Siebenbürgen in Aquarellen – Aus dem Werk von Friedrich Eberle
Siebenbürgen in Aquarellen
„Willst du Gottes Werke schauen, komm ins Siebenbürgenland.
Jedes Stückchen ist ein Kunstwerk aus des Schöpfers Meister Hand.“
So lautet ein altes sächsisches Volkslied. Und recht hat es. Auch für mich gehört Siebenbürgen zu einem der schönsten Flecken auf Gottes Erde. Ich vermag mich weder an der traumhaften Hügel-, Tal- oder Waldlandschaft satt zu sehen, noch an den ehemals sächsischen Straßendörfern mit ihren stolzen Kirchenburgen. Der Abschied fällt deshalb jedes Mal gleich schwer, und die Zeitspanne bis zum Wiedersehen artet zuweilen in eine unsägliche Geduldsprobe aus. Glücklicherweise gibt es seit zwei Jahren ein sehnsuchtslinderndes Heilmittel: den mit 22 x5 x 22,5 cm eher kleinen, aber dafür sehr feinen Bildband Siebenbürgen in Aquarellen – Aus dem Werk von Friedrich Eberle.
„Ich kann nur malen, was ich sehe, und das muss ich genau malen“ lautete das Credo des im Januar diesen Jahres verstorbenen Künstlers. Also begab sich Friedrich Eberle vor gut 30 Jahren mehrmals nach Siebenbürgen, fotografierte die sächsischen Kirchen und Kirchenburgen, vergrößerte die Ablichtungen zu Hause, um sie anschließend mit Pinsel, Aquarellfarben und äußerster Sorgfalt auf Papier zu verewigen.
Und so zeichnet das schmucke Büchlein Siebenbürgen in Aquarellen auf 120 Seiten ein friedlich-idyllisches Tableau vergangener Zeiten, in denen die Kirchenburgen-Welt noch in Ordnung war. Dabei geht es von A wie Agnetheln bis Z wie Zuckmantel und vom Alten Land im Westen bis zum Nösner-, Repser- und Burzenland im Osten Siebenbürgens.
Doch welchen Bezug hatte der gebürtige Banater Schwabe zum benachbarten Sachsenland, dass er es mit so viel Hingabe skizzierte?
Über den Künstler Friedrich Eberle
Friedrich Eberle wurde 1927 in Liebling, der ersten protestantischen Ortschaft auf Banater Siedlungsgebiet, geboren. Schon in frühester Kindheit zeigte sich seine kreative Leidenschaft. Allerdings musste er sich damals mangels anderweitiger Alternativen mit Kohlebrocken aus dem Bügeleisen und leeren Buchdeckeln als Malutensilien behelfen. Mit 18 Jahren wurde er, wie 75.000 weitere Rumäniendeutsche, zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert. Erst 1949, zwei Jahre nach seiner Rückkehr, erhielt er dank seines außergewöhnlichen Talents einen Platz in der Schule der Bildenden Künste in Temeswar. Kurze Zeit nach seinem Abschluss mit Höchstnoten begegnete er der aus Reußdorf in Siebenbürgen stammenden Lehrerin Waltraud Edith Tausch. Bis zu ihrer Heirat und gemeinsamen Übersiedlung nach Deutschland verdingte sich Friedrich Eberle zunächst als Porträt und später als Reklamemaler. Mit Bravour absolvierte er in der neuen Heimat noch im Alter von 54 Jahren das Fernstudium als Werbegrafiker, um bis zur Pensionierung in dieser Branche zu arbeiten.
Seine künstlerische Erfüllung fand Friedrich Eberle allerdings ab den 1980-er Jahren in der Aquarellmalerei. Zu dieser Zeit startete er seine Siebenbürgen-Reihe, die er bis in die späten 1990er permanent fortführte. Mit der Liebe zu seiner Frau verband ihn gleichzeitig die Liebe zur siebenbürgisch-sächsischen Kulturlandschaft, der wir weit über 100 einfühlsame Werke und zahlreiche Ausstellungen in Deutschland als auch in Rumänien verdanken.
