Muehle mit romantischer Kulisse am Kinderdijk in den Niederlanden
Niederlande,  Unterwegs

Die Windmühlen von Kinderdijk


Auf meinem Weg von Dordrecht nach ’s-Hertogenbosch, entscheide ich mich kurzfristig für einen Abstecher zum holländischen Postkartenidyll schlechthin. Die Windmühlen von Kinderdijk, die seit 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, liegen nur einen Katzensprung von Rotterdam entfernt.

Muehlenlandschaft am Kinderdijk in den Niederlanden

Land unter

Kinderdijk gehört zur Polderlandschaft Alblasserwaard und liegt, wie 43% der Niederlanden, unter dem Meeresspiegel. „Als Gott die Welt erschuf, vergaß er die Niederlanden. Also mussten sich die Niederländer ihr eigenes Land erschaffen“, so oder ähnlich lautet ein altes holländisches Sprichwort. Gesagt, getan.

Zunächst wurde dem Meer Land abgerungen und Deiche gebaut. Man legte die dahinterliegende Torflandschaft trocken und machte sie urbar. Allerdings kristallisierten sich mit der Zeit zwei grundlegende Probleme heraus. Das erste waren die häufigen Überschwemmungen, da nicht ausreichend Grund- und Regenwasser abgeleitet wurde. Das zweite, das genaue Gegenteil. Dem Torfboden, den man sich wie einen Schwamm vorstellen muss, wurde zu viel Wasser entzogen. Dadurch fiel er immer mehr in sich zusammen, und es mussten immer größere Anstrengungen unternommen werden, um den Höhenunterschied zum ableitenden Fluss, der seinerseits weiter anstieg, zu überwinden.

Der Deichverband – die erste demokratische Vereinigung

Für beide Problemstellungen gab es nur eine einzige Antwort, und die hatte Graf Floris V. 1377 gründete er den ersten Deichverband. Der Graf hatte erkannt, dass die Komplikationen mehr oder weniger hausgemacht waren. Wenn jeder Grundbesitzer nur seinen eigenen Nutzen vor Augen hatte, konnte dies für die Gemeinschaft mächtig ins Auge gehen. Also musste eine Person den Hut aufhaben. Er ließ einen Deichgrafen wählen, der dem Deichverband vorstand. Gemeinsam übernahm man nun die Verantwortung für die Deiche, und die Regulierung des Wasserstandes. So gelang es Floris V. zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und ganz nebenbei noch das zarte Pflänzlein der Demokratie auszusäen.

Trotz aller organisatorischen Verbesserungen, erscholl in den Jahren 1404 und 1421 erneut der Hilferuf „Land unter“ durch die Provinz. Die heranrollenden Wassermaßen der ersten und zweiten Elisabethenflut überschwemmten erbarmungslos Land und Leute. Tausende von Menschen fanden den Tod. Was war geschehen?

Gemaelde Elisabtehenflut aus dem 15. Jahrhundert, heute ausgestellt im Rijksmuseum in Amsterdam.
Die Elisabethenflut; Meister der Heiligen Elisabeth-Tafel; ca. 1490-1495; Rijksmuseum Amsterdam

Die Energie und Arbeitskraft der Polderbewohner wurde über Jahrzehnte hinweg in immer wieder aufkeimenden Kriegen und Grenzstreitigkeiten aufgerieben. Mit verheerenden Folgen. Die Pflege und Instandhaltung der Deiche wurde leichtfertig vernachlässigt. So hatte die Flut  leichtes Spiel und schwemmte den Großteil der Deiche, mir nichts, Dir nichts, hinweg.

Ein zweiter Moses?

Als die Flut langsam abebbte, und das Wasser sich wieder in Meer zurückzog, war erneut ein lautes Schreien zu vernehmen. Dieses Mal kündigte es glücklicherweise kein weiteres Unglück an. Die Hilferufe kamen von einem Kleinkind, das in einer Wiege einsam und verlassen auf dem Wasser trieb. Glücklicherweise konnte es gerettet werden und die Legende vom Kinderdijk (Kinderdeich) war geboren.

