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Über Siebenbürgen – Band 1

Beim kürzlichen Stöbern auf der Website des Erasmus Büchercafé stieß ich mit Band 9 Kirchenburgen im Schäßburger Land nicht nur auf eine schon mit Spannung erwartete Neuerscheinung der Buchreihe Über Siebenbürgen, sondern mit Band 1 auch auf eine völlig überraschende Neuauflage. 

Kirchenburgen im Harbachtal war das erste Buch, das letztes Jahr aus emotionaler Verbundenheit zu den steinernen Zeitzeugen der siebenbürgisch-sächsischen Vergangenheit einerseits und den eindrücklichen fotografischen Momentaufnahmen andererseits, Eingang in meine virtuelle Leselaune-Bibliothek fand. Nun hat die 2015 erschienene Erstauflage mit Texten und Bildern von Anselm Roth sowie den Drohnen-Fotografien von Ovidiu Sopa eine inhaltliche Auffrischungskur erfahren.

Ob und welchen zusätzlichen Lese- und Bildgenuss das um 30 Seiten erweiterte Werk jetzt bietet, möchte ich Euch nicht vorenthalten. Deshalb findet Ihr nachfolgend in meiner ursprünglichen Buchrezension die Informationen und Anmerkungen zur 2021-er Neuauflage farblich hervorgehoben

Die Kirchenburgen im Harbachtal


Im ersten Bildband der Buchreihe Über Siebenbürgen entführt uns das Autoren-Fotografen-Duo Anselm Roth und Ovidiu Sopa in die Kirchenburgenlandschaft des Harbachtals. Die Reise startet kurz hinter Hermannstadt in Thalheim am südwestlichen Rand des Valea Hârtibaciului. Anschließend folgt sie dem Lauf des bescheiden dahinplätschernden Harbachs bis nach Trappold am nordwestlichen Zipfel.

Der durch und durch von Feldern, Flussauen und Wiesen geprägte Landstrich war bereits in der Jungsteinzeit und später von den Römern bevölkert. Doch erst die teutonischen Siedler drückten dem Tal mit ihrer Ankunft gegen Ende des 12. Jahrhunderts ihren heute noch unverkennbaren Stempel auf.

Unterwegs auf der etwa 75 Kilometer langen Strecke kämpfen beachtliche 16 Kirchenburgen um ein wenig Aufmerksamkeit. Dabei haben sie es nicht einfach, denn das Harbachtal gehört zweifelsohne zu den infrastrukturellen, wirtschaftlichen und touristischen Schlusslichtern der Region. Das war nicht immer so. Doch spätestens seit die Wusch 2001 ihren Dienst einstellte, übernahm Dornröschen wieder das Zepter im abgeschiedenen Landesteil. Die 1898 in Betrieb gesetzte Schmalspurbahn stellte einst die pulsierende Lebensader zwischen den Dörfern im Harbachtal und den beiden größeren Städten Hermannstadt (Sibiu) und Schäßburg (Sighişoara) dar. Sie transportierte nicht nur wichtige Güter zwischen den verstreut liegenden Ortschaften, sondern sorgte auch für den gesellschaftlichen Anschluss der Dorfbevölkerung. Allerdings erwiesen sich sowohl die Pflege der Gleisanlagen aus der K.u.K.-Zeit als auch die Instandhaltung der passenden Lokomotiven als unrentabel. Demzufolge kam 2001 das Aus für die Wusch. Die Dörfer des Harbachtals blieben wieder unter sich.

Einmal quer durchs Harbachtal

Die Kirchenburgen im Harbachtal liegen also nicht einfach en passant an einer der Hauptverkehrsadern Siebenbürgens, sondern gut eingebettet im Hinterland. Dementsprechend muss man viel Zeit zur Erkundung mitbringen. Aber gut Ding will ja bekanntlich Weile haben. Und der guten Dinge, sprich Kirchenburgen, gibt es zwischen den 100 großformatigen Buchseiten reichlich zu entdecken. 

Die Kirchenburgen im Harbachtal

Agnetheln – Agnita
Alzen-  Alţina
Burgberg – Vurpar
Henndorf – Brădeni
Holzmengen – Hosman
Jakobsdorf-  Jacobeni
Leschkirch – Nocrich
Marpod – Marpod
Neithausen – Netuş
Neudorf – Nou
Neustadt – Noiştat
Probstdorf – Stejăriş
Roseln – Ruja
Rothberg – Roşia
Thalheim – Daia
Trappold – Apold

Im Buch unterwegs


Nach einem kurzen Intro des Autors mit Gedanken zum Fortbestand des sächsischen Erbes, beginnt der Bildband mit einem Paukenschlag. Schon die ersten Luftfotografien der Kirchenburg von Thalheim entlocken mir ein „da muss ich unbedingt hin“. Inmitten einer sattgrünen Landschaft erhebt sich eine ummauerte, unbeugsame Demonstration ehemaliger menschlicher Existenz. Eine Kirche wie ihre sächsischen Erbauer. Robust und zweckdienlich. Dazu die tristen, im Kirchhof aufgereihten Gräber als zurückgelassene Mahnmale der Erinnerung. Wohlweislich gedeckelt, denn die Erinnerung ist zwischenzeitlich in eine tausend Kilometer weite Ferne abgewandert.

Einmal umgeblättert, folgt der nächste Blickfang. Dieselbe Kirche aus bodennaher, leicht verzerrter Perspektive vor einem grauen, darüber hinwegfegenden Himmel. Eine Aufnahme wie ein Gemälde, welches in ähnlicher Form bereits 1890 an einem 2000 Kilometer entfernten Ort gemalt wurde: die Kirche von Auvers von Vincent van Gogh.

Die Kleinode des Harbachtals

Besondere Lust auf einen zukünftigen Besuch machen auch die Fotografien und Kurztexte der Kirchenburgen von Agnetheln, Roseln und Probstdorf. Eine wuchtiger als die andere. Dagegen lässt die Beschreibung der ungewöhnlichen Details im Innern der Wehrkirche in Neithausen (Netuş) den Leser mangels erhellender Abbildungen neugierig zurück.

Hierfür schaffen die in der zweiten Auflage veröffentlichten Innenaufnahmen Abhilfe. Doch während ich in Neithausen auf der einen Hälfte der Doppelseite noch über den extravaganten Altar mit integrierter Kanzel staune, entlarvt die gegenüberliegende Seite den Blick auf eine zahnlückige Orgel. Leider kein Einzelfall. Auch die Orgelpfeifen in Thalheim blieben von dem unsäglichen Vandalismus bzw. dem skrupellosen Entwenden fremden Eigentums nicht verschont.

Generell reicht die Bandbreite der Innenausstattungen von gotisch, über barock, neugotisch bis klassizistisch. In Leschkirch könnte sie sogar mit einem Theatersaal konkurrieren. Verwaiste oder vernachlässigte Einrichtungen sind im Harbachtal eher die eher Ausnahme.

Mit zu den schönsten und stimmungsvollsten Aufnahmen im ganzen Buch gehört sicherlich diejenige der Kirchenburg von Holzmengen. Vor der Kulisse der schneebedeckten Karpaten liegt eine friedvolle Stille über dem Dorf. Der Glockenturm und sein standhafter Vorposten werden von der untergehenden Sonne in ein letztes warmes Licht getaucht, bevor sich die klirrende Kälte der Nacht langsam über die Hausdächer senkt. 

Die vorletzte Station der Buchreise durch das Harbachtal wartet noch einmal mit einem Sahnehäubchen auf. Ihr Manko, dass sie zeitlebens keinen Glockenturm besaß, macht die Henndorfer Kirchenburg mit einem in ganz Europa einmaligen Kunst- und Kulturschatz mehr als wett. Unter ihrem befestigten Kirchendach legen etwa 100 bemalte, mittelalterliche Stollentruhen ein erstaunliches Zeugnis siebenbürgisch-sächsischer Handwerkskunst ab.

In Leselaune’s Schlussansichten


Mit der Auswahl des eher unbekannten Harbachtals als Einstiegsband in die Reihe Über Siebenbürgen bewiesen Autor, Verleger und Fotograf durchaus Mut. Es zeigt, dass die Männer hinter dem Buch von ihrem Projekt, der fotografischen Bestandsaufnahme aller noch „überlebenden“ siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen, überzeugt waren. Und das völlig zurecht.

Die Textbeiträge zu den einzelnen Kirchenburgen vermitteln einen ausreichenden ersten Überblick über die Wurzeln und Geschichte jeder Ortschaft. Dazu gibt es, in wenige Worte gefasst, interessante Details zur Architektur und Ausstattung der Kirchenburg.

Auch an dieser Stelle glänzt die Neuauflage mit ausführlicheren Beschreibungen und bisher verschwiegenen Details zur Bauplastik. Dadurch erfährt der Leser beispielsweise von den ungewöhnlichen Relieffiguren im Tympanon des Nordportals von Burgberg oder dem auffälligen Konsolenschmuck der Chorapsis in Neudorf. Fakten, die den ein oder anderen Kunstbegeisterten durchaus zu einem Besuch der beiden Kirchenburgen animieren könnten.

Gleichfalls finden in der 2. verbesserten und ergänzten Auflage, wie der Verlag sie selbst betitelt, aktuelle Ereignisse, kulturelle Veranstaltungen oder soziales Engagement Berücksichtigung. Der Einsturz des Gewölbes des Hauptschiffes in Alzen wird ebenso thematisiert wie das Wiederaufleben der über 300 Jahre alten Tradition des Urzellaufs in Agnetheln oder die Einrichtung eines handwerklich-pädagogischen Zentrums in Leschkirch.

Die 2. Auflage überzeugt

Die Bildperspektiven der Drohnenfotografien sind sorgfältig und abwechslungsreich gewählt. So erhält der Leser neben den Hochglanz-Drauf- und Seitenansichten jeder Kirchenburg zusätzlich einen aufschlussreichen Blick auf die heutige Dorfstruktur. Fotografisch bleiben also nicht viele Wünsche offen, zumal der Verlag die kritische Selbstreflexion nicht scheute, indem er weniger gelungene Aufnahmen durch aktuelle ersetzte.

Für eine absolute Bereicherung sorgen die großformatigen Einblicke in die Kircheninnenräume. Sie legen ein vielfältiges Zeugnis davon ab, dass selbst kleinste Dorfgemeinschaften wie Marpod oder Roseln keine Kosten und Mühen scheuten, ihr Gotteshaus zu einem prächtigen Vorzeige-Kunstwerk zu gestalten.

Einzig einige erhellende Bildhinweise hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle gewünscht, zumal die Buchreihe einen dokumentarischen Anspruch erhebt. Dann wäre sicherlich meine Frage überflüssig, warum der übermächtige Wehrturm von Jakobsdorf die hölzerne Natürlichkeit seines Wehrgeschosses von einer Seite auf die andere gegen eine unnatürlich grüne Verschalung eingetauscht hat.

Dagegen erfüllt sich mit der 2. Auflage mein Wunsch nach einer Übersichtskarte, anhand derer sich die von Südwesten nach Nordosten schlängelnde Route nun bestens nachvollziehen lässt. Eine weitere Neuerung gegenüber der Vorgänger-Ausgabe ist die Angabe der Kontaktdaten für einen geplanten Kirchenburgen-Besuch. Dies erleichtert die zeitraubende Suche nach dem berühmten Kirchenschlüssel ungemein. Bleibt nur zu hoffen, dass die Schlüsselbesitzer nicht zu oft wechseln.

Konnte schon die Erstveröffentlichung von Kirchenburgen im Harbachtal als gelungener Auftakt betrachtet werden, so überzeugt die überarbeitete Ausgabe inhaltlich als auch fotografisch auf ganzer Linie. Ab sofort gehört für mich deshalb Band 1 zu den absoluten Highlights der Über Siebenbürgen-Reihe. Selbst wenn man schon im Besitz der Erstveröffentlichung sein sollte, entlohnt die zusätzliche Anschaffung mit reichlich neuen Bildimpressionen und Erkenntnissen.


Buchcover Ueber Siebenbuergen Band 1

Über Siebenbürgen – Band 1
Kirchenburgen im Harbachtal

Kategorie: Bildband
Reihe: Über Siebenbürgen
Autor(en):
Anselm Roth (Fotografien und Text)
Ovidiu Sopa (Luftfotografien)
Verlag: Schiller Verlag Bonn
Erscheinungsjahr: 2021; 2. Auflage
Ausgabe: Hardcover
Umfang: 100 Seiten
ISBN: 978-3-944529-66-0
Preis: 24,00 €

Das Buchcover und alle Abbildungen sind Eigentum des Verlags, Fotografen bzw. sonstigen Rechteinhabers. Die Buchvorstellung ist unbezahlt und unbeauftragt. Das Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ein herzliches Dankeschön hierfür. Meine Schlussansichten wurden davon nicht beeinflusst.

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