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Über Siebenbürgen – Band 6

Kirchenburgen im Unterwald


Während wir die Halbzeit der Buchreihe Über Siebenbürgen im Burzenland, in der südöstlichen Ecke Siebenbürgens verbrachten, überrascht der vorliegende 6. Band mit einem geografischen Riesensatz in den äußersten Westen Transsylvaniens zu den Kirchenburgen im Unterwald.

Wer nun vermutet, dass sich hinter diesem Namen ein ausgedehntes Waldgebiet versteckt, der irrt. Vielmehr handelt es sich um einen historisch-geografischen Terminus aus der Zeit der Besiedlung des Königbodens durch die Siebenbürger Sachsen. Der Begriff ist also eher bildlich zu verstehen. Er definiert den Landstrich nördlich des waldreichen Karpatenbogens zwischen der Ortschaft Broos als Westgrenze des Königsbodens und Großpold im Osten. Zusammen mit den Flüssen Mieresch (rum. Mureş) bzw. Zekesch (rum. Secaş), als natürliche nördliche Trennlinien, erinnert das Profil des Unterwaldes in etwa an die Zeichnung Nr. 1 in Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry. Ihr wisst schon, der Hut, der kein Hut, sondern eine Riesenschlange ist, die einen Elefanten verdaut.

Betrachten wir allerdings die nachstehende Karte, hat die Boa der kindlichen Malversuche St. Exupérys beim Flug Über Siebenbürgen anstelle eines Elefanten ganz offensichtlich eine Giraffe verschluckt. Eine schriftstellerische Freiheit, dank der uns Autor Anselm Roth bis nach Strassburg am Mieresch führt, sodass wir unterwegs in den Genuss von 17 Kirchenburgen-Gemeinden kommen.

Die Kirchenburgen im Unterwald

Broos – Orăştie*
Burgberg bei Mühlbach – Vurpăr
Bußd bei Mühlbach – Boz
Deutschpien – Pianu de Jos*
Dobring – Dobârca*
Grabendorf/Krapundorf – Ighiu Magyarigen
Großpold – Apoldu de Sus*
Kelling – Câlnic*
Krakau – Cricău
Mühlbach – Sebeş*
Petersdorf bei Mühlbach – Petreşti*
Reußmarkt – Miercurea Sibiului
Rumes – Romoş*
Schard – Şard
Strassburg am Mieresch – Aiud
Urwegen – Gârbova*
Winz bei Mühlbach – Vinţu de Jos 

Die Gemeinden, die zum historischen Unterwald gehören, habe ich mit einem * gekennzeichnet.

Kirchenburgen-Diversität par excellence

Generell haben wir es in Band 6 mit einer außergewöhnlichen und sehr gegensätzlichen Kirchenburgenlandschaft zu tun. Zum ersten Mal auf der langen Reise Über Siebenbürgen begegnen wir Parallelkirchen und erfahren, wie deren Gemeinden aus praktischen Überlegungen heraus öfter mal die Gottesdienstplätze tauschten. Wir treffen auf Kirchen ohne Turm und Türme ohne Kirche. Auf Dörfer, deren Einwohner kamen, wieder gingen und die ihr sächsisches Kulturerbe sich selbst oder anderen überlassen haben. Während die vorbildlich restaurierte, ehemalige Gräfenburg Kelling als UNESCO-Weltkulturerbe zweifelsfrei das Aushängeschild des Unterwalds darstellt, buhlen die sakralen Großbauten von Mühlbach und Straßburg gleichfalls um Aufmerksamkeit. Als Kontrastprogramm hierzu erwartet uns in Bußd eines der kleinsten wehrhaften Relikte aus Sachsenzeit.

Um diese Kirchenburgen-Diversität besser zu verstehen, werfen wir einen kurzen Blick zurück in das 11.-13. Jahrhundert. So lernen wir im straffen Vorwort von Anselm Roth, dass die vier Gemeinden Rumes, Schard, Grabendorf und Krakau als die ältesten Siedlungsorte der aus dem Rhein- und Moselland zugewanderten „Sachsen“ angesehen werden. Allerdings gaben die sächsischen Siedler die drei zuletzt genannten Marktflecken recht bald wieder auf. Neben dem verheerenden Mongolensturm Mitte des 13. Jahrhundert, der die sächsische Bevölkerung massiv dezimierte, spielte sicherlich die rechtliche und wirtschaftliche Unfreiheit als Untertanen auf ungarischen Komitatsboden eine ausschlaggebende Rolle für die Abwanderung.

