Weingartskirchen – Vingard – die Grande Dame der Kirchen im Zekesch-Hochland
„[…] Von dem nördlich von der Gemeinde hinziehenden Bergrücken schaut die prächtige gotische Kirche herab ins Tal. Ein Kellinger Gräfensohn hat sie einst erbaut und sein Wappen über ihr Portal geheftet; in ihrem Chore aber ruht der Staub von so manchen mächtigen und in der Geschichte unseren Vaterlandes einen hervorragenden Platz einnehmenden, adligen Herrn. Im wechselvollen Lauf der Zeiten sind die Familien dieser Geschlechter teils gestorben, teils verdorben und ihr Erbe hat der Bauersmann angetreten, darunter auch die schöne Kirche. Aber freilich nicht immer in ihrer ursprünglichen Schöne und Stärke steht sie heute da, auch sie ist mit den Jahren eine alte runzlige Matrone geworden. […]“
Diese romantisierende und zugleich spitzzüngige Reisereflexion eines Pfarrers aus dem Jahre 1903 sowie die eindrucksvolle Fotografie in Peter Jacobis Buch Siebenbürgen Bilder einer Reise II führt mich heute ins Zekesch-Hochland.
Mein Ziel – ein Ort, dessen Name früher Programm war:
Weingartskirchen (rum. Vingard; ung. Vingárd; sächsisch Wenerschkirch).
Oder sollte ich besser Guga, Wingarth oder Chybar sagen? Wirft man nämlich einen Blick in die historischen Aufzeichnungen, wechselte die Ortschaft im Kreis Alba beinahe so häufig ihren Namen wie ihre Besitzer. So, als ob sich jeder Grundherr dazu berufen fühlte, seinem Eigentum einen ganz individuellen Stempel aufzudrücken.
- 1309 Wyngartkyrchen
- um 1335 Wyngartkyr
- 1345 Guga alio nomine Vegherskyr
- 1345 Chybar nune alio nomine Vengartkerch
- 1380 Wingarth
- 1411 Wingardkirg
- 1427 Vengarth alio nomine Chybay
- 1466 Wyngarth
- 1503 Wingertczkyrch
- 1507 Weingartskirchen
- 1528 Vengerth Kirch
Am besten fangen wir unseren geschichtlichen Exkurs mit den Vorfahren des eingangs erwähnten Kellinger Gräfensohns an. Graf Daniel von Kelling, Sohn des Gräfen Cheel von Kelling erwarb Ende des 13. Jahrhunderts für 50 Silbermünzen die adlige Sekundärsiedlung Weingartskirchen aus den Händen des ungarischen Grundherrn Elias de Bakay. Mit Sicherheit kein schlechtes Geschäft, denn die Hügellandschaft im Nordosten von Mühlbach besaß einen erstklassigen Boden zum Weinanbau und die sächsischen Untertanen, die ihrem Gräfen folgten, das entsprechende Knowhow. Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes findet sich als „Wyngartskyrchen“ allerdings erst knappe drei Jahrzehnte später im Zusammenhang mit einem Zehntprozess.
1000 Goldgulden für das Hörigendorf Vengartkerch
Im Jahr 1345 findet sich der nächste Eintrag im Urkundenbuch. Inzwischen war Weingartskirchen in den Besitz des Comes Michael von Kelling übergegangen. Den Stammhalter des vorgenannten Gräfen Daniel plagten mächtige weibliche Kopfschmerzen. Seine Frau hatte ihm sechs Töchter, aber keinen männlichen Nachkommen geschenkt. Die geltende Rechtsprechung sah für diesen Fall vor, dass alle Besitztümer wieder an den ursprünglichen Lehensherrn, die ungarische Krone zurückfielen.
Um dies zu verhindern, ließ sich Michael von Kelling noch zu Lebzeiten von König Ludwig I. bestätigen, dass neben Weingartskirchen auch sein Grundeigentum in Birnbaum, Rothkirch, Gergeschdorf, Drasso, Ringelkirch, Benzenz, Rohundorf sowie Demeterpataka in den Händen seiner sechs Töchter blieb. Gleichzeitig bekamen die adligen Fräulein als Startkapital sowohl einen Hof als Wohnstatt als auch je acht Hörigenhöfe in Vengartkerch zugeeignet. Trotzdem konnte dieser vorausschauende Weitblick des Gräfen von Kelling kaum verhindern, dass die Einheirat seiner Töchter in den ungarischen Adel und die königliche Vergabe weiterer Lehen im selben Ort an andere verdiente Gefolgsmänner eine Lawine von Erbstreitigkeiten auslöste.
