Vermeer Centrum Delft im ehemaligen Haus der Sankt Lukas Gilde in Delft
Museen,  Niederlande,  Unterwegs

Vermeer Centrum Delft


Marcel Proust, Vincent van Gogh und Salvador Dali zählten zu seinen namhaften Bewunderern. 2004 erwarb ein Privatmann für 24 Millionen Euro auf einer Sotheby’s Auktion ein 25,5 cm × 20 cm großes Gemälde aus der Hand des Delfter Malers. Jedes Jahr bestaunen Millionen von Kunstbegeisterte seine Werke auf der ganzen Welt. Neben Rembrandt ist er zweifelsfrei der bekannteste Künstler des Goldenen Zeitalters der Niederlande. Die Rede ist von Johannes Vermeer, dem Meister des Lichts.

Vermeer Centrum Delft

Auf meinem Spaziergang mit Vermeer habe ich mich den wenig bekannten Eckpunkten des 1632 in Delft geborenen Malers angenähert. Nun möchte ich mehr über die Werke des Ausnahmekünstlers in Erfahrung bringen. Doch leider besitzt die Stadt Delft kein einziges Originalgemälde ihres berühmtesten Sohnes. Stattdessen zeigt das 2007 eröffnete Vermeer Centrum im Herzen der Grachtenstadt alle 37 (?) erhalten gebliebenen Werke des mit 43 Jahren allzu früh verstorbenen Meistermalers als Reproduktionen in Originalgröße.

Passend dazu entführt uns im Untergeschoss des wunderschön rekonstruierten Gebäudes der ehemaligen Sankt Lukas Gilde ein Einführungsfilm in die turbulente Geschichte der quirligen Handelsstadt. Anschließend geht es in einem chronologischen Rundgang auf Tuchfühlung mit Vermeers künstlerischem Vermächtnis, wobei wir auch die Wege der wenigen Zeitgenossen streifen, die im Leben des Delfters eine bedeutende Rolle spielten. 

Im 1. Obergeschoss befinden wir uns in Vermeers Atelier. Wir tauchen ein in seine Farbenwelt, lernen über seinen Umgang mit Licht und Perspektive, erfahren über die Vor- und Nachteile des Gebrauchs der Camera obscura, bevor uns eine hoch spannende Reportage über die Restaurierung der Briefleserin in Blau überraschende Einblicke unter die Oberfläche eines Gemäldes gewährt.

Das oberste Stockwerk bietet dem Besucher Aufklärungsunterricht in Sachen Liebes-Bildsprache des 17. Jahrhunderts. Während die Protagonisten und das Interieur auf Vermeers Genregemälden als Spiegelbild der niederländischen Gesellschaft fungieren, besitzen die Gegenstände in seinen Werken eine weitaus komplexere Bedeutung, als ihr eigentlicher Verwendungszweck es vermuten ließe. Diese (nicht selten zweideutige) Objektsymbolik ist uns heute nicht mehr geläufig, aber als Schlüssel zum Verständnis seiner moralischen Botschaft unabdingbar.

Vermeers Werk

37 Reproduktionen schmücken die Wände im Delfter Vermeer Centrum. Allerdings gehen bis heute bei drei Bildern die Expertenmeinungen bezüglich der korrekten Zuschreibung zu Vermeers Oeuvre auseinander. Am strittigsten ist das Gemälde der Praxedis, aber auch das Mädchen mit der Flöte und die Junge Frau am Virginal lassen hinsichtlich Bildkomposition und Ausführung berechtigte Zweifel aufkommen.

Vermeer Centrum Delft
© Vermeer Centrum Delft

Vermeers Gesamtwerk wird heutzutage, dank überlieferter Inventar- und Auktionslisten seiner Gönner und Förderer, auf nicht mehr als plus minus 50 Bilder geschätzt. Eine sehr bescheidene Leistung, selbst angesichts seiner kurzen Schaffenszeit von nur zwei Jahrzehnten. Im Vergleich dazu brachte es der Meistermaler des Goldenen Zeitalters Rembrandt Harmenszoon van Rijn in 43 Schaffensjahren auf sage und schreibe 350 Gemälde sowie 300 Radierungen.

Die Malkunst im Goldenen Zeitalter

Während bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts die biblische und mythologische Historienmalerei noch enorm hoch im Kurs stand, verlangte die durch die wirtschaftliche Blütezeit ein besonderes Selbstverständnis entwickelnde Bürgerschicht bald nach neuen Sujets. Die zahlkräftigen Kaufleute dürstete es nach Selbstdarstellung. Porträts waren gefragter denn je. Der Bedarf an Einzel-, Ehe-, Familien- oder Gruppenbildnissen wie die großformatigen Bürgerwachen ernährten eine ganze Malergeneration, darunter Frans Hals, Thomas de Keyser, Nicolaes Eliaszoon Pickenoy oder Bartholomeus van der Helst. Die Malkunst boomte. Über 50.000 Gemälde überfluteten in nur einem Jahr den Markt.

Es entwickelten sich gänzliche neue Strömungen mit ungewöhnlicher Diversifikation und Spezialisierung. Willem van de Welde widmete sich der Schifffahrt, Hendrick de Vliet bevorzugte Kircheninnenräume, Pieter de Hooch machte sich einen Namen als Interieurmaler, indes bei Jan Steen Bauernsatiren hoch im Kurs standen. Stillleben wurden zum Selbstläufer, egal ob es sich um Obst, Silberzeug, Meeresgetier, Mahlzeiten oder Blumen handelte.

