Pont du Corbeau in Strasbourg mit altem Zollhaus im Hintergrund
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Pont du Corbeau und der Rabenhof


Eingebettet zwischen den beiden Armen des Flusses Ill liegt die historische Altstadt von Straßburg auf einer etwa ein Quadratkilometer großen Insel. Um trockenen Fußes auf die Grande Île zu gelangen, kann man zwischen 22 Übergängen wählen. Zu den bekanntesten und am meisten frequentierten gehört sicherlich die Pont du Corbeau. Seit ihrem Bau im 13. Jahrhundert verbindet die Rabenbrücke das ehemalige Fischer- und Flussschifferviertel Krutenau im Süden Straßburgs mit dem Stadtzentrum auf der Großen Insel.

Dass die Pont du Corbeau jedoch neben ihrer reinen Brückenfunktion bis weit ins 18. Jahrhundert noch ein zweites Image als Vollzugsort drastischer und unbarmherziger Gerichtsstrafen pflegte, daran erinnert heute nur noch eine Inschrift am südlichen Brückenzugang. Die leicht zu übersehende Gravur im roten Sandstein erzählt uns nämlich von dem mehrmaligen Namen-Wechsel-Dich-Spiel der Brücke als auch von ihrer dunklen Vergangenheit im Mittelalter.

Inschrift auf der Pont du Corbeau in Strassburg, Elsass

Ungewöhnliche Namenspaten für die Pont du Corbeau

Das Licht der Welt erblickte sie im Jahre 1308 als hölzerne Schindbrücke. Diese Bezeichnung behielt sie bis ins Jahr 1770 bei, als man begann, ihre unrühmliche Vergangenheit unter den Teppich zu kehren. Die Ablösung als Pont de la Grande-Boucherie bzw. Pont des Bouchers in Anlehnung an den Schlachthof auf der linken Ill-Seite brachte der Brücke kaum mehr Sympathiepunkte. Zu humanistischen Ehren gelangte sie immerhin während der Französischen Revolution als Pont Rousseau zu Ehren des berühmten Schriftstellers der Aufklärung.

Nachdem sowohl der blutige Volksaufstand als auch die erste Französische Republik zu den Geschichtsakten gelegt waren, gab man 1816 einer unverfänglicheren Namensgebung den Vorrang. Fortan trug die heutige Steinbrücke den Namen Pont du Corbeau oder Rabenbrücke. Denn je nach staatlicher Zugehörigkeit des Elsass zwischen 1871 und 1945 mussten sich nicht nur die Einwohner, sondern auch die Straßen, Brücken Plätze und Gebäude dem offiziellen Sprach- und Namenwechsel anpassen.

Über den Ursprung des schwarz gefiederten Vogels als letztendlichem Namenspaten existieren diverse Theorien. Eine eher zufällige Rolle spielt dabei seine Verkörperung von Unglück und Tod. Vielmehr führt ein ehemaliger Gasthof Zum Rappen an der jetzigen Place du Corbeau die Hitliste der potenziellen Namensgeber an. Die Erklärung macht durchaus Sinn, wenn man bedenkt, wie schwer eine korrekte Rechtschreibung sein kann. Ein Rappen kann da schon mal zum Raben mutieren.

Die Pont du Corbeau als Nationalstraße

Doch nicht nur ihren Namen, sondern auch ihr Aussehen veränderte die Brücke im Laufe der Zeit.
Während im 15. Jahrhundert noch diverse Händler ihre Waren aus kleinen Holzbuden heraus den in die Stadt hinein eilenden Menschen feilboten, hielt man später ein steinernes Kruzifix für christlichen Beistand auf der Schindbrücke für unverzichtbar.

Zwei komplette Neugestaltungen durchlebte der Überweg im 19. Jahrhundert. Wer hätte geahnt, dass die Pont du Corbeau einst Bestandteil der Route nationale war, die von der französischen Hauptstadt ausgehend mitten durch Strasbourg führte, um anschließend ihren Weg bis nach Wien zu nehmen? Entsprechend frequentiert, erwies sich die bisherige Holzbrücke als nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Also gab die Stadtverwaltung 1841 grünes Licht für ihren Abriss zugunsten eines gusseisernen Nachfolgeexemplars.

