Detail des bildgewaltigen Portals der Iglesia Santa María in Sanguesa
Navarra,  Spanische Erinnerungen

Sangüesa und die Iglesia Santa María


Olite schläft noch, als ich mich an diesem kühlen Vormittag auf den Weg Richtung Nordosten mache. Sangüesa heißt mein heutiges Ziel. Eine der bedeutendsten mittelalterlichen Metropolen des Jakobswegs und gleichzeitig Grenzstadt zwischen den Königreichen Navarra und Aragón.

Eine Stadt, die 1122 von König Alfonso I. el Batallador neu gegründet wurde. Neu deshalb, weil sie schon existierte. Allerdings an einem anderen Ort. Und dieser andere Ort entsprach nicht den Vorstellungen des Herrschers über Aragón und Navarra. Er wünschte sich stattdessen eine gut zugängliche Vorzeigestadt in der fruchtbaren Ebene des Flusses Aragón. Sangüesa Nueva, neues Sangüesa, nannte Alfonso I. das zukünftige Aushängeschild seines Königreichs.

Rocaforte oder das alte Sangüesa

Das alte Sangüesa, Sangüesa Vieja, existiert noch. Mit besonderer Betonung auf „noch“. Auf dem nur einen Steinwurf entfernt liegenden Hügel pflegt es ein Schattendasein unter dem Namen Rocaforte. Und die Schatten von Rocaforte werden immer länger. Mit weniger als 40 Einwohnern, ist die einstige Bastion gegen die maurischen Eroberer, heute nicht mehr als ein absterbender Appendix des Industriegebiets von Sangüesa Nueva.

Nur noch die Burgruine auf dem runden Felsplateau erinnert an den bedeutenden Stellenwert, den Rocaforte im Mittelalter einnahm. Der erste navarresische Herrscher erblickte hier das Licht der Welt, und die Festung zählte im 10. und 11. Jahrhundert zu den strategischen Eckpunkten der christlichen Verteidigungslinie gegen die islamische Bedrohung. Doch mit Gründung von Sangüesa Nueva verblasste der Stern von Rocaforte zunehmend.

Franz von Assisi und das Wunder von Rocaforte

Selbst dem Heilige Franz von Assisi gelang es nicht, die traditionsreiche Ansiedlung vor dem Niedergang zu retten. Während seiner Pilgerschaft nach Santiago de Compostela, um das Jahr 1214, verweilte er längere Zeit in dem Städtchen am Jakobsweg um die Genesung eines erkrankten Mitbruders abzuwarten.

Der Prediger genoss die Ruhe und Abgeschiedenheit der wilden Landschaft. Deshalb unternahm er jeden Nachmittag einen ausgedehnten Meditationsspaziergang. Als er an einer Quelle Wasser schöpfte, überkam ihn plötzlich eine bleierne Müdigkeit. Und während er den Schlaf des Gerechten schlief, schlug sein Pilgerstab Wurzeln. Im Zeitraffer trieb ein stämmiger Maulbeerbaum aus, erblühte in voller Pracht, um anschließend die schönsten Früchte zu tragen. Als Francisco aufwachte und nach seinem Pilgerstab greifen wollte, entdeckte er die wundersame Verwandlung. Sogleich eilte er davon, um seinen Mitbrüdern von dem Mysterium zu berichten. Doch kaum hatte er sich auf den Weg gemacht, verdorrte der Baum in Sekundenschnelle. Erst als Franz von Assisi mit seinen Gefährten zurückkehrte, schossen neue Lebenskräfte durch den Stamm, die die Baumkrone schöner denn je erblühen ließ.

Aus Dankbarkeit für das Zeichen Gottes, gründete Francisco an Ort und Stelle das erste Franziskanerkloster auf spanischem Boden. Leider hatte es nur ein halbes Jahrhundert Bestand. Nachdem der König in Sangüesa Nueva das Konvent San Francisco, zu Ehren des Heiligen, aus der Taufe gehoben hatte, siedelten die Mönche um. Kirche und Klostergebäude blieben sich selbst und der Natur überlassen.

