Schloss und Residenz der bretonischen Herzoege in Suscinio in der Suedbretagne
Frankreich,  Unterwegs

Château de Suscinio – Presqu’Île de Rhuys


Blauer Himmel soweit das Auge reicht, eine leichte Meeresbrise in der Nase, an- und abschwellendes Wellenrauschen im Ohr und dazu ein Ausflugsziel namens Sorgenfrei klingt nach einem ziemlich perfekten Tagesplan, oder?
Genau das gönne ich mir heute. Für dieses vielversprechende Rundumerlebnis mache ich mich deshalb auf den Weg zur malerisch zwischen dem Atlantik und dem Golf von Morbihan gelegenen Halbinsel Rhuys.

Etwa eine halbe Autostunde von Vannes entfernt, dem ehemaligen Regierungssitz der bretonischen Herzöge und der heutigen Hauptstadt des Départments Morbihan, erstreckt sich die nur sechs Kilometer breite und etwa 25 Kilometer lange Presqu’Île de Rhuys. Während im Norden Austernbänke und Salzgärten auf den Besucher warten, lockt der Süden mit Sandstränden und Schloss Sorgenfrei. 

Château de Suscinio – eine bretonische Herzogen-Residenz ohne Kummer und Sorgen

Na gut, möglicherweise ist die Namensinterpretation des Château de Suscinio (Souci = Sorgen und n(i)o = keine) historisch nicht korrekt. Aber beschaulich klingt es allemal, warum also an der paradiesischen Idee rütteln? Und so habe ich mich durch den verlockenden Schlossnamen irgendwann zwischen dem ersten, zweiten oder gar dritten Frühstückskaffee ganz entgegen meiner üblichen Planungsmanie für einen spontanen Besuch der chilligen bretonischen Herzogen-Residenz entschieden.

Blick von der Burg Suscinio auf den Atlantik

Spontanität in Ehren, doch entsprechend schlecht bin ich folglich auf die Schlossbesichtigung vorbereitet. Da kommt die gut sortierte Boutique an der Zugangsstraße gerade richtig. Schnell habe ich einen kompakten Reiseführer erstanden, mit dem ich es mir auf einer der Steinbänke vor der beeindruckenden Schlosssilhouette bequem mache. Im Schatten des historischen Ambiente liest sich die Geschichte derer, die dem Château de Suscinio über die Jahrhunderte ihren architektonischen Stempel aufdrückten oder zu ihrem Niedergang beitrugen, gleich viel spannender.

In Nullkommanichts erfahre ich, dass das malerische Ensemble ursprünglich als Jagdschloss konzipiert wurde, dann zum Zweitwohnsitz der Herzöge der Bretagne reifte, um anschließend stattlichen Schlosscharakter zu entwickeln. Nebenbei vereinigte es noch Elemente eines Festungsbaus auf sich, bevor es dem Verfall preisgegeben wurde. Dabei waren die entsprechenden An-, Aus- und Umbauten mitnichten nur dem sich wandelnden Zeitgeschmack, dem Wunsch nach mehr Komfort oder dem persönlichen goût der fürstlichen Bewohner zuzuschreiben. Häufig bestimmten politische und militärische Entwicklungen eine bauliche Anpassung.

Eine Lage wie aus dem Bilderbuch

Zunächst einmal hatten die adligen Besitzer die Lage für ihr Lust- und Jagdschloss vortrefflich gewählt. Im Süden breitete sich direkt vor ihrer Türe das Meer aus, im Norden lockte zusätzlich ein großer See zum Fischen und auf dem restlichen Gelände erstreckten sich ausgedehnte Waldbestände und Salzwiesen. Damit eignete sich das Grundstück nicht nur für „just for fun“-Jagdausflüge, sondern auch als ergiebige, lebende Speisekammer, aus der sich der Monarch nach Belieben bedienen konnte. Es mangelte weder an Frischfleisch noch an Frischfisch. Dazu erntete man in den Salzwiesen noch bis ins 19. Jahrhundert reichlich weißes Gold zum Würzen, Konservieren und Handel treiben.

