die saechsische Kirche im siebenbuergischen Ort Taterloch
Rumänien,  Unterwegs

Taterloch – Tătârlaua – kleine Kirche, großartiges Kulturerbe


Taterloch (rum. Tătârlaua; ung. Felsőtatárlaka; sächsisch Tåterleuch) will gefunden werden. Die kleine Ortschaft im südlichen Seitental der kleinen Kokel ist keine Zufallsbekanntschaft. Warum also von Mediasch aus die halbe Stunde Fahrtzeit auf sich nehmen, um der ehemaligen sächsischen Siedlung im Niemandsland einen Besuch abzustatten? Ganz einfach, weil die kleine evangelische Gemeindekirche unerwartete Kunstschätze beherbergt, die jeden Kilometer lohnen.

Das Tatarenrätsel – Wohnung oder Wald?

Doch noch bevor ich genau wusste, was mich in Taterloch erwarten würde, weckte der Ortsname meine Neugier. Wie sah wohl das Dorf aus, in dem früher die Tataren wohnten? Zumindest leiteten etymologische Forschungen diese Bedeutung aus den beiden ungarischen Wortstämmen „tatár“ (= Tatar) und „lakás“ (= Wohnung) ab. Gleichwohl existiert für die sächsische Bezeichnung Tåterleuch eine Legende, die zwar die Tataren als gemeinsamen Nenner anerkennt, jedoch das „Loch“ auf den dunklen Wald bezieht, in dem sich die Sachsen vor den türkischen Aggressoren versteckt hielten.

Ich persönlich halte es mit letzter Variante, denn am östlichen Ortsrand erstrecken sich tatsächlich bewaldete Hügel. Zudem, wie wir später noch sehen werden, besaß die Kirche keinerlei Wehranlagen oder gar eine uneinnehmbare Ringmauer, sodass die Flucht in den Wald die wohl naheliegendste Option war, um sich in Sicherheit zu bringen.

Blick vom saechsischen Friedhofshuegel ueber die Daecher von Taterloch

Eine Hörigengemeinde als Spielball des Königs

Die Existenz der Gemeinde Tatarlaka ist durch einen Eintrag in den päpstlichen Steuerlisten von 1332 zum ersten Mal belegt. Bis in das Jahr 1447 gehörte sie als Grundherrschaft den Kastellanen von Kokelburg. Danach übertrug der siebenbürgische Gubernator Johann Hunyadi den Ort als Lehen an die Salzkammergrafen  Emmerich Zynady und Nikolaus Pogan. Die beiden Bürger von Thorenburg hatten dem Reichsverweser nicht nur 1500 Gulden für den Kampf gegen die Osmanen vorgestreckt, sondern sich darüber hinaus auf diversen Schlachtfeldern gegen die „höchst wilden Türken“ bewährt.

Vielleicht gab eine beachtliche finanzielle Zuwendung oder aber dieser heroische Einsatz bei der Verteidigung des christlichen Landstrichs gegen die Türken den Ausschlag, dass Papst Nikolaus V. im Jahr 1450 dem Adligen Nikolaus Pogan und seiner Frau eine Blanko-Absolution erteilte.

Acht Jahre später segnete Nikolaus Pogan im beruhigenden Wissen um eine volle Sündenvergebung das Zeitliche. Daraufhin übereignete Ungarns König Matthias Corvinus die Burg Kokelburg mitsamt sieben ihrer untertänigen Ortschaften, darunter Taterloch und Bonnesdorf, dem Woiwoden Johann Pongracz als Lehen. Ende desselben Jahrhunderts wechselte der kleine Ort nochmals den Besitzer. Der moldauische Woiwode Stefan der Große erhielt das Lehen als Entschädigung dafür, dass König Matthias Corvinus ihn im Kampf gegen die Türken im Stich gelassen hatte.