Im 18. Jahrhundert gab es einen gut gemeinten Versuch, das klösterliche Anwesen als auch das Dorfleben wieder in Gang zu setzen. Allerdings blieb der gewünschte Erfolg aus. Ich fürchte, bald erinnern nur noch vergilbte Dokumente in den Tiefen des Archivs des navarresischen Rechnungshofes an die Existenz von Rocaforte bzw. Sangüesa Vieja.

Sangüesa – Stadt ohne Fehl und Tadel

Die Geschichte von Sangüesa Nueva, der ersten Pilgerstation des Camino aragonés auf navarresischem Boden, ist ebenfalls schnell erzählt.

Mit der Renaissance des Jakobsweges und der Gunst des Königs entwickelte sich die frisch aus der Taufe gehobene Ansiedlung rasant zu einem Mekka der verschiedenen Glaubensgemeinschaften. Karmeliter, Dominikaner, Franziskaner und Mercedarier kümmerten sich sowohl um die Seelen der Bewohner als auch der Wallfahrer. Der König, damals noch derjenige von Aragón und Navarra, ließ sich einen Palast bauen und hielt des Öfteren Hof in Sangüesa. Noch heute zeugt das gut erhaltene, architektonische Erbe, darunter ein Dutzend Paläste und Adelshäuser, vier Klöster, fünf Kirchen sowie, sage und schreibe, zwölf Hospize vom Wohlstand der Stadt.

Im 13. Jahrhundert verschlechterte sich das Verhältnis der beiden Regionen zusehends. Sowohl Navarra als auch Aragón beharrte auf ihren eigenen König. Als Grenzstadt geriet Sangüesa deshalb häufig zwischen die Fronten. Dabei schlug das Herz der Sangüesinos immer für ihr kleines Königreich Navarra. Erfolgreich verteidigten sie ihren Grund und Boden gegen aragonische Übergriffe. In der Schlacht im nahe gelegenen Valdoluengo, gelang es ihnen sogar das feindliche Banner zu erbeuten. Als stolzes Symbol ihres Sieges zieren die roten Streifen der aragonischen Flagge heute noch das Wappen Sangüesas. Außerdem erhielt die Stadt vom König höchstpersönlich den Titel: „Sangüesa, la que nunca faltó“ verliehen, was frei übersetzt „Sangüesa, diejenige ohne Fehl und Tadel“ bedeutet.

Im Laufe des 16. Jahrhunderts beruhigte sich die politische Situation. Städtebau als auch Handel strebten durch die logistische Nutzung des Flusses Aragón einem neuen Höhepunkt zu. Noch ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand, dass man sich mit der ausgezeichneten infrastrukturellen Lage am Flussufer, den Teufel ins Bett geholt hatte.

Rio Aragón bei Sanguesa in Navarra

Der schwärzeste Tag in der Geschichte von Sangüesa

Der 25. September 1787 ging als schwärzester Tag Sangüesas in die Annalen ein. Innerhalb von dreieinhalb Stunden schwoll der Fluss Aragón zu einem todbringenden Inferno an, überrollte die Ebene mit unvorstellbaren Wassermassen und riss 20% Prozent der Einwohner mit in den Tod. Nur ein Zehntel aller Gebäude konnte den Fluten standhalten. Der Rest wurde gnadenlos fortgeschwemmt. Tapfer wie die Sangüesinos bisher jede Schlacht geschlagen hatten, gaben sie auch in dieser schweren Stunde ihre Stadt nicht auf. Das Leben ging weiter.