Die Erzählung, so schön sie auch sein mag, erklärt allerdings nicht, warum vom Kinderdijk (Plural!) und nicht vom Kinddijk die Rede ist. Vielleicht ist also doch etwas dran, an der anderen Interpretation, die gerne ein wenig in den Hintergrund gedrängt wird.

Kinderarbeit war vom frühen Mittelalter bis hinein ins 20. Jahrhundert nachweislich in ganz Europa verbreitet. Auch in den Niederlanden. Insofern sind es nicht nur böse Zungen, die behaupten, dass der Ursprung des Wortes Kinderdeich auf die von den Minderjährigen geleisteten Frondienste zurück zu führen ist.

Ausgeklügeltes Wassermanagement

Gemäß dem Motto: Hinfallen, Aufstehen, Krone richten und Weitergehen, wurde nach der Elisabethenflut eifrig nach neuen Lösungen für ein konstantes Abpumpen des Wassers gesucht. Maschinen mussten her. Große Maschinen. Windmühlen.

Dunkle Wolken ueber der Muehlenlandschaft am Kinderdijk in den Niederlanden
Overwaard
Unsere pfiffigen Nachbarn entwickelten ein perfektes System aus Deichen, Poldern, Pumpen, Kanälen und Schleusen, um zu Land zu kommen.

Außerdem musste an der Verbesserung des bisherigen Drainagesystems getüftelt werden.
Der Alblasserwaard lag bis zu anderthalb Metern unter dem Meeresspiegel, während der  Fluss Lek deutlich höher lag. Die Pumpleistung einer Mühle betrug etwa einen halben Meter, was nicht ausreichend war, um den Höhenunterscheid zu überwinden.

Was tun?
Die naheliegendste Lösung war eine terrassenartige Anlage zu schaffen, die über zwischen den Poldern liegenden Kanälen, das Wasser stufenweise aus dem Polder herauspumpte.
Dieses fein aufeinander abgestimmte System ist noch heute in Kinderdijk zu bewundern.

Die acht Mühlen auf dem Nederwaard-Polder schaufeln das Wasser über den Kanal in ein unteres Bassin. Von dort aus leiten es die acht Mühlen des Oberwaard-Polder, die auf der gegenüberliegenden Seite des Kanals liegen, in das obere Bassin. Wenn es der Wasserstand im Fluss Lek zulässt, werden die Elshout-Schleusen geöffnet. Das Wasser fließt in die Lek ab, die es ihrerseits ins Meer hinaustransportiert. 

Schematische Darstellung des Wassermanagements mit Deich,Polder, Muehlen, Bassins und Schleuse

Auffallend ist, dass die acht Nederwaard-Mühlen nicht in einer Reihe, sondern versetzt angeordnet sind. Dies ist notwendig, damit sie sich nicht gegenseitig den Wind wegnehmen. Das Phänomen des Windschattens war demnach schon im 18. Jahrhundert bekannt.

Anders auf dem Oberwaard-Polder. Hier stehen die Mühlen in größerem Abstand zueinander, so dass sie nicht um den Wind konkurrieren müssen.

Ich stehe in einem Gemälde

Ende des 19. Jahrhunderts zählte man ungefähr 9.000 Windmühlen in den ganzen Niederlanden. Davon sind heute noch etwa 1000 Exemplare erhalten; 19 davon in Kinderdijk.

Aufgereiht wie an einer zweilagigen Perlenkette stehen sie vor mir. Tapfere, verlässliche Recken, die den Wind seit Jahrhunderten zähmen. Ein atemberaubender Anblick. Ein einmalige Symbiose von Natur und Menschenwerk. Ich befinde mich mittendrin in einem Gemälde und kann mich nicht satt sehen, geschweige denn sattknipsen.

Muehle mit romantischer Kulisse am Kinderdijk in den Niederlanden

Bleifarbene, regenschwangere Wolken werden von einem bitterkalten Wind tief über die flache Landschaft hinweg gefegt. Eine düstere Atmosphäre. Mich fröstelt und das nicht nur wegen der Außentemperatur um den Gefrierpunkt. Es herrscht Weltuntergangsstimmung. Droht die nächste Flutkatastrophe?