Blick von der Burg Suscinio auf den Atlantik

Um sicherzustellen, dass sich niemand an des Herzogs Wildbestand vergriff bzw. Hirsche, Rehe und Wildschweine nicht von alleine das Weite suchten, ließ der erste Schlossherr das gesamte Anwesen einschließlich des Waldes mit einer 40 Kilometer langen und 2,5 Meter hohen Mauer umfrieden. Nachdem die Zeiten des Stechen und Jagens im Wald durch die Herzöge passé waren, ging es zugunsten eines exzessiven Schiffsbaus an den Kahlschlag. Bereits im 17. Jahrhundert prägten überwiegend Kahlflächen das Umgebungsbild. Inzwischen haben sich Teile der Waldflächen wieder regeneriert. Daneben dominiert eine ausgedehnte Sumpflandschaft mit einem immensen ökologischen Reichtum an Fauna und Flora die Domäne von Suscinio.

Vom Jagdhaus zum Repräsentationsbau

Die ersten Bauaktivitäten reichen bis in das Jahr 1218 zurück, als ein Jagdhaus auf dem Gelände einer ehemaligen Priorei urkundlich erwähnt wird. Die erste Bauphase fällt damit in die Regentschaft von Pierre de Dreux, dem eingeheirateten Herzog der Bretagne mit dem unschönen Beinamen Mauclerc. Der schlechte Kleriker sollte als Zweitgeborener aus dem Adelsgeschlecht der Kapetinger eine religiöse Laufbahn einschlagen, entschied sich dann aber um, als ein potenzieller Kandidat für die Hand der Herzogin der Bretagne gesucht wurde. Doch das nur nebenbei. Zurück zum Jagdhaus, das noch nichts von einem herzoglichen Vorzeigebau an sich hatte, sondern vermutlich eher einer als Bergfried-ähnlichen „Männerhöhle“ glich.

Jean I. le Roux, Sohn von Pierre de Dreux, nahm in den 1230-er Jahren erste Erweiterungen vor. Man schreibt ihm den teilweise ruinierten Mittelturm auf der Nordseite sowie Reste der Befestigungsmauer im Süden zu. Seine Nachkommen setzten dann mit dem Bau des heute komplett verschwundenen Logis Nord gegen Ende des 13. Jahrhunderts neue Maßstäbe. Der große Wohnbereich bot allerlei Annehmlichkeiten, der Wald versprach Vergnügen und reichlich gedeckte Tafeln, dazu der bezaubernde Meerblick über die Bucht von Laudrezac. Kein Wunder, dass die Herzogenfamilie Suscinio nun zu ihrer bevorzugten Sommerresidenz erwählte. 

oestlicher Wohnfluegel des Chateau de Suscinio in der Suedbretagne

Wir springen knapp einhundert Jahre nach vorne. Der Bretonische Erbfolgekrieg ist bereits Geschichte. Herzog Jean IV. (gem. französischer Zählweise) sorgte mit der Errichtung des mächtigen Torhauses und dem Wohngebäude im Osten für einen weiteren Meilenstein in der Bauhistorie von Suscinio. Das Herrenhaus hatte sich zu einer Burg gemausert.

Nordmauer mit Maschikuli und Ruinenturm von Schloss Suscinio

Den architektonischen Gedanken einer Symbiose aus fürstlicher Residenz und Festung führte Jean V. (wenn wir bei der französischen Zählweise der Herzöge der Bretagne bleiben) mit dem West-Logis und dem sich daran anschließenden Eckturm Tour Neuve fort. Mitte des 15. Jahrhunderts war damit die letzte prägende Bauperiode in Suscinio abgeschlossen.