Allerdings begeisterte sich Johannes Vermeer für keines dieser Themen. Nach nur zwei anfänglichen Ausflügen in die biblisch-mythologische Historienwelt wandte er sich schon früh der Genremalerei zu, die ihn bis an sein Lebensende beschäftigen sollte. Die intimen Interieurs und Alltagsszenen bildeten nicht nur die ideale Szenerie für seine Meisterwerke aus Licht und Schatten, sondern transportierten darüber hinaus eine moralische Botschaft, indem sie der zeitgenössischen Gesellschaft den mal mehr, mal weniger verschlüsselten Wertespiegel aus Tugend, Versuchung und Laster vorhielten.

Auch wenn der Themenschwerpunkt des Delfter Künstlers eindeutig auf den Genreszenen lag, scheute er sich nicht vor anderen Motiven. Bereits mit den in der frühen Schaffensphase entstandenen Landschaftsbildern Die kleine Straße und Ansicht von Delft setzte er sich abseits der didaktischen Alltagsszenen ein künstlerisches Denkmal. Doch erst mit der Kunstform der Tronie, einer Art Charakterstudie in Porträtform, erlangte er Weltruhm. Das Mädchen mit dem Perlenohrring gehört heute zu den berühmtesten Gemälden aller Zeiten.

Historienbilder und Landschaften

Tronien

Gelehrte und Allegorien

Genrebilder

Vermeer in aller Welt

Während Vermeers Malerkollegen finanziell wesentlich erfolgreicher waren, blieb für den 14-fachen Vater der Ruhm der Nachwelt. Zwar waren Vermeers Werke schon zu Lebzeiten anerkannt, dennoch reichte ihr Bekanntheitsgrad nicht über die Stadtgrenzen von Delft hinaus.

Jedoch haben die noch erhaltenen Bilder mittlerweile ihre Heimat in  Museen auf der ganzen Welt gefunden. Ihre handelbare Größe erlaubt den Gemälden Vermeers ein ausschweifendes Reiseleben von einer Sonderausstellung zur nächsten über alle Kontinente der Erde hinweg. Zweimal zum Mond und zurück oder anders ausgedrückt, eine Million Kilometer haben die Werke des Delfter Meisters seit ihrer „Wiederentdeckung“ im 19. Jahrhundert bisher zurückgelegt. Kein miles & more Bonussystem kann diesem Popularitäts- und Reiseboom gerecht werden.

Wenn sie nicht gerade auf Welttournee unterwegs sind, können immerhin sieben Originalgemälde in Vermeers Heimatland bewundert werden. Dabei haben sich die beiden niederländischen Kunstmuseum-Flaggschiffe, das Rijksmuseum in Amsterdam und das Mauritshuis in Den Haag, die wohl berühmten Werke Straße in Delft, Ansicht von Delft, das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge und die Dienstmagd mit Milchkrug gerecht untereinander aufgeteilt.

Typisch Vermeer – Technik und Bildgestaltung

Zweifelsohne beherrschte Johannes Vermeer wie kein zweiter seiner Epoche und seines Metiers die Wiedergabe der Perspektive. Doch dies war nicht sein einziges Alleinstellungsmerkmal. Nachfolgend findet sich eine kleine Auswahl weiterer charakteristischer Elemente seiner Bildgestaltung und Maltechnik.

  • Die Abwesenheit des Spektakulären. Vermeers Bilder sind stille, unaufgeregte Werke. Dynamische Handlungen, exotische Szenarien oder verstörende Details sucht man in seinen Bildern vergeblich. Seine Genrebilder sind authentische, geradezu intime Sittengemälde des bürgerlichen Alltags, die zum Innehalten und zur Kontemplation einladen.
  • Bis auf wenige Ausnahmen, spielen sich die Interieurszenen immer in demselben Raum (wahrscheinlich das Atelier des Malers) ab. Dieser erfährt nur wenige Modifikationen hinsichtlich seiner Ausstattung wie die Wahl der Bilder an der Wand, das Vorhandensein, die Farbe und Beschaffenheit der Vorhänge oder die Art des Mobiliars. Herausstechendes Merkmal dieser Kompositionen bleiben jedoch immer die Bleiglasfenster auf der Nordseite des Zimmers.
  • Minimalismus muss eines von Vermeers Credos der Bildgestaltung gewesen sein. Überflüssiges, nichtssagendes und nur schmückendes  Beiwerk fand nie den Weg in seine Werke. Zu offensichtliche und dadurch plump wirkende Hinweise auf die Bildsymbolik übermalte er später wieder. Seine Botschaft konzentrierte er auf das Zusammenspiel der Personen mit den wenigen, gestalterischen Elementen im Raum.
  • Abgesehen von den Landschaften, den Historienbilder und nur ganz wenigen Genrebildern, bedient sich Vermeer stets des Bild-in-Bild-Stilmittels. Allerdings sind es nicht irgendwelche Gemälde aus dem Besitz der Schwiegermutter Maria Thins, die in seinen Werken an der virtuellen Wand hängen. Vielmehr stehen sie im jeweiligen thematischen Zusammenhang mit Vermeers Bildintention.
  • Man könnte den Delfter Künstler durchaus für einen Fetischisten topografischer Karten halten, denn allein fünf seiner Werke staffierte er mit Ansichten von Welt- oder Seekarten aus. Dazu muss man wissen, dass Wandkarten in der niederländischen Bourgeoisie ein beliebtes Statussymbol für Wohlstand und Bildung verkörperte. Für Johannes Vermeer boten sie allerdings auch die Möglichkeit diskret auf politische Machtverhältnisse hinzuweisen.
  • Als Pointillé-Technik bezeichnet man die Glanzpunkte, die sich auf Vermeers Bildrequisiten als Lichtreflexe dem Betrachter geradezu aufdrängen. Die gepunkteten, leuchtintensiven Farbakzente verstärken den Licht-Schatten-Effekt auf Perlen, Kannen, Gläsern oder selbst in den Nägeln der Spanischen Stühle.
  • Emblembücher waren aus dem Goldenen Zeitalter der Niederlande kaum wegzudenken. Diese Literaturform thematisierte und interpretierte sowohl weltliche als auch religiöse und vor allem ethisch-moralische Darstellungen. Wie eine Art Duden der versteckten Bildsprache. Die Werke Jacob Cats (1577-1660), dem bekanntesten niederländischen Vertreter dieser besonderen Art von Enzyklopädie, waren Johannes Vermeer sicherlich geläufig, denn die eingesetzten Bildrequisiten wurden ganz bewusst aufgrund ihrer Symbolik ausgewählt.  
  • Meister des Lichts, lautet einer der Beinamen, die die Kunstwelt Johannes Vermeer zugedacht hat. In der Tat präsentiert sich der Delfter Künstler als Virtuose im Umgang mit diesem Stilmittel. Dabei setzt er es auf unterschiedliche Arten ein. Mal direkt als durch ein Fenster scheinendes Tageslicht, um essentielle Bildelemente hervorzuheben, mal indirekter durch einen transparenten Vorhang oder ein geschlossenes Fenster. Geheimnisvolles, Verwerfliches oder Nebensächliches bleibt im Dunkeln.
  • Der sogenannte Repoussoir war ein weiteres gebräuchliches Stilmittel Vermeers. Ein teilweise vor das Bild geschobener Vorhang diente hauptsächlich der Verstärkung der Tiefenwirkung. Gleichzeitig schuf der Maler hierdurch eine besonders intime Atmosphäre, in dem er den Betrachter einlädt, hinter die Kulissen und Geheimnisse der bürgerlichen Welt zu schauen.

