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Museen,  Niederlande

Mauritshuis – In voller Blüte – Teil I – Blumenstillleben on tour


Happy Birthday, Mauritshaus! 200 Jahre Kunstgenuss von Weltformat im Herzen von Den Haag!

Ein Jubiläum, das entsprechend gefeiert werden muss. Und zwar mit Blumen, Blumen und noch mehr Blumen. Zu seinem runden Geburtstag hat sich das Kunstmuseum deshalb selbst großzügig beschenkt. Mit einem Festival der Natur in üppig bestückten Blumenkästen auf dem Vorplatz, riesigen Blütengirlanden an der Fassade sowie einer hochkarätigen Sonderausstellung unter dem Motto „In volle bloei – in voller Blüte“.

Im 17. Jahrhundert begann in den Niederlanden die Blütezeit der Blumenstillleben. Ein bis dato gänzlich inexistentes Genre erlebte plötzlich als selbstständige Kunstform einen ungeahnten Hype. Klein- als auch großformatige Gemälde mit üppigen Fantasiesträußen, exotischen Pflanzen, winzigen Krabbeltieren und wertvollen Naturalia schmückten fortan die Wände wohlhabender Bürgerhäuser. Doch wie kam es zu diesem Boom? Welche Entwicklungen nahm das neue Genre? Und welche Rolle kam dabei der Wissenschaft zu?

„In volle bloei – in voller Blüte“

Die Ausstellung „In voller Blüte“ setzt sich allerdings nicht nur mit diesen spannenden Fragestellungen auseinander. Sie lenkt außerdem den Fokus auf die außergewöhnlichen Frauen, die sich in einer Männerdomäne als unabhängige Künstler-, Sammler- oder Wissenschaftlerinnen einen Namen machten.

Etwa 60 Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Publikationen laden noch bis zum 06. Juni die Besucher dazu ein, sich an der Pracht des Farben- und Formenreichtums der Pflanzenwelt zu erfreuen. Neben wunderschönen Werken aus dem Bestand des Mauritshuis werden auch außergewöhnliche Leihgaben aus Privatsammlungen und renommierten Museen wie dem J. Paul Getty L.A, dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, dem Kunsthistorischen Museum Wien oder dem Rijksmuseum in Amsterdam präsentiert.

Blick in den Ausstellungsraum "in voller Bluete" im Mauritshaus

Doch das ist noch längst nicht alles. Das stimmig durchdachte Ausstellungskonzept schließt sogar die Ausgestaltung der Ausstellungsräume mit ein. Die mit organischem Laminat verkleideten Wände stammen aus Abfallprodukten des Blumenzwiebelhandels. Dazu wurden Blüten, Stängel und Blätter getrocknet, gepresst und in die „Naturtapete“ eingearbeitet, während extrahierte Blütenpigmente den Wänden ihre Farbe verliehen. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit erwartet die Wandpaneelen nach Ausstellungsende eine zweite Karriere als umgearbeitete Möbelstücke, die käuflich zu erwerben sein werden.

Blumen auf Wanderschaft

Da die blumige Ausstellung im Mauritshuis schon bald ihre Pforten schließt, habe ich mich auf meinem Blog für eine „virtuelle“ Verlängerung in mehreren Etappen und loser Folge entschieden. „In voller Blüte“ hat meine Ansicht über die lange Zeit unter Kunstkritikern als minderwertig eingestuften Blumenstillleben grundlegend reformiert. Heute betrachte ich diese Gemälde, auf denen es so viele wundervolle Details zu entdecken gibt, mit ganz anderen Augen. Deshalb hoffe ich, Euch mit meinem geplanten mehrteiligen virtuellen Ausstellungsrundgang ebenfalls für diese auf Leinwand gebannten Naturspektakel zu begeistern.

In meinem ersten Beitrag erzähle ich Euch ein wenig über die Geschichte der Blumenstillleben zwischen 1600 und 1750. Passend dazu stelle ich Euch ausgewählte Meisterwerke aus der Jubiläumsausstellung vor, die schon bald wieder ihren „Heim“weg nach Wien, Madrid, Los Angeles oder Philadelphia antreten bzw. für, wer weiß wie lange, wieder aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit hinter den Mauern betuchter Sammler verschwinden werden.

Nach den schönsten Werken auf Wanderschaft werde ich mich der Frauenpower widmen. Die botanische Wissenschaft und das parallel dazu wachsende künstlerische Interesse an diesem Sujet bewirkten, dass Frauen das erste Mal aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen heraustraten. Im zweiten Teil meiner „In voller Blüte“-Ausstellungsreportage rücken dementsprechend die Werke von Clara Peeters, Maria Sibylla Merian oder Rachel Ruysch in den Fokus.