Residenz königlicher Mätressen und Niedergang

Nach der Angliederung des Herzogtums Bretagne an das Königreich Frankreich im Jahr 1532 kam es nur noch zu kleineren Verschönerungsarbeiten und ergänzenden defensiven Anbauten. Eine Zeit lang stand das Schloss als Geschenk der französischen Monarchen an ihre Mätressen hoch im Kurs. Davon profitierten nacheinander Françoise de Foix, die Gräfin von Châteaubriant und Zeitvertreib von König François I. und die einflussreiche Gespielin des Thronfolgers Diane de Poitiers. Die royalen Besitzer zeigten selbst wenig Interesse an dem abgelegenen Provinzschloss, weshalb sie fortan Gouverneure zu dessen Verwaltung einsetzten. Politische Intrigen zum Ende des 16. Jahrhunderts sorgten für den Verlust der ertragreichen Güter der Domäne. Somit mangelte es in Suscinio sehr bald an den notwendigen finanziellen Mitteln zur Unterhaltung der kostspieligen Burg. Dauerhafte Residenten blieben aus, Dächer und Mauern stürzten ein. Das einstmals prächtige Jagdschloss verkam immer mehr.

Bald präsentierte es sich in einem derart lamentablen Zustand, dass die Kommissare der Französischen Revolution es als Emigrantengut deklarierten und veräußerten. So fiel es 1798 für umgerechnet 5.705 Französische Francs an einen Händler namens Pascal Lange. Ein verhängnisvoller Eigentümerwechsel, denn Lange hatte kein Interesse am Erhalt des Schlosses. Vielmehr nutzte er es als Steinbruch und verkaufte eine Karrenladung Steinblöcke nach der anderen zu je drei Francs.

Dank Prosper Merimée, dem Generalinspektor der französischen Denkmalbehörde, erhielt das Château de Suscinio 1840 die Einstufung als nationales Kulturerbe. Damit war es zwar vor fremdem Zugriff geschützt, doch der natürliche Verfall nahm weiter seinen Lauf.

Zustand der Herzogenresidenz von Suscinio im 20. Jahrhundert
© Ministère de la Culture (France), Médiathèque de l’architecture et du patrimoine, diffusion RMN-GP

Ein Neuanfang

 Erst nach 125 Jahren erbarmte sich das Département de Morbihan der geschichtsträchtigen Anlage und erwarb die Ruine samt der umliegenden Domäne. Umgehend begannen die Konsolidierungs- und Restaurierungsarbeiten, die sich bis in die 1990-er Jahre hinzogen. Danach hatte Suscinio sein Aussehen aus dem 15. Jahrhundert zurückerhalten. Doch noch immer arbeitet jedes Jahr während der Sommermonate ein Archäologenteam an der Nordseite des Schlosses daran, dem Boden neben Keramikstücken, Glasscherben, Münzen, Schmuck oder Essensresten weitere Geheimnisse seiner Bau- und Wohnherrn zu lüften.

Rundgang durch das Château de Suscinio

So, genug der Lektüre.  Jetzt will ich doch mal live sehen, was dieser Herzogen-Zweitwohnsitz mit seiner illustren Geschichte so alles zu bieten hat.

Jean I Le Roux führt Euch mit einem Klick im Text wieder zur Übersicht zurück.

1. Torhaus
2. Ostflügel
3. Grand Logis im Norden
4. Tour Neuve
5. Westliches Wohngebäude
6. Jagdlager
7. Taubenturm
8. Südflügel

Torhaus

Das stattliche Torhaus im Osten der Schlossanlage entstand zusammen mit den Wohntrakten und Flankierungstürmen Ende des 14. Jahrhunderts unter Federführung des Herzogs Johann IV. dem Tapferen. Durch ein ausgeklügeltes Defensivsystem aus Zugbrücke, Fallgatter und Maschikulikranz sicherte es den Zutritt ungebetener Gäste. In Verlängerung der steinernen Bogenbrücke überspannte einst eine Zugbrücke den vier Meter tiefen Wassergraben mit direkter Verbindung zum Meer. Über eine Schleuse ließ sich der Wasserstand bedarfsgerecht regulieren.