Vermeers Farbenwelt

eine Auswahl der von Jan vermeer beim Malen verwendeten Pigmenten, ausgestellt im Vermeer Centrum Delft

Schon bei meinem Besuch im Rembrandthaus in Amsterdam  erhielt ich im Rahmen einer Vorführung interessante Einblicke in das komplexe Handwerk eines Meisters des Goldenen Zeitalters. Die Malkunst war eine richtiggehende Wissenschaft. Es reichte nämlich bei Weitem nicht aus, über Talent, Beobachtungsgabe und einen perfekt platzierten Pinselstrich zu verfügen. Vielmehr waren umfangreiche Kenntnisse in Materialkunde gefragt. Angefangen von der Beschaffenheit des gewählten Bildträgers sowie der dazu passenden Grundierung über die Eigenschaften der Farbpigmente einschließlich der Wahl des Bindemittels bis hin zum geeigneten Überlack. Dazu mussten die möglichen Interaktionen zwischen den einzelnen Farben, ihre Lichtbeständigkeit und Deckkraft  als auch die notwendigen Trockenzeiten zwischen den jeweiligen Farbaufträgen beachtet werden.

Jan Vermeer verstand sein Handwerk. Er legte ausgesprochen viel Wert darauf, hochwertige Pigmente zu verwenden, die eine langfristige Farbechtheit und damit Beständigkeit garantierten. Hierfür scheute er keine Kosten. Kein anderer Maler seines Zeitalters war so verschwenderisch im Umgang mit dem teuersten aller Farbstoffe, dem Ultramarin, das seinerzeit mit Gold aufgewogen wurde.

Vermeers TOP 10 Farben

Neben Grünspan, Indigo, Karmin und rotem Ocker konnten von Experten mittlerweile die nachfolgenden Farbpigmente am häufigsten in den Werken des Delfter Malers nachgewiesen werden.

Bleiweiß
Bleiweiß

Dieses künstlich hergestellte Pigment verfügte über eine norme Denkkraft als auch Lichtbeständigkeit, weshalb es seit der Antike als Nonplusultra in Sachen weißer Farbe galt. Allerdings erwies sich die Bleicarbonat-Verbindung als hochtoxisch. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts ersetzten zunächst Zink- und später Titanweiß das für Mensch und Umwelt schädliche Bleiweiß. Weiterführende Informationen zur Herstellung von Bleiweiß im Goldenen Zeitalter finden sich hier.

Bleizinngelb
Bleizinngelb

Nach Ultramarin war zweifelsfrei Bleizinngelb das zweitteuerste Pigment auf Vermeers Palette, mit dem er ebenso großzügig umging wie mit der blauen Kostbarkeit. Beide Farben wurden zu seinem Markenzeichen. Das hochtoxische Bleizinngelb entsteht durch Erhitzen von Zinndioxid und Bleioxid, wobei mit steigender Temperatur der warme Gelbton in ein helles Zitronengelb übergeht. Vermeer setzte Bleizinngelb nicht nur bei den für ihn typischen pelzbesetzten Damenjacken ein, sondern scheute seine Benutzung auch nicht, um kühle Grüntöne wie die Fensterläden der Straße in Delft zu erzeugen.

