Birthaelm / Biertan UNESCO Kirchenburg in Siebenbuergen
Rumänien,  Unterwegs

Birthälm / Biertan – Die meistbesuchte Kirchenburg Siebenbürgens


Drei Wehrmauern, acht Türme und der größte Flügelaltar von Siebenbürgen gaben 1993 den Ausschlag zur Aufnahme der gut erhaltenen Kirchenburg von Birthälm (rum. Biertan) in das UNESCO-Weltkulturerbe. Was wir in unserer Zeit „lediglich“ als architektonisch-kunsthistorisches Meisterwerk wahrnehmen, war jedoch vor 500 Jahren für die Gemeinde der Siebenbürger Sachsen ein überlebenswichtiger, kollektiver Zufluchtsort.

In Zeiten feindlicher Bedrohung entschied die Wehrhaftigkeit der Kirchenburg über Leben und Tod. Von dieser Dramatik ist in diesen Tagen nichts mehr zu spüren. Heute ist sie für viele Besucher schlicht und einfach eine der, wenn nicht die, schönste Wehrkirche Siebenbürgens.

Stundenturm der UNESCO Kirchenburg von Birthaelm / Biertan in Siebenbuergen

In der Regel bin ich sehr zurückhaltend bei der Vergabe derartiger Superlativ-Auszeichnungen. So auch in diesem Fall.

Auf meiner Rundreise durch Siebenbürgen haben mehrere Wehrkirchen mit meinen Emotionen Achterbahn gespielt. In Malmkrog waren es die farbenfrohen Fresken, in Honigberg das gepflegte Gesamtpaket, in Tartlau die Wuchtigkeit der Ringmauer, in Deutsch-Weißkirch hingegen die archaische Schlichtheit. Es gab aber auch die kleineren sächsischen Kirchen mit ihren Verteidigungsanlagen (wie in Klosdorf, Weidenbach oder Neustadt), die nicht in den Reiseführern ausgelobt werden, obwohl sie ebenso viel Charme oder Charakter besitzen, wie die großen Aushängeschilder.

Es fühlt sich deshalb falsch an, würde ich Birthälm alleine auf den obersten Schönheitssockel der sächsischen Wehrkirchen stellen. Zumal sie wesentlich mehr vorzuweisen hat, als nur vergängliche Schönheit. Sie ist unglaublich vielschichtig. Hinter jedem Turm, jedem Inventarstück und beinahe auf, hinter oder unter jedem Stein hält sie eine Überraschung bereit, die erzählt werden möchte.

Es geht himmelwärts 

Der Besuch des UNESCO-Weltkulturerbes will verdient sein. 73 Stufen führen vom Marktplatz unter einer überdachten Treppe, die ein wenig an die berühmte Schülertreppe in Schäßburg (rum. Sighișoara) erinnert,  hinauf zum Burgberg. Alternative Aufstiegsmöglichkeiten sind nicht vorgesehen. Es sei denn, man entscheidet sich zur direkten Himmelfahrt ohne Zwischenstopp in der Birthälmer Kirche.

Treppenaufgang zur Kirchenburg von Birthaelm

Ich bin noch gut zu Fuß, aber was war  (bzw. ist) mit den  körperlich gehandicapten, asthmatischen oder älteren Mitmenschen? Deren Existenz wurde mit dem Bau des Schönwetteraufgangs 1795 einfach ignoriert. Das hatte schon etwas von gesellschaftlicher Diskriminierung, denn die Teilnahme an der Liturgie war ein essenzieller Bestandteil im Kreislauf des sächsischen Lebens.

Die Betroffenen wurden doppelt bestraft. Sie hatten nicht nur ihre Jugend oder Gesundheit verloren, sondern auch den Zugang zur Kirche. Und ich kann mir gut vorstellen, dass gerade diese Menschen zu den treuesten Gemeindemitgliedern zählten, da sie besonders auf Gottes und Mariä Gnaden, zu deren Ehre die Kirche geweiht war, hofften. Ein Jammer für beide Seiten. Eine lose-lose-Situation. Sowohl für die Kirche als auch die potenziellen Kirchgänger, die vom Gottesdienst ausgeschlossen sind. Achtzig Sachsen zählt die Gemeinde heute noch, aber nur ein Drittel davon schafft den Treppenaufstieg. Und so bleiben viele Kirchenbänke beim Gottesdienst unfreiwillig leer.