Anderthalb Ochsen, Lämmer und Fische

Eine Aufstellung der Besitzrechte der Grundherrschaft Kokelburg aus Mitte des 16. Jahrhunderts zeichnet ein trauriges Bild des sächsischen Dorfes Taterloch mit seinen weniger als 250 Einwohnern. Von 45 Höfen insgesamt stand ein Drittel leer. Neben der üblichen Fronarbeit mussten die Bauern dem Grundherrn ein Joch Ackerland mit eigenem Weizen bestellen. Auch die Abgabenlast der hörigen Bauern liest sich erdrückend. Neben dem Martinszehnt und einer Sonderzahlung von einem Gulden pro Hof am Sankt-Michaelstag wurden ihnen neun Kübel Weizen, 18 Kübel Hafer, 120 Eimer Most, drei Mastschweine, anderthalb dreijährige Ochsen, anderthalb Lämmer, anderthalb Fische, Öl, Erbsen sowie Pfeffer abverlangt. Nein, die Angabe „anderthalb“ ist kein Schreibfehler, sondern ein Beleg für die irrwitzige Willkür der Grundherren. Einmal den Ochsen und das Lamm bitte in der Mitte oder lieber längs(?) durchgeschnitten. Welch Geste der Großzügigkeit, die Zahl nicht aufzurunden.

Machen wir einen Sprung in das Jahr 1791. Zwischenzeitlich war das ungarische Adelsgeschlecht der Grafen von Bethlen in den Besitz von Taterloch gelangt. Wenig überraschend ließen auch sie ihre Untertanen ausbluten. Mit dem einzigen Unterschied, dass nun sogar der orthodoxe Priester zur Zielscheibe der adligen Gier wurde. Die Zehntquarte, die dem Popen seitens der rumänischen Hörigen zustand, wanderte ab sofort in die Taschen der Grafenfamilie.

Wozu ein Weinfass nützlich sein kann

Mit der 1848-er Revolution und der Aufhebung der Leibeigenschaft erhielten die Bauern zwar ihre Freiheit, doch die Armut blieb. Kein Wunder, dass die über Jahrhunderte aufgestaute Wut über die Ausbeutung als auch die körperlichen Misshandlungen ein Ventil benötigte. Nur mit knapper Not konnte sich der Verwalter der Bethlen-Grafen im Keller des evangelischen Pfarrhauses in Sicherheit bringen. Gut getarnt in einem leeren Weinfass brachte der Geistliche den Flüchtenden dann in einer Nacht- und Nebelaktion außer Reichweite des Mobs.

Über die nächsten Jahrzehnte konnte Taterloch ein kontinuierliches Wachstum verzeichnen. 1941 zählte man 1316 Einwohner, davon allerdings nur noch 354 Sachsen. So war aus der ehemaligen sächsischen Siedlung längst eine rumänische Dorfgemeinschaft geworden. Mittlerweile ist Taterloch eine evangelische Diaspora Gemeinde im Kirchenbezirk Mühlbach. Das Straßenbild prägen heute die Zigeuner, die über die Hälfte der Bewohner ausmachen. Dank ihrer bereitwilligen Auskunft ist der Hüter der Kirchenschlüssel schnell ausfindig gemacht. Denn ohne Sesam-öffne-Dich lässt sich die von der Hauptstraße durch einen Gitterzaun abgetrennte Kirche in Hanglage nur aus der Entfernung betrachten.

Älter als bisher angenommen

Die genaue Entstehungszeit des turmlosen Saalbaus liegt mangels Aufzeichnungen im Dunkeln. Aufgrund der gotischen Stilelemente ging die einschlägige Literatur lange Zeit von einer Grundsteinlegung zur Mitte des 15. Jahrhunderts aus. Erst die kürzlich durchgeführten Freskenuntersuchungen im Innern der Kirche lassen nun auf eine um gut 50 Jahre ältere Datierung schließen.

Das quadratische Kirchenschiff sowie der polygonale Chor mit den abgetreppten Stützpfeilern wurden aus Flusssteinen und Ziegelmauerwerk gefertigt. Während das Dach im letzten Jahrzehnt eine neue Eindeckung erhielt, mahlt an den übrigen Gebäudeteilen unaufhaltsam der Zahn der Zeit.

