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Über Siebenbürgen – Band 4

Die Kirchenburgen im Schenker Stuhl und Fogarascher Land


Mit jeder Ausgabe der Bildbandreihe Über Siebenbürgen bewegen wir uns zwischen den steinernen Zeitzeugen der turbulenten siebenbürgisch-sächsischen Geschichte ein wenig weiter nach Osten. Dieses Mal liegt der Fokus auf  19 Kirchenburgen des Schenker Stuhls und des Fogarascher Lands.

Die Kirchenburgen im Schenker Stuhl und Fogarascher Land

Bekokten – Bărcut
Braller – Bruiu
Deutschtekes – Ticuşu Vechi 
Felmern-  Felmer  
Großschenk – Cincu
Gürteln – Gherdeal
Hundertbücheln – Movile 
Kirchberg – Chirpăr
Kiwern – Cobor
Kleinschenk – Cincşor
Martinsberg – Şomartin 
Mergeln – Merghindeal  
Rohrbach – Rodbav 
Scharosch bei Fogarasch- Şoarş  
Schönberg – Dealu Frumos
Seligstadt – Seliştat
Tarteln – Toarcla 
Werd – Vărd 
Zied – Veseud 

Das Fogarascher Land war für mich, dank der gleichnamigen Stadt und des südlich gelegenen Karpatengebirges, geographisch leicht einzuordnen, doch mit dem Schenker Stuhl hatte ich zunächst meine Probleme.

Schon öfters war ich auf meiner Kirchenburgentour auf den Stuhlbegriff gestoßen, nur um das mir sperrig erscheinende Möbelstück schnellstens in eine Ecke zu schieben und dort geflissentlich zu übersehen. Nun allerdings, da der Stuhl groß auf dem vor mir liegenden Buchcover prangt, wird es Zeit, dass ich in Erfahrung bringe, was es mit diesem ungewöhnliche Sitzmöbel auf sich hat.

Die Sache mit den Stühlen

 Im 13. Jahrhundert, kurz nach ihrer Ankunft auf dem Königsboden in Siebenbürgen, organisierten sich die als Saxones bezeichneten Siedler aufgrund der ihnen vom ungarischen König zugestandenen Freiheiten und Rechte in selbständigen Verwaltungseinheiten. Diese administrativen und politischen Gebietskörperschaften erhielten den Namen sedes = Stühle. Die Stuhlverwaltungen nahmen bis ins 19. Jahrhundert vielfältigste Aufgaben wahr. Dazu gehörten die Rechtsprechung durch die Königsrichter, die Aufsicht über die Zünfte, die Erhebung von Steuern oder die Entsendung von Vertretern zur Nationsuniversität als Standesorgan der Siebenbürger Sachsen.

Zunächst gab es sieben Stühle. Sie erstreckten sich vom Unterwald im Westen bis zum Repser Land im Osten Transsylvaniens. Der Hauptstuhl in Hermannstadt wurde beim Durchzählen außen vor gelassen. Dafür waren ihm alle Nebenstühle (Broos, Großschenk, Leschkirch, Mühlbach, Reps, Reußmarkt und Schäßburg) untergeordnet. Später stellten die Siebenbürger Sachsen noch zwei weitere Stühle auf die Beine. Und zwar den Mediascher als auch den Schelker Stuhl. Beide lagen auf Komitatsboden, der dem ungarischen Adel gehörte.

Im Buch unterwegs


Doch zurück zum Schenker Stuhl, der flächenmäßig zu den größten Verwaltungsdistrikten gehörte.

aus https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Grossschenker_Stuhl.svg

Die ausgedehnten Flugimpressionen dieses Buches vermitteln eine durch und durch ländlich geprägte Gegend. Viele von den kleinen Gemeinden sind nur über holprige Stichstraßen erreichbar und somit noch auf lange Sicht infrastrukturelle Schlusslichter der Region. Es wundert deshalb nicht, dass der Massenexodus der Siebenbürger Sachsen nach 1989 diese Orte besonders hart traf. Die sächsische Vergangenheit ist in diesen Bauerndörfern eine endgültige, sodass viele Kirchenburgen in ihrer Existenz bedroht sind.