Von der Existenz des Fallgitters zeugen nur noch die beiden markanten Laufrinnen für die Ketten, wobei auffällt, dass es nur einen einzigen Zugang für Ross, Reiter, Karren und Fußvolk gab. Andere Burgen wie das Château de la Hunaudaye oder die Stadtmauer von Vannes leisteten sich für gewöhnlich einen separaten Durchgang für die Fußgänger, damit nicht jedes Mal das schwere Fallgitter in Gang gesetzt werden musste. Vielleicht vertraute man in Suscinio auch einfach der abgeschiedenen Lage am südlichen Zipfel der Halbinsel und brachte das Fallgatter eher selten zum Einsatz.

Flachrelief mit Wappen, Jagdszene und Reiter am Torhaus des Jagdschlosses der bretonischen Herzoege

Zwischen den Laufrinnen prangt unübersehbar ein stark verwittertes Flachrelief mit den vermeintlichen Familienwappen des bretonischen Herrscherpaars Jean IV. und Johanna von Navarra. Unter den beiden Wappenschildern präsentiert sich Johann IV. in einer Selbstinszenierung als Reiter auf erfolgreicher Jagd in seinen Wäldern. Ein deutlicher Hinweis, dass das Château de Suscinio in erster Linie dem herzoglichen Vergnügen diente und sein Schlossherr einen ausgezeichneten Ruf als Meister der Hetzjagd besaß.

Ostflügel

Sprossenfenster mit Sitzbaenken im Schloss Suscinio

Nach Durchqueren des Torhauses tritt man in die spätmittelalterliche Wohnwelt der bretonischen Herzöge ein. Über vier Stockwerke erstreckt sich die herrschaftliche Machtdemonstration. Kein Vergleich zu dem rein funktionellen Bergfried, der noch einhundert Jahre zuvor das Non-plus-Ultra der Burgenarchitektur repräsentierte. In Suscinio mangelte es nicht an Komfort. Kamine, große Sprossenfenster, Sitznischen mit Ausblick und Latrinen gehörten zum Luxusambiente. Sogar ein Dampfraum stand dem Herzog zur Entspannung nach einem anstrengenden Jagdtag zur Verfügung.

Das Erdgeschoss des Ostflügels war den Wachen und dem Konnetabel vorbehalten, der als hochrangiger Offizier die Ämter des Stallmeisters, Befehlshabers und Hofverwalters auf sich vereinigte. Ein Stockwerk darüber konnte es schon mal richtig turbulent zugehen. Hier wurden Mahlzeiten serviert, die Vorratskammern im Auge behalten, der Speisesaal zum Bankettsaal aufgepimpt, Audienzen gehalten oder Recht gesprochen.

Die zweite Etage gehörte dem Schlossherrn. Neben den Privaträumen des Herzogs, wozu auch das eingangs erwähnte Dampf- und ein Umkleidezimmer gehörten, befand sich im südlichen Trakt ein großer Empfangsraum. Allerdings kamen ausschließlich hochrangige Gäste in das Privileg einer Einladung in das zweite Geschoss.

Exklusiv war auch die Privatkapelle der Adelsfamilie. Die Chapelle Saint-Nicolas, in der mindestens einmal täglich die Messe gelesen wurde, hatte den Vorteil, dass die hochgestellten Damen und Herren für ihr tägliches Gebet und ihre Buße keinen Fuß mehr vor die Tür setzen mussten. Engste Vertraute oder hochrangige Bedienstete des Herrscherpaares durften ebenfalls dem Gottesdienst beiwohnen. Allerdings stand dem Herzogenpaar nicht der Sinn nach Betgesellschaft, sodass sie sich während der Andacht diskret hinter ein Hagioskop zurückzogen.