Anschließend geht es mit der ständigen Sammlung des Mauritshuis weiter. In loser Folge werden dann namhafte Meister wie Ambrosius Bosschaert, Willem van Aelst oder Roelant Savery ihren verdienten Auftritt haben.

Fassade des Mauritshaus in Den Haag in voller Bluete

Historienbilder Hop – Stillleben Flop

Von der Renaissance bis weit in das 18. Jahrhundert hinein gab es in der Kunstwelt eine strikte Hierarchie der unterschiedlichen Gattungen. Als Non-plus-Ultra galten Historiengemälde, gefolgt von Porträts und Genredarstellungen. Landschaftsbilder reihten sich auf dem vierten Platz ein, das Schlusslicht bildeten die Stillleben. Die französische Académie royale de peintre et de sculpture ging sogar 1667 in ihrer Beurteilung so weit, nur Historienmalern Lehrlinge zuzugestehen. Denn einzig und alleine diese wahre Kunstgattung verstand es, narrative Schilderungen mit allegorischen Elementen, Vorstellungskraft, Bewegung und dem Ausdruck von Emotionen auf der Leinwand zu vereinen.

Stillleben hingegen verlangten dem Künstler keinerlei Fantasie, schöpferische Leistung oder gar biblische oder mythologische Kenntnisse ab. Die Darstellung lebloser Gegenstände war aus diesem Grund verpönt und vor 1600 als eigenständiges Genre verwaist. Blumen oder Pflanzen existierten lediglich als Hintergrundrequisiten oder zur Vermittlung eines christlich-allegorischen Kontexts. So verhielt es sich offensichtlich mit dem allerersten bekannten Blumenstillleben, das derzeit im Mauritshuis als Leihgabe des Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid zu bewundern ist.

Hans Memling und die Premiere des Blumenstilllebens

Hans Memling (1440/43-1494) gehörte zu den absoluten Spitzenmalern unter den flämischen Primitiven. Der Bürger der Stadt Brügge machte sich vor allem als Altarbild- und Porträtmaler einen Namen. Die Aufträge für seine Andachtswerke erhielt er oftmals von begüterten Privatpersonen aus ganz Europa, die intensive Handelstätigkeiten in der florierenden Stadt unterhielten. So kam wohl auch das kleinformatige Triptychon (292 x 225 mm) zustande, dessen beide erhalten gebliebenen Tafeln die Ausstellung „in voller Blüte“ eröffnen.

Dem ersten Anschein nach haben die beiden Bilder nichts miteinander zu tun. Wir sehen zunächst eine „Vase mit Blumen in einer Nische“. Auf einem kleinen, mit einem handgewebten orientalischen Teppich bedeckten Tisch steht als einziger Blickfang ein Tonkrug mit einem über den Bildrand hinausstrebenden Blumengebinde. Das darauf verewigte, griechische Christusmonogramm IHS macht den einen religiösem Bezug offensichtlich. Zusätzlich leisten die Blumen ihren Beitrag zur Heilsbotschaft. Die weiße Lilie als Symbol der Jungfräulichkeit Mariä, die Akelei als Geste der Demut bei der Verkündigung des Herrn sowie die Schwertlilie stellvertretend für die Leiden der Mater Dolorosa während der Passion Jesu.

Wenngleich dieses blumige Gemälde von Hans Memling gerne als Vorläufer der eigenständigen Blumenstillleben angesehen wird, schmückt es „lediglich“ die Rückseite des Außenflügels eines privaten Altars. Auf der Vorderseite findet sich nämlich das Bildnis eines in die Leere hinein betenden Mannes. Kleidung und Frisur lassen auf einen wohlhabenden Kaufmann italienischer Herkunft schließen. Doch auch der Porträtierte spielt nicht die Hauptrolle des Triptychons. Vielmehr geht man davon aus, dass sich auf dem Mittelteil der zwei verloren gegangenen Tafeln die Jungfrau mit Kind befand, an die der Stifter seine Fürbitten richtete. Auf dem weiteren Außenflügel waren vermutlich die Stifterin sowie das Familienwappen abgebildet.

Wie alles begann – die Botanik in den Kinderschuhen

Die vehement propagierte Hierarchie der Gattungen, die lediglich das Sujet, aber nicht die Kunstfertigkeit des Malers beurteilte, geriet Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend ins Wanken. Wenngleich der niederländische Kunsttheoretiker und Maler Samuel van Hoogstraaten (1627-1678) seinen auf Blumenarrangements spezialisierten Kolleginnen und Kollegen lediglich eine Rolle als „Fußsoldaten in der Armee der schönen Künste“ zugestand, hatte sich mit der maritimen Vorherrschaft seines Landes und der rasanten Entwicklung des Fernhandels deren Blick auf die Welt geöffnet.