In seinem Vorwort spricht Autor Anselm Roth deshalb völlig zurecht von einem Rennen gegen die Zeit. Der kritische Zustand des baulichen, sächsischen Kulturerbes verlangt dringenden Handlungsbedarf. Glücklicherweise wurden in den letzten Jahren vielfältige Projekte und Initiativen von privater als auch kirchlicher Seite ins Leben gerufen, die sich dem Erhalt der Kirchenburgen verschrieben haben.

Der Kirchenburgenpass (Transilvania Card) ist hierbei ein guter, aber ausbaufähiger Ansatz. Für derzeit 55 Lei (ca. 11,50 Euro) erhält der Besucher Zugang zu sage und schreibe 50 (!) Kirchenburgen. Ein Schnäppchen, das sich jedoch selbst das Potential für großzügigere, touristische Zuwendungen abschöpft. Dies wäre allerdings an anderer Stelle einmal kontrovers zu diskutieren. Insofern kann ich hier nur mit zwei Sätzen an die Initiatoren appellieren: Seid mutiger, denn jede einzelne Kirchenburg ist mehr wert als 25 Cent!

Der Blick in den vorliegenden Band bestätigt dies auf eindrucksvolle Weise. Auf der virtuellen Reise durch den Schenker Stuhl begegne ich den gut erhaltenen Kirchenburgen von Großschenk und Deutschtekes, bewundere eine trutzige Kirche in Hundertbücheln und als Kontrast dazu ein besonders elegantes Exemplar in Braller, bevor das Kleinod in Rohrbach auf einer grünen Hügelkuppe lockt. Daneben mache ich die Bekanntschaft erfolgreicher Restaurierungsprojekte in Mergeln und Schönberg, während man in Zied eher von einer ästhetisch missglückten Rettungsaktion sprechen muss.

Risse, bröckelnder Verputz und ein Lichtblick

Außerdem nehme ich den Hilferuf aus Scharosch zur Kenntnis und begleite die Drohne auf ihrem Flug über  Kiewern. Eine Gemeinde, die bereits im 15. Jahrhundert von den Siebenbürger Sachsen aufgegeben, danach allerdings von Szeklern neu besiedelt wurde. Seit ihrem offiziellen Austritt aus der Evangelischen Landeskirche 1862 ist sie in keinem Kirchenburgenregister mehr zu finden. Und dennoch, wie zum Trotz, existieren hier noch zwei Wehrtürme und das Kirchenschiff.

Während die Kirchenburg von Kiewern außer dem Prädikat des denkmalgeschützten Objektes keine Unterstützung zu erwarten hat, darf die fünf Kilometer entfernte Kirche in Felmern noch hoffen. Zumindest kümmert sich laut Autor seit 2012 eine gemeinnützige, rumänische Organisation um ihren Erhalt. Allerdings sprechen die Bildaufnahmen eine andere Sprache, nämlich diejenige eines katastrophalen baulichen Zustands. Ein fortgeschrittener innerer und äußerer Verfall, tiefe Risse, bröckelnder Verputz, von Wasserschäden und Schimmelbefall ganz zu schweigen. Dazu ein Altar ohne Bild, was wiederum ein Bild erzeugt, das man nicht so schnell vergisst.

Meine persönliche Entdeckung unter den Kirchenburgen des Schenker Stuhls ist die abgeschieden liegende Wehrkirche von Seligstadt. Wuchtig, trutzig, unerschütterlich. Mehr Burg als Kirche. Der Mauerring nichts als Staffage angesichts des massigen, dreigeschossigen Wehrturms, während sich hinter seinen Mauern ein Chorraum in pastellfarbenem Lindgrün versteckt.