Man versuchte sich, so gut als möglich mit den immer wiederkehrenden jahreszeitlich bedingten Überschwemmungen zu arrangieren. In den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzte sich schließlich die Regierung Navarras mit dem naturgegebenen Problem auseinander. Sie entschied sich für den Bau des umstrittenen Stausees von Yesa, der seitdem die Launen des Río Aragón bändigt.

alte Aufnahme von Sanguesa

Einst geleitete eine siebenbogige, romanische Brücke die Jakobspilger sicher stadtauswärts über den unberechenbaren Fluss. Seit Ende des vorletzten Jahrhunderts wurde sie durch eine unästhetische stählerne Überführung ersetzt, die nun den Verkehr von der Durchgangsstraße NA-132 direkt ins Zentrum führt. Spontan verleihe ich dem modernen Übergang den Tagespreis für den unansehnlichsten architektonischen Fauxpas der Region. Glücklicherweise sind mit der Beseitigung der steinernen Vorgängerversion, nicht auch die wundersamen Legenden, die sich um sie rankten, in der Versenkung verschwunden.

Der tapfere Edelmann Roque Amador

Die bekannteste davon erzählt von einem treuen Gefolgsmann des, von seinem eigenen Vater verfolgten Prinzen von Viana. Eins ums andere Mal fügte der Held dieser Geschichte den Häschern des Prinzen empfindliche Niederlagen zu, weshalb der Thronräuber-König ihn zum Staatsfeind Nummer Eins erklärte. Eine gnadenlose Hetzjagd begann, doch immer wieder konnte der loyale Ritter seinen Feinden entkommen. Erst nach Wochen des Versteckspiels kam es auf der Brücke von Sangüesa zum Showdown.

Von beiden Seiten eingekreist, sah der junge Draufgänger nur einen einzigen Ausweg, den Schergen des Usurpators zu entkommen. Er gab seinem Streitross die Sporen und flehte die Heilige Jungfrau um Errettung seines Seelenheils an. Dann unterschrieb er, mit einem halsbrecherischen Sprung über die Brückenbrüstung in die tosenden Fluten des Río Aragón, sein sicheres Todesurteil. Seine Verfolgern konnten nur noch ungläubig zuschauen, wie die Strömung den furchtlosen Rittersmann mit sich forttrug. Nur zu gerne hätten sie den Anhänger des Prinzen selbst zur Strecke gebracht um die Schmach der bezogenen Niederlagen zu tilgen. Nun lag sein Schicksal in höheren Händen. Und die höhere Instanz, die Jungfrau Maria, hatte wohl Erbarmen mit dem jungen Edelmann. Denn, oh Wunder, einige hundert Meter flussabwärts tauchten Ross und Reiter unversehrt aus den Fluten auf.

Der Name des couragierten Ritters war Roque Amador.
Und so liefert mir der unerschrockene Held den perfekten Brückenschlag zur berühmtesten Kirche in Sangüesa, Santa María la Real de Rocamador.

Iglesia Santa Maria la Real in Sanguesa

Die königliche Kirche – Santa María la Real

Der Baubeginn des romanischen Meisterwerks datiert ins 12. Jahrhundert. König Alfons I. erteilte den Auftrag, und unterstellte es der Schirmherrschaft des Johanniterordens. Seine Vollendung erlebte er nicht mehr. Die beiden Seitenschiffe, das Südportal und der achteckige Turm mit den gotischen Spitzbogenfenstern wurden erst in den beiden folgenden Jahrhunderten fertig gestellt.

Portal der Iglesia Santa María la Real in Sanguesa aus den 1920er Jahren

Der für diese Zeit typische festungsartige Charakter vieler Gotteshäuser spiegelt sich auch in Santa María wider. Vom Zinnen gekrönten Turm mit der kecken Spitzhaube und dem umlaufenden Wehrgang konnte der herannahende Feind frühzeitig ausgemacht werden. Die dicken Kirchenmauern garantierten den Schutz suchenden Einwohnern physische Sicherheit und der Pfarrer seelischen Beistand.

