Niederlande,  Unterwegs

Delft und die Neue Kirche – Wunder, Skandale, Dramen


Die Neue Kirche am Marktplatz mit ihrem 109 Meter hohen Turm ist das herausragende Bauwerk der Silhouette von Delft. Doch es hat noch weit mehr zu bieten als den zweit höchsten Kirchturm der Niederlanden. Seit der Grundsteinlegung im 14. Jahrhundert geriet und gerät das Gotteshaus immer wieder in die Schlagzeilen. Und das nicht nur als Grablege des niederländischen Königshauses. Die Nieuwe Kerk war Schauplatz von Dramen, Skandalen, Wundern und manch einer Ironie des Schicksals.

1351 – Eine wundersame Marienerscheinung auf dem Marktplatz

Vision von Symon und Jan Col auf dem Marktplatz in Delft
Darstellung der Vision von Jan Col und Simon. Links die Begijne Catharina van Coudenhove, die die dieselbe Vision hatte;
Willem van der Lelij, 1761. (TMS 6781)

Auch diese Woche war Jan Col, Geselle eines Delfter Pelzhändlers, wieder auf dem Marktplatz unterwegs, um Besorgungen für seinen Meister zu machen. Dabei traf er, wie gewöhnlich, in der Nähe des aufgebauten Galgens auf Simon, den Bettelmönch. Solange Jan sich zurück erinnern konnte, hatte Simon hier seinen „Stammplatz“. Meistens steckte der Lehrling dem Bettelmönch eine Kleinigkeit zu essen zu, denn er hatte Mitleid mit dem armen, alten Mann. Normalerweise machte Jan einen großen Bogen um die zwielichtigen Gestalten, die sich auf dem Marktplatz herumtrieben, die rechtschaffenen Leute anrempelten und aufdringlich um Almosen anbettelten. Aber Simon war eine Ausnahme, denn nie hätte er jemanden angesprochen oder gar belästigt. Kniend, den Blick demütig gesenkt, streckte er wortlos seine abgezehrten Hände den Vorbeieilenden entgegen.

Doch heute musste etwas passiert sein, denn Simon war vollkommen aufgelöst. Aufgeregt winkte er Jan zu sich. Mit zitterndem Arm zeigte er zum wolkenverhangenen Himmel, der sich geteilt hatte. In einem gleißenden Lichtstrahl thronte die Jungfrau Maria inmitten einer goldenen Kirche. Kurz darauf starb Simon. Jan Col allerdings durchlebte die Vision jedes Jahr aufs Neue. 30 Jahre lang und stets am selben Tag. Dann konnte er endlich die Ratsherren überzeugen, an der Stelle der Marienerscheinung eine Kirche zu bauen.

Auch wenn tatsächlich ein Dokument existieren soll, das die Vision bestätigt, wurde die Marienerscheinung mittlerweile entmystifiziert. Freigesetzte Methangase riefen angeblich die erleuchtenden Halluzinationen hervor.

1393 – Die Grundsteinlegung der Neuen Kirche

1381 entstand zunächst eine bescheidene Holzkirche auf dem Marktplatz. Am Tag, als sie der Jungfrau Maria geweiht wurde, hörten die Visionen ein für alle Mal auf. Mit dem kleinen Gotteshaus war allerdings auf lange Sicht kein Staat zu machen, zumal am anderen Ende des Marktes ein beeindruckendes Stadthaus gebaut wurde. Also beschloss der Stadtrat, dass Delft eine repräsentative zweite Kirche benötigte.

1393 erfolgte die Grundsteinlegung zur Neuen Kirche, die aus praktischen Erwägungen heraus, um die vorhandene Holzkirche herumgebaut wurde. So konnten bis auf weiteres die Gottesdienste in der Marienkirche beibehalten werden. Nachdem die Arbeiten an Querschiff und Chor soweit fortgeschritten waren, dass dort die erste Messe gelesen werden konnte, gab man die kleine Holzkirche auf. Die Schutzheilige der Nieuwe Kerk war nun die Heilige Ursula. Die Jungfrau Maria hatte ausgedient.