Das bauliche Dorfinventar samt Kirchenburg übernahmen daraufhin die ungarischen Einwohner, die über die letzten Jahrhunderte den Innenräumen ihren eigenen Stempel aufdrückten. Über deren Ästhetik darf sich jeder Betrachter seine eigenen Gedanken machen.

Ganz anders dagegen die Kirchenburgen im originären Unterwald. Auf freiem Königsboden gelegen und verwaltungstechnisch den Stühlen Broos, Mühlbach und Reußmarkt zugeordnet, spürt man in diesen sakralen Wehrbauten noch immer den starken Glauben, die eingeschweißte sächsische Gemeinschaft und den unbändigen Überlebenswillen von einst.

Im Buch unterwegs


Unter dem baulichen, stilistischen und konfessionellen Sammelsurium der 19 vorgestellten sakralen Wehrbauten des Unterwalds und seiner nördlichen Buchausläufer kann man die „klassischen“, noch erhaltenen Kirchenburgen an drei Fingern abzählen. Und wenn ich von klassisch spreche, meine ich eine mindestens 500 Jahre alte (Wehr-)Kirche, umgeben von einem Mauerring mit Torturm und Wehranlagen wie Schießscharten, Gusserkern oder einem Wehrgang.

Während in der Stuhlstadt Reußmarkt die Ringmauer das zentrale Verteidigungselement zur Abwehr feindlicher Angreifer darstellte, setzte die Gemeinde in Bußd ganz auf die Aufrüstung ihrer auffälligen Miniaturkirche. Mit einem Grundriss von 14,5 x 6,5 Metern zählt sie nämlich zu den kleinsten Sakralgebäuden Siebenbürgens, aber das nur nebenbei. Über Chor und Hauptschiff der turmlosen Kirche zog man ein zweistöckiges Wehrgeschoss ein, das mit Schießscharten und Gusslöchern ausgestattet war. Gestützt wurde es von treppenförmigen Strebepfeilern, die zusammen mit dem markanten Gußschartenkranz für ihren trutzigen Charakter sorgten. Als weitere Schutzmaßnahme gab es noch ein Torhaus mit offenem Wehrgang und eine mit zwei Meter Höhe eher zu vernachlässigende Ringmauer.

In der Ortschaft Dobring steht das Schicksal der Kirchenburg bereits seit einigen Jahren auf Messers Schneide. Die einstmals beachtliche Ringmauer ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der Torturm kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen den Verfall, den die drei anderen, in Ruinen liegenden Wehrtürme bereits verloren haben. Ob die Mauern aus eigener Kraft nachgaben oder nachgeholfen wurde, wer weiß das schon genau. Tiefe Risse ziehen sich durch das Gemäuer der Saalkirche und den mit offenem Wehrgang ausgestatteten Chor. Der Innenraum ist eine einzige Anklage. Brutal ausgeschlachtet. Ein Ort der verwaisten Verwüstung.

Gedanken zur Kirchenburg in Dobring

Um das Verteidigungsensemble aus dem 15. Jahrhundert zu erhalten, bedarf es nicht nur einer immensen finanziellen Kraftanstrengung, sondern auch einer Mitverantwortung der heutigen Dorfbewohner. Und dies wird die weitaus größere Herausforderung darstellen, denn die Urheber des Raubbaus von kostenlosem Baumaterial und Kircheninventar wohnen quasi vor der Haustüre. Um vorerst weiteren Misshandlungen vorzubeugen, wurde vor etwa drei Jahren der Zugang zur Kirchenburg mit einem Eisentor versperrt. Doch geholfen hat es, in Anbetracht der erneuten Schadensmeldung der Stiftung Kirchenburgen, wohl wenig.

Insofern benötigt die langfristige Sicherung der Kirchenburg ein ganzheitliches Konzept. Wobei Dobring stellvertretend für alle siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen steht, die nach 1989 ihre Gemeinde und damit ihre schützende Hand verloren haben. Im Ort leben heute Ethnien, die weder einen Bezug zum siebenbürgisch-sächsischen Erbe noch Respekt vor fremdem Eigentum haben. Ob dieses Handeln krimineller Energie geschuldet oder Teil einer Überlebensstrategie auf Kosten anderer ist, mag dahingestellt sein. Leider habe ich auch keine Erklärung für die mangelnde Pietät vor den Toten. Welche intelligente Zivilisation (des 21. Jahrhunderts wohlgemerkt) lässt ihre Kühe auf dem sächsischen Friedhof grasen, ohne sich darum zu scheren, ob dabei die Gräber zertrampelt oder die Grabsteine umgestoßen werden und zu Bruch gehen?