Für die Dame des Hauses hieß es anschließend noch mal Treppen steigen bis zu ihrem Reich im dritten Obergeschoss. Dafür nutzte sie mit Sicherheit den für die Herrschaft reservierten Aufgang. Im Ganzen gab es im östlichen Palas nämlich drei Treppenhäuser und jedes war für eine andere Personengruppe bzw. einem bestimmten Zweck zugedacht. 

Schlossmodelle und archäologische Kostbarkeiten

Heute schenken die Räume des Ostflügels dem Besucher umfangreiche Einblicke in die Geschichte des Château und seiner Bewohner.

Zur Einführung zeigen drei ausgestellte Schlossmodelle die prägnanten Phasen der Baugeschichte. In einem weiteren riesigen Saal, einem umgedrehten Schiffsrumpf nicht unähnlich, verblüfft ein mittelalterliches Meisterwerk der Mosaikkunst. Die wunderschönen Fliesenteppiche zierten vor 800 Jahren den Boden der außerhalb der Burgmauern gelegenen St. Nicolas Kapelle.

Das kleine Gotteshaus, von dem bis auf die 30.000 ausgegrabenen Bodenkacheln kein Baubestand erhalten blieb, stammte aus der ersten Bauetappe im 13. Jahrhundert. Mangels schriftlicher Zeugnisse spekulieren die Historiker, dass die Kapelle bereits 200 Jahre später dem Bau der vorgelagerten Bastionen im Süden der Anlage und der damit verbundenen Verlegung des Wassergrabens zum Opfer fiel. Anschließend wurde das Terrain zum Gemüseanbau für die Schlossküche genutzt. Erst 1973 kamen die wertvollen und in ihrer Formen- und Farbvielfalt außergewöhnlichen Mosaike wieder ans Tageslicht.

Reliquienbueste

Ein weiterer Ausstellungsraum widmet sich den unterschiedlichsten Zeugnissen mittelalterlicher Handwerkskunst. Siegel, Schlüssel und Münzen aus dem 12. und 13. Jahrhundert fanden sich ebenso bei den archäologischen Ausgrabungen in Suscinio wie Würfel aus Tierknochen oder Mühlesteine aus Kiesel. Brett-, Würfel- und Strategiespiele gehörten wie Jagdgesellschaften damals zum beliebten Zeitvertreib des Adels. Mitunter konnte es dabei für ein Quäntchen Extraglück hilfreich sein, sich das Knöchelchen aus der zum Schlossinventar zählenden Reliquienbüste auszuleihen und in einem seidenen Stoffsäckchen am Körper zu tragen. Dieses Privileg blieb allerdings dem Herzog vorbehalten.

Das Leben am Hof

Jean de Montfort, Herzog der Bretagne
Jean de Montfort und Jeanne de Flandre

Nebenbei illustrieren und beschreiben mehrere Schautafeln das Leben am bretonischen Hof unter der Regentschaft des Herzogs Jean de Montfort. Noch war es nicht üblich, vor allem nicht kurz nach Beendigung des bretonischen Erbfolgekriegs, dass sich der Herzog und sein Gefolge an nur einem Ort aufhielten. Eine rege Reisetätigkeit war angesagt, um im ganzen Land Präsenz zu zeigen, nach dem Rechten zuschauen, schwelende Konflikte zu befrieden oder im Keim zu ersticken. Selbstverständlich begleitete der engste Hofstaat seinen Herrscher, wobei zu diesem inneren Kreis nicht weniger als 80 Personen in 40 verschiedenen Positionen zählten.

Dazu reiste alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Geschirr, Kleider, Mobiliar, der komplette Haushalt wurden in Truhen ver- und an jedem neuen Standort wieder ausgepackt. Weilten der Herzog und seine Herzogin also nicht in Suscinio, standen die Schlossräume mehr oder weniger leer.