Das neumodische Konstrukt mit seiner leichten Bogenform erwies sich als durchaus vorteilhaft für die Flussschiffer auf der Ill. Dagegen war sie weder bei den Droschkenlenkern der gut situierten Straßburger Damen und Herren noch bei den Händlern mit ihren schwer beladenen Karren besonders beliebt. Knapp 50 Jahre später kam deshalb bereits das Aus für die Metallbrücke. Sie wurde abgebaut und ihr Eisen ressourcenschonend für die Konstruktion der Pont Saint Nicolas verwendet.

Stattdessen nahmen im Jahr 1892 die Vorplanungen zur Inbetriebnahme einer elektrischen Straßenbahn mit dem Bau einer einbogigen Steinbrücke konkrete Gestalt an. Aus praktischen Gründen heraus wurde die Fahrbahn erneut verbreitert und mit Straßenbahnschienen ausgestattet. Dazu erfreuten vier schmucke Ecktürmchen das ästhetische Auge. Diese überstanden die deutsche Besatzungszeit während des Zweiten Weltkriegs ebenso wenig wie die sich direkt im Südosten an die Rabenbrücke anschließende Häusergruppe (links auf der Postkarte von 1920). Zusammen mit den Waschhäusern entlang der Ill wurde sie durch schweres alliiertes Luftbombardement am 11. August 1944 zerstört und nicht wieder aufgebaut.

Henkersbrücke im Mittelalter

Doch gehen wir noch einmal in das 14. Jahrhundert und damit in das dunkelste Kapitel der Schindbrücke zurück. Die Rechtsprechung damals war gnadenlos und grausam. Öffentliche Demütigungen, Folterungen und Hinrichtungen gehörten zur Tagesordnung. Dabei zählten Kapitalverbrechen wie Mord oder Hochverrat zur Hohen Gerichtsbarkeit, die dafür die Todesstrafe vorsah. Das Urteil des zuständigen Blutrichters lautete in der Regel für die männlichen Delinquenten Tod durch Erhängen an einem Freitag, während die weiblichen Straftäterinnen samstags ertränkt wurden. Doch bei Kinder- oder Vatermördern wurde kein Unterschied gemacht. Zwischen 1411 und 1617 hieß in diesen Fällen das Verdikt Tod durch Ertränken. Der Henker, auch Schinder genannt, nähte die VerbrecherInnen in einen Leinensack ein und warf sie vom offiziellen städtischen Vollstreckungsort, der Schindbrücke, in die Ill.

Das Säcken war auch die bevorzugte Maßnahme, um die Schuld oder Unschuld von Hexen zu entlarven. Konnten sie sich unerwartet aus dem Sack befreien und ans Ufer retten, galt dies als deutlicher Beweis ihrer übernatürlichen Kräfte. Ertrank die in den Sack eingenähte Hexe in den Fluten, sprach sie dies zwar von jeglicher Schuld frei, doch tot war sie trotzdem. Dafür sicherte sie sich als Belohnung für die bestandene Prüfung die direkte Aufnahme ins Himmelreich. Ein vermutlich schwacher Trost für die Betroffene. Vielmehr sollte diese Annahme das schlechte Gewissen des Richters und Henkers beruhigen.

Apropos Henker. Der Scharfrichter hatte in Straßburg alle Hände voll zu tun. Anfang des 17. Jahrhunderts vollzog er in weniger als 20 Jahren etwa 150 Hinrichtungen. Eine ganze Menge Todesurteile für eine Stadt mit nur 32.000 Einwohnern.

Kippbretter, Schandkörbe und Drahtkäfige – Vollstreckungswerkzeuge zur Volksbelustigung

Bei geringeren Vergehen warteten nicht weniger drakonische Strafen. Fälscher, Diebe oder Kaufleute, die ihre Mitmenschen mit falschen Gewichten und Maßeinheiten betrogen hatten, machten ebenfalls Bekanntschaft mit der Ill. Dazu fesselte der Schinder die Betrüger auf ein Kippbrett. Je nach Schwere der Tat tauchte er anschließend die Wippe mal kürzer oder gerne auch mal länger unter Wasser. Dass das Wasser bzw. der Fluss damals eher einer träge dahinfließenden Kloake glich, die nicht nur menschliche Exkremente, sondern auch Tierkadaver und -gedärme aus dem direkt neben der Brücke gelegenen Schlachthaus mit sich führte, machte die Strafe noch schlimmer.