Im Buch unterwegs
Die Kirchenburgen hatten es Friedrich Eberle besonders angetan. Weit über 60 steinerne sächsische Dorfschönheiten porträtierte er im Hoch- und Querformat. Dazu fanden Gräfen- und Ritterburgen wie Kelling, Urwegen, Reps oder Rosenau ebenso seine Beachtung wie die Altstädte von Mediasch, Hermannstadt und Schäßburg. Für Letztere hegte er offensichtlich ein besonderes Faible.
Doch unabhängig ob Dorf- oder Stadtansicht, Burg oder Häusergasse jedes Bild trägt Eberles unverwechselbare Handschrift. Gusserker, Schießscharten, Turmuhren, Wetterhähne, Kirchturmknöpfe, Kilometersteine, Storchennester und selbst Dachziegel sind mit einer akribischen Detailtreue wiedergegeben, die beinahe dokumentarischen Charakter trägt. Selbst an Gebäuden und Wehrmauern lassen sich die verschiedenartigen Baumaterialien nicht nur erkennen, sondern beinahe erfühlen.
Aus ganz verschiedenen Blickwinkeln und im Kleid unterschiedlicher Jahreszeiten standen die Protagonisten dem Künstler Modell. Mal zart hingetüpfelt, zuweilen auch in weichen, fließenden Übergängen, aber immer farbenfreudig naturverbunden. Stilistisch ganz anders dagegen die wenigen Werke, die auch thematisch aus dem Rahmen fallen. Der expressionistische Sommer in der Harghita, der geradezu fauvistische Winter in den Ostkarpaten, aber auch der zurückhaltend auf Kundschaft wartende Töpfer.
In der heutigen Betrachtung nimmt die realitätsnähe Malweise von Friedrich Eberle nostalgische, ja geradezu verklärende Züge an. Verwahrloste Anlagen, bröckelndes Mauerwerk, Dächer löchrig wie Schweizer Käse und von der Natur zurückeroberte Kirchhöfe, wie sie sich heute nicht selten dem Besucher offenbaren, sind noch in weiter Ferne. Deshalb erweisen sich die dezent platzierten Bildtexte des ehemaligen Publizisten und Verlegers Anselm Roth als perfekte Ergänzung. Zu jedem Aquarell schlägt er in wenigen Sätzen wortgewandt die Brücke zur Gegenwart. Er weiß über aktuelle Entwicklungen im Ort oder zum Kirchengebäude zu berichten, sodass es dem Buch nicht an Aktualität mangelt.
Damals und heute
Bei meiner diesjährigen Reise durch Siebenbürgen, hatte ich Siebenbürgen in Aquarellen immer griffbereit dabei. Einerseits aus Neugierde, um zu sehen, was sich (nicht) verändert hat und manchmal auch als Trost. In Baaßen wachte der mächtige Glockenturm wie eh und je über den Zugang zur Burg. Die Postkartenansicht von Deutsch-Weißkirch hatte ebenso Bestand wie die mustergültige Anlage in Großau. Selbst in Kleinschelken musste ich mir nur das unschöne, aber allgegenwärtige Kabelwirrwarr wegdenken, um die Kirchenburg sofort wiederzuerkennen und sogar die Wasserbüffel von Seite 29 schienen ein viertel Jahrhundert später noch immer an Ort und Stelle ihr Schlammbad zu nehmen.
Dagegen hatten sich mit der markanten Tanne in Reußdorf und das heute eher an ein gerupftes Huhn erinnernde Exemplar in Dobring die Gemeinsamkeiten mit den idyllischen Eberle-Aquarellen aus den 1990-er Jahren bereits erschöpft. In und um die Kirchen herum bot sich mir an beiden Orten ein erschütterndes Szenario, für das sich kaum Worte finden.
Historische Qualität besitzen gleichfalls die Ansichten von Rothbach und Alzen. Während den Turm im Burzenland bereits vor fünf Jahren die Kräfte verließen, gab im Harbachtal das Gewölbe über dem Mittelschiff im vergangenen Jahr nach. Beide Gebäude werden sich folglich nie mehr in ihrem originären Ausgangszustand präsentieren können. Insofern sind die künstlerischen Werke von Friedrich Eberle gleichzeitig, wenn auch unbeabsichtigt, wertvolle Dokumente zur sächsischen Baugeschichte in Siebenbürgen.
In Leselaune’s Schlussansichten
Als ich Siebenbürgen in Aquarellen – Aus dem Werk von Friedrich Eberle das erste Mal zur Hand nahm, befand ich mich gerade in einem absoluten Stimmungstief. Trost- und Fassungslosigkeit angesichts des Zustandes mancher Kirchen und Kirchenburgen in Siebenbürgen standen mir ins Gesicht geschrieben. Ich war deshalb für den malerischen Ausflug durch die siebenbürgische Kirchenburgen- und Kulturlandschaft äußerst dankbar. Von Seite zu Seite entspannte sich mein angeschlagener Gemütszustand, und ich genoss das wunderbare Panoptikum einer angehaltenen Zeit. Die mit Pinsel und Farbe festgehaltenen Impressionen hatten es tatsächlich geschafft, mich neu zu motivieren.
Möglicherweise schieben einige Kritikerstimmen die Werke von Friedrich Eberle in eine Schublade mit der Aufschrift „Kitsch“. Vielleicht blieb dem Wahl-Nürnberger deswegen die breite nationale als auch internationale Anerkennung versagt. Doch von angestrengter, verklärender Schönmalerei in seinen Motiven kann für mich keine Rede sein. Eberles Bilder spiegeln nichts als die Realität ihrer Entstehungszeit wieder. Dass diese Realität sich heute anders darstellt, ist nicht nur der Natur der Dinge, sondern auch der Schnelllebigkeit unserer Zeit geschuldet.
Besonders in der Haltung des Töpfers (S. 79) blitzt das malerische Genie Eberles auf, das sich einem allerdings erst auf den zweiten Blick erschließt. So gesehen hätten dem Buch mehr dieser „menschlichen“ Porträts gut getan. Dennoch ist die getroffene Werkauswahl in Sachen Motive, Perspektiven und Stimmungen sorgfältig durchdacht. Aufschlussreich liest sich auch der in Stenografieform abgedruckte Lebenslauf Friedrich Eberles, der im Nachwort von Tochter Waltraud eine sehr persönliche Ergänzung erfährt.
Schade nur, dass das Buch keine detaillierten Angaben zu den Original-Aquarellen bietet. Mich würde durchaus interessieren, in welchem Jahr genau die einzelnen Bilder entstanden sind, welches Format sie in natura einnehmen und ob, wo und wann sie gegebenenfalls in der Öffentlichkeit bewundert werden können.
Ein Buch als Balsam für die siebenbürgisch-sächsische Seele
Da besonders letztere Frage keine Antwort erfährt, ist Siebenbürgen in Aquarellen ein unbedingtes Muss sowohl für jeden Weggezogenen, Dagebliebenen, Zugezogenen als auch für Kunstliebhaber, Heimathistoriker oder Romantiker. Die über 100 abgedruckten Aquarelle strahlen eine wohltuende Ruhe und Gelassenheit aus. Sie schenken einen Blick zurück ohne Schattenseiten. Man genießt die pittoreske Schäßburger Altstadt ohne Dracula-Touristen, Dorfstraßen ohne lebensgefährlich hindurch donnernden Schwerlastverkehr, Landstriche ohne sich gegenseitig überbietenden Kabelsalat. Der Bild- und Geschenkband aus dem Schiller Verlag Hermannstadt-Bonn ist demnach genau die richtige Wahl für jeden, der ein wenig Balsam für die siebenbürgisch-sächsische Seele benötigt.
Und wer noch mehr über Leben und Werk von Friedrich Eberle erfahren möchte, erhält auf der von seiner Tochter Waltraut Eberle liebevoll gestalteten Website weitere Einblicke.
Siebenbürgen in Aquarellen – Aus dem Werk von Friedrich Eberle
Kategorie: Bildband
Autor(en):
Friedrich Eberle (Aquarelle)
Anselm Roth (Bildtexte)
Petra Henning (Mitarbeit)
Verlag: Schiller Verlag Hermannstadt-Bonn
Erscheinungsjahr: 2019; 1. Auflage
Ausgabe: Hardcover
Umfang: 120 Seiten
ISBN: 978-3-946954-50-7
Preis: 26,00 €
Das Cover als auch die Bilder aus dem Buch sind Eigentum des Verlags, Fotografen bzw. sonstigen Rechteinhabers. Die Buchvorstellung ist unbezahlt und unbeauftragt. Das Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ein herzliches Dankeschön hierfür. Meine Rezension wurde davon nicht beeinflusst.