Grand Logis im Norden

Von der Nordseite des Schlosses sind nur die Wehrmauer mit dem Zinnen gekröntem Wehrgang, der Sperber-Turm im Osten als auch eine mittige Turmruine erhalten. Ende des 13. Jahrhunderts ergab sich an dieser Stelle ein ganz anderes Bild. Das Grand Logis, ein Palas-ähnlicher Bau, vereinigte gleich mehrere Funktionalitäten unter einem Dach. Im oberen Stockwerk wohnte der Herzog, gab Empfänge oder ging dringenden Amtsgeschäften nach, während im Erdgeschoss eine riesige Küche und ein ausgedehnter Weinkeller das leibliche Wohl der Hausherren, Gäste, Bediensteten sowie Wachmannschaften sicherstellten.

Nordmauer und Neuer Turm von Schloss Suscinio auf der Halbinsel Rhuys

Anfang des 16. Jahrhunderts kam das Aus für das Grand Logis. Die genaueren Umstände hierzu liegen im Dunkeln. Einzig der Fund einer Kanonenkugel auf der 800 Quadratmeter großen archäologischen Ausgrabungsstätte deutet auf eine Fremdeinwirkung als Ursache für die Zerstörung des Gebäudes hin.

Tour Neuve

Dachkonstruktion Tour Neuve im Schloss von Suscinio

Mit Abstand ist der außen runde und innen sechseckige Bau mit den fünf Meter dicken Mauern der imposanteste Turm von Suscinio. Während in den oberen Geschossen die großen Fenster einen fantastischen Ausblick boten, wartete im Erdgeschoss die Artillerie auf ihren Einsatz. Der Bau der Kasematten im 15. Jahrhundert war die Reaktion auf den sich durchsetzenden Einsatz schwerer Geschütze bei der Kriegsführung. Die Maueröffnungen eigneten sich zwar für die Installationen kleinerer Kanonen, doch ungeschickterweise konnte man aus den Schusslöchern nur geradeaus feuern. Stellte sich der Feind also nicht mittig vor die Kanone, konnte ihm der Beschuss nichts anhaben.

Trotz Bastionen, Kasematten, Schießscharten und Wehrgängen darf man nicht vergessen, dass Suscinio ursprünglich als reines Lust- und Jagdschloss für den Herzog der Bretagne gedacht war. Die später zugefügten Defensivbauten waren weit davon entfernt, einer längeren Belagerung oder heftigem Artilleriebeschuss standzuhalten. Vielleicht kam es auch deshalb nie zu ernsthaften Kampfhandlungen in oder um Suscinio.

Westliches Wohngebäude und das Logis Merveilleux

Vier Stockwerke, eine luxuriöse Ausstattung mit Kaminen und hellen, lichtdurchfluteten Räumen sorgten für ein dem 15. Jahrhundert entsprechenden herzoglichen Wohlfühl-Wohngefühl. In südlicher Verlängerung des letzten großen baulichen Eingriffes in Suscinio hat sich das sogenannte Vieux Logis erhalten. Die romanischen Fensterbögen lassen auf eine Datierung zu Beginn des 13. Jahrhunderts schließen. Möglicherweise handelt es sich um das von Pierre de Dreux und Jean de Roux genutzte Jagdhaus. Die Untersuchungen hierzu stehen allerdings noch auf wackligen Beinen.

Unterhaltsame Inszenierung bretonischer Legenden

Heutzutage laden der Neue Turm und die Räumlichkeiten des Westflügels unter dem geheimnisvoll-vielversprechenden Namen Le Logis Merveilleux (der wunderbar fabelhafte Palas) zu einer multimedialen Inszenierung der klassischen bretonischen Legenden ein.