Manchmal fördert der Verfall allerdings auch interessante Entdeckungen ans Tageslicht. So versteckte sich über Jahrhunderte unter dem abbröckelnden Verputz an der äußeren Chorwand eine überlebensgroße Darstellung des Heiligen Christopherus. Bislang ist das Fresko, das zwischen Ende des 14. und Ende des 15. Jahrhunderts entstand, nur schemenhaft zu erahnen. Sobald weitere Abschnitte davon freigelegt sind, lassen sich möglicherweise Vergleiche mit den Kirchen in Durles oder Schmiegen ziehen, wo der Schutzheilige der Reisenden ebenfalls das Christuskind im Arm sicher zu neuen Ufern trägt.

Täuschungsmanöver oder Geldmangel?

Ein karges Kontrastprogramm bietet die Westfront der Kirche. Der tiefgezogene, schmale Eingang erweckt den Anschein eines provisorischen Notausgangs, während die drei schmalen Lüftungsschlitze im Giebel eher auf einen Profan- denn auf einen Kirchenbau hinweisen. Sollte dieses Täuschungsmanöver möglichen Aggressoren signalisieren, dass es hier nichts zu holen gab, oder reichten die Finanzmittel der Hörigengemeinde tatsächlich nicht für ein schmuckes Portal aus?

Ebenso sucht man an der kleinen Kirche vergeblich nach Wehrelementen oder Resten einer Ringmauer. Dafür hat sich ein frei stehender Glockenturm erhalten. Auch hier mögen Kostengründe oder die Hanglage in Kombination mit einem weichen Untergrund für die ungewöhnliche Erscheinungsform eine Rolle gespielt haben. Im Glockenstuhl dieser eigenwilligen Kombination aus Steinfundament mit Holzaufbau hängt seit mehr als einem halben Jahrtausend eine vorreformatorische Glocke. Sie kommt heute immer noch zum Einsatz, wenn ein Taterlocher Sachse, egal wo auf dem Erdenrund, zu Grabe getragen wird.

Was Picasso und ein gebrauchtes Kunstwerk verbindet

Zurück zur Kirche. Beim Betreten des Innenraums steht man inmitten Picassos Blauer Periode. Kobaltblaue Brüstungen, türkisblaue Bänke und opalfarbige Emporen fügen sich perfekt aufeinander abgestimmt inmitten lichtgrüner Wände. Allerdings kann das meditative Farbenspiel nicht den sanierungsbedürftigen Zustand des Gebäudes kaschieren. Feuchtes Mauerwerk, das mittels moosähnlicher Ausblühungen seinen Verputz abschüttelt, Risse, die ihre eigenen Wege gehen und ein morscher Dachboden, der sich durch die Decke arbeitet. Hilfe tut not.

Vom Kirchenschiff und der Innenausstattung des 19. Jahrhunderts reisen wir durch den Triumphbogen in der Zeit zurück. Den Chorraum, den ein spätgotisches Netzgewölbe überspannt, dominiert ein imposanter vorreformatorischer Flügelaltar mit barocken Ergänzungen. Das gotische Werk an der Schwelle zur Renaissance reichte ursprünglich der sächsischen Kirche im Nachbarort Seiden (rum. Jidvei) zur Zier.

Allerdings verpasste die Gemeinde im Weinland zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihrer Kirche einen neuen, klassizistischen Look, sodass es für den spätmittelalterlichen Flügelaltar keine Verwendung mehr gab. Als er zum Verkauf angeboten wurde, zögerten die Taterlocher Sachsen nicht lange. Zwar erwarben sie ein gebrauchtes, aber durchaus kunsthistorisch wertvolles Retabel, von dem keiner ahnte, dass es sich 200 Jahre später zum touristischen Anziehungspunkt mausern würde.

Werktagsseite des Fluegelaltars in der evangelischen Kirche von Tatarlaua, Siebenbuergen

Aus schön mach hässlich und wieder schön – die Geschichte des Seidener Flügelaltars

Die zwölf Tafeln des Seidener Altars entstanden nachweislich 1508. So verkündet ein Textfeld in lateinischer Schrift auf der rechten Seite der Predella. Auch die Urheber sind an dieser Stelle genannt, nämlich der Bildhauer Simon und sein Schwiegersohn, der Maler Vincencius aus Hermannstadt. Vincencius Cibiniensis war einer der wenigen Künstler Siebenbürgens, der seine Werke datierte und signierte. Dadurch lässt sich nachvollziehen, dass er nicht nur in Seiden, sondern auch in Heltau (Cisnădie) und Großschenk (Cincu) als Altar- sowie in Salzburg (Ocna sibiului) als Wandmaler tätig war. Trotz seines Namens, der ihn und seine Werkstatt nach Hermannstadt (lat. Cibinium) verortet, ist Vincencius Herkunft unbekannt. Dafür lässt sich seine Schaffenszeit in und um die Stadt am Zibin ziemlich genau eingrenzen. Das erste Mal wird er im Jahr 1500 in einem Hermannstädter Rechnungsbuch als Vincens Maler geführt. Sein letztes bekanntes Werk trägt die Jahreszahl 1525.

Noch während seiner Standzeit in Seiden erhielt das Werk ein neues Gesicht. Hatten die Marien- und Heiligen-Darstellungen entgegen den gängigen Erwartungen den Übertritt zur Reformation schadlos überstanden, wollte man im Jahr 1715 neue ikonografische Schwerpunkte setzen. Mit der Neugestaltung wurde der künstlerisch wenig begnadete Birthälmer Michael Hartmann beauftragt. Er fügte das barock eingefasste Giebelfeld als auch die Schleierbretter hinzu und sorgte dafür, dass fortan der Erlöser mitsamt Aposteln und Evangelisten im Mittelpunkt des Altargeschehens stand. Lediglich die Predella mit der Auferstehung Jesu entging der dogmatischen Kehrtwende.

Glücklicherweise wurde die Übermalung zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt und sorgsam entfernt. Nur das stilfremde Mittelbild mit der „blassen“ Darstellung der Kreuzigung beließ man notgedrungen als Lückenfüller. An seiner Stelle beherbergte der Schrein ursprünglich drei Holzfiguren des Hermannstädter Schreiners Simon. Leider verschwand das gotische Schnitzwerk mit der seltsamen Erneuerungskur im 18. Jahrhundert spurlos.

Ein beeindruckendes Defilee an Schutzpatronen

Im geschlossenen Zustand schmücken acht Heiligenpaare die Werktagseite des Flügelaltars. Satte grün- und Rottöne beherrschen das Erscheinungsbild der christlichen Kämpfer und Märtyrer, die anhand ihrer Insignien, Attribute oder Marterwerkzeuge gut zu identifizieren sind. Wer in der christlichen Ikonografie nicht sattelfest ist, darf natürlich den Spickzettel, sprich die Inschriften auf jeder Tafel zu Rate ziehen.

Werktagsseite des Fluegelaltars in der evangelischen Kirche von Tatarlaua, Siebenbuergen

Die beiden oberen Tafeln der aufklappbaren Festtagsseite sind der Jungfrau Maria gewidmet. Allerdings dürfen die Gläubigen nur an ihrem ersten Auftritt in der Heilsgeschichte, der Verkündigung des Herrn, sowie an ihrer finalen Erscheinung bei der Krönung im Himmel teilhaben.

Darunter präsentiert Vicencius Cibiniensis zwei zumeist nur regional in Erscheinung tretende Schutzpatrone. Linker Hand wird vor unseren Augen der Heilige Valentin von Terni enthauptet. Vermutlich verdankt er seine Würdigung als Altarheiliger nicht seiner heutigen Rolle als Cupido der Liebenden, sondern seinen anderweitigen Qualitäten bei der Heilung von Wahnsinn, Epilepsie und Pest. Auch der Heilige Demetrios von Saloniki ist in Siebenbürgen ein selten gesehener Gast. Der Schutzheilige der Soldaten und Kreuzzüge hatte sich während der Christenverfolgung auf die Seite der Gläubigen geschlagen und fand deshalb den Heldentod durch das Schwert. Welche Bedeutung der Großmärtyrer der orthodoxen Kirche allerdings für den Auftraggeber des Retabels, den Maler oder die Gemeinde Seiden besaß, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis.