Das Tauziehen um die Eigentumsrechte entspannte sich erst, als Johann (IV.) Gereb de Wingard, 1469 den stattlichen Betrag von 1000 Goldgulden ausgab, um Weingartskirchen in seinen alleinigen Besitz zu bringen. Der sächsische Gräf konnte es sich leisten. Er stand nicht nur im Rang eines Oberkapitäns der siebenbürgischen Truppen, sondern war mit Sophia Szilágyi, der Schwägerin des Woiwoden Johannes Hunyadi, eine in jeder Beziehung vorteilhafte Verbindung eingegangen. Ob ihm diese Heirat auch den Posten des Vizegubernators von Siebenbürgen einbrachte? Honi soit qui mal y pense! Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Auf jeden Fall war Johann (IV.) Gereb de Vingard derjenige, der 1461 den Bau der gotischen Patronatskirche auf dem Hügel über dem Dorf in Auftrag gab.
Weingartskirchen als Spielball zwischen Ungarn und Habsburg
Für die Errichtung der Burganlage in westlicher Verlängerung des Sakralbaus zeichneten später seine drei Söhne verantwortlich. Durch ihre hohen politischen oder klerikalen Ämter stark in Anspruch genommen, hatten sie allerdings kaum Zeit, ein waches Auge auf die zur Verwaltung der Burg und Besitztümer eingesetzten Kastellane zu halten. Diese nutzten ihre privilegierte Stellung aus, um wiederholt die sächsische Bevölkerung von Mühlbach bis Stolzenburg zu drangsalieren.
Nachdem 1504 der letzte männliche Gereb de Vingard das Zeitliche gesegnet hatte, ging Weingartskirchen in den Besitz von Johann Corvinus über. Der illegitime Spross des ungarischen Königs Matthias Corvinus hatte selbst wenig Interesse an diesem abgelegenen Flecken Land und übertrug die Aufsicht der Familie Horwarth.
Mittlerweile tobten auf der machtpolitischen Bühne Siebenbürgens nicht nur die Türkenkriege, sondern auch der Kampf um den ungarischen Thron. Der Habsburger Ferdinand I., der durch Einheirat seinen Fuß in die Tür des benachbarten Königshauses geschoben hatte, erhob ebenso Anspruch auf die Königskrone wie Johann Zápolya, Woiwode von Siebenbürgen und Onkel des frühzeitig verstorbenen Monarchen Ludwig II. von Ungarn.
Die militärischen und diplomatischen Auseinandersetzungen beider Thronprätendenten zogen sich über Jahrzehnte dahin. Die Lager waren gespalten, Neutralität war keine Option. So geriet auch die Burg von Weingartskirchen zwischen die Fronten. Der damalige Burgverwalter Kaspar Horwarth sympathisierte mit den Habsburgern, die 1531 die Burg für sich sicherten. Doch noch im selben Jahr eroberten die Truppen Johann Zápolyas die Festung. Das Blatt wendete sich 1553, als erneut die Habsburger die Oberhand gewannen und Befehl gaben, die Burg zu schleifen. Offensichtlich geschah dies nur halbherzig, denn ein knappes Jahrhundert später taucht das Kastell ein letztes Mal als Vermächtnis des Fürsten Georg Rákóczy an seinen Sohn Sigmund in den Annalen auf. Danach verlieren sich die dokumentarischen als auch tatsächlichen Spuren der Burg in den Nebelschwaden der Geschichte.
Reblauskrise, Landflucht und sächsischer Abgesang
Mit punktuellen Ausnahmen traf dies ebenfalls auf die nachfolgenden Grundherren von Weingartskirchen zu. Sie schienen sich hauptsächlich durch Willkürherrschaft über die in Armut lebenden Hörigen hervorgetan zu haben. Selbst die Kirchenmänner waren ihnen nicht heilig. Wie in der Kirchenvisitation von 1766 vermerkt, hatte sich der Feudalherr widerrechtlich ein Drittel des Gemeindebesitzes einverleibt und somit den Pfarrer um den Zehnten betrogen.