Ich bin in bestechender sportlicher Vormittags-Frühform, weshalb ich mich, oben  angekommen, zunächst für einen Rundgang auf dem Hügelplateau entscheide. Der Eintritt in das kirchliche Himmelreich muss noch warten.

Der Tummelplatz der Türme

Zu Beginn des 14. Jahrhundert begannen die Bautätigkeiten auf dem kleinen Bergkegel im Dorfzentrum. Mit der Bestätigung der Rechte aus dem Goldenen Freibrief (mehr dazu hier) sowie der Erteilung des Marktrechts strebte die sächsische Ortschaft wirtschaftliche Höhenflüge an. Dies blieb den immer wieder einfallenden Türken und Tataren nicht verborgen. Für sie war Birthälm ein lohnendes Ziel ihrer Raubzüge. Also machten sich die Einwohner an die Arbeit. Die gotische Basilika auf dem Hügel bekam einen zwölf Meter hohen Mauerring, hinter dem auch Kind und Kegel Zuflucht fanden. Vier Türme und eine Bastei sorgten für zusätzlichen Schutz.

Tritt man aus dem dunklen Treppenaufgang ins Freie, trifft man Linkerhand direkt auf einen ungewöhnlichen Glockenturm. Der Holzkorpus mit der ausgefeilten Tragekonstruktion im Innern fängt nicht nur die Schwingungen der vier Glocken auf, sondern ist gleichzeitig der ideale Resonanzkörper für einen perfekten Klang. Der Bau gehörte nicht zum Originalbestand der Verteidigungsanlage. Er ersetzte vielmehr ab dem 18. Jahrhundert den Einsturz gefährdeten Wehrturm, der einst die Nordost-Flanke sicherte.

Nur einige Schritte weiter befindet sich der sogenannte Mausoleumsturm.

Mausoleumsturm der Unesco-Kirchenburg von Birthaelm / Biertan

Das dreigeschossige Gebäude mit dem hölzernen Wehrgang und dem später hinzugefügten, halbrunden Türmchen diente in Zeiten der feindlichen Bedrohung nicht nur Verteidigungszwecken, sondern auch der Lagerung des kostbaren Specks. Erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts änderte sich sein Bestimmungszweck und Name.

Als der evangelische Friedhof aus allen Nähten platzte, gruben die Sachsen ihre Bischöfe und Pfarrer aus, um sie anschließend in einer frisch angelegten Gruft in besagtem Turm wieder zu verbuddeln. Die dazugehörigen neun steinernen Grabplatten, die an der inneren Turmwand Aufstellung genommen haben, wachen über ihre sterblichen Überreste.

Die Kapelle der Abtrünnigen und Unentschlossenen

Der dritte Turm im Bunde auf dem obersten Plateau erhebt sich im Süden. Er gilt als ältester Verteidigungsbau des inneren Mauerrings. Als solcher, mit dem obligatorischen Wehrgang und einem steilen Pyramidendach ausgestattet, verblüfft er im Erdgeschoss mit einer sakralen Auskleidung. Einst farbenfrohe, heute stark in Mitleidenschaft gezogene, Fresken aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert zieren die Wände und Gewölbedecke.

Fresekn im Katholischen Turm der Kirchenburg von Birthaelm, Biertan

Die Bildsprache verrät die kleine Kapelle als katholischen Gebetsraum. Zwar traten in der Regel die Sachsengemeinden mit dem Siegeszug der Reformation in Europa geschlossen zum Luthertum über, doch offensichtlich gab es in Birthälm ein Nest an Abtrünnigen und Unentschlossenen.

Allerdings zeigten sich die evangelischen Kirchenvertreter tolerant. Die große Kirche war für die Noch-Katholiken zwar tabu, aber man erlaubte ihnen, in der kleinen Kapelle weiterhin ihren Gottesdienst abzuhalten. Möglicherweise hofften die Reformierten, dass der übermächtige Schatten ihrer Kirche auf den sogenannten Katholischen Turm abfärben und den einen oder anderen Zauderer zum Glaubensübertritt motivieren würde.

Übrigens, wenn wir schon beim Thema Schein und Sein des Katholischen Turms sind. Die Schlüsselschießscharten unterhalb des Wehrgangs sind nur aufgemalt. Ob sie dennoch geholfen haben, den Feind abzuschrecken?

Das Ehegefängnis

Zwischen dem Mausoleums- und dem Katholischen Turm stellte die Ostbastei ein weiteres Defensivelement des Verteidigungsrings dar. Bestand außenpolitisch keine Gefahrenlage, nutzte man das Gebäude zur familiären Friedensstiftung.

Zerstrittene und scheidungswillige Ehepaare sperrte man hier für zwei Wochen in einen Raum. Sie mussten sich ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl, einen Teller, ein Besteck als auch eine Mahlzeit teilen. Meistens half diese pazifistische und kostengünstige Therapie. Es heißt, dass in 400 Jahren nur eine einzige Ehe in Birthälm geschieden wurde. Eheberater hätten in dieser Gemeinde wahrlich einen brotlosen Job gehabt.

Inzwischen habe ich die Kirche einmal komplett umrundet. Im Norden schließt sich die ovale Ringmauer mit dem viergeschossigen Stundenturm Über hunderte von Jahren zeigte er zuverlässig die Uhrzeit in drei Himmelsrichtungen an. Inzwischen ist er müde geworden. Aber wer mag es ihm verdenken. Schließlich war der Stundenturm primär ein Verteidigungsbollwerk und keine Zeitmessmaschine. Als innerster der vier Tortürme entschied nämlich seine Robustheit und sein Fallgitter letztendlich über das Schicksal der Dorfgemeinschaft.

Eine Kirche bekennt Farbe

Beim Blick vom Marktplatz hinauf zur Wehrkirche hielt ich es noch für ein morgendliches geophysikalisches Kalt-Warmluft-Farbphänomen (wenn es denn so etwas überhaupt gibt). Doch jetzt, als ich direkt davor stehe, gibt es keine Zweifel mehr.
Die Birthälmer Wehrkirche ist von den Grundfesten bis unter die Dachspitzen mit einem kiwi-pistachio-grünen Kolorit überzogen. Ein politisches Statement? Sicher nicht. Aber auf jeden Fall ein wirtschaftliches. Farbe als auffälliges, unübersehbares Statussymbol.

Nachdem 1440 der letzte Markgräf auf Amt und Würden verzichtet hatte, war dies ein Befreiungsschlag für den Weiler. Das Recht auf Selbstverwaltung setzte immense ökonomische Kräfte frei. Birthälm entwickelte sich zu einem attraktiven Wohn- und Arbeitsort. Das Klima, der kalkhaltige Boden, die sanften Hügel im Seitental der Großen Kokel (rum. Târnava Mare) gepaart mit dem sächsischen Know-How garantierten einen erfolgreichen Weinanbau. Hinzu kamen 19 Handwerkszünfte, die ihren Teil dazu beitrugen, dass die Gemeinde bald das höchste Steueraufkommen in einem Umkreis von 50 Kilometern vorweisen konnte.

Einzig ein größeres Gotteshaus fehlte der inzwischen 5.000 Einwohner zählenden Ortschaft zu ihrem Glück. So begann man 1490 mit dem Bau der dreischiffigen Kirche. Beeindruckend sollte sie sein. Ein Spiegelbild des Wohlstands.

Allerdings schränkte das limitierte Raumangebot auf dem Bergkegel die Größe des Bauvorhabens deutlich ein. Das Kirchenschiff musste einiges an Länge einbüßen und auf einen klassischen Kirchturm wurde ebenfalls verzichtet. Letzteres war nicht weiter schlimm, denn das Turmangebot im inneren Mauerring war üppig genug. Deshalb gab es für die Hallenkirche lediglich einen kleinen hölzernen Dachreiter für die Vaterunserglocke.

Die Bauherren hatten sich vorgenommen, ein imposantes Werk zu schaffen. Leider mangelte es ihm an Größe. Mit dem gedrungenen Aussehen konnte es nicht punkten, also musste ein anderweitiger Blickfang geschaffen werden. Und so kam die gelbgrüne Farbe ins Spiel.

Ein Turm zeigt Gesicht

Die elegante Farbgebung zog natürlich auch die Blicke der Feinde auf sich. Darum galt es im selben Atemzug die Schutzmaßnahmen einen Level hochzufahren. Auf halber Hügelhöhe entstand ein weiterer, zehn Meter hoher Mauerring mit umlaufenden Wehrbögen. Den Zugang erschwerten zwei zusätzliche Tortürme mit Fallgattern, die über den Karrenweg miteinander in Verbindung standen.

Bogengang zwischen innerem und aeusserem Mauerring der Kirchenburg von Birthaelm

Dieser gepflasterte und überwölbte Durchgang schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits wirkte er den Schubkräften der oberen Wehrmauer auf dem abfallenden Terrain entgegen und andererseits konnte von seinem (heute nicht mehr vorhandenen) darüber verlaufenden Wehrgang der Gegner bestens ins Visier genommen werden.

Als weiteres Bindeglied zwischen innerer und mittlerer Ringmauer diente der im Westen platzierte Rathausturm. Er war nicht nur Verteidigungsbastion, sondern auch temporärer städtischer Amtssitz. Immer dann, wenn die sächsische Gemeinde vor ihren Peinigern in der Kirchenburg Zuflucht suchte, verlegte man den Verwaltungsapparat in den markanten Torturm mit Pultdach. Die Zeit stand ja nicht still, und der Amtsschimmel musste auch in Notzeiten weiter wiehern.

Am anderen Ende des romantischen Bogengangs erhebt sich der fünfgeschossige Pseudo-Speckturm. Er hat zwar nie einen Speck von innen gesehen, bekam aber diesen Namen verpasst, nachdem der eigentliche Specklagerort zum Mausoleumsturm umfunktioniert wurde. Möglicherweise wäre „Gute-Laune-Turm“ eine passendere Bezeichnung für ihn gewesen. Zumindest, wenn es nach mir ginge. Denn seine Mimik mit den beiden Fensteröffnungen, den darunterliegenden Maulschießscharten und dem Zipfelmützendach zaubern mir direkt ein Lächeln ins Gesicht.

Speckturm der Kirchenburg von Birthaelm

Alles muss seine Ordnung haben – auch die Kirchenportale

gotisches Zwillingsportal

Zurück zum etwas zu kurz geratenen Kirchenschiff.
Ein Positives hatte die größentechnische Zwangseinschränkung schlussendlich trotzdem. Im sächsischen Geldsäckel blieb noch einiges an Erspartem übrig, das man an anderer Stelle ausgeben konnte. Zum Beispiel für das außergewöhnliche Zwillingsportal im Westen der Kirche. Einer absoluten Rarität in Siebenbürgen. Allerdings konnten sich früher nur die Frauen und Kinder an dieser wunderschönen gotischen Steinmetzarbeit erfreuen, denn für alle anderen Gemeindeglieder war dieser Eingang tabu.

Renaissance-Portal an der Nordfassade der evangelischen Kirche von Birthaelm

Im Norden, dem heutigen Haupteingang, trägt das Portal bereits Züge der Renaissance. Dem Aufgang am nächsten liegend, war es der privilegierte Zugang für den Pfarrer, die Ältesten (im kirchlichen Sinne) und die älteren Männer. Das Jungvolk und die Mitglieder der Handwerkerzünfte mussten die Kirche durch das entfernt gelegene Südportal betreten, das in Größe und Aufmachung seinem nördlichen Gegenüber entsprach.

Alles hatte seine Ordnung im siebenbürgisch-sächsischen Leben. Hierarchien, Regeln und Disziplin spielten eine große Rolle. Selbst bei Kleinigkeiten wie dem Zugang zur Kirche.

Eine treue Birthälmerin

1522 war das spätgotische Bauwerk endlich vollendet. Aber offenbar fühlte sich die sächsische Gemeinde in ihrer Haut noch nicht sicher genug. „Aller guten Dinge sind drei“, sagten sie sich und zogen wenige Jahrzehnte später am Fuße des Hügels eine weitere Wehrmauer hoch. Wie ein Hufeisen umschloss sie die mittlere Ringmauer. Dazu gab es im Westen mit dem Weberturm einen weiteren Verteidigungsvorposten, den im Angriffsfall besagte Zunft bemannte. Im Süden entstand schlussendlich der einzige Zugang zur Anlage, der von einem dreigeschossigen Torturm mit Zugbrücke kontrolliert wurde.

Nach außen hin scheute die Gemeinde keine Kosten und Mühen für eine repräsentative und zugleich wehrhafte Kirchenburg. Ich bin deshalb gespannt, was mich im Innern erwartet.

Zunächst eine höchst angenehme Überraschung in Person von Andrea Fröhlich, die sich an fünf Tagen in der Woche um die Besucher des UNESCO-Weltkulturerbes kümmert. Die junge Frau ist, wie schon ihre Mutter und Großmutter, in Biertan geboren, aufgewachsen und geblieben. Im Gegensatz zu ihren beiden Schwestern, die mit ihren Familien mittlerweile im Ausland leben.

Seit 2002 führt die sympathische Birthälmerin durch die Kirchenburg. Wahlweise auf Rumänisch oder in perfektem Deutsch mit dem unverkennbaren siebenbürgisch-sächsischen Akzent. Wenn in der Nebensaison nicht so viele Touristen kommen, beschäftigt sie sich nebenher mit kleineren Hand- und Bastelarbeiten, um die Gemeindekasse ein wenig  aufzubessern. Am heutigen Tag strömen zwar keine Busladungen in die Kirche, dennoch ist Andrea sehr gefragt. Kompetent steht sie allen Fragen Rede und Antwort. Auch meinen. Und der Stolz in ihrer Stimme ist nicht zu überhören, wenn sie von den Highlights ihrer Kirchenburg erzählt.

Chor und Altar der Wehrkirche von Birthaelm / Biertan in Siebenbuergen

Feuerzungen, Dornen und ein einzigartiger Altar

Ich starte meinen Rundgang im Chorraum, der von einem spätgotischen Netzgewölbe überspannt wird. Rote Flammen züngeln ekstatisch zwischen den Gewölberippen. Feuerzungen nannte man sie im Mittelalter. Sie sollten die Gemeinde mit dem Heiligen Geist erleuchten. Dazwischen blitzen gefährlich grüne Stacheln auf. Symbole für den dornigen Weg des Lebens oder eher für Treue und Hoffnung?

Gewoelbedecke mit gemalten Feuerzungen in der Wehrkirche von Birthaelm / Biertan

Mit knapp fünf Metern Höhe und fünfeinhalb Metern Breite ist der Flügelaltar das zentrale Element des Chorraums. Ein monumentales Kunstwerk, bestehend aus 28 Bildtafeln und einem filigranen, goldenen Gesprenge. Die Anzahl der Bildtafeln ist einzigartig in Siebenbürgen. Die Entstehungszeit wahrscheinlich auch. Von 1483 bis 1515, also sage und schreibe 32 Jahre, arbeiteten mehrere Künstler an seiner Vollendung. Das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand.

Altar der UNESCO-Wehrkirche von Birthaelm / Biertan in Siebenbuergen

Dem Besucher wird heutzutage nur die aufgeklappte Schokoladen- oder sogenannte Festtagseite präsentiert. 18 verschiedene Gemälde zeigen Szenen aus dem Leben von Jesus und Maria. Normalerweise öffnete der Pfarrer das Retabel nur an hohen Feiertagen oder zu ganz besonderen Anlässen. So konnten sich die Kirchgänger nie an den Bildtafeln sattsehen. An normalen Tagen bekamen die Birthälmer nur die Werktagseite zu Gesicht. Die Flügel waren zugeklappt, sodass die auf den zehn Gemälden der Flügelrückseite abgebildeten Schutzheiligen und Märtyrer den Betenden Trost spenden konnten.

Leider ist der Altarraum abgesperrt. So habe ich keine Chance, einen Blick auf die Werktagseite zu werfen. Möglicherweise eine reformatorische Maßnahme, um den Zugang zu den katholischen Kirchenlehrern und Heiligen zu unterbinden, für die die Protestanten keine Verwendung mehr hatten? Dann sollten wir nur hoffen oder besser beten, dass nie mehr die Pest ausbricht, damit die Heiligen Rochus, Sebastian, Barbara und Katharina nicht reaktiviert werden müssen.

Was haben Birthälm und der Eiffelturm gemeinsam?

Ein weiteres Superlativ befindet sich an der Nordseite der Chorwand, in der Sakristei. Traditionell wurden in diesem Raum der Kirchenschatz, die Kollekte oder die liturgischen Gefäße aufbewahrt. Doch in Birthälm schützte man hier auch die Steuergelder vor unbefugtem Zugriff. Und das nicht ohne Grund. Sage und schreibe 13 Riegel werden aktiviert, wenn sich der Schlüssel im Schloss dreht. Kein Panzerknacker hatte hier den Hauch einer Chance.

Schloss der Sakristeituere der Wehrkirche von Birthaelm

Die im Jahre 1515 getischlerte Türe mit den verschiedenartigen Intarsien steht dem Schloss in seiner Handwerkskunst in nichts nach. Die darauf abgebildeten Wehrtürme sprechen eine deutliche Sprache: unser Hab und Gut ist hier in Sicherheit.  

Tuere der Sakristei der Wehrkirche von Birthaelm

Mit geschwellter Brust brachten die Siebenbürger Sachsen ihre Sakristeitüre 1889 zur Weltausstellung nach Paris. Sie ließen sich weder vom gigantischen Eiffelturm, noch von den technischen Innovationen wie dem Phonograph von Thomas Edison oder dem Benzinmotor von Gottlieb Daimler den Schneid abkaufen. Selbstbewusst präsentierten sie den Juroren ihr kunsthandwerkliches Glanzstück. Ob die Türe mit dem Schloss oder das Schloss mitsamt der Türe die Wertungsrichter mehr beeindruckte, ist nicht überliefert. Fakt bleibt, dass Beides zusammen mit der Goldmedaille prämiert wurde. Nicht einmal dem Eiffelturm, dem Wahrzeichen der Weltausstellung, war eine derartige Auszeichnung vergönnt.

Ein Bischof und …

In der Sakristei suche ich heute vergeblich nach dem Kirchenschatz. Stattdessen treffe ich auf eine Porträtgalerie mit den Hausherren der Birthälmer Wehrkirche. Bei den daneben angebrachten Lebensläufen springen mir zwei Persönlichkeiten besonders ins Auge.

Portraetbild Bischof Lucas Unglerus (Ungleich)

Einer davon ist Lucas Unglerus (1526-1600). Nach seinem Studium der Theologie in Deutschland  (damals noch unter dem deutschen Namen Lucas Ungleich) kehrte er in seine siebenbürgische Heimat zurück, wo er unter anderem in Kelling (rum. Câlnic) und danach hier vor Ort als Pfarrer tätig war. Unglerus fühlte sich im Weinland wohl. Deshalb verlegte er, nach seiner Wahl zum Bischof der lutherischen Siebenbürger Sachsen, kurzerhand den Bischofssitz von Hermannstadt (rum. Sibiu) in die Weinhochburg Birthälm. An diesem Status sollte sich 295 Jahre lang nichts ändern.

… ein besonders sensibler Pfarrer

Dennoch musste es in dieser Zeit gravierende Umwälzungen gegeben haben. Das Kurzporträt von Andreas Funk (Pfarrer in Birthälm von 1778-1792) verrät, dass er beim Anblick seiner zukünftigen Residenz und der Armut in Birthälm in Tränen ausgebrochen sein soll.

Was war geschehen?
Ende des 16. Jahrhundert stand Birthälm noch in voller Blüte. 200 Jahre später war die Gemeinde hoch verschuldet, und die meisten Dorfbewohner hatten das sinkende Schiff bereits verlassen.

Reichtum bedeutet Fluch und Segen. Das wohlhabende Siebenbürgen war ein begehrter Spielball der umliegenden Mächte. Besonders die Osmanen schwärmten heran, wie die Motten zum Licht. Nicht einmal, nein gleich viermal führten ihre Feldzüge durch das Kokelland. Zwar fanden in der Kirchenburg  bis zu 4.000 Bewohner Zuflucht, dafür war das Dorf schutzlos den Plünderungen und der Zerstörungswut des Feindes ausgeliefert. Wer sich ihm in den Weg stellte, wurde getötet oder verschleppt.

Eine zusätzliche finanzielle Belastung bedeutete die sogenannte Verpflegungspflicht. Wann immer sich die gerade an der Macht befindlichen siebenbürgischen Fürsten, mit oder ohne Tross, auf der Durchreise befanden, verlangten sie nach angemessener Kost und Logis. Unentgeltlich. Selbstverständlich.

Portrattbild Pfarrer Andreas Funk

Zu allem Übel (wobei Fürst Gabriel Báthory wohl die Ausgeburt des Übels war) gesellte sich auch noch die Pest. Das hielt zwar die anspruchsvollen Bewirtungsgäste fern, gab der Kommune allerdings den Todesstoß. Sie war beinahe wüst. Nur etwa neun Haushalte zählte sie noch. Eine lange Durststrecke begann, bis Birthälm wieder einigermaßen auf die Beine kam. Der Kaiser (inzwischen hatten die Habsburger die Oberhand in Siebenbürgen) ergriff drastische Maßnahmen. Er befreite die Einwohner von der Verpflegungspflicht, verbot ihnen aber gleichzeitig die Ortschaft zu verlassen, um ihr Glück woanders zu suchen. In dieser erbärmlichen Lage musste Pfarrer Funk seine neue Gemeinde vorgefunden haben.

Hält uns die Kirche zum (oder für) Narren?

Zeichnung eines Narren an der Gewoelbedecke der Kirche von Birthaelm / Biertan

Nach diesem deprimierenden Geschichtsrückblick benötige ich ein wenig Aufmunterung. Wie auf Geheiß kommen mir am Triumphbogen zwischen Chorraum und Hauptschiff zwei Gaukler entgegengesprungen. Ich muss dafür meinen Kopf zwar ganz weit in den Nacken legen, aber da sind sie tatsächlich. Man ist sich uneins, ob dem Innenarchitekten der sprichwörtliche Schalk im Nacken saß, als er die Wände bemalte, oder ob der damalige Pfarrer eine Aversion gegen die Spaßmacher hegte und sie deshalb dazu verdonnerte auf immer und ewig die Gewölbedecke zu stützen. 

Also, ich hätte eine weitere Theorie parat.
Womöglich muss man die beiden Spaßvögel in einen religiösen Kontext zu den Flammen der Erleuchtung an der Gewölbedecke des Chors sehen. Der Altarraum war den Klerikern, also den bereits Erleuchteten vorbehalten, wogegen im Hauptschiff die „Unerleuchteten“ saßen. Der Triumphbogen bildete dabei die optische Grenze zwischen diesen zwei Welten. Die Narren platzierte man demnach bewusst auf der Seite der Kirchengemeinde, um ihr den Spiegel vorzuhalten. Schaut her, was für Dummköpfe ihr doch seid! Einfältig, flatterhaft, unseriös und träge (Achtung Todsünde!). Manchmal sagen Bilder eben mehr als Worte.

Ende gut, alles gut?

Jetzt möchte ich aber doch noch von Andrea wissen, wie die Geschichte von Birthälm nach der Amtszeit von Pfarrer Funk weiterging. Ein ganz gutes Ende scheint sie nicht gefunden zu haben, da der Bischofssitz wieder nach Hermannstadt zurückging. Andrea erzählt, dass die Gemeinde 1793 endlich schuldenfrei war. Doch die dramatischen Ereignisse des 17. und 18. Jahrhunderts hatten tiefe Narben hinterlassen.

Die Wende zum 20. Jahrhundert stellte das Dorf vor eine weitere, harte Probe. Die Weinberge, nach wie vor die Haupteinkommens- und Beschäftigungsquelle, zeigten irreversiblen Reblausbefall. Die Weinstöcke gingen ein, und mit ihnen die Existenzgrundlage vieler Familien. Dies führte zu einer massiven Emigrationswelle in die USA. Später gelang es den Weinanbau wieder zu beleben, doch nur für ein knappes halbes Jahrhundert. Nach dem II. Weltkrieg waren die Siebenbürger Sachsen in ihrem Heimatland nicht mehr willkommen. Sie wurden enteignet und die Anbauflächen gelangten in Staatsbesitz. Allerdings wanderte mit dem Zwangsexodus auch das jahrhundertealte Know-how mit aus. Das traurige Resultat ist bis heute sichtbar: die ehemaligen Weinterrassen liegen brach. Beinahe. Manchmal weiden Schafherden darauf.

vernachlaessigte Weinterrassen bei Birthaelm / Biertan in Siebenbuergen

Birthälm hat mich beeindruckt. Mit seiner Wehrkirche, den Verteidigungsanlagen und dem liebenswert-professionellen Umgang mit seinen Besuchern. Hier wird die Verantwortung für das UNESCO-Weltkulturerbe ernst genommen. Nach meiner Negativ-Erfahrung in Kelling zum Thema „Service-Wüste oder Öffnungszeiten sind nur fürs Papier gemacht“, stimmt mich der Besuch in Biertan wieder versöhnlich. Ich bin deshalb schon gespannt, was mich in Wurmloch erwartet.

Blick von der Kirchenburg auf das Dorf Biertan in Siebenbuergen

Gut zu wissen

UNESCO-Weltkulturerbe

Verein Kulturerbe Kirchenburgen e.V.

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