Muehle am Kinderdijk in den Niederlanden

Dann, eine Stunde später, reißt der Himmel plötzlich auf. Ein blau-grauer Flickenteppich taucht die Windmühlen in ein warmes, goldfarbenes Licht. Ein Bilderbuch-Panorama entsteht. Das faszinierende Schauspiel der sich schnell verändernden Licht- und Luftverhältnisse wechselt beinahe stündlich während meines Besuches auf Kinderdijk. Selbst die Sonne gibt ein kurzes Intermezzo. Ganz schön anstrengend, dieses Hin- und Her. Schal an, Schal aus. Mütze auf, Mütze runter. Jacke auf, Jacke zu…

Overwaard-Muehle im Sonnenlicht am Kinderdijk in den Niederlanden

Mühle ist nicht gleich Mühle

Ich bin kein Mühlenfachmann, doch selbst als Laie fällt mir sofort auf, dass sich auf den beiden Poldern des Kinderdijk zwei gänzlich verschiedene Mühlentypen gegenüberstehen. Das liegt daran, dass es zwei Deichverbände gab, den Niederwaard und den Overwaard.

Im Jahre 1738 begann der Deichverband Niederwaard auf der westlichen Seite des Kanals acht Mühlen zu bauen. Sie entschieden sich für sogenannte Grundsegler. Der konische Mühlenkorpus bestand aus rotem Ziegelstein mit einer Haube aus Schieferschindeln. Die Flügel reichen beinahe bis zum Boden, daher auch der Name. Die Mühlen waren extrem schwer für den schwammigen Torfboden. So kam es immer wieder zu Problemen mit der Standfestigkeit.

Zwei Jahre später machte sich der Deichverband Overwaard an die Arbeit. Um nicht den gleichen Fehler wie sein Nachbar zu machen, wählte man einen anderen Mühlentypus, nämlich die achteckige Poldermühle aus Holz. Da das Mühlenhaus weniger massiv war, besaßen die Poldermühlen nur ein Reetdach. Dadurch fingen sie allerdings auch schneller Feuer. So geschehen 1981, als Mühle Nummer 2 auf dem Overwaard abbrannte. Nach ihrem Wiederaufbau erhielt sie mit über 29 Metern Länge die längsten Segel von ganz Kinderdijk.

Die Besonderheit beider Mühlentypen ist die bewegliche Haube, die von einer (!) einzigen Person  in die jeweilige Windrichtung gedreht werden konnte.

Muehlenlandschaft am Kinderdijk in den Niederlanden
Die Windmühlen von Kinderdijk – Vorläufer der heutigen Windparks

Ein Leben mit dem Wind

Auf halbem Weg des ersten Kanalabschnitts, geht es über eine hübsche weiße Ziehbrücke zur Museumsmühle Nederwaard. Hier treffe ich auf Björn. Björn ist einer der ehrenamtlichen Müller von Kinderdijk. Er selbst lebt in Mühle Nummer 1, ist aber meistens in der Museumsmühle anzutreffen. Er bekam das Müller-Gen in die Wiege gelegt und konnte mit 13 Jahren schon allein eine Mühle bedienen. Ich störe ihn gerade bei seiner Brotzeit in der guten Stube der Mühle. Ein winziger Raum, minimalistisch eingerichtet. Gerade einmal ein Tisch, zwei Stühle, eine Vitrine und ein Alkoven finden Platz.

Hobby-Mueller der Museumsmuehle in Kinderdijk in den Niederlanden

Bereitwillig unterbricht Björn sein Vesper, um mir einen kurzen Einblick in den Mülleralltag zu geben. Um ehrlich zu sein, von Romantik keine Spur. Es war ein hartes Dasein. Die Welt des Müllers war klein. Das ganze Leben spielte sich in und um die Mühle herum ab. Ständige Präsenz war gefragt. Geregelte Arbeitszeiten gab es nicht. Der Wind ist kein zuverlässiger Arbeitsgeber. „Man muss verrückt sein, um in einer Windmühle zu leben“, erzählt Björn. „Die Windmühle ist kein gemütliches Haus, sondern eine große und sehr laute Maschine.“

Davon kann ich mir live einen Eindruck verschaffen, denn die Mühle ist gerade in Betrieb. Der Wind fährt in die Segel und treibt die Flügelwelle an. Diese ist mit einem senkrechten Holzpfahl, der Königswelle verbunden, die sich durch die ganze Mühle schraubt und am Ende das Wasserrad antreibt. Es quietscht, knarrt, ächzt, knackt in allen Ecken und das in einer Dezibelstärke, die jeden Ohrstöpselverkäufer glücklich machen würde. Unvorstellbar hier nur ein wenig zur Ruhe zu kommen, geschweige denn zu schlafen. 