Gelber Ocker
Gelber Ocker

Dieses natürliche Erdpigment aus Lehm und Eisen- oder Manganoxiden stammt aus sogenannten Ockersteinbrüchen. Reichhaltige Vorkommen gab es in der Toskana bei Siena oder bei Roussillon in der französischen Provence.

Zinnober
Zinnober

Obwohl das natürliche Mineral aus Quecksilbersulfid bereits den Griechen und Römern bekannt war, erfuhr es in der Malerei erst ab dem 15. Jahrhundert eine breite Verwendung. Unter Lichteinwirkung neigt das kräftige Orangerot dazu nachzudunkeln, weshalb es häufig mit Krapplack überzogen wurde.

Krapplack
Krapplack

Der in den getrockneten und gemahlenen Wurzeln der Färberröte enthaltene Farbstoff Alizarin war bereits den ägyptischen Pharaonen bekannt. Als Hochburgen für den Krappanbau galten ab dem späten Mittelalter die Niederlanden und danach das Elsass. Bis zu 70.000 Tonnen Krapp wurden weltweit im Jahr geerntet, bevor ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein synthetisches Verfahren den Anbau der Färberröte ablöste.
Vermeer verwendete den pflanzlichen Farbstoff in Form eines an Aluminiumsalze gebundenen Lacks häufig als Überzug für mit Zinnober gestaltete Flächen, um deren Farbtiefe zu erhöhen und sie gleichzeitig vor dem Verblassen zu schützen.

Smalte
Smalte

Kein Himmel ohne Smalte. Durch sein schlechtes Deckvermögen eignete sich das aus gepulvertem, kobalthaltigem Glas hergestellte Pigment hervorragend für alle Schattierungen von Himmel. Je feiner das Glas gemahlen wurde, desto  heller wurde der Blauton.

Ultramarin
Ultramarin

Das von jenseits des Meeres (ultramarin), genauer gesagt aus Afghanistan stammende blaue Pigment wurde, bis zu seiner synthetischen Herstellung im 19. Jahrhundert, in der Malerei nur sehr sparsam eingesetzt. Zumeist blieb die teuerste aller Farben ausschließlich den Gewändern von Jesus oder Maria vorbehalten. Der natürliche Farbstoff wird aus dem Halbedelstein Lapislazuli gewonnen. Um als Pigment verwendet werden zu können, muss dieser einem komplexen und ausschließlich manuellen Reinigungsverfahren unterzogen werden.

Grüne Erde
Pigment Grüne Erde

Die natürlichen Mineralien Seladonit und Glaukonit entstehen als Verwitterungsprodukte aus eisenhaltigen Silikaten. Je nach geographischer Herkunft reichte das Farbspektrum des gemahlenen Sandsteins von einem hellen, kalten Grün über ein blasses Gelbgrün bis zu einem satten Blaugrün. Aufgrund der geringen Deckkraft empfahl sich die fahlgrüne Variante besonders zur Schattierung oder Untermalung von Hautpartien, um deren Rot-bzw. Rosatöne abzumildern.

Umbra
Pigment Umbra

Für die Braunfärbung des natürlichen Erdpigments Brauneisenstein sorgen Eisenoxide und Mangandioxide. Je höher der Mangananteil, desto dunkler der Braunton.

Elfenbeinschwarz
Elfenbeinschwarz

Das samtartige, absolut lichtbeständige, hochdeckende und damit schwärzer als schwarze Pigment entsteht durch die Verbrennung von Kohlenstoffverbindungen unter Luftausschluss. Früher verkohlte man hierzu, wie der Name nahelegt, häufig Elfenbein  oder alternativ Geweih, während man für das heutige Beinschwarz zu Knochen aus Schlachthofabfällen greift.

Die Sphinx von Delft oder 10 ungelöste Fragen

Über Leben und Werk Johannes Vermeers türmen sich so viele Fragezeichen, dass sie ihm den Spitznamen Sphinx von Delft einbrachten. Da der Schleier über diesen Geheimnissen wohl nie mehr gelüftet werden wird, steht es jedermann frei, sich seinen eigenen Theorien dazu hinzugeben.