1496 – Der zweithöchste Kirchturm der Niederlande

Turm der Neuen Kirche in Delft

Bis zur feierlichen Eröffnung 1496 wurde auf dem Marktplatz eifrig gewerkelt, gehämmert, geschliffen und gemeißelt. Nach der Fertigstellung des Chores, entstand der untere Teil des Turmes. Es folgten das Mittel- und die Seitenschiffe, bevor die Arbeiten am Turm fortgesetzt wurden. Plötzlich erschien der Chorraum nicht mehr imposant genug. Er musste erweitert werden. Demzufolge bedurften auch die Seitenschiffe und das Querschiff einer Verlängerung. Ach ja, da war ja auch noch der Turm, der unbedingt ein drittes Stockwerk benötigte und eine Kirchturmspitze, um dem Himmel noch ein klein wenig näher zu sein.

Am Ende sind es exakt 108,75 Meter, die der Turm am Eingang zur Kirche in die Höhe ragt. Ob die Baumeister wussten, dass ihnen am Ende nur drei Meter fehlen, um den Utrechter Turm vom ersten Platz als höchsten Kirchturm der Niederlande zu verdrängen? Vielleicht hätten sie sich dann noch ein wenig mehr ins Zeug gelegt.

Immerhin schafften sie es, der ambitionierten Zielsetzung ihrer Auftraggeber gerecht zu werden.
Die Neue Kirche musste auf jeden Fall die Alte Kirche in den Schatten stellen. Größer, höher, länger, breiter, alle nur möglichen Komparative zog man heran, um die Gottesdienstbesucher in Scharen anzulocken.
Doch bekanntlich, tut Übermut selten gut.

1536 – Ein göttlicher Fingerzeig?

Am 3. Mai 1536 schlug der Blitz in den Kirchturm der Neuen Kirche ein.
Das Feuer griff rasend schnell um sich und hinterließ ein Bild der Zerstörung. Nicht nur in der Nieuwe Kerk, wo neben einem Großteil des Kirchturms, die Orgel, alle Glocken sowie die Bleiglasfenster der immensen Hitze zum Opfer fielen.

Übersichtskarte von Delft mit den verwuesteten Stadteilen nach der Explosion 1654
Ansicht von Delft nach dem Stadtbrand 1536; Collectie Museum Prinsenhof

Die Feuersbrunst wütete durch die Grachten und Gassen der eng bebauten Stadt. Als das Feuer endlich unter Kontrolle gebracht war, lagen zwei Drittel aller Gebäude in Delft in Schutt und Asche.

War dies Gottes Strafe für ein Zuviel an Hochmut?
Und wieso kam man überhaupt auf die Idee, die Kirchturmspitze mit einem Apfel, als Symbol für die Unendlichkeit, zu krönen? Ist der Apfel nicht die Frucht des Bösen, die Verkörperung des Sündenfalls aus dem Paradies? Kein Wunder, dass der Blitz einschlug.

1536 – Ein grausamer Fund unter der Kirchenglocke

Bei den Aufräumarbeiten nach dem Großbrand fanden sich unter der herabgefallenen und von der Hitze deformierten Kirchturmglocke, die verkohlten Überreste einer kleinen Person. Recherchen ergaben, dass es sich hierbei um die vermisste Jacopmijne Pietersdochter handelte.

Freunde bestätigten, dass sie die gebrechliche alte Frau zum Beten in der Kirche abgesetzt hatten, während sie ihre Besorgungen in der Stadt erledigten. Als das Feuer ausbrach, schaffte es Jacopmijne wohl noch, auf Händen und Füssen kriechend, den rettenden Ausgang zu erreichen, jedoch muss in diesem Moment die Glocke auf sie herabgestürzt sein und sie unter sich begraben haben. 