Der sagenumwobene Zauberer Merlin entführt dabei in einer spektakulären Tonbildschau an den mythischen Hof von Camelot. Zusammen mit den ruhmreichen Rittern der Tafelrunde durchleben wir gefährliche Schlachten, heldenhafte Taten oder machen uns auf die virtuelle Suche nach dem Heiligen Gral im Wald von Brocéliande. Aber aufgepasst, im bretonischen Zauberwald geschehen mysteriöse Dinge. Böse Kreaturen lauern im Dickicht, weiße Hirsche führen in die Anderswelt und die Fee Morgane versteinert ihre untreuen Liebhaber am Ende des Waldes im Tal ohne Wiederkehr. An der wundersamen Quelle von Barenton verliebt sich Merlin in Viviane, die Herrin vom See, die zunächst mit der Erziehung von Lancelot beschäftigt ist, bevor sie Merlin auf alle Ewigkeit in einer Weißdornhecke einmauert, um ihn ganz für sich allein zu haben.

Und natürlich darf im Reigen der bretonischen Sagen die legendäre Stadt Ys vor der Westküste der bretonischen Halbinsel nicht fehlen, die in einem berauschenden Licht-Ton Spektakel in den gigantischen Fluten des Meeres versinkt. Nach diesem bewegenden Drama mit nur halbherzigem Happy End zieht es mich nach draußen ins Tageslicht und das wirkliche Leben zurück.

Spätmittelalterliches Jagdlager

Direkt neben dem nicht eindeutig zuzuordnendem Gebäude, das sich in der südwestlichen Ecke des Schlosses erhalten hat, führt ein Übergang über den Wassergraben zu einem Jagdlager, wie es für das ausgehende Mittelalter typisch war.

Die Jagd besaß in Adelskreisen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Sie diente weniger der Nahrungsbeschaffung als vielmehr der Demonstration von Furchtlosigkeit, Macht und Wohlstand. Zudem blieben die hohen Herrschaften im Training für den Krieg, denn auch bei dieser Freizeitbeschäftigung ging es ums Reiten, Kämpfen und Töten. Das in diesem Zusammenhang oft gebrauchte Wort Jagdvergnügen ist dabei selbst erklärend.

Befand sich das Jagdvergnügen weiter als einen Tagesritt vom Schloss entfernt oder zog sich über mehrere Tage hin, wurde ein Zeltlager errichtet, in dem für adäquaten Komfort gesorgt war. Jagden wurden zu jeder Jahreszeit veranstaltet, wobei die Hetzjagd am beliebtesten war. Im Winter ging es den Wildschweinen mit dem Sauspieß an den Kragen, während im Sommer Rot- und Damwild mit der Armbrust oder Pfeil und Bogen erlegt wurden. Füchse, Hasen und Federwild nahm man als gern gesehene Abwechslung auf der Speisetafel sowie als Felllieferant selbstverständlich en passant mit.

Taubenturm

Auf der großen Wiesenfläche südlich des Schlosses hat sich ein frei stehender Taubenturm aus dem 15. Jahrhundert erhalten. 700 Taubennester fanden im Innern des runden Steinbaus Platz und Schutz vor Füchsen und Mardern. In der Bretagne war die Größe der Pigeonniers strikt geregelt. Zwei Nistlöcher wurden dem Taubenhalter je Hektar Grundstücksfläche zugestanden. Insofern korrespondierten die 700 Löcher exakt mit der für die Domaine von Suscinio überlieferten Gemarkung von 350 Hektar.

Taubenhaus beim Schloss Suscinio auf der Halbinsel Rhuys in der Suedbretagne

Die Taubenzucht war über Jahrhunderte ein Privileg des Adels und der Bau von Taubenhäusern setzte sogar die Zustimmung des Königs voraus. Für die hochherrschaftlichen Haushalte gehörten die graugefiederten Vögel zum festen Bestandteil des Speiseplans. Ob gebraten oder als Suppeneinlage, der Bedarf war enorm. Am französischen Hof wurden im 17. Jahrhundert 400 Tauben täglich verspeist. Kein Wunder zählte man zu diesem Zeitpunkt 42.000 Taubenhäuser in ganz Frankreich. Erst die Französischen Revolution schaffte das adlige Vorrecht der Taubenzucht per Dekret ab.