  • Warum datierte Johannes Vermeer nur drei seiner Gemälde? Lediglich die Bilder Bei der Kupplerin, Der Geograph und Der Astronom versah der Künstler mit einer Jahreszahl. Wollte er damit seinen anderen Werken eine bewusste Zeitlosigkeit einräumen?
  • Vermeer war eindeutig Perfektionist. Radiologische Untersuchungen seiner Gemälde brachten häufige Übermalungen ans Tageslicht, die zu einer subtileren Bildaussage führten. Ob seine Detailversessenheit der einzige Grund dafür war, dass Vermeer im Durchschnitt nur zwei Gemälde pro Jahr fertigstellte? Oder lag es womöglich an der Großfamilie und den damit verbundenen Geldsorgen, sodass ihm Farbe oder Leinwand ausgingen oder die Modelle fernblieben?
  • Monumentale Bildwerke waren definitiv nicht Vermeers Ding. Sein größtes Gemälde misst gerade einmal 160 x 142 cm. Kein Vergleich zu Rembrandts Nachtwache mit 363 x 438 cm. Vermeers kleinstes Bild Mädchen mit Flöte ist mit 20 x 17,8 cm nur wenig größer als ein DIN A5 Blatt. Was beabsichtigte der Maler mit der Reduzierung seiner lebensgroßen Modelle auf die  im Durchschnitt kaum einen halben Meter großen Gemälde? War es eine Frage des Preises von Leinwand und Farben? Oder ein Statement über die Bedeutungslosigkeit der menschlichen Gesellschaft?
  • Keine der Personen auf Vermeers Bildern konnte je identifiziert werden. Ob es sich um bezahlte Modelle, Familienangehörige oder Bedienstete des eigenen Haushalts handelte, wird für immer ein Rätsel bleiben. Auffällig ist nur, dass einige Personen mehrmals Modell standen.
  • Frauen kamen bei Johannes Vermeer als Bildmotiv dreimal so häufig auf die Leinwand als Männer. Lag dies an dem von Frauen dominierten Haushalt, indem Vermeer lebte? Seine nationalen als auch internationalen Zeitgenossen gaben mit überwältigender, 75%iger Mehrheit dem männlichen Sujet den Vorzug.
  • Die beiden Tronien-Darstellungen Mädchen mit Flöte als auch Mädchen mit rotem Hut sind die einzigen Öl-auf-Holz-Gemälde von Johannes Vermeer. Grund genug, um Zweifel an ihrer Echtheit zu hegen?
  • Ob Vermeer je Gebrauch der Camera obscura machte, wird bis heute in Fachreisen heiß diskutiert. Als Argument hierfür ziehen die Kunstexperten Randunschärfen bei diversen dargestellten Objekte heran. Jedoch ließ sich in der detaillierten Aufstellung des Vermeer-Nachlasses keinerlei Hinweis auf den Besitz einer Camera obscura finden. Vielmehr fand man zwischenzeitlich in 13 Gemälden stecknadelgroße Einstiche an den jeweiligen Fluchtpunkten des Bildes. Zwischen ihnen spannte der Maler Bindfäden, um eine korrekte Perspektive zu erzeugen. Beweis genug, um den Mythos des genialen Malers der Perspektive aufrechtzuerhalten?
  • Die Mehrheit der Genrebilder Vermeers befasst sich mit dem Thema Liebe. Ein Ausdruck seiner tiefen Verbundenheit zu seiner Ehefrau Catharina Bolnes, die ihm 14 Kinder gebar? Allerdings ist kein einziges dieser Gemälde frei von moralisierenden oder gar erotischen Konnotationen. Empfand Vermeer die Liebe als Damoklesschwert der fleischlichen Versuchung?
  • Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen malte Vermeer nicht für den offenen Kunstmarkt, sondern ausschließlich für lokale Abnehmer. Seine Bilder erzielten bereits zu Lebzeiten überdurchschnittliche Preise, was eindeutig für deren Kunstfertigkeit sprach. Dennoch blieb dem Maler der überregionale Bekanntheitsgrad versagt. Bekanntermaßen besaßen der Delfter Rentier und Kunstmäzen Pieter Claesz. van Ruijven und seine Frau Maria de Knuijt 21 Bilder Vermeers, die später in den Besitz ihrer Tochter Magdalena und deren Ehemann, den Druckereibesitzers Jacob Dissius übergingen. Damit besaß eine einzige Familie beinahe 50 % von Vermeers Gesamtwerk. Weitere Gemälde befanden sich im Besitz des befreundeten Bäckers Hendrick van Buyten, bei dem die Familie Vermeer ihre Schulden in Bildern bezahlte. Es stellt sich also die Frage, weshalb die heutige Delfter Berühmtheit damals keine Ambitionen besaß über die Stadtgrenzen hinaus bekannt zu werden? Lag es daran, dass er bei steigender Nachfrage gezwungen gewesen wäre, seine Produktivität deutlich „hochzufahren“, was nicht seinem Naturell des Perfektionisten entsprach?
  • Im Auktionskatalog des Dissius Haushalts von 1696 standen 21 Gemälde von Vermeer zur Versteigerung an. Eines davon wurde als Portrait van Vermeer in een kamer met verscheyde bywerk ongemeen fraai van hem geschildert – Porträt von Vermeer in einem Raum mit verschiedenem Beiwerk ungewöhnlich schön von ihm gemalt betitelt. Was geschah mit diesem Selbstporträt? Existierte es tatsächlich oder versteckte sich hinter der Bezeichnung aus dem Auktionskatalog das Bild Die Malkunst, auf der ein Maler seinem Publikum allerdings nur den Rücken zuwendet? Weitere Spekulationen ranken sich um den am linken Bildrand sitzenden Zitterspieler mit dem bauschigen Béret Bei der Kupplerin. Handelt es sich um ein und dieselbe Person, nämlich um Vermeer selbst?

Die Symbolsprache des 17. Jahrhunderts

Zweifelsohne ist es ein einzigartiges Erlebnis alle Werke des niederländischen Meisters an einem Ort vereint zu sehen. Dennoch handelt es sich  „nur“ um Reproduktionen. Und so fehlt mir im Vermeer Centrum schlichtweg der Gänsehautmoment, die Emotionalität, die mich unwillkürlich erfasste, als ich im Mauritshuis in Den Haag dem 350 Jahre alten Originalgemälde Das Mädchen mit dem Perlenohrring  gegenüberstand. Deshalb gehört für mich der Ausstellungsraum mit dem Titel >>Die Liebesbotschaften von Vermeer<< im Dachgeschoss des Museums zum spannendsten Teil meines Besuches. Hier liegt nämlich der Schlüssel zum Verständnis der unscheinbaren Botschaften in den kleinen bürgerlichen Alltagsdramen, die Vermeer so meisterhaft in seinen Bildern zu inszenieren wusste.