Selbst nach Abschaffung der Leibeigenschaft im 19. Jahrhundert änderte sich an den bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen kaum etwas. Neben der Arbeit im 188 Hektar umfassenden Weinanbaugebiet sorgten Zuckerrüben und Futterpflanzen wie die Luzerne für das Auskommen der Bauern. Ein erster Aufschwung zeigte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Weingartskirchen zählte 3120 Einwohner, davon 750 evangelische Gemeindeglieder. Dann kamen die Reblauskrise und die erste Auswanderungswelle. 1910 war die Einwohnerzahl um 30 % zurückgegangen. 1200 Rumänen, 669 Sachsen und 101 Ungarn hielten noch die Stellung. Kaum einhundert Jahre später legt die Statistik ein trauriges Zeugnis von Landflucht, Exodus und wirtschaftlichem Niedergang ab. Die Dorfgemeinschaft zählte noch 612 Seelen, darunter nicht einmal zwei Dutzend Sachsen und an die einstmals mit viel Fleiß kultivierten Weinberge erinnern nur noch die terrassierten Hügel.
Einfach immer der Hauptstraße folgen und dann weiter durchfragen…
Der heutige Tag zeigt sich leider nicht von seiner besten Seite für ein Rendezvous mit der „runzligen Matrone“. Die Scheibenwischer sind im Dauereinsatz und die Ungewissheit ungeklärter Fragen nagt. Wird die Kirche überhaupt zu besichtigen sein? Findet sich jemand, der die Schlüssel hat? Und wenn ja, ist der-/diejenige auch anzutreffen und hat Zeit?
Weingartskirchen empfängt mich zugeknöpft. Kein Mensch in Sicht. Zum Glück zieht sich das Straßendorf in die Länge. Ich hoffe, doch noch auf eine auskunftsfreudige Person zu treffen. Allerdings werden die Lücken zwischen den Häusern immer größer. Manche auf Gedeih und Verderb zurückgelassen, bei anderen warten die geschlossenen Rollläden auf die Wiederkehr der temporären Sommergäste im nächsten Jahr. Dann endlich ein geöffnetes Hoftor, zwei Männer im Gespräch. „Hm, der Weg zur Kirche auf dem Berg? Mit dem Auto? Unmöglich! Die Schlüssel? Ja, da gibt es noch einen Sachsen. Einfach immer der Hauptstraße folgen und dann weiter durchfragen.“
Keine besonders hilfreiche Auskunft. Dafür scheint das deutsche Autokennzeichen oder der Schwatz am Straßenrand so viel Aufmerksamkeit erregt zu haben, dass sich eine Frau aus dem Nachbargebäude hinzugesellt. Also noch einmal den Fragenkatalog brav aufgesagt. Dieses Mal sogar mit mehr Erfolg. Kurz vor Ortsausgang Richtung Spring im Haus 344 sollen bei Willy Reindt die Schlüssel zu finden sein.
„Willi nu-e acasă“, lässt seine Frau Rozina wissen, die sich jedoch bereit erklärt, mich zur Kirche zu begleiten. Zunächst geht es auf der Durchgangsstraße zurück bis zu einem scharf rechts abknickenden Schotterweg, der zu einem abgelegenen Gehöft führt. Von dort heißt es den letzten Anstieg auf einem durchmatschten Feldweg zu Fuß zurückzulegen. Durch eine mehr symbolische als wehrhafte Eisentüre folge ich den ausgetretenen Steinstufen hinauf vor das Südportal, als schon der nächste Regenschauer herunterprasselt.
Verfall und Schönheit auf engstem Raum
Ein erster Rundblick im Innern der turmlosen Saalkirche schließt sich nahtlos dem tristen Stimmungsbild des Tages an. Bereits 70 Jahre sind seit der letzten Restaurierung vergangen. Kein Wunder, dass sich erneut Schäden am Wandverputz zeigen, Risse das Mauerwerk überziehen und schwarzgrüne Moosflechten unübersehbar vom feuchten Mikroklima an der Nordwand profitieren. Dazu täuschen verstreut liegende Kissen auf den schlichten Holzbänken ein Gemeindeleben vor, das schon seit geraumer Zeit von dannen gezogen ist. Drei vereinsamte, evangelische Gesangsbücher warten vergeblich darauf, den Lobgesang auf Gottes Werk anzustimmen. Und durch die kleinsten Ritzen im Holzdielenboden bahnt sich neugieriger Pflanzenwuchs den Weg ans Tageslicht. Allesamt stumme Zeugen eines fortschreitenden Verfalls.
Wenden wir uns deshalb lieber den Schönheiten der Kirchenausstattung zu, solange diese noch erlebbar sind. Dazu gehört das elegante Steinrippengewölbe des Chores, das auf Konsolen mit filigraner Pflanzenornamentik ruht. An den Scheitelpunkten des Gewölbes haben sich vier Schlusssteine erstaunlich gut erhalten. Die Wappenparade eröffnet im Westen das Adelsgeschlecht Hunyadi. Um den Raben mit dem Ring im Schnabel ranken sich gleich mehrere Legenden, während vom Ursprung der aus den Flammen aufsteigenden Gams der Familie Szilágyi ebenso wenig bekannt ist wie die Bedeutung des Astes zwischen ihren Vorderläufen. Es folgt das Emblem des aus einer Krone emporwachsenden Löwen der Patronatsfamilie Gereb de Vingard, bevor das königliche Wappen des Matthias Corvinus den Abschluss bildet. Gut zu erkennen sind die Querstreifen sowie das Patriarchenkreuz für Alt- und Neu-Ungarn, dazu aufrechte böhmische Löwe sowie die drei dalmatischen Löwenköpfe, die dem Betrachter frech ihre Zunge herausstrecken.
Weinranken schmücken das sogenannte Himmelloch zwischen den beiden östlichen Schlusssteinen. Durch die dunkle Öffnung kam einmal jährlich am Pfingstsonntag der Heilige Geist in Form einer echten oder geschnitzten Taube auf die anwesende Gemeinde herab. Mit der Einführung der Reformation fand die plastische Heiliggeistloch-Inszenierung ein abruptes Ende.
Recycelte Schlusssteine, ein Wanderaltar und der „Staub von so manchen Mächtigen“
Ein nicht minder abruptes Ende und zugleich eine neue Bestimmung erfuhren die Rosetten-Schlusssteine aus dem ehemaligen gotischen Gewölbe des Kirchensaals anlässlich der barocken Umgestaltung im 18. Jahrhundert. Einer wurde ausgehöhlt und als Taufbecken recycelt und der andere leider sehr unschön in die nördliche Choraußenwand einzementiert.
Der klassizistische Säulenaltar wurde 1883 für den Kirchenbau in Waltersdorf im Nösnerland angefertigt. Vermutlich fand er 1970 seinen Weg an das entgegengesetzte Ende Siebenbürgens, als die sächsische Diaspora-Gemeinde ihr Gotteshaus in die Obhut der orthodoxen Glaubensgemeinschaft übergab. Wie eine Aufnahme aus den 1950-er Jahren zeigt, präsentierte sich der Altar ursprünglich in elegantem Weiß. Bevor er jedoch in Weingartskirchen aufgestellt wurde, erhielt er einen seiner neuen Heimat angepassten, dunkelgrünen Farbanstrich, der zusammen mit den goldenen Weinranken an die önologische Tradition des Ortes erinnern soll.
Linkerhand des Altars, in der Nordwand des Chores, weist ein spätgotisches Portal mit Stabumrahmung den Eingang zur Sakristei. Abgesehen von der in der Ostwand eingelassenen Piscina lohnt ein Blick an die Decke zum Rippengewölbe. Noch kann man mit viel Wohlwollen die Wappen der Familien Gereb de Vingard und Szilágyi erkennen. Doch wie lange noch?
Neben dem Zutritt zur Sakristei liegt am Boden die kaum mehr entzifferbare Grabplatte der Grundherrin Katharina Kesserű. Lieblos an die Seite geschoben wie ein ausgedientes Möbelstück. Ob die 1567 Verstorbene zu den Familien gehörte, die unser sprachgewandter Pfarrer mit „teils gestorben, teils verdorben“ klassifizierte? Übrigens existiert unter dem Chorraum eine Krypta, in der früher die Grundherren ihre letzte Ruhestätte fanden. Das 1952 eingestürzte Gewölbe erhielt zeitnah eine neue Eindeckung, doch seither ist der Zugang zur unterirdischen Grablege so gut wie unmöglich.
Grabkunst par excellence für eine noble Wohltäterin
Eine überraschende Entdeckung bietet die Südwand des Schiffs. In der Nähe der barocken Kanzel aus dem 18. Jahrhundert hat sich eine eingemauerte, polychrome Grabplatte erhalten. Sie erinnert an die 1697 verstorbene Borbála Kendefi geb. Dániel, Witwe von Gábor Kendefi. Die Steinmetzarbeit zeigt die Adlige Hand in Hand mit Tochter Eva und Sohn Gergely (ohne Kopf), die beide noch vor ihr von Gott abberufen wurden. Auch dem kleineren, ein wenig abseits stehenden Enkelsohn László war nur ein kurzer Aufenthalt auf Erden vergönnt. Ist die Darstellung der Mutter, die ihren Kindern noch über den Tod hinaus innig verbunden bleibt, nicht wunderschön? Und erst die detailgenaue Ausführung der gefältelten Bluse mit der geschnürten Weste sowie die blütenförmige Brosche, die sie an einer Kette um den Hals trägt.
Von besonderer Kunstfertigkeit zeugen gleichfalls die beiden Wappenschilder. Der von einem Pfeil durchbohrte Schwan war das Emblem der Freiherrn von Dániel, die im Ort Vargyas im Szeklerland ausgedehnte Ländereien besaßen. Dagegen entstammten die Ahnen der Kendefis (Kendeffy) dem rumänischen Adelsgeschlecht Cândea (Cânde). Durch Verbindungen zur ungarischen Aristokratie entwickelte sich daraus die Seitenlinie der Grafen von Kendefi, die noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts im Rufe der wohlhabendsten Familie Siebenbürgens stand. Das Wappen, der Bogenschütze mit dem Bündel Heu auf dem Rücken, wurde ihnen von keinem geringeren als König Sigismund von Ungarn verliehen.
Die Inschrift des Epitaphs lobt außerdem die reich begüterte Gutsherrin als selbstlose Wohltäterin. Es ist bekannt, dass sie das Bethlen-Kollegium in Straßburg am Mieresch regelmäßig mit großzügigen Spenden in Form von Wein und Getreide unterstützte. Bis ins 19. Jahrhundert hielt die erste Hochschule Siebenbürgens sogar Besitzanteile in Weingartskirchen. Möglicherweise stammten sie aus einer Schenkung der Adelsfamilie Kendefi.
Eine leere Westempore – kein Einzelfall
Die Westempore ist seit über einem Jahr verwaist. Vor weit über 20 Jahren begleitete von dort oben eine kleine, aber feine, barock verzierte Orgel von Johannes Hahn die Gemeinde das letzte Mal durch den Gottesdienst. Doch seit die Kirchenbänke leer blieben, erfuhr das 250 Jahre alte Kircheninstrument keinerlei Pflege mehr.
Bis sich Mittel und Kompetenzen finden, um das Schmuckstück instand zu setzen, lagert die abgebaute Orgel bis auf Weiteres im 30 Kilometer entfernten Großpold. Ein Blick von der Empore ist trotzdem zu empfehlen, denn nur aus dieser Perspektive wird das Verhältnis von lang gezogenen Altarraum (12,5 Meter) zum kompakten Schiff (15,5 Meter) besonders deutlich.
Die runzlige Matrone zwischen Niedergang und Hoffnungsschimmer
Da der Regen keine Pause kennt, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich in einem Kirchen-Schnellumlauf den nassen Tatsachen zu stellen. Jetzt erst nehme ich über der verwitterten Holztüre des Südportals, die von einem Kleeblattbogen in rechteckigem Gewände umrahmt wird, zum dritten Mal an diesem Spätvormittag das Wappen der Familie Szilágy wahr. Um das Pendant, den gekrönten Löwen des Vingard-Adelsgeschlechts an der Westfassade in Augenschein nehmen zu können, muss man den Kopf weit in den Nacken legen. Hoch oben, über dem zugemauerten Portal der Westfassade und dem gotischen Zwillingsfenster hat sich der Bauherr Johannes Gereb mit Wappen, Schriftband und der Jahreszahl 1461 verewigt.