Einmal Müller, immer Müller

Bevor ich mich auf den Weg in die oberen Stockwerke der Mühle mache, greift Björn noch ein wenig ins Nähkästchen. Er erzählt mir insbesondere von der 1900er Generation, die einen tragischen Schicksalsschlag hinnehmen musste. Wie die Schwarzweiß-Fotografien an den Wänden belegen, zählte die Familie Hoek zu den Urgesteinen auf Kinderdijk. Keine Generation ohne Müller. Mit ihren 13 Kindern lebten Kees und seine Frau Ali hier auf engstem Raum.  Kaum vorstellbar, wie laut und umtriebig es in der Mühle zugegangen sein musste. Das Wort Privatsphäre existierte damals nicht.

Als das Unglück geschah, herrschte seit Tagen ein kräftiger Ostwind. Die Flügel waren in den Wind gestellt und dementsprechend die Türe an der Ostseite der Mühle geschlossen. Aus Sicherheitsgründen war der Zugang zur Mühle nur auf der Westseite möglich. Als der Wind wechselte, drehte Kees selbstverständlich die Mühlenhaube, so dass die Flügel nun im Westen ihre Kreise drehten. Leider hatten die Eltern vergessen, die Türe an der Westseite zu schließen. Prompt rannte eines der Kinder auf dieser Seite nach draußen. Ali rannte ihm hinterher und konnte es gerade noch vor dem herabsausenden Flügel retten. Für sie selbst kam jede Rettung zu spät. Der Mühlenflügel erwischte sie mit voller Wucht von mindestens 70 km/h. Ali war auf der Stelle tot. 

Aber das Leben musste weitergehen und mein Rundgang auch.
Bevor der Hauptweg einen 90 Grad-Knick macht, komme ich an der Niederwaard-Mühle Nummer 5 vorbei. Hier lebt Arie Hoek, einer der beiden Brüder aus der Hoek-Familie. Seit dem Bau der Mühle hatte sie Schlagseite. Als die Neigung Ende des 19. Jahrhunderts lebensgefährliche 65 Zentimeter betrug, wurde der Müller „evakuiert“ . Über 100 Jahre war die Mühle außer Betrieb, bevor 2010 das Problem dauerhaft korrigiert sowie das Mühleninnere authentisch renoviert wurde. Gesamtkosten: 1 Million €.

Milly und Molly

Nach drei Kilometern Fußmarsch, einer roten Nase und steifgefrorenen Fingern, bin ich am Blockweer-Polder und dem abschließenden Besichtigungspunkt angekommen. Ein schwarzes, kastenförmiges Ungeheuer mit einem pyramidenförmigen Unterbau stemmt sich allein auf weiter Flur dem Wind entgegen. Was Lage und Aussehen betrifft, ein klarer Außenseiter. De Blokker wird die Museumsmühle liebevoll genannt. Die einzige Wippmühle des Kinderdijks und die älteste noch dazu. 1631 wurde sie bereits gebaut, allerdings stammt die jetzige Version aus dem Jahre 2001. Das liebe Feuer hatte mehrmals ganze Arbeit geleistet.

Im Gegensatz zu den Grundseglern und den klassischen Holländermühlen befindet sich bei der Wippmühle das Wasserrad außerhalb der Mühle. Außerdem musste bei wechselnden Winden der komplette Oberbau, das eigentliche Mühlenhaus, gedreht werden. Der Berufe des Müllers war nichts für Schwächlinge.