Die Genrebilder waren die perfekte Bühne, um die alltäglichen Laster und Sünden so diskret wie möglich und so offensichtlich wie nötig in einer gegenständlichen Symbolsprache zu verpacken. So konnte sich das kunstversessene Bürgertum des 17. Jahrhunderts die Wände ihrer Wohnräume mit ästhetischen Kunstwerken schmücken, ohne dass Familie, Gäste oder Personal an anrüchigen Szenen hätten Anstoß nehmen müssen.

Gegenstände dienten fortan nicht mehr nur als Staffage, um leere Flächen zu füllen oder die Fertigkeiten des Künstlers hervorzuheben, sondern avancierten zur eigentlichen Bildaussage. Vermeer war sehr sparsam im Umgang mit Bildrequisiten, was umso mehr darauf hindeutet, dass er sie gezielt einsetzte. Inspiriert wurde er dabei aller Wahrscheinlichkeit nach von den sogenannten Emblembüchern, die damals besonders in Mode waren. Dies darf man sich als Katalog an Gegenständen vorstellen, denen eine symbolische Bedeutung zugeordnet wurde. Meistens mit einem moralisierenden, aber nicht immer eindeutigen Ansatz. Oftmals boten sie auch gegensätzliche Auslegungen an, was dem Künstler und seinen Bildern einen gewissen Interpretationsspielraum einräumte und die Gratwanderung zwischen Gut und Böse zu einem subjektiven Drahtseilakt machte.

Da uns heute der Inhalt der Emblembücher des Goldenen Zeitalters nicht mehr geläufig ist, möchte ich Euch anhand von drei Themenbereichen auf eine aufschlussreiche Exkursion durch die Symbolwelt Vermeers mitnehmen.

Der Liebesbrief – Skandal oder Anbahnung ewiger Liebe?

Ein halbes Dutzend Mal thematisierte Johannes Vermeer den Brief als Botschaft der Liebe in seinen Werken. Aber welche Liebe? Die reine, ehrliche Liebe oder die heimliche, verwerfliche? Ein Liebesbrief als eindeutig doppeldeutiges Symbol. Verbarg sich hinter den geschriebenen Zeilen ein Eheversprechen oder gar der Sündenfall?

  • Briefleserin am offenen Fenster
  • Briefleserin Blau
  • Briefschreiberin in Gelb
  • Dame mit Dienstmagd und Brief
  • Der Liebesbrief
  • Briefeschreiberin und Dienstmagd

Schauen wir uns doch ein wenig im Bild Der Liebesbrief um, denn neben dem titelgebenden Hauptsujet finden sich auf dem Gemälde weitere interessante Details, die uns Aufschluss über dessen Inhalt geben können.

Zunächst blicken wir aus einem dunklen Vorraum heraus in ein dahinterliegendes Zimmer, in dem die Herrin des Hauses ihr Lautenspiel unterbrochen hat. Soeben hat sie einen versiegelten Brief aus den Händen ihrer Magd entgegengenommen. Mit verunsichertem, fragendem Blick schaut sie ihre Bedienstete an, die offensichtlich über den Inhalt der Liebesbotschaft Bescheid weiß. Zumindest verrät uns das ihr Lächeln.
Wir stehen also vor einer an und für sich absolut harmlosen häuslichen Momentaufnahme. Doch die versteckten Botschaften in diesem Bild lauern in allen Ecken und Enden.

Von alten Pantoffeln, Besen und stürmischer See

Schon der zurückgeschobene Vorhang verrät, dass es sich um eine Szene handelt, die nicht für jedermanns Augen gedacht ist. Der Maler macht uns also zu konspirativen Verschwörern eines Geheimnisses, in das wir über die ausrangierten Pantoffeln und den Besen im Durchgang buchstäblich hineinstolpern. Beides deutliche Anzeichen für eine außereheliche Liebschaft. Weitere Beweise hierfür liefern  das nachlässig über den Stuhl geworfene Tuch und die flüchtig abgelegten Notenblätter im Vorraum sowie im Hinterzimmer das achtlos am Boden liegende Klöppelkissen mit dem unordentlichen Wäschekorb daneben. Verliebten Frauen sagte man nämlich nach, dass sie leicht den Verstand verlieren und dementsprechend ihre häuslichen Pflichten vernachlässigen.

Die Liebesglut im hinteren Raum ist bereits voll entfacht. Nicht umsonst platzierte Vermeer die Dame des Hauses neben einen Kamin und legte ihr eine Cister in die Hand. Das bauchige Zupfinstrument besaß, wie alle Lauten, eine deutlich erotische „Note“, wobei dem langen Hals eine besonders deliziöse Bedeutung zukam.

Die wissende, lächelnde Hausmagd lässt vermuten, dass der Liebesbrief eine positive Nachricht enthält. Womöglich hat ihr der Überbinger einen Hinweis auf den Inhalt des Briefes gegeben, denn dieser ist eindeutig versiegelt. Doch noch deutet der weggehende Mann auf dem Bild im Bild an der Wand an, dass diese Liebe unerreichbar ist. Den Eindruck des abwesenden Geliebten bestätigt auch das darunter hängende maritime Gemälde. Dabei verweisen die sich hoch auftürmenden Wolkenmassen zusammen mit der unruhigen See und dem Schiff auf turbulente Gefühle und eine unerfüllte Liebe. Die Liebe ist wie das Meer und der Geliebte das Schiff beschrieb 1640 Jan Harmensz Krul in seinem Emblembuch >>Minne-beelden<< (Liebesbilder) passenderweise deren Symbolik. Ob es nun Zeit wird, die Bilder abzuhängen?