Der erste botanische Garten der Niederlande entstand 1594 in Leiden. Der berühmteste Botaniker dieser Zeit, Carolus Clusius (1526-1609), war ein angesehener Wissenschaftler, der an diversen Fürstenhöfen Europas zu Gast war, bevor er sich für eine Professur an der Universität Leiden entschied. Mit zahlreichen Publikationen, darunter seinem Meisterwerk Rariorum plantarum historia mit einer Beschreibung von mehr als 100 neuen Pflanzenarten, entfachte er das allgemeine wissenschaftliche Interesse an der Botanik.

Hortus Botanicus van de Universiteit Leiden, Willem Isaacsz. van Swanenburg, naar Jan Cornelisz. van 't Woudt, 1610

Exotische Pflanzen wurden importiert und ebenso wie heimische Arten gesammelt, kultiviert, examiniert und dokumentiert. Weitere Lehrgärten an Universitäten entstanden, denen private Gartenanlagen, Orangerien oder Gewächshäusern begüterter Landhausbesitzer in nichts nachstanden.

Das 17. Jahrhundert – ein neuer Berufszweig entsteht

Bald schon schoss ein neuer Berufszweig aus dem Boden. Der/die botanische ZeichnerIn entwickelte sich zu einer gefragten und angesehenen Profession. Die Natur wollte bildlich erfasst, verstanden, spezifiziert und katalogisiert sein. Nirgendwo in Europa setzten sich sowohl Fachinstitutionen als auch private Sammler derart intensiv mit dem Studium der Pflanzenwelt auseinander als in der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen. So entstanden hochwertige Schaualben mit akribisch naturgetreuen Darstellungen, die sogenannten Florilegien.

Selbst gekrönte Häupter wie Kaiser Rudolf II von Habsburg waren der Schönheit der Darstellungen verfallen. Der passionierte Kunst- und Naturaliensammler erwarb 1604 das Album mit 22 Zeichnungen aus der Hand von Jacob de Gheyn II (1565-1629), einem überaus produktiven Zeichner und Graveur.

Jacob de Gheyn II, Album mit 22 Zeichnungen, 1600-1604

Der Habsburger Monarch trat auch als Sponsor des „amplissimum et selectissimum„-Florilegium des Malers, Züchters und Händlers Emanuel Sweerts (1562-1612) auf. Das 1612 zum ersten Mal erschienene und später mehrfach neuaufgelegte botanische Kunstwerk enthielt 110 handkolorierte Kupferstiche mit Abbildungen von weit über 550 sowohl heimischen als auch exotischen Pflanzen. Dabei setzte Sweert die Pflanzen von der Wurzel bzw. der Zwiebel bis zur Blüte in Szene. Schließlich verfolgte er mit seinem Katalog gezielt kommerzielle Absichten. Nicht umsonst stand im Vorwort zu lesen, dass während der Messe in Frankfurt die abgebildeten Blumenzwiebeln in seinem Laden am Römer käuflich zu erwerben waren.

Der zwischen Frankfurt und Utrecht pendelnde Jacob Marrel (1614-1681) stellte sein künstlerisches Talent ebenfalls in die Dienste des florierenden Tulpenhandels. Dem Reiz seiner detailgenauen, mit Wasserfarben auf Pergament angefertigten Zeichnungen konnte sich kein Kaufinteressent entziehen. Durch die Angaben des Gewichts der Wurzel und des Verkaufspreises wusste der Kunde sofort, ob er sich die mit 1620 Gulden dotierte Admiral vander Eyck leisten konnte oder eher nicht.

Jan, der Blumenbrueghel, und der unbekannte CVB

Jan Brueghel der Ältere (1568-1625) wird heute als der erste flämische Blumenstillleben-Maler schlechthin angesehen. Er beherrschte die Kunst der an Sortenreichtum überbordenden Buketts aufs Meisterliche. Paradiesisches wollte er schaffen. Ganz nach dem Motto je mehr, desto besser. Bis zu 120 verschiedenartigen Blumen auf einem Bild waren keine Seltenheit. Dagegen nahm sich eines seiner floralen Erstlingswerke, das „Stillleben mit Blumen“ aus dem Jahr 1605, mit „nur“ 30 Sorten geradezu bescheiden aus.

