nobelpreisträger im Grand-Hôtel. Rudyard Kipling, Autor des weltberühmten Dschungelbuchs, weilte 1921 aus offiziellem Anlass im Maison Rouge. Die Universität hatte den Briten zur Verleihung des Ehrendoktortitels eingeladen, während der noch junge Ernest Hemingway in Begleitung seiner Frau Hadley aus einer Laune heraus per Doppeldecker von Paris nach Strasbourg angereist kam, bevor sie zu einer Erkundungstour durch den Schwarzwald aufbrachen.
Berühmte und berüchtigte Gäste
Vom Überschwang der wilden Zwanziger ließ sich auch der ein oder andere Übernachtungsgast hinreißen. Geradezu berüchtigt waren die Aufenthalte des Opernsängers Richard Tauber, der neben einem unsäglichen Chaos auf seinem Hotelzimmer eine ganze Reihe gebrochener Frauenherzen hinterließ. Ein weiterer unpopulärer Gast konnte glücklicherweise schon an der Rezeption abgewimmelt werden. Don Camillo pflegte im wirklichen Leben als Fernandel mit anspruchsvollen Wünschen das Hotelpersonal auf Trab zu halten, um anschließend die Zeche zu prellen. Als sich die Hotelführung bedauerlicherweise nicht in der Lage sah, den Forderungen des Schauspielers nachzukommen, ließ er seine Koffer ins Hotel Hannong bringen.
Die Liste der namhaften Persönlichkeiten im Gästebuch des Maison Rouge beeindruckt: Charles Trenet, Maurice Chevalier, Winston Churchill, Konrad Adenauer, Charles de Gaulle. Auszüge aus dem glamourösen Dokument können heute im Treppenhaus einer 5-Sterne-Unterkunft in der Rue des Francs-Bourgeois bestaunt werden.
Der ungeliebte Neubau
Genug in Erinnerungen geschwelgt. Zurück in das Jahr 1976. Das geplante Centre commercial nahm langsam Gestalt an. Nicht weniger als 14 Exposés hatte der Chef-Architekt der Stadt, François Herrenschmidt, vorgelegt, bis man sich im Gemeinderat für einen Entwurf entschied. Welchen Gaul die Stadtoberen geritten hatte, dem Glas-Stahl-Beton-Projekt zuzustimmen, lässt sich heute kaum nachvollziehen. War es angesagt, auf der Architekturwelle zwischen Brutalismus und Strukturalismus zuoberst mitzuschwimmen? Oder spielten wie polemische Zungen behaupten nationalistische Ressentiments eine ausschlaggebende Rolle? Quasi ein architektonischer Extremkurs als Antwort auf die deutsch-wilhelminische Ästhetik?
Wir dem auch war, es fällt nur allzu leicht, das Paradebeispiel einer 70er-Jahre-Bausünde pauschal als hässlich abzuurteilen. Dabei hatte sich der Architekt durchaus mit der Historie des Roten Hauses auseinandergesetzt und zumindest symbolisch diverse Elemente davon in den Neubau einfließen lassen. Die fünf abgesetzten Dächer waren demzufolge kein Zufall, sondern repräsentieren die ursprünglich fünf Einzelgebäude. Und wer hätte gedacht, dass die vorkragenden Glaskuben die Erker und Gauben der elsässischen Fachwerkhäuser imitieren? Es ist schon eine gute Portion Fantasie gefragt, um das retro-futuristischen Gebäude mit anderen Augen zu sehen.
Seit der Eröffnung vor knapp 50 Jahren schafft es der Bauklotz jedenfalls nicht, die Einheimischen für sich einzunehmen. Sieben Stockwerke, 10.000 Quadratmeter Ladenfläche, 100 Geschäfte und das haltlose Versprechen eines einmaligen Konsumgenusses ändern daran nichts. Schon der zurückversetzte, verschattete Eingangsbereich schreckt ab. Im Innern setzt sich das düstere Erscheinungsbild fort. Rauchglasfenster schließen das Tageslicht aus, von Einkaufsparadies keine Spur. Seit 2018 liegen Pläne für eine Fassadenauffrischung inklusive Neugestaltung des misslungenen Erdgeschosses vor. Rechtliche Einsprüche blockieren seither die Umsetzung. Ausgang ungewiss.
Quellen / Literatur
- Liliane Châtelet-Lange: Strasbourg en 1548, le plan de Conrad Morant; Presses Universitaires de Strasbourg; 2001
- Foessel/Klein/Ludmann/Faure: Strasbourg Panorama Monumental; Mémoire d’Alsace; 2003
- Christian Lamboley: La maison rouge et l’homme de fer; Édition Contades; 1990
- Frédéric Piton: Strasbourg illustré ou Panorama pittoresque; 1855
- Heinz Schneppe: Odessa und das Vierte Reich; 2007
- Richard Seiler: Objectif Strasbourg: les bombardements américains der 1943 et 1944; Éditions La Nuée Bleue; 2013
- Adolph Seyboth: Das Alte Strassburg vom 13. Jh. bis zum Jahre 1870; Ed. Heitz;1890 (Digitalisat)
- Guy Trendel: Racontez-moi Strasbourg – Les très riches heures d’une ville libre; Édition La Nuée Bleue ; 2006