Das Innere des Blokkers hat viel Ähnlichkeit mit einem zwei-Zimmer-Puppenhaus. Trotzdem sieht es gemütlich aus. Es gibt einen Wohn-Ess-Bereich und einen Schlafraum. Jede Ecke, jede freie Fläche ist optimal ausgenutzt. Alles hat seinen Platz, selbst der Fernseher und das Bügelbrett. Die Küche war, wie bei jeder Mühle, wegen der Brandgefahr in ein frei stehendes, sogenanntes Backhaus ausgelagert.

Milly und Molly, die beiden Ziegen der Museumsmuehle de Blokker auf dem Kinderdijk in den Niederlanden

Hinter dem Backhaus entdecke ich einen Gemüsegarten, sowie Milly und Molly. Die beiden frechen und scheinbar immer hungrigen Ziegen gehören zum Permanent-Inventar der Poldermühle. Außer Milly und Molly bevölkert noch weiteres Kleinvieh die Minifarm. Kühe zu halten, konnte sich der Müller nicht leisten, aber Hühner, Kaninchen, Gänse oder Schafe waren nicht nur auf dem eigenen Speiseplan willkommen, sondern sorgten für zusätzliche Einkünfte auf dem Wochenmarkt. Ein Müller war immer auch Landwirt und Fischer. Das Mahlen reichte nicht aus, um eine mehrköpfige Familie zu ernähren. Multitasking war gefragt.

Die Mühle als Super-Enigma

Auch ich muss mich ab und zu ernähren, deshalb gönne ich mir im kleinen Souvenir-Café neben de Blokker eine Portion Stroopwaffeln mit einer heißen Tasse Chocomel. Hmmm, was für ein Seelenwärmer!

Da es im Café so schön kuschelig warm ist, bin ich gerne bereit bei Cok noch ein wenig die Schulbank zu drücken. Der Hobbymüller, der heute Dienst in der Museumsmühle hat, möchte mir etwas über die Mühlensprache erzählen. Ist Euch schon aufgefallen, dass bei Windstille die Flügel der Windmühlen in unterschiedlichen Stellungen stehen? Das ist kein Zufall, sondern ein raffiniertes Kommunikationssystem.

Es gibt vier offizielle Flügelstellungen und jede hat eine andere Bedeutung.

Schematische Darstellung der Muehlensprache; Arbeitsstellung

Die Flügel stehen im 90 Grad Winkel zum Horizont: Die Arbeits- bzw. St. Georgs-Kreuz-Stellung deutet nur eine kurzfristige Pause an.

Schematische Darstellung der Muehlensprache; Ruhestellung

Die Flügel stehen im 45 Grad Winkel zum Horizont: Die Diagonal- oder Andreas-Kreuz-Stellung zeigt an, dass die Mühle für eine längere Zeitspanne außer Betrieb sein wird.

Schematische Darstellung der Muehlensprache; Freudenstellung

Der ankommende Flügel wird kurz vor dem niedrigsten Punkt gestoppt: Die Freuden- oder Ankommenden-Stellung kündigt ein frohes Ereignis an. Es gibt etwas zu feiern: eine Geburt, eine Taufe oder eine Hochzeit.

Schematische Darstellung der Muehlensprache; Trauerstellung

Der weggehende Flügel wird kurz nach dem niedrigsten Punkt gestoppt: Die Trauer- oder Weggehenden-Stellung
Hierin kommt die Trauer, das Weggehende und Vergängliche zum Ausdruck.

Selbstverständlich konnten die Müller, mit weiteren vorher vereinbarten Segelstellungen, auch geheime Nachrichten austauschen. Dies wurde im II. Weltkrieg häufig praktiziert. Die Mühle wurde zur Super-Enigma.

Um die Verschlüsselungen richtig lesen zu können, muss man wissen, dass die Flügel in Holland gegen den Uhrzeigersinn drehen. Aber Achtung Fettnäpfchen! In Nordbrabant ist die Segelstellung bei Freude und Trauer genau umgekehrt.