Reife Pfirsiche sowie ein versteckter Liebesbote

Zustand Restaurierung 01/2020; Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, Foto: Wolfgang Kreische

Bevor wir uns der nächsten Bildthematik zuwenden, werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Briefleserin am offenen Fenster. In diesem sehr stillen und meditativen Bild verstecken sich nämlich drei weitere Embleme, die eindeutig auf eine Liebesbotschaft hinweisen. Wie schon der Bildtitel verrät, kommt dem offenen Fenster eine zentrale Bedeutung als Verbindung zur Außenwelt zu. Die junge Frau hegt den Wunsch aus den Konventionen der häuslichen Enge auszubrechen. Dass sie bereit ist, den amourösen Verlockungen zu folgen, die im Brief und jenseits des Fensters auf sie warten, zeigen uns nicht nur die Äpfel in der Obstschale, sondern vor allem der auf dem Tisch liegende, aufgeschnittene Pfirsich.

Moralische Unterstützung erhält sie dabei von Cupido, dem Vermittler in Sachen Liebe, der lange Zeit vor fremden Blicken versteckt, neben der jungen Frau in einem Bild-im-Bild an der Wand hängt. Erst vor etwa zwei Jahren stieß man während einer Röntgenuntersuchung auf die übermalte Stelle im Gemälde. Nun wird,  im Rahmen der Restaurierung des Originalbildes in der Gemäldegalerie Alter Meister in Dresden, der Cupido wieder sichtbar gemacht. Wer ihn wann übermalte wird wohl ebenso ein Rätsel bleiben wie der Ausgang der Liebesgeschichte für die junge Dame.

Alkohol – der Anfang allen Übels

Käufliche Liebe, Kupplerei, Wollust, Trübsinn und Sittenlosigkeit waren beliebte Bildthemen im 17. Jahrhundert. Doch keineswegs um den „Zaungast“ mit delikaten Darstellungen zu ergötzen, sondern als Mahnung, ein tugendhaftes Leben zu führen. Immer mit im Spiel, der Alkohol. Auch Johannes Vermeer verstand sich als Botschafter der moralisch erhobenen Hand und widmete in seiner frühen Schaffensphase gleich eine Handvoll Gemälde dem drohenden Sündenfall.

  • Bei der Kupplerin
  • Schlafendes Mädchen
  • Der Soldat und das lachende Mädchen
  • Herr und Dame beim Wein
  • Das Mädchen mit dem Weinglas

Anhand der Bilder Mädchen mit dem Weinglas und Herr und Dame beim Wein wagen wir einen Ausflug in den symbolbeladenen Mikrokosmos von Verführung und Verfehlung. Beiden Gemälden ist die Bildintention des Alkoholgenuss als Anfang allen Übels gemein.

Der lange Zeit geläufigere Bildtitel Die Dame mit zwei Herren lässt, ohne das Gemälde Das Mädchen mit dem Weinglas selbst zu kennen, bereits sehr tief blicken. Zwei ist Einer zu viel. Oder sind Zwei besser als Einer? Jedoch hat einer der beiden Männer anscheinend schon zu tief ins Glas geschaut und nimmt nur noch eine passive (schwermütige/schläfrige?) Statistenrolle im Bildhintergrund ein. Der andere Galan dagegen nutzt die Gunst der Stunde. Mit unverhohlen begierigem Blick und drängender Geste animiert er das naiv dem Zuschauer zugewandte Mädchen zum Weiterdrinken.

Auch für das Bildnis Herr und Dame beim Wein existiert eine alternative Bildbezeichnung, die schlicht Das Glas Wein lautet. In einem abgedunkelten Zimmer haben sich ein Mann und eine Frau möglicherweise zu einer Musikstunde verabredet. Allerdings wurden Notenblätter und Laute inzwischen achtlos zur Seite geschoben. Phase zwei der Verführung, sprich der Einsatz von Alkohol, soll die verführerische Aktion des Mannes zu einem erfolgreichen Ende bringen.

Die Todsünden Luxuria und Acedia

In beiden Gemälden befinden wir uns in einem Raum mit leicht geöffnetem Fenster, auf dem eine weibliche Figur abgebildet ist. Es handelt sich um die Allegorie der Temperantia. Die Kardinaltugend der Mäßigung. Als Hilfsmittel hält sie sowohl einen Zügel als auch ein Winkelmaß in Händen. Um diese Botschaft zu verstehen, bedarf es keines Emblembuchs. Die Mahnung lautete, immer die Zügel in der Hand behalten, sich nicht von falschen Emotionen auf Irrwege führen lassen und das rechte Maß halten. Allerdings stecken in den knallroten Seidenkleidern der beiden Damen unübersehbare Anzeichen von Leidenschaft und Verlangen. Temperantia wird es hier schwer haben, die Oberhand gegen die  Weinkrüge und Weingläser als Verkörperung der enthemmenden Wirkung des Alkohols zu behalten.

Vielleicht schafft es ja der im Bild-in Bild porträtierte Ehemann an der Wand, rechtzeitig der Dame des Hauses ins Gewissen zu reden und sie zur Räson zu bringen? Spätestens beim Anblick der auf dem Silbertablett drapierten Zitrusfrüchte sollte ihr aufgehen, dass sie sich auf ein falsches Liebesspiel mit einem sauren Nachgeschmack einlässt.