1584 – Die Nieuwe Kerk wird zur königlichen Grablege

Begraebnis von Willem van Oranje, 1584, Frans Hogenberg, 1587 - c. 1591
Begräbnis von Willem van Oranje, 1584;
Frans Hogenberg, 1587 – ca. 1591

Ein unendlich langer Trauerzug geleitete am 3. August 1584 den Leichnam des von einem Meuchelmörder erschossenen Prinzen Willem van Oranje zu seiner letzten Ruhestätte in der Krypta der Nieuwe Kerk. Das Wehklagen war laut und die Trauer unendlich groß. Mit dem Tod Wilhelms von Oranien starb die Hoffnung auf eine schnelle Beendigung des 80-jährigen Kriegs und das Ende der Spanischen Tyrannei.

Das provisorische Grab von Wilhelm von Oranien in der Neuen Kirche in Delft
Katafalk von Wilhelm I., Prinz von Oranien, in der Nieuwe Kerk zu Delft, 1584;
Gerrit Lamberts, after anonymous, 1786 – 1850

Normalerweise hätte der Anführer des Niederländischen Unabhängigkeitskrieges im Familiengrab in Breda beerdigt werden sollen, doch noch immer tobte der 80-jährige Krieg und noch immer war die Stadt in spanischer Feindeshand. Also musste improvisiert werden. Die Beerdigung konnte nur im sicheren Delft stattfinden. Über der Kirchenkrypta, in die der Leichnam hinab gelassen wurde, errichtete man in aller Eile ein provisorisches Grabmal mit einem leeren Sarg.

Da der Vater des Vaterlandes, wie der Prinz von Oranien auch genannt wurde, nun in Delft begraben lag, war es nur logisch und folgerichtig, dass die Krypta der Neuen Kirche ab sofort zur offiziellen Grablege der Niederländischen Monarchen und ihrer direkten Angehörigen erhoben wurde.

Bis auf wenige Ausnahmen wurden seither alle Mitglieder des niederländischen Königshauses in der Neuen Kirche bei- bzw. hierhin übergesetzt. Inzwischen 46 Stück an der Zahl. Die königliche Krypta ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, einzig der Bürgermeister von Delft verfügt über die Schlüsselgewalt.

1609 – Waffenstillstand und ein Prunkgrab für Wilhelm von Oranien

Endlich Waffenstillstand und Halbzeit im 80-jährigen Krieg, obwohl damals natürlich noch niemand wissen konnte, dass der Krieg in eine Zweite Runde bis 1648 gehen würde.
Es blieben 12 Jahren Zeit, um ein wenig zur Normalität zurück zu kehren und auf die lange Bank geschobene Vorhaben in die Tat umzusetzen. Hierzu gehörte der Beschluss der Generalstände der Niederlande, dem Vorkämpfer der Freiheit, Wilhelm von Oranien, anstelle der provisorischen Grabstätte in der Delfter Kirche ein pompöses Mausoleum zu errichten.

Den Auftrag erhielt der Amsterdamer Stararchitekt und -bildhauer Hendrick de Keyser. Seine vorgelegten Pläne waren beeindruckend. Das Prunkgrab sollte zentral im Chorraum, unter einem freistehenden, von zahlreichen marmornen Säulen gestützten Baldachin platziert werden. Es würde zwei zentrale Figuren geben. Im Vordergrund Willem van Oranje als lebensgroße, sitzende Statue in voller Rüstung und dahinter Willem als Gisant, als liegender Toter.

An jeder der vier Ecken des Mausoleum würde eine bronzene Frauenstatue die besonderen Tugenden des Verstorbenen, nämlich Freiheit, Glaube, Gerechtigkeit und Mut, lobpreisen. Zusätzlich war eine weitere Frauenstatue als Abschluss des Mausoleums vorgesehen, die auf einer Himmelstrompete den Ruhm des Niederländischen Prinzen in die Welt hinaus posaunen sollte.