Exotische Spezies sind dabei ebenso vertreten wie heimische Träubel, Vergissmeinnicht oder extrem langstielige Märzenbecher. Doch warum hat es das entwurzelte Alpenveilchen nicht mehr in die Vase geschafft? Ein dezenter Hinweis auf seine ferne, asiatische Herkunft? Oder gar eine Allegorie auf das Schicksal heimatloser Menschen? Nicht weniger subtil präsentieren sich der goldgefasste Ring neben den Münzen und losen Edelsteine am rechten Bildrand. Von einem ähnlichen Werk, das Jan Brueghel für seinen Auftraggeber Kardinal Borromeo in Mailand anfertigte, ist bekannt, dass dieser ihm das Gemälde mit dem Gegenwert der abgebildeten Preziosen vergütete.

Anstelle von Münzen und Juwelen wählte Christoffel van den Berghe (1590-1645) ein Trio formvollendeter Kegelschnecken aus dem Indopazifik, um den exotischen Charakter seines Stilllebens „Blumen in einer Steinnische“ zu unterstreichen. Unübersehbar galt den begehrten geflammten Tulpen das Hauptaugenmerk des bunt zusammengewürfelten Straußes. Allerdings jubelte ihm der aus Antwerpen stammende Maler allerlei Flug- und Kriechtiere unter. Wenn das mal kein Fehler war. Der Betrachter weiß kaum, welcher Spezies er zuerst seine Aufmerksamkeit schenken soll. Raupen, Fliegen, Libellen und Schmetterlinge, angefangen von dem prominent platzierten Tagpfauenauge über den Kohlweißling bis zu dem gut getarnten Distelfalter bringen reichlich Bewegung in das ansonsten stille Leben. Und ständig bin ich versucht, die störende, wespenähnliche Schwebfliege von der Hundertblättrigen Rose wegzuschnippen.

Christoffel van den Berghe, Flowers in a stone niche, 1617

Eine Sommerschöne hat ihren Starauftritt

Einzelne Tulpe, Balthasar van der Ast
Einzelne Tulpe; Balthasar van der Ast; ca. 1625; Privatsammlung

Auf nur eine Hauptdarstellerin, zwei Statisten und eine Requisite beschränkte sich Balthasar van der Ast (1593-1657) in seinem nicht einmal DIN A4 großen Blumenporträt. Entgegen dem allgemeinen Trend der Jahre 1600-1630 machte der Maler aus Middelburg eine einzelne Blume zum Mittelpunkt seines Kunstwerks. Selbstverständlich haben wir es nicht mit irgendeiner Blume zu tun, sondern mit der zu Höchstpreisen gehandelten Zomerschoon. Die rot-weiß geflammte Tulpe, die 1620 das erste Mal in Erscheinung trat, verdiente es also durchaus als singuläre Sommerschönheit wahrgenommen zu werden. Ihrem Wert entsprechend stellte van der Ast sie in eine goldverzierte Glasvase, nicht ohne mit der Fliege und dem Schmetterling auf ihre Vergänglichkeit hinzuweisen.

Allerdings hatte er sich mit dieser Einschätzung getäuscht. Zwar mag seine porträtierte Zomerschoon schon recht bald verblüht gewesen sein, jedoch gehörte sie trotz des Befalls mit dem Mosaikvirus zu den ganz wenigen Sorten, die sich bis heute durchgesetzt haben.

Natürlichkeit anstelle floraler Turmbauten zu Babel

Nach drei Jahrzehnten floraler Opulenz auf der Leinwand zeichnete sich bis Mitte des 17. Jahrhunderts ein Stilwechsel ab. Anstelle wissenschaftlicher Detailversessenheit rückte die Ästhetik der Gesamtkomposition in den Vordergrund. Die strenge Symmetrie der Buketts gehörte der Vergangenheit an. Natürlichkeit löste die scheinbare Gier ab, alle Wunder der Natur in einem Bild präsentieren zu wollen.

Die sich verändernde Käuferschaft spielte dabei keine unwesentliche Rolle. Mit dem Ausbruch der Tulpomania interessierten sich nicht mehr nur Botaniker und die oberen Zehntausend für die exotische weite Welt und ihre naturgetreuen zweidimensionalen Abbildungen. Dem aufstrebenden Bürgertum war gleichfalls daran gelegen, wenn schon nicht die wertvollen Blumenzwiebeln selbst, so wenigstens eine täuschend echte Kopie der Blütenpracht ihr eigen zu nennen. Zumal die Freude darüber wesentlich länger anhielt.