Festtagsseite des Fluegelaltars in der evangelischen Kirche von Tatarlaua, Siebenbuergen

Die Taterlocher Wandmalereien – ein außergewöhnliches Zwiebelkonzept

Die Heilsgeschichte als auch der Heiligen-Aufmarsch finden eine ikonografische Fortsetzung am Triumphbogen und der Nordwand des Chores. Eine Analyse des Wandputzes durch den Experten für siebenbürgische Fresken, Lóránd Kiss, sorgte 2016 für die Wiederentdeckung der lange Zeit in Vergessenheit geratenen Wandmalereien. Dabei brachten die ersten Freilegungsarbeiten ein ganz erstaunliches Zwiebelkonzept zutage. Und zwar befinden sich unter der 1866 übertünchten Chorwand drei Lagen von Fresken, die aus unterschiedlichen Zeitabschnitten stammen.

Wandgemaelde an der Nordwand des Chores in der evangelischen Kirche von Taterloch, Siebenbuergen

Die älteste Schicht, die direkt nach dem Triumphbogen ansetzt, geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Im obersten Register nimmt Maria die Verkündigung des Herrn durch den Erzengel Gabriel in Empfang. Dazwischen bezeugt eine weiße Lilie die Reinheit und Jungfräulichkeit der Gottesmutter. Über der edlen Blume kreist nicht zufällig ein zierlicher Vogel. Sein weiß-schwarzes Gefieder verrät ihn als Mehlschwalbe, eine Sperlingsart, die ihr Nest besonders gerne unter die Dachtraufe von Kirchen baut. Allerdings ist dies nicht der Grund für ihren Status als Muttergottesvogel. Vielmehr liegt es an ihrem Zugverhalten, das zeitlich mit Mariä Geburt Anfang September und ihrer Empfängnis am 25. März zusammenfällt.

Ein lateinisch-sprachiges Spruchband in gotischer Schrift bestätigt das vorgenannte Ereignis. Außerdem trennt es die Fürsprecherin räumlich von der darunter platzierten Margareta von Antiochien. Die mehrfache Märtyrerin, sie wurde für ihren Glauben mit Fackeln in Brand gesetzt, in siedendem Öl gekocht, mit eisernen Kämmen gefoltert und schlussendlich enthauptet, war eine beliebte Heilige in siebenbürgischen Kirchen. Als Schutzpatronin von Bauern und Hirten sowie als Nothelferin der Gebärenden ergänzte sie sich ideal mit der Jungfrau Maria, die von den Sachsen speziell bei Plagen und Türkeneinfällen angerufen wurde.

Ein Fresken Déjà-vu und die Lilie der Keuschheit

Im weiteren Verlauf der Chor-Nordwand präsentiert die zweite Freskenschicht aus Mitte des 15. Jahrhunderts das Schicksal der 10.000 Märtyrer von Ararat. Sowohl thematisch, farblich als auch stilistisch geht das Secco-Fresko Hand in Hand mit der Darstellung in der Kirchenburg von Bonnesdorf (Boian /Alsóbajom).

Selbst die technische Ausführung ist identisch. Man erkennt deutlich die mit Holzkohle ausgeführte Vorzeichnung der Figuren, deren Konturen im zweiten Schritt mit schwarzer Pinselfarbe nachgezogen wurden. Zusammen mit der räumlichen Nähe der beiden Ortschaften gibt es folglich gleich fünf überzeugende Argumente, die für ein und denselben unbekannten Künstler sprechen.

Fresko des Heiligen Domenikus am Triumphbogen der Kirche von Taterloch, Siebenbuergen
Hl. Domenikus

Unterhalb und neben der Martyriumszene lassen sich weitere Fragmente des älteren Freskenauftrags mit einem bis dato noch anonymen Heiligen erkennen. Spuren einer dritten und damit jüngsten Freskenschicht warten im Bereich der Apsis auf Freilegung. Ihre Ikonografie dürfte besonders aufschlussreich sein. Erstens, da in nachreformatorischer Zeit meistens nur noch Wallfahrtskirchen ausgemalt wurden und zweitens, weil Heilige als überflüssige Staffage des Heilsgeschehens verpönt waren und damit nicht mehr als Modell zur Verfügung standen.

Dafür zeigt sich dank der Arbeit des Restaurators der Heilige Dominikus an der Nordseite des Triumphbogens wieder ganz ungeniert. Der Gründer des Bettelordens machte sich nicht nur als flammender Prediger gegen alle Häretiker seines Jahrhunderts einen Namen, sondern war auch für seine Enthaltsamkeit berühmt. Als Auszeichnung für sein asketisches Leben erhielt er deshalb die Pudoris Lilium, die Lilie der Keuschheit, zur Seite gestellt.

Eine Wildschweinjagd mit Folgen

Die Lilie zieht sich übrigens wie ein weißer Faden durch die Taterlocher Freskenlandschaft, denn auch auf der gegenüberliegenden Seite des Triumphbogens kommt sie zum Einsatz. Auf der Innenseite, sinnigerweise mit Blickrichtung zum Altar, sehen wir die edle Blume neben dem Porträt des ungarischen Prinzen Emmerich (ung. Imre).

Fresko des Heiligen Emmerich am Triumphbogen der Kirche in Taterloch, Siebenbuergen

Der erstgeborene Sohn des ungarischen Königs Stephan I. und seiner Gattin Gisela von Bayern führte zeitlebens ein keusches und überaus frommes Leben. Daher das Attribut der Lilie. Während die Tage seiner Jugend mit einer streng christlichen Erziehung angefüllt waren, verbrachte er die Nächte betend mit dem Studium der Heiligen Schrift. Äußerst selten und auch nur wenn die höfische Etikette seine Anwesenheit erforderte, gab sich der Neffe des deutschen Kaisers Heinrich II. dem Vergnügen der Jagd hin. So auch am 2. September 1031, sechs Tage vor seiner Krönung zum König von Ungarn. Mahnt ahnt schon, was jetzt kommt. Prinz Emmerich wurde bei der Jagd von einem Wildschwein tödlich verletzt und verstarb viel zu früh im Alter von 24/31 Jahren.

Sein Tod spielte gleich zwei Parteien in die Karten, weshalb nach wie vor ein politisch motiviertes Attentat im Raum steht. Da war einerseits die deutsche Verwandtschaft. Mangels direkter Nachkommen Heinrichs II. hatten sie gerade den ersten Salier inthronisiert und zeigten sich mit dieser Lösung ganz zufrieden. Etwaige Ansprüche Ungarns auf die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurden folglich mit dem unerwarteten Ableben Emmerichs im Keim erstickt. Die andere Fraktion, die vom Tod des Prinzen profitiert hätte, waren die Vettern Stephan I.. Doch dazu kam es nicht. Bekannt für ihr Lotterleben und den Hang zum heidnischen Glauben, traf der noch amtierende König geeignete Maßnahmen, um die unwürdigen Thronanwärter auszuschalten. Er ließ die Vettern blenden und Blei in ihre Ohren gießen. Damit hatte sich das Thema Königsthron für sie erledigt.

