Bild der Koeniglichen niederleandischen Familie auf der Mergelwand der Fluweelengrotte in Valkenburg
Niederlande,  Unterwegs

Valkenburg aan de Geul – die Fluweelengrotte


„Entdecke das Geheimnis des Mergelreiches!“, so lautet der Touristen-Lockruf der südlimburgischen Gemeinde Valkenburg aan de Geul für die Fluweelengrotte.
Das klingt für mich zunächst nach einem Elben- und Trollen-Erlebnispark mit Herr-der-Ringe-Ambiente. Also eher etwas für eingefleischte Fantasy-Fans oder ein spaßiges Familienvergnügen. Schon möchte ich mich auf die Suche nach einem „seriöseren“ Abenteuer machen, als ich über die Worte Grotte, geheime Plätze und prächtige Malereien stolpere.
Damit hat der Köder sein Opfer gefunden.

Hinein in das Reich der Finsternis

Ich habe Glück, denn die nächste Führung in der Fluweelengrotte startet in 10 Minuten. Leider wird sie  nur in holländischer Sprache angeboten. Macht nichts, denke ich, denn ein deutschsprachiges Faltblatt, das ich an der Kasse ausgehändigt bekomme, beschreibt die wichtigsten Stationen der Tour.

Dann geht es auch schon hinein in die fröstelige, konstant 12 ˚C kühle Unterwelt. Die Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, elektrisches Licht ist hier nämlich Fehlanzeige. Unsicher tapse ich  daher den anderen Teilnehmern der Führung hinterher. Einzig unser Guide ist eine wahre Lichtgestalt, eingetaucht in den Schein einer Grubenlampe.

Schnell habe ich erkannt, dass die Lektüre des Faltblattes vor Ort ein hoffnungsloses Unterfangen ist. Es sei denn, ich wäre ein nachtsichtaktives Individuum oder skrupellos genug, die anderen Besucher mit meiner Handy-Taschenlampe zu blenden.

Wie auch immer, so kann ich mich ganz darauf konzentrieren, immer schön an der Gruppe dran zu bleiben und nicht im Labyrinth der verschachtelten Gänge, Tunnel, Abzweigungen und Kreuzungen verloren zu gehen. Hier herrscht wirklich ein heilloses Durcheinander. Vielleicht hätte ich mal besser einen Wollfaden mitgenommen und ausgerollt. In Gedanken notiere ich diesen Geistesblitz für mein fiktives Survival-Kit. Oder sollte ich dem Führer vorschlagen, sicherheitshalber einmal durchzählen zu lassen?

Eine Kunstgalerie unter Tage

Die Tour startet mit einem kurzweiligen historischen Exkurs.
Die Fluweelengrotte ist kein durch Gezeiten oder Naturgewalten entstandenes Höhlensystem, sondern ein unterirdischer, von Menschen geschaffener Steinbruch. Als der Herr von Valkenburg im ausgehenden 11. Jahrhundert die Notwendigkeit für den Bau einer Festungsanlage sah, hatte er einen cleveren Einfall. Warum die Baumaterialien mühsam aus der Ferne heranschaffen, wenn das Gute liegt so nah. Das Kalkgestein des Burghügels stellte die ideale natürliche Ressource für die Valkenburg dar. Das war die Geburtsstunde des Steinbruchs. Außer zur Errichtung des Kastells  nutzte man den Rohstoff weiterhin für den Bau von zivilen und klerikalen Gebäuden.

Für die Außenwelt wurde die Fluweelengrotte erst durch ihre Wandbilder berühmt. Als Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Anbindung Valkenburgs an das Schienennetz der Tourismus Einzug hielt, entstand die Überlegung, die nicht mehr genutzten Grotten zu einer Kunstgalerie umzugestalten. 

Bildnis aus der Fluweelengrotte in Valkenburg

In der Regel wurden dabei die sandfarbenen Wände mit schwarzer Holzkohle oder dem roten Farbpigment der Färberkrapp-Wurzel eingefärbt und anschließend die Zeichnungen mit einem scharfen Instrument in den weichen Kalkstein eingeritzt. Andere Künstler wiederum meißelten ihre Arbeiten aus dem Gestein heraus. So entstanden ganz unterschiedliche Kunstwerke mit den vielfältigsten Sujets.

Blockbrecher – ein ausgestorbener Traditionsberuf für gestandene Männer

Werkzeuge und Werkzeugspuren an den Waenden der Fluweelengrotte in Valkenburg
Die Werkzeugspuren im Mergelgestein sind heute immer noch deutlich zu erkennen.

Inzwischen sind wir am ersten Haltepunkt unserer Führung angekommen.
Der Beruf des Blockbrechers war kein Zuckerschlecken. Viel Manpower und ein geschickter Umgang mit Flachmeißeln sowie unterschiedlich langen und schweren Eisensägen war gefragt. Unserer Führer erklärt uns anschaulich, wie das Herausbrechen der knapp ein Quadratmeter großen Blöcke aus der Grottenwand von statten ging. Zunächst musste man mit dem Meißel an der Oberseite des Blockes einen Spalt in die Wand schlagen. Anschließend sägte man sowohl die beiden Seitenwände als auch die Unterseite aus dem weichen Gestein. Jetzt brauchte der blokbreker nur noch Keile in die entstandenen Spalten zu treiben, den Rest besorgten die entstandenen Spannungskräfte. Mit einem kräftigen Rütteln wurde der Block von der Rückwand gelöst und konnte abtransportiert werden. 

Wichtigstes Utensil eines jeden Minenarbeiters war jedoch die Öl- oder später Karbidlampe. Zwar verfügte jeder Blockbrecher, im wahrsten Sinne des Modewortes, über eine exzellente Mind-Map, doch in vollkommener Dunkelheit half diese auch nicht weiter.

Bild eines Blockbrechers auf der Mergelwand der Fluweelengrotte in Valkenburg. In der linken oberen Bildecke ist das unübersichtliche Grottensystem abgebildet.
In der linken oberen Bildecke ist das unübersichtliche Grottensystem abgebildet.

Die Blöcke zu brechen war ein Knochenjob. Zwölf bis 14 Arbeitsstunden am Tag waren keine Seltenheit und das unter ungesunden Rahmenbedingungen: kein Tageslicht, dafür eine rheumafördernde Kühle und Feuchtigkeit, sowie die oftmals unnatürliche und gekrümmte Haltung. Am häufigsten litten die Arbeiter jedoch unter der „Feinstaubbelastung“ für die Lungen. 

Auch heutzutage wird noch Mergel abgebaut, allerdings haben sich die Arbeitsmethoden und -bedingungen inzwischen deutlich verändert. Man setzt vermehrt auf den Abbau über Tage in sogenannten Mergelgruben. Der Kalkstein wird mittels Sprengungen oder mächtigen Raupenfahrzeugen mit Reißzangen der Gesteinswand entrissen , bevor er überwiegend zu Zement verarbeitet wird.

Mergel? Was ist das?

Ich frage mich, schon die ganze Zeit, was versteckt sich eigentlich hinter dem Wort „Mergel“?
Zugegebenermaßen ist mir dieser Begriff bis  dato nicht über den Weg gelaufen. Also muss ich mich zunächst ein wenig laienschlau machen. Mergel ist ein natürlicher Rohstoff, eine Mischung aus Kalk und Ton, manchmal auch mit kleinsten Sandpartikeln versetzt. In der Kreidezeit, also vor etwa 70 Millionen Jahren, war die Limburger Gegend ein Binnenmeer. Durch Ablagerung, manchmal auch Verschiebung, Druck und Vermahlung von Saurierskeletten oder Schalentieren entstand daraus das Sedimentgestein, der Mergel.

Schulterknochen einer Ur-Schildkroete, der in der Fluweelengrotte in Valkenburg gefunden wurde.
Schulterblatt einer Urschildkröte, das in der Fluweelenhöhle-Höhle entdeckt wurde.

Was hat der Maas-Saurier mit französischem Rotwein zu tun?

Bild eines Mosasauriers auf der Mergelwand der Fluweelengrotte in Valkenburg

Einige Winkel und Tunnel weiter,  leuchtet unser Führer mit einem Laserpointer auf das Halbrelief einer sogenannten Maasechse. Es soll an den Fund eines 110 cm langen Kiefers eines Mosasauriers (lt. Mosa = Maas) in einer der Mergelgrotten bei Maastricht erinnern. Die Entdeckung des Fossils war dermaßen revolutionär, dass die französische Besatzungsarmee es 1794 als Kriegsbeute requirierte und nach Paris entführte, wo es quasi noch immer im Muséum National d’Histoire Naturelle ausgestellt ist. Maastricht musste sich mit einer Kopie begnügen und ließ sich dafür mit 600 Flaschen Rotwein entschädigen. Wer’s glaubt, wird rotweinseelig…

Die Höhepunkte der Kunstgalerie

Zügig geht es weiter zum nächsten Haltepunkt. Unser Ausflug durch die Unterwelt ist wahrlich kein Bummelzug. Auf zwei Bildern verteilt, sehen wir die Geschichte einer kurzen glücklichen Liebe ohne Happy-End. Hauptdarsteller sind das Brüderpaar Walram und Reginald. Beide buhlen um die Gunst der wunderschönen Maid Alixe von Kleve. Diese war in Walram, den jüngeren der beiden Brüder, verliebt. Sie wählte ihn zum Bräutigam, wodurch sich Reginald gedemütigt fühlte. Auf Rache sinnend, erstach er beide heimtückisch. Der Preis, den Reginald für den Doppelmord bezahlte, war hoch. Seine blutigen Hände brachte er nie mehr reingewaschen und das Gut und Böse würfeln seit Hunderten von Jahren um seine Seele, ohne zu einer Entscheidung zu kommen.

Bild von Walram und Alixe, das auf die Mergelwand der Fluweelengrotte in Valkenburg gemalt wurde.
Walram mit Alixe (Alex)

Mit dem Durchqueren weitere Gänge und Abzweigungen machen wir einen Zeitsprung. Das Ende des II. Weltkrieges ist nahe. Sechs Tage lange stehen sich deutsche und amerikanische Truppen im September ’44 am Fluss Geul gegenüber. Solange die Kämpfe toben, suchen an die 600 Einwohner Valkenburgs Schutz in der Fluweelengrotte. Gleichzeitig richten die Alliierten hier ein Feldlazarett ein. Nach der Befreiung der Stadt stehen GIs dem damaligen Höhlenführer Willy van Akker Porträt. Da Vandalen mehrmals die Scherenschnitte beschädigten, mussten sie mit Gittern vor weiteren zerstörerischen Aktionen geschützt werden.

Schattenbilder und Unterschriften amerikanischer Soldaten auf der Mergelwand in der Fluweelengrotte in Valkenburg

Eine Geheimkirche

Wir nähern uns dem Höhepunkt der Kunstgalerie, der sogenannten Kapelle. Südlimburg war im ausgehenden 18. Jahrhundert fest in französischer Hand. Einmal jährlich musste jeder Bürger einen Hasseid gegen die Monarchie schwören. Dadurch wollte die noch junge I. Republik, nach der französischen Revolution, ihre Macht stärken. Gleichzeitig wurden die Rechte der Kirche beschnitten. Die Abhaltung religiöser Veranstaltungen war verboten, Glocken durften nicht mehr geläutet werden, Kirchen wurden geschlossen, Priester verfolgt. Doch man kann den Glauben nicht einfach per Dekret abschaffen.  Viele Priester zelebrierten die Messe und ihre liturgischen Handlungen im Geheimen weiter. Die Fluweelengrotte bot hierfür ein ideales Versteck. Pastor Servatius Widderhoven richtete unter Tage einen kirchenartigen Raum mit Altar, Gebetsnischen und Taufbecken ein. Neben täuschend echt aufgemalten Säulen und gotischen Fenstern, sind die Wände der Kapelle komplett mit Darstellungen von Heiligen, biblischen Geschichten und Schriftsätzen ausgeschmückt.

Es gäbe noch so viel mehr zu sehen…

Nach einer knappen Stunde neigt sich die Führung dem Ende entgegen. Für meinen Geschmack viel zu früh. Gerne hätte ich mir zur Betrachtung der einzelnen, außergewöhnlichen Kunstwerke mehr Zeit gewünscht, zumal einige davon nicht nur sehr großformatig, sondern auch sehr bildgewaltig sind. Außerdem sind wir an einigen Bildern nur im Sauseschritt vorbeigerauscht, so dass ich das Gefühl nicht loswerde, etwas verpasst zu haben. Ja, ich weiß: Zeit ist Geld, und Quantität nicht unbedingt Qualität. Trotzdem…

Insgesamt haben wir auf unserer Tour über ein Dutzend Kunstwerke gezeigt und erklärt bekommen. Leider habe ich nur sehr wenig von den teils amüsanten oder  tragischen Anekdoten, die unser Guide zu den einzelnen Bildern zum Besten gab, mitbekommen. Allein  an der Reaktion der holländischen Besucher, den lachend-glucksenden Aaahhhs oder bedauernden Ooohhs, konnte ich deren Inhalt und Ausgang erahnen.

Auf jeden Fall verstanden habe ich, dass der letzte Höhlenabschnitt erst 1937 per Zufall entdeckt wurde. Bei Ausgrabungsarbeiten auf der Burgruine stieß man auf eine Treppe, die unter der Burgmauer hindurch immer tiefer in den Berg hineinführte. Als sie komplett freigelegt war, hatte man einen geheimen Verbindungsgang zur Fluweelengrotte gefunden. Dieser Stollen war nur einer von vielen, die bereits im 12. und 13. Jahrhundert als Flucht- und Versorgungswege angelegt wurden, aber nach dem Verfall der Burg in Vergessenheit gerieten.

Über einen dieser Geheimgänge werden wir von unserem Tourguide ins Freie entlassen. Somit können wir unseren Besuch direkt mit einem Streifzug durch die Burgruine fortsetzen.


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