Über die Jahrhunderte leistete Santa María den Gläubigern hervorragende Dienste. Dennoch konnten die ihr treu Ergebenen den langsam fortschreitenden Verfall nicht aufhalten. Die häufigen Überschwemmungen und das schutzlose Ausgeliefertsein gegenüber den Witterungseinflüssen hatte im Laufe der Zeit den Sandstein des Südportals zunächst Millimeter für Millimeter, dann Zentimeter um Zentimeter abgetragen. Hinzu kamen die Bürgerkriege im 19. Jahrhundert. Die in Sangüesa stationierten Truppen hatten die Kirche, mangels Alternativen, zur Kaserne umfunktioniert. Dies fügte der eh schon angeschlagenen Bausubstanz weiteren Schaden zu.
Und, nicht zu vergessen, der Fluch der Vogelexkremente mit ihren chemisch-aggressiven, zersetzenden Eigenschaften.

Eine beispiellose Restaurierungs- und Rettungsaktion

Es verging kein Jahrhundert, in dem nicht Ausbesserungs- oder Instandhaltungsarbeiten vorgenommen wurden. Das letzte groß angelegte Restaurierungsprojekt startete 2008, nachdem immer lauter und zahlreicher werdende Stimmen mit einer stoischen Beharrlichkeit den desaströsen Zustand von Santa María öffentlich anprangerten. Ein internationales Expertenteam aus Restauratoren, Architekten, Steinmetzen, Historikern, Mediävisten, Paläografen bis hin zu Chemikern, Biologen, technischen Zeichnern und Elektrikern nahm sich des stark angegriffenen Kulturguts an.

Nach einer erschöpfenden chemischen, lasertechnischen und manuellen Reinigung beschäftigten sich die Restauratoren in akribischer Detailversessenheit mit der Korrektur vorausgegangener, dilettantisch ausgeführter Arbeiten. Anschließend kümmerten sie sich um die Konservierung der Einzelreliefs des Südportals. Als weitere Maßnahme montierte man um das Portal einen Metallrahmen als Regen- und Windschutz. Die polychrome Fassade erhielt eine Behandlung mit Feuchtigkeit abweisenden Materialien. Zu guter Letzt wurde ein elektrostatisches Vogelabwehrsystem installiert. Dank des hingebungsvollen Einsatzes aller beteiligten Fachkräfte konnte ein Jahr darauf der erfolgreiche Abschluss der Operation gefeiert werden.

Weltanschauung für das einfache Volk

Ich muss gestehen, ich liebe dieses Südportal mit seinen mehr als dreihundert Steinskulpturen. Es ist mein absoluter Favorit unter all den unzähligen romanischen Kirchenportalen in Navarra. Der einzige Wermutstropfen ist seine ungünstige Lage direkt an der Hauptstraße. So hat man entweder die Wahl zwischen einer an der Fassade platt gedrückten Nase inklusive Genickstarre, oder man besitzt den Mut, als lebensmüdes Gafferhindernis auf der frequentierten Calle Mayor Auslöser eines dissonanten Hupkonzerts zu sein.

Das Portal entstand zwischen 1160 und 1200. Zu einer Zeit also, als die Calle Mayor noch ein schlichter Pilgerweg, und die wenigsten Menschen des Lesens oder Schreibens mächtig waren. Den Steinmetzen der Romanik und Gotik kam deshalb eine besonders anspruchsvolle Aufgabe zu. Sie mussten ihre Handwerkskunst nicht nur zum Prestige des Kirchengebäudes und der Lobpreisung Gottes einsetzen, sondern auch dem einfachen Volk moralische Botschaften auf verständliche und prägnante Weise vermitteln. Der Eingang ins Gotteshaus stellte folglich ein plakatives Manifest von Gut und Böse, von Moral und Tadel, von Himmelreich und Verdammnis dar.