Es wird ein schwieriges Unterfangen. Dennoch, ohne den Rückhalt der jetzigen Bevölkerung werden die baulichen Maßnahmen zur Rettung der Kirchenburg immer wieder scheitern. Dann wird es nur ein unendliches Tauziehen aus unfreiwilligen Geben und selbstverständlichem, ungefragten Nehmen bleiben. Es muss gelingen, die Bewohner auf die Seite dieses Kulturerbes zu ziehen. Dabei geht es nicht um konfessionelle oder ethnische Identifikation, sondern um gemeinsame Verantwortung und Stolz auf ein über 500-jähriges Bauwerk. Ein Bauwerk, von dessen dauerhafter Existenz die jetzige Gemeinde durch touristischen Zulauf, handwerkliche Schulungsprogramme oder gemeinnützige Dorfprojekte profitieren könnte. 

Das Urweger Trio

Ein ungewöhnliches Gebäudetrio aus ehemaliger Wehrkirche, Gräfenburg und Stadtpfarrkirche präsentiert uns das Autoren-Luftfotografen-Duo Anselm Roth und Ovidiu Sopa in der kleinen Gemeinde Urwegen. Außerhalb des Dorfes ziehen die Ruinen einer im 15. Jahrhundert wehrhaft ausgebauten Bergkirche die Blicke auf sich. Seit einem Brandunfall im Jahr 1870 existieren nur noch der Glockenturm sowie die Wände des Langschiffs, um die sich die letzten treuen Gemeindeseelen zur ewigen Ruhe gebettet haben.

Seit dem 13. Jahrhundert erhebt sich in der Dorfmitte der Bergfried der ehemaligen Gräfenburg mitsamt dem ungewöhnlich gebogenen Torturm. Nachdem die Gräfenfamilie Urwegen den Rücken kehrte, nutzten die Einwohnern den Wehrbau als Fluchtburg. Durch den Verlust der Bergkirche musste, nach einem bautechnischen Eingriff, der Wehrturm die Funktion des Glockenturms übernehmen. Nur wenige Schritte davon entfernt befindet sich die evangelische Hallenkirche. Turmlos und unscheinbar eingeklemmt zwischen einer Häuserfront, fragt man sich, ob der Architekt bei der Planung ein falsches Längenmaß verwendete. Denn auch der Chor ragt deutlich in die Durchgangsstraße hinein, wozu laut Dorfchronik extra die Genehmigung der Kaiserin Maria Theresa erforderlich war.

Das ParallelkirchenPhänomen

Unsere Kurzreise durch das Buch beenden wir mit zwei weiteren Ausnahme-Exemplaren dieser reichlich seltsamen Kirchenburgenlandschaft. Auch wenn Broos und Strassburg am Mieresch geografisch so gar nichts verbindet, eint sie doch das Phänomen der zwei einträchtig nebeneinander stehenden Sakralbauten. Mit einer gewissen Großzügigkeit hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbilds könnte man in Broos sogar von Zwillingskirchen sprechen. Beide Gebäude stammen aus Sachsenhand, wobei der ältere Bau im Süden auf das Ende des 14. Jahrhunderts zurückgeht. Nachdem die reformierte ungarische Gemeinde den gotischen Bau mehr und mehr für sich vereinnahmte, entschied man sich auf evangelisch-sächsischer Seite zwangsläufig für einen Neubau im Norden.

In Strassburg verhielt es sich ähnlich, wobei es zwischen der heute calvinistischen Kirche im Süden und der evangelischen im Norden einen unübersehbaren Größenunterschied gibt. Zunächst existierte innerhalb des formidablen Mauerrings ausschließlich die große, spätgotische Kirche, die sowohl von den Siebenbürger Sachsen als auch den reformierten Ungarn unisono genutzt und instand gehalten wurde. 1720 war es dann mit der Eintracht vorbei. Die ungarischen Calvinisten behielten den mächtigen Kirchenbau für sich, während sich die evangelischen Sachsen direkt daneben eine neues geistliches Zuhause in bescheidenerem Format bauten.