Eine Geisterhand und heimliche Nussknacker

Wandgemaelde in der Kirche von Taterloch, Siebenbuergen

Bekanntlich fällt der Apfel ja nicht weit vom Stamm. Deshalb lässt die Eigentümerfrage nach der körperlosen Geisterhand und dem aktuell noch im luftleeren Raum schwebenden Reichsapfel nur eine sinnvolle Schlussfolgerung zu. Beide Objekte gehören dem Heiligen Stephan I.. Der Begründer des christlichen Königreichs Ungarn war nicht nur als großer Marienverehrer bekannt, sondern auch für die Abfassung der legendären Paränese „De institutione morum“. Dieses moralisch intonierte Mahnschreiben an seinen Sohn Imre sollte dem potenziellen Thronanwärter als Gebrauchsanweisung für seine künftige Rolle eines weisen, gerechten und vor allem christlichen Regenten dienen. Dass daraus nichts wurde, wissen wir inzwischen. Übrigens wurden Stephan I. als auch sein Sohn Emmerich 1083 durch Papst Gregor VII. heiliggesprochen.

gotische Sakramentsnische in der Kirche von Taterloch, Siebenbuergen

Abgesehen von den ganzen Heiligen verlangen auch die Sakramentsnische in der Nordwand des Chores und die Orgel auf der Westempore nach Aufmerksamkeit. Erstere stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist mit einem Vierpass im Kielbogen als Bezug zu den vier Evangelisten gestaltet. Leider fehlt von der Gittertüre, die das Allerheiligste, sprich die eucharistischen Gaben Brot und Wein, vor unbefugtem Zugriff schützte, jede Spur.

Auch die Orgel gibt ein trauriges Bild ab. Wenngleich auf den ersten Blick alle Pfeifen noch an ihrem Platz stehen, ist das von Karl Einschenk im Jahr 1912 angefertigte Instrument mit dem neugotisch angehauchten Prospekt mittlerweile unbespielbar. Die Eichhörnchen, die sich auf der West- und Ostempore ihr heimliches Walnuss-Paradies eingerichtet haben, dürfte dies kaum stören.

Eine klerikale Kommandobrücke

Steinkanzel in der Kirche von Taterloch, Siebenbuergen

Mit Sicherheit gehört die gemauerte Kanzel in der Taterlocher Kirche nicht zu schönsten Exemplaren ihrer Art. Dennoch hat sie Charakter und das gefällt mir. Erinnert ihre Form nicht an den Bug eines Eisbrechers, von dessen Kommandobrücke aus der Pfarrer seine Gemeinde seit 1829 sicher durch die Gefahren von Sünde und Versuchung steuerte?

Es wäre zu wünschen, dass wieder mehr Leben in dieses kleine Schmuckstück abseits aller Hauptverkehrsrouten einkehrt. Die weitere Freilegung des reichhaltigen Freskenangebots ist bestimmt ein erster Schritt internationales Fachpublikum als auch Kulturtouristen für die Saalkirche einzunehmen. Ich selbst bin mit einer guten Portion Skepsis im Gepäck gekommen, aber mit viel Begeisterung für das kunstgeschichtliche Kulturerbe wieder gegangen. Deshalb zählt die evangelische Kirche in Taterloch für mich zu den absoluten Geheimtipps im Zwischenkokelgebiet.

die saechsische Kirche im siebenbuergischen Ort Taterloch

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Ein Kommentar

  • Ágnes N. Tóth

    Liebe Petra!

    Vielen Dank über den spannenden und hochinterssanten Reisebericht über die Tatarlocher Kirche! Mein Name ist Ágnes N. Tóth. Ich bin Kunshistorikerien in Ungarn, in der Nähe von Budapest. Im Jahr 2009 habe ich eine Studie über die Marter der Zehntausend geschrieben (mit deutscher Zusammenfassung). Gerade jetzt schreibe ich wieder eine Studie über die mittelalterlichen Darstellungen der Marter der Zehntausend auf dem Gebiet des ehemaligen Königreich Ungarns. Ich hätte eine große Bitte an Sie, Könnten Sie mir bitte das super Foto über die Wandmalerei im Chor (Marter der Zehntausend) per E-mail schicken? Haben Sie noch Fotos, aud denen die Details besser sehen kann? Meine Adresse: n.toth.agnes2@gmail.com. Leider war ich noch nie in Tatarloch nur in Mediasch vor vielen Jahren.

    Vielen Dank für die Hilfe!
    Mit freundlichen Grüße:
    Ágnes N. Tóth

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