mittelalterliche Foltermethode mit dem Schandkorb

1477 löste der Schandkorb das Wiegebrett ab. Zur allgemeinen Belustigung setzte der Scharfrichter die Verbrecher in einen offenen Korb, wobei die Methode des wiederholten Untertauchens dieselbe blieb. Viele Verurteilten versuchten sich mit einem Sprung in die ekelerregende Ill zu retten. Da jedoch die wenigsten Menschen schwimmen konnten, bedeutete dies zwangsläufig ihr Todesurteil. Knapp 100 Jahre später hatte der Schandkorb ausgedient. An seine Stelle traten die sogenannten Zuchthäuschen uff de Schindbruck. Die am äußersten Ende der Brücke montierten Drahtkäfige waren als Instrumentarien des Rechtsvollzugs sowohl ausbruchssicherer als auch vielseitiger für die Strafen der niederen Gerichtsbarkeit einsetzbar. 

Illustre Gäste im Rabenhof

Rabe aus Stein an der Hausfassade des Cour du Corbeau in Strasbourg

Kehren wir nun der barbarischen Welt des Mittelalters den Rücken und wenden uns mit wenigen Schritten lieber der schönen Seite des Lebens zu. Auf der Place du Corbeau erwartet uns nämlich hinter einem unscheinbaren Eisentor ein kleines Stückchen Paradies in der Stadt. Während ein steinerner Rabe auf einem Mauervorsprung an der Hausfassade aufmerksam über sein Revier wacht, öffnet sich darunter ein schmaler Durchgang auf einen gepflasterten Innenhof mit ganz viel Fachwerk, Arkaden und Balustraden.

Die repräsentativ herausgeputzten Fachwerkbauten des Cour du Corbeau gehören seit 2009 zu einer französischen Boutique-Hotelkette, die damit in die Fußstapfen eines der ältesten Gasthöfe Europas tritt. Denn schon im Jahre 1528 empfing an gleicher Stelle die Herberge zum Rappen ihre ersten Gäste. Als beste Adresse am Platz pflegten hier regelmäßig gekrönte Häupter hinter den hübschen Gemäuern zu nächtigen. Während sich der polnische König Johann II. Casimir ins Gästebuch eintrug, wollten sowohl der österreichische Erzherzog Josef II. als auch Friedrich der Große lieber anonym bleiben. Na ja, offensichtlich hat das nicht geklappt.

Neben dem renommierten Gasthof Rappen auf der linken Hofseite, der im Laufe des 17. Jahrhunderts plötzlich Rabenflügel bekam und 200 Jahre später seine Pforten schloss, gaben sich in den anderen Gebäuden immer mal wieder wechselnde Handels- und Gewerbebetriebe die Klinke in die Hand. Dabei sticht ein Eintrag aus dem Häuserverzeichnis von 1905 besonders ins Auge. Von gleich zwei Posamentenherstellern ist darin die Rede. Die Anfertigung schmückenden Schnickschnacks wie Quasten, Bändern, Borten, Litzen und Kordeln schien zu dieser Zeit ein einträgliches Geschäft zu sein. Insbesondere wenn man den Schah von Persien zu seinen Kunden zählte.

1930 wurde der Gebäudekomplex unter Denkmalschutz gestellt. Trotzdem verfiel er mangels Mieter gegen Ende des letzten Jahrtausends zusehends. Erst ein neuer Besitzer brachte 2006 die Wende, sodass der Rabenhof heute in neuem alten Glanz erstrahlt.

Mein Tipp

Selbst wenn man nicht die Ambition hegt, in der Viersterne-Edelunterkunft Cour du Corbeau zu nächtigen, sollte man sich nicht scheuen, einen neugierigen Blick in den jederzeit frei zugänglichen Renaissance-Hof zu werfen. Noch besser ist es allerdings, sich an einem lauen Sommerabend eine ausgefallene Cocktail-Kreation oder ein erfrischendes Glas Rosé-Wein im romantischen Innenhof zu gönnen. Der besondere Charme des historischen Ortes hat mich sofort gefangen genommen, zumal die Idylle abseits des in der Innenstadt herrschenden Touristentrubels eine wahre Wohltat ist.


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