Letzte Station des vierten Über Siebenbürgen Rundflugs ist die Kirchenburg von Kleinschenk. Mit Fug und Recht erfüllt sie das Sprichwort, das Gute kommt zum Schluss, denn Kleinschenk zählt zu den Vorzeige-Kirchenburgen in Siebenbürgen. Und, was fast noch mehr zählt, sie besitzt ein langfristiges Nutzungskonzept sowie überaus engagierte Kirchenburgen-Hüter.  

In Leselaune’s Schlussansichten


Der vierte Bildband der Reihe Über Siebenbürgen stellt die Vorgängerbücher deutlich in den Schatten. Die aussagekräftigen Innenaufnahmen, denen mit jeder Ausgabe mehr Raum zugestanden wird, haben daran einen beachtlichen Anteil. Ohne sie wäre die Kirchenburgen Dokumentation schlichtweg unvollständig. Trotzdem drücken, nach wie vor, die Luftfotografien von Ovidiu Sopa dem Buch ihren Stempel auf. Dank der besseren Auswahl des Aufnahmezeitpunkts haben sie erneut an Qualität zugenommen. Deshalb gibt es auf den Panoramabildern wieder viele Details zu entdecken, die im letzten Band unter der winterlichen Schneedecke verborgen blieben.

Wie gewohnt, ergänzen die informativen Beschreibungen und geschichtlichen Eckdaten zu jeder Kirchenburg das reichhaltige Bildmaterial. Dazu gibt es ebenfalls einige wertvolle Hinweise zur spannenden Frage nach dem Kirchenschlüssel oder Tipps für Übernachtungsmöglichkeiten. 

Ein Rätsel bleibt mir allerdings die Struktur des Buches. Ich vermisse den alphabetischen Faden oder eine nachvollziehbare Route, der man durch den Schenker Stuhl und das Fogarascher Land folgen kann. Zudem bin ich irritiert, im vorliegenden Buch vier Kirchenburgen aus den angrenzenden Stühlen Reps bzw. Leschkirch zu finden. An ihrer Stelle vermisse ich eine Handvoll Gemeinden aus dem Schenker Stuhl, die bereits im Harbachtal, also im ersten Band der Über Siebenbürgen Reihe untergekommen sind.

Betrachtet man die historische Landkarte Siebenbürgens, wird schnell ersichtlich, dass es schwierig sein dürfte, zwischen geographischen Landschaften und historischen Verwaltungseinheiten einen gemeinsamen Nenner zu finden. Insofern wäre, um weitere Verwirrungen zu vermeiden, die Entscheidung zugunsten eines Modus Operandi vorteilhaft. Ich bin deshalb gespannt, wie diese Aufgabenstellung in den weiteren Bildbänden gelöst wird.
Ebenso wie ich neugierig bin, ob im nächsten Band endlich mein Wunsch nach einem auf die vorgestellte Region zugeschnittenen Vorwort in Erfüllung geht.


Buchcover Ueber Siebenbuergen Band 4

Über Siebenbürgen – Band 4
Kirchenburgen im Schenker Stuhl und Fogarascher Land

Kategorie: Bildband
Reihe: Über Siebenbürgen
Autor(en):
Anselm Roth (Fotografien und Text)
Ovidiu Sopa (Luftfotografien)
Verlag: Schiller Verlag Bonn
Erscheinungsjahr: 2017; 1. Auflage
Ausgabe: Hardcover
Umfang: 86 Seiten
ISBN: 978-3-946954-04-0
Preis: 22,90 €


Das Buchcover und die mit Copyright versehenen Bilder sind Eigentum des Verlags, Herausgebers, Fotografen bzw. sonstigen Rechteinhabers. Die Rezension ist unbezahlt und unbeauftragt. Das Buch wurde auf eigene Kosten angeschafft.

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