In Leselaune’s Schlussansichten


Mit Kirchenburgen im Unterwald findet die Buchreihe Über Siebenbürgen eine hochwertige Fortsetzung der bisherigen fünf Ausgaben und erfüllt alle Ansprüche an einen sowohl ästhetischen als auch dokumentarisch wertvollen Bildband.

Die perspektivische Vielfalt und Qualität der Luftaufnahmen von Fotograf Ovidiu Sopa überzeugen dieses Mal auf ganzer Linie. Die Kirchenburgen als Protagonisten des Buches stehen selbstverständlich im Fokus, doch der Weitblick auf ihr gebautes oder natürliches Umfeld geben den Bildern erst ihre unvergleichliche Aussagekraft und Authentizität. Manchmal ist es sogar dermaßen viel Authentizität, dass man am liebsten mit einem Zauberstift hässliche Nachbargebäude, unaufgeräumte Hinterhöfe oder die omnipräsenten PKWs und LKWs wegretuschieren möchte.

Deutlich mehr fotografische Aufmerksamkeit hätte, neben dem gotischen Torturm in Schard, vor allem der imposante Innenraum der Kirche in Mühlbach verdient gehabt. Wirklich schade, dass man sich hier an einem einzigen Bild sattsehen muss, obwohl die Innenausstattung mit Kanzel, Orgel und einem der größten Flügelaltäre Siebenbürgens gleich mehrere Schmuckstücke zu bieten hat.  

Apropos sattsehen. Manchmal ist weniger mehr, speziell wenn es um die Farbtiefe der Innenaufnahmen geht. Weder Großpold noch Deutsch-Pien, Broos oder Bußd erstrahlen in natura in dieser unnatürlich-künstlichen Intensität. An dieser Stelle gibt es (wie schon bei den Vorgängerausgaben) Verbesserungspotenzial. Und wenn wir schon über Verbesserungen sprechen, ließe sich bei einer Neuauflage bestimmt die in Urwegen und Bußd um eine bzw. zwei Seiten verrutschten Bildverweise wieder an die richtige Stelle rücken.

Ein Bildband als Gewissen und Appell

Die Kirchenburgbeschreibungen von Anselm Roth sind, wie gehabt, routiniert kompakt und dennoch überreich gespickt mit geschichtlichen Fakten, architektonischen Details oder dramatischen Ereignissen. Lediglich die Begleittexte der kleineren Unterwald-Gemeinden hinterlassen mehr Fragen als Antworten, was jedoch den mangelnden historischen Aufzeichnungen geschuldet sein mag. Zudem, das muss man dem Autor und Herausgeber zugutehalten, würden umfangreiche Hintergrundrecherchen weit über das Selbstverständnis eines Bildbands hinausgehen.

Insofern bleibt nur Eines festzuhalten. Es macht einfach Spaß, die Kirchenburgen im Unterwald zur Hand zu nehmen, sich zusammen mit dem Über Siebenbürgen-Buchteam auf die fotografische Reise durch die reichlich ungewöhnliche Kulturlandschaft im Westen Siebenbürgens zu begeben und die Blicke auf den großformatigen Aufnahmen bis zum Horizont schweifen zu lassen. Landschaftliche Schönheit und bewundernswerte menschliche Schaffenskraft gehen dabei Hand in Hand mit Vergänglichkeit und Verfall. Staunen und Neugier wechseln sich mit Bedauern und Unverständnis ab. Man kommt ins Grübeln. Und das ist gut so. Ein Bildband, der mehr ist als ein Band mit Bildern. Ein Sprachrohr der Kirchen, die von ihren Gemeindegliedern verlassen wurden. Ein Buch als Gewissen und Appell zu handeln.


Buchcover Ueber Siebenbuergen Band 6

Über Siebenbürgen – Band 6
Kirchenburgen im Unterwald

Kategorie: Bildband
Reihe: Über Siebenbürgen
Autor(en):
Anselm Roth (Fotografien und Text)
Ovidiu Sopa (Luftfotografien)
Verlag: Schiller Verlag Bonn
Erscheinungsjahr: 2018; 1. Auflage
Ausgabe: Hardcover
Umfang: 88 Seiten
ISBN: 978-3-946954-26-2
Preis: 20,00 €

Das Cover als auch die Bilder sind Eigentum des Verlags, Herausgebers, Fotografen bzw. sonstigen Rechteinhabers. Die Rezension ist unbezahlt und das Buch wurde auf eigene Kosten angeschafft.

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