Hinweisschild Lotharpfad
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Lotharpfad


Noch heute sind mir die Ereignisse am Vormittag des 26.12.1999 so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. Mein Mann und ich hatten das erste Mal einen Kurzurlaub über die Weihnachtsfeiertage geplant. Wir wollten dieses besondere Wochenende einmal ganz für uns allein, inmitten der Natur und verbunden mit dem Funken Hoffnung auf ein wenig Schneefall (allein der Romantik wegen) verbringen. Also erschien uns ein gemütlich-komfortables Hotel inmitten des Nordschwarzwalds genau das Richtige. Die ersten beiden Wünsche gingen voll und ganz in Erfüllung. Doch anstelle des Schneefalls kam Lothar. Der Jahrhundertsturm.

Lothar – das lärmende Heer

Als Orkantief hatte sich Lothar von der Biskaya aus angekündigt und war dabei, mit zunehmender Kraft in nordöstlicher Richtung über Europa hinwegzufegen. Laut, lärmend, unaufhaltsam, wie es sich für ein kriegerisches Heer gehörte. Nicht umsonst trug das Tief den Namen Lothar. War dies Vorsehung? Sollte der Wintersturm gar der Vorbote des für die bevorstehende Jahrtausendwende prophezeiten Weltuntergangs sein?

Wetterbild Orkantief Lothar

Seit 1954 legte das Meteorologische Institut der Freien Universität Berlin auf Jahrzehnte hinaus die Bezeichnungen der Hoch- und Tiefdruckgebiete im Voraus fest. Und zwar in alphabetischer Abfolge, wobei in ungeraden Jahren die Tiefs mit männlichen und die Hochs mit weiblichen Vornamen bedacht wurden. In geraden Jahren durften dann auch die Herren der Schöpfung ihre positive Seite zeigen. War der Name Lothar also nur ein purer Zufall oder vorherbestimmt?

Wie wir alle wissen, ist die Welt damals nicht untergegangen. Dennoch änderte das Berliner Institut drei Jahre später seine Vorgehensweise bei der Nomenklatur der Luftmassen. Ab sofort vergab man Namenspatenschaften gegen bare Münze. Für 237 Euro darf man ein Tiefdruckgebiet sein eigen nennen. Für ein Hoch muss man schon tiefer in die Tasche greifen. 356 Euro kostet in diesem Fall eine Namenspatenschaft. Doch schlussendlich sind Namen auch nur Schall und Rauch. Das Wetter ist nicht käuflich. Dafür spülen die durchschnittlich 150 Wetterereignisse pro Jahr immerhin einen ansehnlichen fünfstelligen Betrag in die meteorologische Portokasse.

Lothar – der Jahrhundertsturm

Doch zurück zum zweiten Weihnachtsfeiertag, unserem Abreisetag. Nach reiflichen Überlegungen entschieden wir uns, wie geplant, die Heimfahrt anzutreten. Vielleicht gelang es uns ja, rechtzeitig Lothar und damit der Gefahrenzone Schwarzwald zu enteilen. Allerdings holte uns die Realität noch vor Freudenstadt ein. Der Weg zurück in Richtung Süden war wegen umgestürzter Bäume bereits abgeschnitten. Also hieß es umdrehen und die Alternative über Baden-Baden ausloten. Kurz und gut, die Rückfahrt wurde zum Höllenritt, auch wenn nach weniger als drei Stunden alles vorbei war. Lothar hatte es mit seinem zerstörerischen Wüten durch den Schwarzwald eilig gehabt.

Mit weit über 200 Stundenkilometern, der höchsten je im Schwarzwald gemessenen Windgeschwindigkeit, fegte er über die Höhen und zog tiefe Schneisen durch die Wälder. Vergeblich klammerten sich die flachen Fichtenwurzeln in den Buntsandsteinboden. Reihenweise fielen Jahrhunderte alte Bäume wie Dominosteine um oder knickten ein wie Streichhölzer. Lothar hinterließ ein Bild der Verwüstung.

Archivbild Waldschaden im Schwarzwald durch das Orkantief Lothar 1999
© ddp/Michael Latz

Die Schadensbilanz im Schwarzwald:

  • 30 Millionen Festmeter Sturmholz 
  • 40.000 Hektar Kahlfläche = 50.000 Fußballfeldern
  • Millionen entwurzelter oder umgeknickter Bäume
  • 650 Millionen Euro Versicherungsschaden (deutschlandweit)
  • 13 Tote (in ganz Baden-Württemberg)

Annähernd zwei Jahre dauerten die Aufräumarbeiten im Schwarzwald, bevor mit der Wiederaufforstung begonnen werden konnte. Doch, wie so oft, steckte in diesem Neubeginn auch eine Chance.

Der wilde Schwarzwald

Heute ist der Schwarzwald wilder denn je. Denn neben einer gezielten Neu-Bewaldung setzte die Verwaltung des Nationalparks vermehrt auf die Regenerationskräfte der Natur. Das Ergebnis zeigt sich auf besonders eindrucksvolle Art und Weise entlang des Lotahrpfads. Der sogenannte Sturmwurferlebnispfad führt nämlich durch eine Baumwaldfläche von zehn Hektar, die nach dem Orkantief Lothar einfach sich selbst überlassen wurde.

Wer also mit aufmerksamem Blick dem Weg über Holzbohlen, Brücken, Treppen, Stegen, riesigen Findlingen oder Naturwegen folgt, der kann in der Tat die wilde Seite des Schwarzwalds erleben. Mit 900 Metern ist der Lotharpfad  zwar der kürzeste Rundweg des Naturparks Nordschwarzwald, dafür zieht er allerdings, mit 50.000 Besuchern jährlich, mehr Naturliebhaber an, als jeder andere Lehr- oder Erlebnispfad.

Noch einige Jahre nach seiner Eröffnung im Juni 2003 dokumentierte der Lotharpfad auf anschauliche Weise die Unbezwingbarkeit der Naturgewalten. Heute bietet sich mir ein gänzlich anderes Bild. Von Kahlfläche keine Spur mehr. Wildwuchs und grünes Chaos haben das Zepter an sich gerissen. Zum Teil sind die nachgewachsenen Bäume bereits übermannsgroß bis haushoch. Selbst der Weitsicht von der Aussichtsplattform auf halbem Weg streckt sich der Waldnachwuchs selbstbewusst entgegen. Bestimmt muss in einigen Jahren der Aussichtsturm aufgestockt werden, will man überhaupt noch einen Fernblick auf den Nordschwarzwald erhaschen.

Doch immer mal wieder zeigen sich beim genauen Hinschauen im Unterholz Überreste der Zerstörung wie abgeknickte Baumstämme oder Totholz. Daneben zauberte Lothar erstaunliche Kunstwerke wie die riesigen Wurzelteller ans Tageslicht, die die Natur ansonsten gut vor unseren neugierigen Augen versteckt hält. 

Die Natur erfindet sich neu

Der Lotharpfad ist definitiv nicht das geeignete Ausflugsziel für Menschen, die den Adrenalinkick oder die ultimative Herausforderung suchen. Aber er bietet dennoch ein einmaliges Mikroabenteuer vor der eigenen Haustüre.  Ein im Wandel begriffenes Landschaftsbild, eine aufregende Biodiversität und ein für zukünftige Generationen hoffnungsfroh stimmendes Erneuerungspotenzial der Natur.

Durch die vom Orkan geschaffenen Freiflächen veränderten sich im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte sowohl Fauna als auch Flora. Rotkehlchen, Spechte, Drosseln oder Zaunkönige kehrten zurück und sorgten ihrerseits für die Weiterverbreitung der vielfältigsten Baumsamen. Dadurch wartet der Bannwald heute mit einer erfreulichen Artenvielfalt auf. Wo einst überwiegend die flach wurzelnden Fichten das Erscheinungsbild des Nordschwarzwalds prägten, präsentieren sich mittlerweile Birken, Ebereschen, Buchen, Tannen oder Heidelbeerbüsche.

Selbst im Totholz entsteht neues Leben. In den abgestorbenen Baumstämmen wimmelt und wuselt nur so von krabbelnden und fliegenden Insekten. Zusammen mit den unsichtbaren Bakterien zersetzen sie das Holz bis zum Humus, womit ein fruchtbarer Nährboden für neues Wachstum entsteht. Davon profitieren auch die verschiedenartigen Pilzsorten, aus denen natürlich der auffällige Fliegenblätterpilz hervorsticht, während die Konsolenpilze mit ihren seltsamen Wuchsformen dem Holz ebenfalls an die Substanz gehen.

Erfreulich ist, dass sich der Wald, durch den wesentlich robusteren Baumwuchs, den Urkräften der Natur zwischenzeitlich besser entgegenstellen kann. Ein zweiter Lothar würde aller Voraussicht nach nur einen Bruchteil des einstigen Schadens verursachen. Dafür drohen dem Wald neue Gefahren. Die Klimaerwärmung mit den anhaltenden Hitzeperioden und der Trockenheit, dazu die milden Winter leisten nicht nur der Massenvermehrung von Borkenkäfern, sondern speziell in den Sommermonaten einer akuten Brandgefahr Vorschub. Es wird höchste Zeit für ein globales Umdenken!


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2 Kommentare

    • in Reiselaune

      Hallo Jens,
      ich freue mich, dass Dir meine Reisebeschreibungen gefallen und habe mir natürlich gleich Deine Beiträge über das Badner Land angeschaut. Speziell Deine Winterbilder von der Hornisgrinde und die SW-Fotografien vom jüdischen Friedhof sind sehr eindrucks- und stimmungsvoll. Schöne Grüße, Petra

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