Tradition und Moderne

Die Windmühlen garantierten über Jahrhunderte, dass die Deichlandschaft nicht wieder versumpfte. Leider war ihre Arbeitsleistung wenig steuerbar. Bei Windstille konnte kein Wasser aus dem Polder gepumpt werden. Die Wirtschaftsflächen ertranken buchstäblich. Wurde andererseits zu viel Wasser aus der Torflandschaft gepumpt, trocknete diese aus und sank dadurch noch weiter ab. Gleichzeitig stieg der Flusspegel an, so dass von dieser Seite aus plötzlich Hochwassergefahr drohte. Ein schwer kalkulierbares, permanentes Vabanquespiel.

Blick auf die Muehlen des Overwaard am Kinderdijk in den Niederlanden
Die holländischen Windmühlen sind, bis auf wenige Ausnahmen, keine Getreidemühlen, sondern Windpumpen.

Auch die Mühlen selbst besaßen ein hohes Risikopotential. Blitzeinschläge oder Beschädigungen der Flügel durch heftige Stürme waren keine Seltenheit.

Bei Orkanböen war schnelles Handeln gefragt. Der Müller musste so schnell als möglich die Bremse „reinhauen“, ansonst konnte es passieren, dass sich die Flügel mitsamt Dach selbständig machten und unbezahlte Flugstunden nahmen. Noch schlimmere Auswirkungen hatte es, wenn das Räderwerk nicht sofort zum Stillstand kam. Die Reibungskräfte zwischen Bremse und Flügelwelle konnten Funken schlagen und die Mühle in Minutenschnelle in Brand setzen.

Insofern waren die Erfindung und Verbreitung der Dampfmaschinen eine willkommene Innovation. Zur Unterstützung der Windmühlen wurden in Kinderdijk 1868 zwei dampfbetriebene Pumpstationen in Betrieb genommen. Knappe 60 Jahre später übernahmen Dieselmotoren die Arbeit. Mit einer Pumpkraft von 870.000 Litern pro Minute wurden die Windmühlen und der Berufszweig des Müllers überflüssig. Das große Mühlensterben setzte ein. Heute garantieren eine nagelneue, elektrisch angetriebene Pumpstation zusammen mit den drei riesigen archimedischen Wasserschrauben, die man gegenüber des Parkplatzes bewundern kann, dass die Polderlandschaft rund um Kinderdijk trocken bleibt. Sie haben eine Pumpleistung von 1500 Kubikmetern Wasser in der Minute, was einem vollen olympischen Schwimmbecken entspricht.

Immer Gewehr bei Fuß

Trotz des technischen Fortschritts müssen die Windmühlen weiterhin „Gewehr bei Fuß“ stehen. Man kann ja nie wissen, wann die nächste biblische Sintflut hereinbricht, Sand ins Getriebe der High-Tech-Schneckenpumpe gelangt, oder die Ressourcen für das Betreiben der Anlage ausgehen.

Muehle mit Getreidefeld im Vordergrund am Kinderdijk in den Niederlanden

So geschehen während des II. Weltkrieges. Die deutschen Besatzer beschlagnahmten die Dieselvorräte und aus war es mit dem industriellen Gepumpe. Zum Glück sind unsere holländischen Nachbarn nicht auf den Kopf gefallen. Katastrophenmanager und Praktiker durch und durch, setzten sie kurzerhand die Windmühlen wieder in Gang und die Polderlandschaft war gerettet.

Auch heute, im 21. Jahrhundert, muss die Funktionstüchtigkeit der Mühlen für einen möglichen Katastrophenfall jederzeit gewährleistet sein. Eine Mühle in ständigem Stillstand bedeutet Verfall. Deshalb sind alle Mühlen des Kinderdijks, mit Ausnahme der beiden Museumsmühlen, bewohnt. Die Voraussetzung für ein Wohnrecht in der Windmühle ist, eine Ausbildung und Prüfung als „Hobby-Müller“ abzulegen und die Mühle in Schuss zu halten. Die Teilzeit-Müller verpflichten sich regelmäßig Probeläufe mit ihren Windrädern auszuführen. Mindestens 60.000 Umdrehungen im Jahr sind gefordert, Björn kommt sogar auf 6 Millionen.

Die Mietpreise der Mühlen sind nicht hoch.
Ich spiele doch tatsächlich mit dem Gedanken, mir einen Platz auf der langen Warteliste zu sichern.

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