Alkohol galt zu Vermeers Zeiten generell als Begleiter der wollüstigen Todsünde Luxuria und damit der Hurerei. Doch ein zu viel des aphrodisierenden Elixiers, verkehrt dessen Wirkung ins Gegenteil und ruft eine weitere Todsünde, die Acedia, auf den Plan. Die Haltung des in der Ecke sitzenden Mannes in Das Mädchen mit dem Weinglas gibt die mit Trägheit einhergehende Schwermut perfekt wieder. Teilnahmslos, apathisch, den Kopf in die Hand gestützt, ist der Zug für ihn am Geschehen teilzuhaben, längst abgefahren. Vielleicht sollte sich ihm Das schlafende Mädchen anschließen. Dann könnten sie gemeinsam ihrer Schwermut weiter nachhängen.

Der Gottlosen Weg ist dunkel

Bei Herr und Dame beim Wein begann das Rendezvous zunächst nach allen Regeln der Verführungskunst mit einer romantischen Musikstunde. Sowohl die Landschaft im dekorativen Gemälde an der Wand, als auch die auf dem Stuhl im Vordergrund abgelegte Laute belegen dies. Allerdings vermochte der Galan mit seiner Musik wohl nicht, die Gefühle der Dame ausreichend in Wallung zu bringen. Strategiewechsel ist angesagt. Der Weinkrug steht bereit, ist gut gefüllt und die Dame einem oder gar zwei Gläsern Wein wohl nicht abgeneigt.

Wohin die Szene schlussendlich führen soll, deuten sehr dezent das schlampig auf der Bank liegende Kissen als auch die nachlässig an die Tischkante geschobenen Notenblätter an. Ordnung und Kontrolle sind bereits abhandengekommen. Was danach folgt, lässt uns das verhängte Fenster in der Ecke des Raumes erahnen. Ganz offensichtlich bahnt sich hier ein anrüchiges Geschehen an, das der Außenwelt verborgen bleiben soll. Der Gottlosen Weg aber ist wie Dunkel; sie wissen nicht, wo sie fallen werden.

Musik – Vorbote der Liebe und Harmonie

Nachdem sich Vermeer in der ersten Hälfte seiner kurzen Karriere vorrangig der anrüchige Seite der Liebe auf seinen Gemälden widmete, räumte er in der späteren Schaffensphase dem Thema Musik einen größeren Stellenwert ein. So entstanden zwischen 1660 und 1675 nicht weniger als sieben Genrebilder, in denen sowohl Damen als auch Herren beim einsamen oder gemeinsamen Musizieren die friedvolle und beglückende Atmosphäre genießen.

  • Die unterbrochene Musikstunde
  • Die Musikstunde
  • Lautenspielerin am Fenster
  • Das Konzert
  • Die Gitarrenspielerin
  • Stehende Virginalspielerin
  • Sitzende Virginalspielerin

Musik die Begleiterin der Freude und Medizin für die Schmerzen verrät uns die Inschrift des Virginals in Die Musikstunde. Neben ihrer trostspendenden Eigenschaft wurde die Musik im Goldenen Zeitalter vorrangig als Ausdruck der Harmonie und damit der reinen Liebe angesehen.

Zwei Instrumente verkörperten dabei die einzigartige Harmonie des Gleichklangs der Herzen. Die von den Männern der Gesellschaft gespielte Beingeige, Viola da Gamba sowie das Virginal, eine Art Mini-Cembalo, dessen Name die weibliche Jungfräulichkeit versinnbildlicht.
So wie sich die Liebe nur im geliebten Gegenüber spiegelt, so ist ein einzelnes Instrument für sich inkomplett. Erst im Zusammenspiel entwickeln sich Harmonie und Liebe. Um auf Nummer sicher zu gehen, steht der Liebesbote Cupido unterstützend zur Seite. Sei es diskret auf den blau-weißen Kacheln in den beiden Werken Stehende Virginalspielerin und Sitzende Virginalspielerin oder großformatig an der Zimmerwand in Die unterbrochene Musikstunde.

Die Kehrseite der Musik

Doch Vorsicht, die Sünde schläft nie.
Deshalb verhehlt uns Johannes Vermeer nicht, dass der Musik immer auch eine verführerische Komponente beiwohnt. In seinem Gemälde Das Konzert zeigt er uns in der Bild-in-Bild Darstellung Die Kupplerin des Utrechter Malers Dirck van Baburen überdeutlich, dass sich aus einer unverfänglichen Musikstunde zu Dritt, sehr schnell eine verhängnisvoll unmoralische Menage à Trois entwickeln kann. Auch die Sitzende Virginalspielerin spielt mit ihren musischen Verführungskünsten. Die „männliche“ Viola da gamba im Vordergrund wartet bereits auf ihren Einsatz. Noch ist der Spieler nicht eingetroffen, aber der zugezogene Vorhang in der Zimmerecke sowie das Kupplerinnen-Bild lassen ahnen, welchen Lauf der Fortgang der Musikstunde nehmen wird.

Vermeer Centrum Delft
© Vermeer Centrum Delft

An dieser Stelle endet unser Ausflug in die Emblemwelt des 17. Jahrhunderts. Noch längst haben wir nicht alle Symbole  auf Vermeers Gemälden kennengelernt, aber das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen bzw. der letzte Beitrag noch nicht geschrieben. Jetzt heißt es aber erst einmal einen starken Kaffee und eine Stroopwafel im museumseigenen Café Mechelen genießen, bevor ich den Museumshop plündern werde.


Gut zu wissen

Anregung für Erkundungslustige

Bilder allein zuhaus

Credits: Die Abbildungen der Farbpigmente stammen von der Website ColourLex.

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