13 abgetreppte, bis zum Dach hochgezogene Stützpfeiler verteilen sich auf Kirchenschiff und Chor. Sie geben sich alle Mühe, das wuchtige Gebäude sicher durch die kommenden Jahrhunderte zu geleiten. Doch die exponierte Lage fordert ihren Tribut. Schonungslos zerren die Kräfte der Natur an Mauerwerk und Dach. Einzig das Buschwerk auf den Strebepfeilern scheint dagegen immun zu sein und strebt himmelwärts nach einem noch besseren Fernblick.
Inzwischen bin ich komplett durchnässt. Unerbittlich peitscht der Wind die Regenmassen über die Anhöhe hinweg. So bleibt der Friedhof in der feuchtschwangeren Luft nur ein verschwommener Schemen. Der ungebändigte Graswuchs hält jeden Besucher auf Distanz.
Wie soll es nur weitergehen mit dem prächtigen spätgotischen Bau? Kürzlich las ich, dass Weingartskirchen in das 2022-er Dächerprogramm der Stiftung Kirchenburgen integriert wurde. Immerhin ein positives Zeichen. Vielleicht gibt es ja tatsächlich eine Zukunft für die steinerne Lady?
Gut zu wissen
Adresse
Evangelische Kirche Weingartskirchen / Vingard
RO-517771 Vingard; jud. Alba
Die Kirche befindet sich von Mühlbach kommend auf einer Anhöhe, die von der DJ106I über eine linkerhand abzweigende Stichstraße zu erreichen ist. Auf halber Strecke befindet sich ein Bauernhof, wo man das Auto abstellen kann, um die letzten ca. 150 m zu Fuß zurückzulegen. Der Zugang ist nicht barrierefrei!
Kontakt und Besichtigung
Wilhelm (Willi) Reindt / Rozina Reindt
Haus 344 (ehemals 84)
Tel.: +40 258 766 081 oder +40 757 288 988
Die Besichtigung ist kostenfrei. Eine Spende wird gern gesehen.
In der Nähe
Die Kirchenburg von Bußd bei Mühlbach / Boz
Etwa 20 Kilometer südlich von Weingartskirchen steht eine der kleinsten Kirchenburgen von ganz Siebenbürgen. Außen ein kompaktes Bollwerk, innen ein Wunder in Hellblau mit doppelstöckigem Wehrgeschoss.
Leider tragen das Bußder Schmuckstück und seine Nebengebäude (Glockenstube, Schule und Pfarrerswohnung) enorm schwer an der Bürde der Zeit und des Verlassenseins.
Die Kirchenburg von Mühlbach / Sebeş
Das Städtchen Mühlbach im Unterwald bildet das westliche Tor nach Siebenbürgen. Die 800 Jahre alte, gotische Basilika mit dem eindrucksvollen Flügelaltar und den auffälligen bunten Keramikschindeln des Glockenturm zeugt vom einstigen Reichtum der Handelsstadt.
Leseempfehlung
Passend zu einem Besuch der Kirche in Weingartskirchen möchte ich Euch die nachfolgende Lektüre ans Herz legen. In meiner in Leselaune-Bibliothek habe ich das Buch für Euch rezensiert.
Siebenbürgen Bilder einer Reise II von Peter Jacobi
Betörend schön-ungeschönt, faszinierend-fassungslos, bildgewaltig-textpuristisch präsentiert uns Peter Jacobi auf 424 Seiten die Wehr- und Kirchenburgenlandschaft seiner Heimat.
Die fotografische Reise durch das Stillleben nach dem Exodus ist ein eindrückliches Plädoyer für den Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes.
Quellen
- Hermann Fabini – Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen
- Gernot Nussbächer – Aus Urkunden und Chroniken – Band 17 Unterwald
- Website sibiweb.de