1614 bis 1621 – Das Mausoleum nimmt Gestalt an

Fünf weitere Jahre zogen ins Land, bis Hendrick de Keyser 1614 die Arbeiten am Mausoleum aufnahm.
Es ging nur langsam voran. Das lag zum einen an den hochwertigen Materialien, deren Beschaffung nicht nur eine Frage des Geldes war, sondern auch eine Menge Zeit in Anspruch nahm. Zum anderen war Hendrick de Keyser ein Meister seines Faches. Er modellierte die Figuren mit enormer Detailtreue, Sorgfalt und Authentizität. Der weiße, kalte Marmor schmolz unter seinen Händen zu formbarem Wachs, das jede Figur lebensecht erscheinen ließ.

Man muss sich unbedingt die Liegefigur des Prinzen in Ruhe anschauen. Ist er tatsächlich tot oder ruht er sich nur kurz aus? Das Gesicht ist entspannt, der Faltenwurf des Gewandes in einer fließenden Bewegung, als ob sich Wilhelm gerade erst auf der geflochtenen Strohmatte hingelegt hätte. Er hat sogar noch die Halskrause sowie seine Pantoffeln an. Und auf den beiden Kissen mit den Troddeln und den edlen Stickereien liegt es sich bestimmt bequem.

Zu Füßen des Prinzen liegt sein Hund. Sein treuer und vielleicht loyalster Gefährte. Es heißt, dass er aus Trauer um seinen ermordeten Herrn jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte und innerhalb weniger Tage verstarb. Der Kummer um den Verlust ist seinen Augen deutlich abzulesen.

1623 – Eine kostspielige Dame

Hendrick de Keyser war ein viel beschäftigter Mann. Seine Kunstfertigkeit brachte ihm enorm viele lukrative und renommierte Aufträge ein, wie die Zuider-, Noorder- und die Westerkerk in der niederländischen Hauptstadt. Und manchmal kamen auch noch ganz unvorhergesehene Engagements, so wie der Wiederaufbau des Rathauses in Delft, dass 1618 einem Brand zum Opfer fiel.
Der berühmteste Architekt und Bildhauer des Goldenen Zeitalter tanzte auf vielen Hochzeiten gleichzeitig. Vielleicht auf zu vielen. 1621 verstarb er völlig unerwartet inmitten der Arbeiten am Mausoleum.

Glücklicherweise war sein Sohn Pieter zur Stelle, der in die väterlichen Fußstapfen trat, und die Fertigstellung des Prunkgrabs nach den Plänen seines Vaters weiter vorantrieb. Besondere Sorgen bereitete dem jungen Meister dabei die fünfte Frauenfigur. Leichtfüßig sollte sie sein, die Verkörperung des Ruhms. Das war sie auch, aber wie. Mehrmals verlor die nur auf einer Fußspitze jonglierende Statue das Gleichgewicht. 2000 Kilogramm wertvoller Carrara-Marmor, sowie der noch exklusivere Portor, ein mit Goldfäden durchzogener Marmor, stürzten zu Boden. Das Budget stieg plötzlich exponentiell an.

1623, nach neun Jahren, war das Werk schlussendlich vollbracht. Mit 30.000 Gulden musste die Regierung sehr tief in die Tasche greifen, um dem Vater des Vaterlandes ein gebührendes Denkmal zu setzen.

1583 bis 1610 – Vom Wunderkind zum Staatsfeind

Wir springen zunächst ein wenig in der Zeit zurück, um zu verstehen, welche Kapriolen die Geschichte schreiben kann.

„Das Wunderkind Europas, als Gelehrter ein Segen für die ganze Welt“, steht auf der Inschrift des Grabmonuments von Hugo de Groot, bzw. von Hugo Grotius wie er in Deutschland genannt wird.