Als Hans Gillisz Bollongier (1600-1645) das „Stillleben mit Blumen“ malte, lag der Crash des Tulpenwahnsinns bereits zwei Jahre zurück. Dennoch änderte dies nichts an der Beliebtheit der Liliengewächse. Die bessere Amsterdamer Gesellschaft zog es im Frühjahr zur Zerstreuung nach wie vor zum Bollenstreek, den sich endlos lang dahinziehenden Tulpenfeldern zwischen Haarlem und Leiden. Somit hatte der Haarlemer Maler das Anschauungsmaterial direkt vor seiner Haustüre. Kein Wunder, dass die Tulpen mit ihren ausgefallenen Zeichnungen das Bild dominieren. Die wenigen Sorten unifarbiger Rosen, Nelken und Anemonen sind nur füllendes Beiwerk. Schwer mit süßlichem Duft beladen lassen sie zum Teil bereits ihre prallen Köpfe hängen. Noch können Wetten abgegeben werden. Wann segelt das erste Blütenblatt langsam hinab auf die steinerne Tischplatte? Bevor oder nachdem die Eidechse sich Raupe und Schnecke einverleibt hat?

Hans Bollongier, Stillleben mit Blumen, 1639,

Blumenstilleben und der Ernst des Lebens

Ein Käfer da, eine Raupe dort, eine Fliege auf einer Blüte, die Andeutungen von Vergänglichkeit waren in Blumenstillleben beinahe omnipräsent. Jedoch selten so deutlich wie auf dem „Memento mori“ von Jan Davidsz. De Heem. Der Zeitgenosse Rembrandts machte aus der Vergänglichkeit alles Irdischen keinen Hehl. Noch steht der Blumenstrauß in der Vase in voller Blüte, doch darum herum lauern Dunkelheit, Verfall und der Tod. Im Vordergrund der von Insekten zerfressene Zweig, daneben die ausgedünnte Johannisbeerrispe und der Riss in der massiven Marmorplatte. Dazu der im Schatten der riesigen Turbanschnecke liegende Totenschädel sowie die auf einem zerknitterten Stück Papier hinterlassene Botschaft „Memento Mori“. Gezielte Mahnungen, die kurze Lebenszeit nicht mit leerer Pracht zu vergeuden, sondern auf die Erlösung hinzuarbeiten. Deshalb dürfen auf diesem Vanitas-Stillleben auch Ähren und Nelken als Symbole der Auferstehung Jesu nicht fehlen.

Memento Mori. Ein Totenkopf neben einem Blumenstrauss; Jan Davidsz. de Heem

Üppigkeit, Überfluss, Opulenz kehren zurück

Was hat schon Bestand im Leben? Kunstgeschmack bestimmt nicht. Im Laufe der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde das Bemühen um mehr Natürlichkeit wieder über Bord geworfen. Üppigkeit, Überfluss, Opulenz kehrten zurück. Das Schaulaufen neuer Blumensorten, verspielter Details, exklusiver Dekors und jeder Menge ausgefallener lebender Naturalien erreichte einen neuen Höhepunkt. Die Komposition musste attraktiv sein. Anspruchsvoll wie der Geschmack des Käufers.

Jan van Huysum (1682-1749) aus Amsterdam wusste nicht nur worauf seine Abnehmer Wert legten, sondern besaß auch das Talent, deren Wünsche perfekt umzusetzen. Er gab die Landschaftsmalerei auf und wandte sich den Blumenstillleben zu. Ein Karriereschritt, der ihm Ansehen und Wohlstand verlieh. Welchen vermögenden Kreisen seine Kundschaft angehörte, lässt sich bereits am Dekor seines „Stillleben mit Blumen“ aus dem Jahr 1723 erahnen: eine Statue der griechischen Göttin Flora, eine diffus angedeutete weitläufige Parklandschaft im Hintergrund, dazu eine prunkvolle Terrakotta-Vase mit Putti-Verzierungen.

Huysum brachte nicht nur neuartige, ausgefallene Accessoires wie das Vogelnest mit Eiern ins Spiel, sondern versprühte mit dem hellen Hintergrund und den pastellenen Farben eine bis dato ungeahnte Leichtigkeit. Andererseits herrscht ein unheimliches Durcheinander auf dem Bild. Ein wenig des Guten zu viel für meinen Geschmack. Barocke Üppigkeit in Reinkultur eben. Doch seit ich die unzähligen winzigen Details auf dem Gemälde entdeckt habe, sehe ich es mit anderen Augen. Frische und Verfall stehen im Wettstreit. Die täuschend echten Tautropfen können nicht über die verwelkenden, braun gefärbten Blätter hinwegtäuschen. Ganz zu schweigen von dem emsigen Trupp Ameisen, der sich über die edle weiße Blütenpracht hermacht. Einfach genial!


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