Die Baumeister von Santa María la Real haben diesen Auftrag in Perfektion umgesetzt. Sie schufen auf der Repräsentationsseite der Kirche eine Bibel für Analphabeten mit den zentralen Themen Jüngstes Gericht und Erlösung. Um eine reale Verbindung der biblischen Gleichnisse zum irdischen Leben herzustellen, streuten sie zwischen die bildlichen Darstellungen des Alten und Neuen Testaments Figuren, mit denen sich die Menschen identifizieren konnten: Gottgläubige und Sünder, Helden und Bösewichter, Männer und Frauen niederen Standes, Handwerker, Landwirte, Bettler, Soldaten, Priester, Edelmänner, Spielmannsleute, Pilger und Narren, also die ganze Bandbreite der mittelalterlichen Gesellschaft.

Auch die Tierwelt durfte nicht fehlen. Die biblischen Kuh, Esel, Lamm, Schlange, Löwe sind ebenso präsent wie die schlimmsten Ausgeburten menschlicher Albträume, die mythologischen Mischwesen und Genunfälle. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.  

Vergebliche Selbstkasteiung

Jedes Mal, wenn ich vor der Südfassade von Santa María la Real stehe (das halbe Dutzend ist beinahe voll), bin ich gleichermaßen fasziniert. Jedes Mal entdecke ich noch ein Detail, das mich staunen, schmunzeln oder auch ratlos zurücklässt. Und dieses Staunen, Schmunzeln, Ratlos sein, möchte ich unbedingt mit Euch teilen.

Allerdings stehe ich dabei vor einem Riesenproblem. Stellt Euch ein endlos langes, all-you-can-eat Buffet vor, mit all Euren Lieblingsspeisen. Ihr dürft alle Köstlichkeiten stundenlang anschauen, aber nur so viel davon essen, wie auf einen Kuchenteller passt. Genauso fühle ich mich gerade. In diesem Portal sind so viele Botschaften und Symbole, so viele verschlüsselte Mitteilungen und so viele Geschichten zu den Geschichten versteckt, dass es den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.

bildgewaltiges Portal der Iglesia Santa María in Sanguesa

Folglich musste ich eine Auswahl meiner persönlichen Highlights der monumentalen Bildergeschichte treffen. Doch selbst diese Auswahl ähnelte mehr einem riesigen Platz- denn einem Kuchenteller. Also hieß es weiter feilen, kürzen, verzichten. Das Ergebnis: ein vollgehäufter Kuchenteller, aber immer noch unverdaulich. Einfach des Guten zu viel. Schweren Herzens strich ich weiter. Am Ende hatte ich zwar einen gut proportionierten, aber wild durcheinander gewürfelten Kuchenteller. Nichts passte mehr zum anderen.  

Schlussendlich habe ich mich deshalb doch für den vollgetürmtem Dessertteller entschieden, und überlasse Euch die Entscheidung, wie viel Ihr davon naschen möchtet. Je nach Lust und Laune, Eile oder Muse, Hunger oder Sättigungsgrad, könnt Ihr nun selbst auswählen, wie weit ihr mir auf der Entdeckungsreise durch die Spielwiese der mittelalterlichen Welt in Sangüesa folgen möchtet.

Eine mittelalterliche Entdeckungsreise des Portals von Santa María la Real

Am Portal der Marienkirche waren maßgeblich zwei Baumeister am Werk. Dies erklärt die augenscheinlichen Unterschiede in Ausführung, Darstellung und Motivwahl oder auch -wiederholung.

Apostel im Tympanon der Kirche Santa María in Sanguesa

Der untere Portalabschnitt einschließlich Tympanon und über die Hälfte der Bogenzwickel tragen die Handschrift eines Künstlers namens Leodegarius. Seine und die Arbeiten seiner Werkstatt fallen in den Baubeginn bis etwa Mitte 1170. Inspiriert wurde er zweifellos durch die Kathedrale von Chartres, die als eine der Vorreiterinnen der Gotik, neue architektonische Maßstäbe setzte. Neben dem in einem angedeuteten Spitzbogen auslaufenden Giebelfeld zeigen sich die deutlichsten Parallelen bei den in Spanien erstmalig anzutreffenden Säulenstatuen. Weitere, typische Erkennungsmerkmale des französischen Steinmetz aus dem Burgund sind die horizontal ausgerichteten Figuren in den Gewölbebögen, sowie der streng vertikale Faltenwurf der Kleidung seiner steinernen Darsteller.

In den übrigen Fassadenabschnitten hat ein anderer Steinmetz seine Spuren hinterlassen. Seine Protagonisten besitzen eine kantige Gesichtsform mit abgeflachtem Kopf, markante Glubschaugen und lockige, wie dicke Wollfäden gemeißelte Haare. Diese Handschrift ist keine unbekannte. Sie gehört nämlich dem Meister von San Juan de la Peña . Der Steinvirtuose der Kapitelle im Felsenkloster San Juan de la Peña in Aragón trat 1190 die Nachfolge des Leodegarius an und vollendete das Portal binnen zehn Jahren.

So, jetzt ist alles vorab gesagt. Das Abenteuer kann beginnen.

Die Säulenstatuen

Das Tympanon

Die Archivolte

Die Bogenzwickel

Die obere Galerie

Meine persönlichen Protagonisten

Schlechte spanische Gewohnheiten

Bei der Suche nach den weiteren Sehenswürdigkeiten der Stadt, hoffe ich auf die Kompetenz des Tourismusbüros von Sangüesa. Allerdings gestaltet es sich schwierig, dessen Know-how auf die Probe zu stellen, denn die Eingangstüre ist fest verschlossen. Der halbstündliche Glockenschlag bestätigt, dass die offizielle Öffnungszeit längst überfällig ist. Ich versuche mein echauffiertes Gemüt mit dem Statement des spanischen Schriftstellers Francisco Gavilán zum Thema spanische Pünktlichkeit zu beruhigen: „In diesem Land hält sich niemand auch nur zufällig an vorgegebene Zeiten. Die Uhr ist also ein nutzloses Instrument. Normalerweise dient sie uns dazu festzustellen, ob wir uns noch mehr verspäten können, als wir es ohnehin schon tun.“ (aus: Malas costumbres españolas; Schlechte spanische Gewohnheiten).

Nun gut, vertrete ich mir eben ein wenig die Beine auf der Calle Mayor und versuche dann erneut mein Glück. Aber selbst nach zweimaligem Abgehen der von leer stehenden Geschäften geprägten Hauptstraße, rüttle ich vergeblich an der Türe des Oficina de Turismo. Da inzwischen mein Magen knurrt, entscheide ich mich spontan für ein kulinarisches Alternativprogramm. Zum Glück bietet die einzige Cafeteria am Platz eine stattliche Auswahl an köstlich belegten Broten. Also lasse ich mir eine sättigende Lunchbox für mein spontan einberufenes Picknick schnüren.

Auf einer Parkbank in Flussnähe mache ich es mir und meinen bocadillos gemütlich. Ich sinniere noch über die ausdrucksstarke Bilderwelt des Santa María-Portals nach, als ich verblüfft feststelle, dass das mit Schweinefilet und gerösteten grünen Paprika belegte Weißbrot im Handumdrehen meiner Heißhungerattacke zum Opfer gefallen ist. Der erste Appetit ist gestillt, jetzt kann es mit aufgetankten Energiespeichern zum Fremdenverkehrsbüro zurückgehen. Offene Türen – Fehlanzeige. Meine Toleranzgrenze – überschritten. Die Parkzeit – abgelaufen. Also ziehe ich weiter und suche mir, wie das Monster am Türpfosten, ein neues touristisches Opfer auf meiner Reise durch Navarra.

Sangüesa (Comunidad Foral de Navarra), Februar 2011


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