Portraet von Hugo Grotius (Hugo de Groot), Jurist, Michiel Jansz van Mierevelt (workshop of), 1631
Porträt von Hugo Grotius;
Michiel Jansz van Mierevelt (Werkstatt), 1631

In der Tat, schon mit acht Jahren beherrschte der  1583 in Delft geborene Hugo die lateinische Sprache in Wort und Schrift und wusste gleichfalls lateinische Schriften ins Griechische zu übersetzen. Problemlos wurde er deshalb schon drei Jahre später zum Studium der Rechtwissenschaften an der Universität in Leiden zugelassen. De Groot war einer der größten Humanisten, Philosophen und Juristen des vergangenen Jahrtausends und gilt als Begründer des Völkerrechts.

Hätte sich das Wunderkind mal nur auf seine juristischen Themen fokussiert und sich nicht in Politik und Religion eingemischt, wäre alles anders gekommen. Wie sagt man so schön: Schuster bleib bei deinen Leisten. Aber nein, zunächst verscherzte der Delfter es sich in seiner Abhandlung „Mare Liberum“ (Das Freie Meer) mit dem Papst und anschließend durch seine anticalvinistische Haltung mit dem Statthalter der Niederlande. De Groot ergriff nämlich im schwelenden Konflikt zwischen Calvinisten und protestantischen Remonstranten für letztere Partei. Dadurch wandte er sich offen gegen die streng calvinistische Anschauung von Prinz Maurits von Nassau, Sohn des ermordeten Wilhelm von Oranien.

Dem Souverän war die aufwieglerische Haltung de Groots ein Dorn im Auge. Der Krieg mit Spanien war noch längst nicht ausgestanden, also benötigte man nicht zusätzlich noch innerpolitische Konflikte. Kurzerhand ließ er den Rechtsgelehrten 1610 wegen aufwieglerischen Verhaltens gefangen nehmen und verbannte ihn auf Lebenszeit auf Burg Loevenstein.

1645 – Zwei Feinde im Tod vereint

Trotz der konträren politisch-religiösen Ansichten, schätzte Prinz Maurits den scharfen Verstand de Groots und dessen intellektuellen Größe. Deshalb durfte der Inhaftierte weiterhin seinen Studien nachgehen und verfasste während seiner Gefangenschaft eines seiner bedeutendsten Werke: “ De jure belli ac pacis“ – Über das Recht des Krieges und des Friedens“.

Grotius verbrachte die Zeit seiner Gefangenschaft aber nicht nur mit dem Studium unzähliger Bücher, sondern ganz offensichtlich auch mit dem Schmieden eines Fluchtplans.
Regelmäßig erhielt de Groot Lesenachschub in einer riesigen Bücherkiste geliefert. Genau, die Bücherkiste ist das Stichwort. Hollywood hätte kein besseres Drehbuch schreiben können. Elf Jahre nach seiner Festsetzung gelang Hugo de Groot in der berühmten Bücherkiste die Flucht aus seinem Luxusgefängnis.

Es existieren übrigens drei Bücherkisten, die den Anspruch erheben, zur Flucht gedient zu haben. Eine ist im Prinsenhof in Delft ausgestellt, eine im Rijksmuseum in Amsterdam und die Dritte auf Schloss Loevenstein.

Nach seiner Flucht wurde Grotius zum europäischen Pendler zwischen Deutschland, Frankreich und Schweden. Kurzzeitig kehrte er sogar in seine Heimat zurück, aber hier war er auch zehn Jahre nach seiner Flucht noch unerwünscht.  

Statue von Hugo Grotius (Hugo de Groot) vor der Neuen Kirche in Delft

Hugo Grotius verstarb 1645. Ob die Staatsführung das Werk und die Person de Groot mittlerweile in einem anderen Licht sah, oder er als Toter keine Bedrohung mehr darstellte, man weiß es nicht. Auf jeden Fall gab es keine Einwände gegen eine Überführung seiner sterblichen Überreste von Rostock in die Neue Kirche nach Delft.

Heute ruht de Groot unter einem imposanten Denkmal ganz in der Nähe seines damaligen Feindes Prinz Maurits, der bereits 1625 verstarb und in der royalen Krypta bestattet wurde. 
Kurz vor seinem Tod, soll de Groot folgende Worte geäußert haben: „Ich habe alles verstanden, und dennoch so wenig erreicht.“
Erreicht hat er viel, aber ob er wirklich alles verstanden hat?

1654 – Delfter D-Day

Völlig überraschend explodierten am 12. Oktober 1654 neunzig Tonnen Schießpulver im Nordosten der Stadt. Der Tag geht als Delfter Donnerschlag in die Geschichte ein.

Bild von Hendrik de Winter mit der Ansicht von Delft nach der Explosion 1654
Die Explosion des Pulverhauses in Delft, 12 Oktober 1654;
Hendrik de Winter, nach Egbert Lievensz. van der Poel, 1758

Obwohl, laut Augen- bzw. Ohrenzeugen, die Explosion bis hinauf zur 150 Kilometer entfernt liegenden Insel Texel zu hören war, stellten sich die Schäden an der Neuen Kirche unerwartet überschaubar dar. Zwar war das Dach eingestürzt und die Kirchenmauern durch die Druckwelle teilweise eingedrückt, aber mit der tatkräftigen Unterstützung und finanziellen Hilfe mehrerer benachbarter Gemeinden gingen die Aufräum- und Restaurierungsarbeiten dieses Mal wesentlich schneller voran.

Turm der Neuen Kirche in Delft

Schon ein Jahr später präsentierte sich die Neue Kirche in ihrem heutigen Gewand. Fast. Einzig die zu Bruch gegangenen Glasfenster ersetzte man entweder durch normales Glas oder mauerte sie einfach zu. Das ging schneller und war kostensparender.

Übrigens, der oberste, schwarze Kirchturmabschnitt ist nicht auf den Stadtbrand oder den Delfter Donnerschlag zurückzuführen. Die ein wenig unästhetische Schwarzfärbung entsteht durch eine organische Reaktion der im Sandstein enthaltenen Eisenminerale mit ihrer Umwelt (vor allem dem sauren Regen). Dazu verstärken Feinstaubablagerungen den Trauerfloreffekt.
Aber wer kann schon einen dreifarbigen Glockenturm sein Eigen nennen?

1829 – Ein Ende für die steinreichen Stinker

„Gott sei Dank“, dachten viele Delfter Kirchgänger, als 1829 per königlichem Dekret, Bestattungen innerhalb von Kirchen oder Kirchenmauern verboten wurden. Damit schlug man gleich drei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits wurde die Seuchengefahr verringert und andererseits bekam man damit endlich den unerträglichen Verwesungsgeruch im Gotteshaus in den Griff.
Gleichzeitig wurde eine seit dem Mittelalter gebräuchliche Begräbniskultur der Oberschicht abgeschafft. Ab sofort gab es im Tod keine Zwei-Klassen-Gesellschaft mehr.

Uebersichtsplan der Graeber in der Neuen Kirche in Delft
Grundriss der Nieuwe Kerk von Delft mit der Lage der Gräber; anonym, 1751

Zuvor war es nämlich gang und gebe, dass sich sowohl die Herren als auch Damen von Rang und Namen bzw. mit dem entsprechenden Geldbeutel oder klerikalem Hintergrund, eine letzte Ruhestätte in ihrer Pfarrkirche sichern konnten. Leider sorgten nachlässig verschlossene Särge oder nicht dicht schließende Grabkammern immer wieder für unerträgliche Geruchsbelästigungen. Nicht einmal der gezielte Einsatz von Weihrauch kam gegen den Gestank an.

Die Ära der stinkreichen Stinker war somit offiziell beendet (mit Ausnahme der königlichen Familie, die weiterhin in der Gruft verbleiben darf).

1939 – Die Bleiglasfenster – aller guten Dinge sind Drei

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhielt die Nieuwe Kerk endlich neue Bleiglasfenster. Nach den beiden Schicksalsschlägen 1536 und 1645 wagte man einen dritten Anlauf. 16 Fenster mit teils biblischen, teils profanen bzw. historischen Motiven wurden in Auftrag gegeben.

Doch kaum war 1936 das letzte Fenster installiert, begann man beim ersten wieder mit dem Ausbau. Angesichts des herannahenden Krieges bevorzugten die Kirchenverantwortlichen die Fenster tief unter der Erde in Sicherheit zu bringen. Im August 1945 wurden sie unbeschadet wieder ans Tageslicht gebracht und eingesetzt.

Bunte Bleiglasfenster in der Neuen Kirche in Delft

1958 – Königlicher Skandal

Foto Königin Wilhelmina der Niederlande 1948
Eine resolute Dame: Königin Wilhelmina, Atelier Merkelbach, 1948

Wilhelm V., letzter Statthalter der Niederlande, wurde am 29. April 1958 vom Dom zu Braunschweig nach Delft in die Familiengruft überführt. Die 78-jährige Prinzessin Wilhelmina, die von 1890 – 1948 Königin der Niederlanden war und dann zugunsten ihrer Tochter Juliana abgedankt hatte, weigerte sich ihrem Verwandten die letzte Ehre zu erweisen.

Mit den Worten „Einem solchen Dummkopf, der aus dem Land geflüchtet ist, laufe ich nicht hinter dem Sarg her“, soll sie ihre Entscheidung begründet haben. 

Der „Dummkopf“, der komplett unter der Fuchtel seiner preußischen Gemahlin Wilhelmine stand, floh 1795 vor den einmarschierenden Franzosen nach England. Er leistete keinen Widerstand, dankte einfach ab, packte seine Sieben-Sachen, sprich 18 Wagenladungen voll mit Silber, Gold, Porzellan und Gemälden und setzte über den Kanal. 1806 starb er während eines Besuches seiner Tochter in Braunschweig.

1996 bis 2001 – Ein 850-Teile-Puzzle und ein streng gehütetes Geheimnis

Das prachtvolle Grabmonument des Vaters der Niederlanden war in die Jahre gekommen. Es bedurfte einer dringenden Renovierung und Reinigung. Schädliche Umwelteinflüsse und Schmutz hatten sich auf dem empfindlichen Marmor abgelagert, so dass beinahe jeglicher Glanz abhanden gekommen war. Allerdings war eine komplette Generalüberholung vor Ort nicht möglich. Das Mausoleum musste deshalb exakt vermessen, fotografiert, katalogisiert und peu à peu in 850 Einzelteile zerlegt werden.

Fünf Jahre dauerte die Instandsetzung. Danach erstrahlte das Prunkgrab wieder an seinem Platz über der Krypta in der Neuen Kirche. Und mit ihm ein Geheimnis!

Die Restaurateure staunten nicht schlecht, als ihnen beim Zerlegen des Mausoleums ein kleines Bleikästchen in die Hände fiel, das im Unterbau der Liegefigur versteckt war. Als der Fund bekannt wurde, entschied das Königshaus, dass das Kästchen weder fotografiert noch geöffnet werden durfte. Unversehrt und versiegelt wurde es in das Grabdenkmal zurückgelegt.

Historiker vermuten, dass sich im Bleikästchen das Kämpferherz Wilhelms von Oranien befindet. Lange Zeit war es im Besitz seiner Witwe, Louise de Coligny. Als diese 1620 verstarb, wurde bekanntermaßen noch fleißig am Mausoleum ihres Mannes gearbeitet, so dass das wertvolle Kästchen relativ einfach im Grabmonument untergebracht werden konnte.

Ansicht des Chorraumes mit dem Mausoleum Wilhelm von Oranien in der Neuen Kirche in Delft

Das Mausoleum ist für sich schon ein grandioses künstlerisches Meisterwerk, das einen Besuch der Neuen Kirche allemal lohnt. Mit dem Wissen um das Geheimnis, das es in sich birgt, bekommt das Glanzstück der Renaissance auch noch einen mystischen Touch.


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