Südflügel

Die Außenposition erlaubt einen erhellenden Blick auf die heterogene Südmauer. Das unterschiedliche Baumaterial deutet auf drei Entstehungsphasen sowie die beiden Mauervorsprünge an den äußersten Enden auf die ehemalige Existenz von zwei Wehrtürmen hin. Weitergehende Informationen sind leider über diesen Gebäudeteil nicht überliefert.

Ein Spontanausflug mit hohem Erlebnispotential

Zweieinhalb Stunden habe ich inzwischen im Château de Suscinio verbummelt und ich fühle mich schon beinahe als Schlossherrin. Das Jahrhunderte alte Gemäuer, die lehrreichen Einblicke in das mittelalterliche Leben am bretonischen Fürstenhof, die unvergleichlich schönen Bodenmosaike, das Multimedia-Erlebnis mit Merlin, den Rittern der Tafelrunde sowie dem untröstlichen König Gradlon und seiner versunkenen Stadt Ys haben meinen spontanen Ausflug auf die Halbinsel Rhuys zu einem unvergessenen Erlebnis gemacht.

Doch der Tag ist noch nicht zu Ende und weitere Abenteuer warten auf das frisch gebackene Burgfräulein (mich). Da die Domäne zu ausgedehnten Spaziergängen einlädt (siehe meine Tipps zu In der Nähe) und es zum Meer nur knappe 500 Meter sind, weiß ich bereits, wo mich meine Schritte als nächstes hinführen. Danach heißt es zurück in den Museumsshop, denn das bretonische Legendenfieber hat ein neues Opfer (ebenfalls mich) gefunden.
Zum Glück gibt es in meinem Reisekoffer noch ein wenig Platz für spannenden Lesestoff. Notfalls lässt sich ja noch der Rücksitz runterklappen, falls der Kofferraum wegen der neu erstandenen Bücher und bretonischen Erinnerungsstücke überquellen sollte. Vielleicht sollte ich sicherheitshalber mal die zulässige Nutzlast prüfen, bevor ich mich auf den langen Heimweg quer durch Frankreich mache?


Gut zu wissen

Adresse

Domaine de Suscinio
Route du Duc Jean V
F-56370 Sarzeau, Presqu’île de Rhuys

Vom ausgeschilderten Parkplatz bis zum Schloss führt ein etwa 200 Meter langer Fußweg. Der Ticketshop einschließlich gut sortierter Schlossboutique befindet sich in einem Steingebäude in der Nähe des Parkplatzes. 

Öffnungszeiten und Eintritt

Angaben zu Öffnungszeiten und Eintrittspreisen finden sich hier.
Der Eintrittspreis für einen Erwachsenen beträgt stolze 10,50 € (Stand 04/2021), ist jedoch angesichts der gepflegten Anlage, der sorgfältig gestalteten Ausstellungsräume und der aufwändigen Diaporamen vertretbar.
Alle Erklärungstafeln im Schloss sind dreisprachig (französisch, bretonisch und englisch) und zusätzlich kann man sich kostenlos einen Online-Audioguide auf das Handy herunterladen.

In der Nähe

Von Schlossnähe aus lässt sich die Umgebung anhand fünf verschiedener Themen-Rundwegen erkunden. Die Spaziergänge von einem halben bis zu drei Kilometern Länge eignen sich für Vogel-, Natur-, Landschafts-, Wiesen- oder Romantik-Liebhaber und führen teilweise bis zum Sandstrand von Suscinio.

Anregungen für Erkundungslustige

Vannes – mittelalterliches Flair am Golf von Morbihan
Tour du Connétable und Les Jardins des Remparts in Vannes

Die historische Altstadt von Vannes ist zusammen mit seinen mittelalterlichen Befestigungsanlagen ein pittoresker und perfekter Ort für einen ausgedehnten Stadtbummel direkt am Golf von Morbihan.

Credits:
Grundriss: © Karine Vincent; Computergraphiken: © Y. Bernard, CNPAO

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert