Bueste Graf von Cagliostro
Blick in die Stadtgeschichte,  Straßburger Spaziergänge

Auf den Spuren des Grafen von Cagliostro


Herzöge, Prinzen, Könige, ja sogar Kaiser gaben sich seit dem Mittelalter regelmäßig ein Stelldichein in der elsässischen Metropole. Nur wenige von ihnen wurden herbeigesehnt oder gar mit spontanen Freudenkundgebungen willkommen geheißen. Ganz anders erging es dem Mann, der im September 1780 überraschend nach Straßburg kam, mit offenen Armen empfangen wurde und so ganze drei Jahre blieb.

Die Rede ist von Guiseppe Balsamo, alias Alessandro Graf de Cagliostro. Ein ambivalenter Ruf eilte dem aus Palermo stammenden Abenteurer voraus: Wunderheiler, Scharlatan, Wahrsager, Zuhälter, Schwindler, Alchemist, Freimaurer. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Doch das störte die Straßburger keineswegs. Weder seine ärmliche Herkunft noch sein falscher Name und Titel schreckte sie ab. Dass er seine vorherigen Wirkungsstätten in London, Warschau, Kurland oder den Zarenhof in Sankt Petersburg überstürzt verlassen musste, kümmerte sie ebenfalls nicht. Stattdessen erlagen sie seiner charismatischen Aura und dem verführerischen Reiz des Verwegenen, Irrationalen, Mysteriösen.

Der Cagliostro-Hype zog sich durch alle Gesellschaftsschichten vom Bettler bis zum Kardinal Louis René de Rohan-Guéméné. Eine Bekanntschaft, die beiden nach Einfluss und Anerkennung gierenden Männern im größten Betrugsskandal am französischen Königshof ihre illustren Karrieren kostete. Doch das ist eine andere Geschichte. Heute begebe ich mich auf Spurensuche nach Cagliostros Aufenthalt im Schatten des Münsters.

In den Fußstapfen von Casanova und Goethe

Bei ihrer Ankunft in der elsässischen Metropole quartierten sich Cagliostro und seine Frau Lorenza Feliciani, genannt Serafina, in der Auberge de l’Esprit ein. Der Gasthof am Quai Saint-Thomas galt als erstes Haus am Platz, in dem bereits ein Jahrzehnt zuvor der junge Goethe und Johann Gottfried Herder ihre Freundschaft pflegten. Wenige Jahre nach Cagliostro nächtigte und dinierte der spätere amerikanische Präsident Thomas Jefferson in dem gefragten Etablissement. Eine erhalten gebliebene Kostennote vom April 1788 verrät interessante Details. Zwei Flaschen Rheinwein entsprachen exakt dem Preis von zwei Übernachtungen, Kerzen wurden separat berechnet.

Auch der 12-jährige Franz Liszt machte im Dezember 1823 auf seinem Weg von Wien zum geplanten Studium am Pariser Konservatorium hier Station und nutzte die Gelegenheit, das Straßburger Publikum mit einem öffentlichen Klavierkonzert zu erfreuen. Und noch ein anderer Name geisterte bereits 1756 im Gasthaus zum Geist durch die Annalen. Eine nicht minder polarisierende Persönlichkeit wie Cagliostro mit überraschenden biografischen Parallelen: Giacomo Girolamo Casanova.

Trotz der mit Berühmtheiten gespickten Gästeliste schloss das traditionsreiche Hotel 1834 seine Pforten. Es hatte seine besten Zeiten hinter sich. Ein knappes Jahrhundert später kam sogar das endgültige Aus. Gemeinsam mit 135 weiteren Gebäuden musste das baufällige Hôtel de l’Esprit dem „Großen Straßendurchbruch“ zur besseren Verkehrsanbindung von Straßburgs Süden mit dem Bahnhofsviertel Platz machen. Lediglich das später hinzugekaufte Nebengebäude mit der Hausnummer 6 blieb erhalten.

Intermezzo am „Alten Weinmarkt“

Gravur Alt St. Peterpfarrhaus, Alt St. Peterplatz; Alfred Touchemolin; ca. 1891
Alt St. Peterpfarrhaus und alte Weinmarktstraße; Alfred Touchemolin; ca. 1891

Zurück ins Jahr 1780. Kaum hatten die Cagliostros ihre Koffer ausgepackt, erhielten sie schon die erste Aufwartung. Probst Zaegelin von der Alt-Sankt-Peter Kirche betrachtete sich selbst als erfolgreicher Experimentierer in Sachen pharmazeutische Spezereien. Seine in Eigenregie gefertigten Probstenpillen hatten bereits eine treue Abnehmerschaft im Kreise verdauungsgeplagter Gemeindeglieder. Warum also nicht an eine Erweiterung des Warenangebots denken? Die Ankunft des Wunderheilers in Straßburg erschien dem Domherrn als Geschenk des Himmels. Nicht ohne Hintergedanken stellte er deshalb dem gräflichen Paar das Haus des Domherrenstifts am Alten Weinmarkt zur freien Verfügung.

Schon nach wenigen Wochen zeichnete sich ab, dass die elsässische Metropole ein fruchtbares Pflaster für Alessandro und Serafina sein würde. Es galt folglich unter dem Motto „Gebäude machen Leute“ eine dauerhafte Bleibe zu finden. Eine prestigeträchtige Immobilie in einem der vornehmsten Wohnviertel der Stadt sollte den diversen dubiosen Aktivitäten des Ehepaares einen mondänen Anstrich verleihen.

Die Reibeisengasse und das Laternen-Haus

Strassenschild Riebisegass - Rue de la Rape Strassburg

Die Wahl fiel auf ein imposantes Gebäude in der Riebisegass. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts verdankt die östliche Verlängerung des Place du Château ihren Namen der einst hier ansässigen Familie Ribisen. Der mehrmalige Nationalitätenwechsel Straßburgs verwandelte den Eigennamen alsbald in das Küchenutensil Reibeisen, bevor die Gasse zur Straße und dank einer makellosen Eins-zu-eins-Übersetzung ins Französische zur Rue de la Râpe mutierte.

Im Herbst 1780 zog also ein neuer Mieter in das Mehr-Fenster-als-Gemäuer-Eckhaus mit der Nummer 12. Exakt 65 sind es, lässt man das mit Verkaufsräumen ausgestattete Erd- und das später hinzufügte Dachgeschoss einmal außer Acht. Ich habe mehrmals nachgezählt. Nur um sicherzugehen. Kein Privathaus in Straßburg besitzt mehr gläserne Öffnungen zur Welt hinaus. Die Einheimischen nannten es deshalb Maison de la Lanterne – das Haus zur Laterne.

Das 1747 vom Lederwarenhändler Jacques Louis Willamme in Auftrag gegebene Domizil war ein Vorzeigeobjekt des Wohlstands. Die hohen, lichtdurchfluteten Räumlichkeiten hoben sich markant von den gedrungenen gotischen Nachbarbauten ab. Und während das schnörkelige Rokoko-Portal als architektonische Visitenkarte diente, setzte der 15 Meter lange Balkon an Rue des Écrivains ein Ausrufezeichen hinter Extravaganz und Understatement. Ein idealer Laufsteg zum Sehen und Gesehen werden. Zusätzlich garantierte eine Ecknischen-Madonna zwischen Wolkenbergen aus rosa Vogesen-Sandstein, dass das Glück dem Haus und seinen Einwohnern hold blieb.

Cagliostro als 15.000-facher Wunderheiler

Mit Sicherheit spielte die unmittelbare Nachbarschaft zum Palais Rohan, der Stadtresidenz der Straßburger Fürstbischöfe, für Cagliostro eine entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung für die neue Wohnstätte. Nichts überließ er dem Zufall. Vielmehr hatte er sich inzwischen einen subtilen Plan zurechtgelegt, um aus seinem Aufenthalt in der Stadt am Rhein einen größtmöglichen Profit zu ziehen.

Phase eins sah vor, das Vertrauen der einfachen Leute zu gewinnen. Der Graf gab sich als generöser Wohltäter, der alles und jeden behandelte. Wurde er gerufen, eilte er umgehend ans Krankenbett. Er nahm sich Zeit für seine Patienten, hörte zu und fand neben aufmunternden Worten immer ein paar Münzen in seiner Börse, die er den Bedürftigen für eine stärkende Mahlzeit daließ. War es erforderlich, legte er Hand auf oder verordnete seine Spezialheilmittel. Nie verlangte er dafür eine Gegenleistung, geschweige denn einen Sou. Zudem sah man ihn dreimal wöchentlich in den städtischen Krankenanstalten, wo er gleichfalls seine unentgeltlichen Dienste anbot. 15.000 leidende Straßburger, also jeden dritten Einwohner (!) soll der italienische Wunderheiler laut einer „verlässlichen“ Quelle kuriert haben.

In verbis, herbis, lapidibus lautete sein Credo. Wo Worte allein nichts ausrichteten, griff Cagliostro zu Elixieren aus Kräutern, Pflanzen und Mineralien. Mit Ausnahme seiner Geheimmittelchen ließ der selbsternannte Graf seine Pillen, Öle, Tinkturen, Latwerge, Pülverchen und Pomaden beim Apotheker Hecht in der heutigen Pharmacie de la Vierge in der Rue des Grandes Arcades anfertigen. Eine kluge Wahl, denn die Apothicairerie du Brochet stand für höchste Qualität. Als königlicher Hoflieferant für Lakritzpaste besaß die Hechtenapotheke ein unantastbares Renommée, in dessen Glanz sich fortan Joseph Balsamos Arzneien mitsonnen konnten.

Gelbe Tropfen, Froschbouillon und ertränkter Aal

Dem ausgezeichneten Gedächtnis eines ehemaligen Apothekergesellen verdanken wir die Kenntnis von Cagliostros gängigsten Rezepturen samt Anwendungshinweisen. Jede Mixtur benötigte durchschnittlich ein gutes Dutzend, der Lebensbalsam sogar 40 pflanzliche bzw. mineralische Ingredienzien. In zwei therapeutischen Fällen griff der Wunderheiler sogar auf tierische Hilfe zurück. Er verordnete Froschbouillon bei Brustbeschwerden und den Extrakt eines in Wein ertränkten Aals bei Alkoholabhängigkeit. Na dann Prost! Ein zweifelsohne hochwirksames Gebräu, um jeglichen Genuss an Hochprozentigem zu verderben.

Häufig zum Einsatz kamen Cagliostros „Gelbe Tropfen“, eine unspektakuläre Mischung aus Galgant, Kardamom, Pfeffer, Weihrauch, Gewürznelke, Zimt, Ingwer, Safran sowie Muskatnuss und -blüte. Je nach Dosis – vom Tee- bis zum Esslöffel – kam der Rundumschlag bei Fieber, Harnverhaltung, Menstruationsbeschwerden, hysterischen Anwandlungen oder zur Vorbeugung aller Arten von Ansteckung zum Einsatz. Zog man dagegen 15 Tropfen durch jedes Nasenloch ein, lösten sich hartnäckige Kopfschmerzen im Nu in Luft auf. Wenngleich diese Methode verlockend klingen mag, rate ich von Selbstversuchen dringend ab.

Pharmazeutischer Hokuspokus für Straßburgs Elite

Marmorbueste Giuseppe Balsamo, Comte di Cagliostro; Jean-Antoine Houdon; 1786; National Gallery of Art Washington
Giuseppe Balsamo, Comte di Cagliostro; Jean-Antoine Houdon; 1786; National Gallery of Art Washington

Der Philanthrop entwickelte sich innerhalb weniger Wochen zum Stadtgespräch. „Er war nicht unbedingt gut aussehend, aber eine bemerkenswertere Physiognomie war meiner Beobachtung noch nie geboten worden. Er hatte vor allem einen Blick von fast übernatürlicher Tiefe. Den Ausdruck seiner Augen konnte ich nie einfangen: Sie waren sowohl gefühlvoll als auch eisig; er zog an und stieß ab; er machte Angst und weckte unüberwindliche Neugierde“, vertraute die Baronin von Oberkirch ihren Memoiren an. Das Interesse der elitären Gesellschaftsschichten an Cagliostro  war entfesselt. Damit hatte der barmherzige Samariter sein primäres Etappenziel erreicht.

In der Folgezeit gestaltete es sich für ihn als Kinderspiel, die mit Macht, Ansehen und Vermögen ausgestattete Hautevolée für seine Zwecke einzunehmen. Umso mehr, da hierfür keine komplexen medizinischen Kenntnisse gefragt waren. Die neue Kundschaft dürstete vorrangig nach der Erfüllung von Sehnsüchten. Für die Damenwelt fertigte er daher Schönheitscremes und Verjüngungstropfen an, den Herren versprach er mithilfe seines Lebensbalsams ein ausgedehntes Erdendasein. On top gab es noch ein wenig Blendwerk aus Blattgold. Das kaschierte den bitteren Geschmack der Pillen, während es gleichzeitig einen Hauch von Exklusivität vorgaukelte. Um es auf den Punkt zu bringen. Je exotischer die Wundermittel, desto kostspieliger und damit wirkungsvoller. Ist der Mensch nicht einfach gestrickt?

Kein Wunder, dass sich im Handumdrehen die Kutschen der angesehensten Bürgerfamilien und Adelsgeschlechter in den Gassen vor seinem Haus wie an einer Perlenkette aneinanderreihten. Man sah den Militärgouverneur des Elsass, Louis Maréchal de Contades oder den königlichen Präfekten Gérard ebenso in der Rue de la Râpe ein- und ausgehen wie den Baron von Flachslanden oder den Straßburger Militärkommandanten Marquis de la Salle. Von nun an klingelte es unaufhörlich in den Kassen Cagliostros. Dieses Mal ließ er sich seine Dienste großzügig entlohnen, zumal es unhöflich gewesen wäre, die kostbaren und reichhaltigen Gastgeschenke zurückzuweisen.

Okkulte Aktivitäten und studierte Neider

Magische Séance mit dem Grafe von Cagliostro; Gravure Pierre Méjanel aus Léo Taxil, Les Mystères de la Franc-Maçonnerie Paris, 1886
Gravure Pierre Méjanel aus Léo Taxil, Les Mystères de la Franc-Maçonnerie Paris, 1886

Des Grafen eigentliche Zielklientel, Straßburgs Führungsriege, war reif für den finalen Meilenstein. Zum karitativen Engagement und den medizinischen Kunststücken gesellte sich nun eine okkulte Facette. Seine Séancen als Medium oder Wasserkaraffen-Wahrsager entwickelten sich zu spektakulären gesellschaftlichen Events. Dabei führte er seine blind ergebene Anhängerschaft zunächst mit einfachen Taschenspielertricks hinters Licht und anschließend in die ägyptischen Freimaurer-Riten ein.

Von seinem gesellschaftlichen Aufstieg beflügelt, stellte der Pseudo-Mediziner beim Straßburger Magistrat den Antrag auf Erteilung eines Patents, das ihm sowohl die Zugehörigkeit zum ärztlichen Berufsstands bescheinigte als auch die Eröffnung einer Apotheke erlaubte.

Bei seinen Neidern hatte er damit den Bogen überspannt. Die schwelende Konfrontation mit dem alt eingesessenen ärztlichen Establishment eskalierte. Die medizinische Fakultät fürchtete um ihren Ruf. Sie konnte auf keinen Fall zulassen, dass ein dahergelaufener Zampano ihre Heilmethoden in Frage stellte, geschweige denn ihre Patienten abwarb. Insbesondere der offiziell von der Stadt bestellte Geburtshelfer Dr. Ostertag führte einen persönlichen Kleinkrieg gegen Cagliostro. Vergeblich. Die beim Gericht eingereichte Verleumdungsklage glich einem Schuss in den Wind. Der Einflussbereich des Grafen reichte mittlerweile bis in die höchsten Kreise der Hauptstadt.

Die sehr menschenfreundlichen Handlungen des Grafen Cagliostro verdienten, dass ihm besonderer Schutz widerführe; der Magistrat solle ihm also jede Unterstützung und jene Ruhe angedeihen lassen, die ein Fremder, besonders wenn er Nutzen schafft, in den Staaten des Königs von Frankreich zu fordern hätte.“ (1) Dank dieser geradezu imperativen Intervention des Großsiegelbewahrers Vicomte de Miromesnil, besaß der fragwürdige Heilkünstler fortan alle Narrenfreiheiten auf französischem Terrain.

Die Bekanntschaft mit Kardinal Louis René de Rohan

Portraet Kardinal Louis René Edouard Prince de Rohan
Louis René Edouard Prince de Rohan; ca. 1786-1789; Source gallica.bnf.fr

Mit Abstand zählte der Fürstbischof von Straßburg, Kardinal Louis René Prinz von Rohan-Guéméné, zu den glühendsten Verehrern Cagliostros. Der höchste kirchliche Würdenträger Frankreichs hatte sich mithilfe alchimistischer Zaubereien geschickt um den diamantenberingten Finger wickeln lassen. Fortan ging des Prinzen Busenfreund nach Belieben im benachbarten Palais Rohan ein und aus. Er durfte sich sogar der prächtigen Equipage des als überaus leichtgläubig bekannten Kirchenmannes bedienen.

Damit hatte der Graf von Cagliostro die oberste Sprosse der Karriereleiter im Elsass erreicht. Das Terrain war abgegrast, alle Kühe gemolken. Es wurde nach knapp drei Jahren Zeit, das Straßburger Kapitel zuzuschlagen und sich einem neuen, noch lukrativeren Wirkungskreis zuzuwenden. Also zog es das Ehepaar Cagliostro im Windschatten des einflussreichen Kardinals nach Paris, wo im Jahr 1785 die verhängnisvolle Halsbandaffäre beider Karrieren in den Abgrund stürzen sollte.

Giuseppe Balsamo hatte in dieser grotesken Intrige keine aktive Rolle eingenommen. Deshalb sprach ihn das Gericht nach mehrmonatigem Aufenthalt in der Bastille von jeglicher Schuld frei. Dennoch verwies man ihn des Landes. Mit seinen betrügerischen Machenschaften im Gepäck tingelte er weiterhin durch Europa. Allerdings hatte sein Name den alchemistischen Glanz verloren. Jedes Pflaster erwies sich schnell als zu heiß. Schlussendlich kehrte Cagliostro nach Italien zurück, um auf heimischem Boden eine Freimaurerloge zu etablieren. Seine Frau Serafina hatte die Nase voll. Kurzerhand zeigte sie ihren Mann beim Heiligen Offizium an, das ihn 1791 in einem letzten spektakulären Inquisitionsprozess wegen Magie, Ketzerei und Freimaurerei zum Tode verurteilte. Dann besann man sich eines Besseren. Der Papst legte keinen Wert auf einen Märtyrer. Die Strafe wurde in lebenslange Kerkerhaft auf der Festung San Leo umgewandelt. Vier Jahre später verstarb der sizilianische Tausendsassa von der Welt vergessen in einer dunklen Zelle des Vatikans.

Cagliostro – ein verkannter Robin Hood?

Bis heute lebt die schillernde Persönlichkeit des unechten Grafen in dramareichen Leinwandverfilmungen oder den Werken namhafter Literaten weiter. Johann Wolfgang von Goethe gab ihm die Ehre im Lustspiel Groß-Kophta, Schiller bediente sich des Abenteurers im Romanfragment Der Geisterseher, Alexandre Dumas widmete ihm die Memoiren eines Arztes und selbst Tolstoi spann um Cagliostro eine schaurig-diabolische Kurzgeschichte.

Cagliostro bei alchemistischen Experimenten mit dem Prinzen von Rohan
Cagliostro mit dem Prinzen von Rohan bei alchemistischen Experimenten; Ref. CIPB1287; Bibliothèques d’Université Paris Cité

Als Abenteurer, Scharlatan, Schurke oder Schwindler verrufen, findet sich in keiner Rezeption unter keinem noch so großen Vergrößerungsglas ein gutes Haar an der Person des Grafen von Cagliostro. Keine Frage, er gab sich als Blender, zog die Reichen über den Tisch und ihr Geld aus der Tasche. Er verkaufte Illusionen. Seine feilgebotenen Lebenselixiere, Schönheitstinkturen oder auf wundersame Weise zu doppelter Größe angewachsenen Diamanten waren nichts als Humbug mit Suggestivkraft. Doch seine Masche funktionierte, weil die Menschen daran glauben wollten. Ohne entsprechende Nachfrage hätte Cagliostro niemals diesen Zuspruch gefunden. Er nutzte ihre Leichtgläubigkeit erbarmungslos aus, doch fügte er je einem Bedürftigen Schaden zu?

Möglicherweise behandelte er unzählige Kranke tatsächlich aus Nächstenliebe. Vielleicht betrachtete er seine menschenfreundlichen Anwandlungen auch nur als Türöffner für seine gewinnbringenden Zukunftspläne. Nichtsdestotrotz hatte Cagliostro den medizinischen Koryphäen seiner Epoche eine wichtige Erkenntnis voraus. Er verstand die psychosomatischen Zusammenhänge zwischen Körper und Geist. Deshalb fokussierte er sich nicht ausschließlich auf die Behandlung von Krankheitssymptomen, sondern vertrat einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Zuhören, auf den Patienten eingehen und Not lindern eine wesentliche Rolle spielten.

Seiner medizinischen Gegnerschaft erschien dies suspekt. Von aufmunternden Worten oder einer stärkenden Brühe stand nichts in ihren Lehrbüchern. Dabei bediente Cagliostro nur die grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse. Und um dieses karitative Einmaleins zu beherrschen, musste man wahrlich nicht studiert haben. 

Adressen und weitere Sehenswürdigkeiten in der Nähe

Quellen / Literatur

3 Kommentare

  • Siegfried Müller

    Ich möchte Ihnen ein ganz großes Dankeschön für Ihre spannenden
    und informativen Straßburger Geschichten senden.
    Einmal begonnen, diese zu lesen, fällt es mir schwer, wieder aufzuhören.
    Vielen Dank

  • Lydia. Mayer

    Ich habe schon mehrere Geschichten über Straßburg gelesen und bin begeistert von Ihrer Fähigkeit, kenntnisreich , spannend , mitunter auch mit einem Augenzwinkern zu erzählen. Bitte mehr davon und weiter so!

    • in Reiselaune

      Liebe Frau Mayer,
      herzlichen Dank für Ihr Kompliment. Es motiviert zu lesen, dass meine Straßburg-Geschichten eine derart positive Resonanz finden und es gibt in der Tat noch jede Menge zu erzählen.
      Beste Grüße,
      Petra in Reiselaune

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert