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Über Siebenbürgen

Die Kirchenburgen in Siebenbürgen


Siebenbürgen hat mich zum Wiederholungstäter gemacht und Schuld daran sind die Kirchenburgen.

Unser erstes Kennenlernen 2018 verlief mit zwiespältigen Gefühlen. In Heltau bugsierte man uns schon eine Viertelstunde vor Schließung wenig freundlich aus den Gemäuern heraus, während in Michelsberg das nervige Gekreise einer Drohne über der Kirche keinen Genuss der Geschichtsträchtigkeit des Ortes zuließ. Als nächstes erlebte ich eine Achterbahn der Gefühle zwischen Hoffnung und Resignation in der Kirchenburg von Appold, bevor sich mit dem Anblick der Stollentruhen auf dem Dachboden der Wehrkirche von Henndorf der erste Wow-Effekt einstellte. Nach dem Besuch von Honigberg benötigte ich keine weitere Überzeugungsarbeit. Das Kirchenburgen-Fieber hatte mich erfasst.  

Es folgten das UNESCO-Welterbe Tartlau und die Bekanntschaft mit dem niedrigen Türsturz von Otto Vásárhely’s Souvenirlädchen in der Vorburg. Wohlgemerkt eine folgenschwere Bekanntschaft mit Erinnerungswert. Nicht nur wegen der dicken Beule am Kopf meines Mannes, sondern vor allem wegen der überraschenden Entdeckung der Buchreihe Über Siebenbürgen. Ein kurzes Blättern genügte und alle fünf Bände, die Otto vorrätig hatte, wechselten den Besitzer bzw. die Besitzerin.

So war das mit Über Siebenbürgen und mir.
Seither hat mich weder die Faszination für die siebenbürgisch-sächsische Kirchenburgenlandschaft noch für die Bildbände losgelassen, von denen mittlerweile acht Ausgaben bei uns im Regal stehen. Glücklicherweise, denn immer wenn die Sehnsucht nach den Kirchenburgen zu groß wird, trösten die großformatigen Fotografien vorübergehend über die reisefreie Durststrecke hinweg.

Da die Kirchenburgen allerdings nicht nur „schön“ anzusehen sind, sondern sich dahinter auch eine hochspannende Geschichte verbirgt, gibt es von mir erst einmal einen historischen Rückblick im Schnellvorlauf.

Zum Erhalt der Krone


Im 12. Jahrhundert rief der ungarische König Geza II. westliche Siedler in das größtenteils unbewohnte Gebiet nördlich des Karpatenbogens. Die hospites (die Eingeladenen), wie sie genannt wurden, sollten die Ostgrenze seines Königreiches sichern, während ihnen der Monarch im Gegenzug weitreichende Privilegien zusicherte. Die Siedler verpflichteten sich also ihre ganze Kraft und Energie ad retinendam coronam, zum Erhalt der Krone, einzusetzen. Dazu gehörte nicht nur die Verteidigung des Königbodens gegen jegliche äußere Bedrohung, sondern auch die Bewirtschaftung des öden Landstrichs.

Bei den sächsischen Siedlern handelte es sich in erster Linie um Bauern und Handwerker, aber definitiv nicht um kampferprobten Krieger. Deshalb musste die direkte Konfrontation mit den feindlichen Invasoren unbedingt vermieden werden. Folglich gab es nur eine einzige Überlebensstrategie für die Sachsen: hinter dicken Mauern Zuflucht suchen, von dort aus den Gegner unter Beschuss nehmen, fleißig beten und mutig ausharren. So kam es zur Geburtsstunde der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen.

Das siebenbürgisch-sächsische Vermächtnis


Jede freie Minute, die die Sachsen nicht auf dem Feld verbrachten, werkelten sie an ihrer Glaubensfestung. Dabei handelte jede Gemeinde nach eigenem Gutdünken beziehungsweise nach den vorhandenen Mitteln und Möglichkeiten. Mal erhielt die Kirche nur einen Mauerring, mal derer zwei oder sogar drei. Manchmal verstärkten Zwingerbauten, Bastionen, Wehr- oder Tortürme die Anlage. In einigen Fällen ging man ganz auf Nummer sicher und befestigte selbst das Gotteshaus mit einem Wehrgeschoss, Schießscharten und Pechnasen, während andernorts die Kirchenburg zum Dorf im Dorf mit Schule, Wohnkammern und Lagerräumen wurde.

Weit über ein halbes Jahrtausend hielten die Befestigungen den Angriffswellen von Mongolen, Tataren oder Türken stand und nicht wenige machthungrige Fürsten aus der Walachei oder Moldawien bissen sich an den dicken Mauerringen ihre Zähne aus. Wurden die Kirchenburgen niedergebrannt, baute man sie eben wieder auf – schließlich ging es um Leben oder Tod.

Durch die außenpolitische Befriedung des Landstrichs im Laufe des 18. Jahrhunderts erwiesen sich die Wehranlagen allerdings als überflüssig. Mauerringe wurden deshalb abgetragen und das kostenlose Baumaterial für anderweitige Bauvorhaben zweckentfremdet. Viele Gemeinden vernachlässigten die Instandhaltung ihrer Kirchenburg, sodass sich ein schleichender Verfall breit machte. Als nach dem Ende der kommunistischen Diktatur 1989 der Massenexodus der Siebenbürger Sachsen einsetzte, verloren viele Kirchenburgen nicht nur ihre Bestimmung, sondern auch ihre finanzielle Unterstützung und die bisherige Hands-onMentalität.

Über Siebenbürgen – ein Kirchenburgen-Wort-Bild-Inventar


Mittlerweile sind von den einstmals über 300 steinernen Zeugen sächsischer Wehrhaftigkeit mehr als die Hälfte aus dem Landschaftsbild Transsylvaniens verschwunden. Höchste Zeit also, dachte sich Autor Anselm Roth ein Wort- und Bild-Inventar der verbliebenen Siebenbürger Kirchenburgen auf die Beine zu stellen.

Ambitioniert ging er zusammen mit Drohnen-Fotograf Ovidiu Sopa an die Arbeit. 2015 konnte dann der erste Band der Buchreihe Über Siebenbürgen seine Buchtaufe feiern. Kürzlich ist bereits Ausgabe Nummer 9 erschienen.

Die Luftaufnahmen der Kirchenburgen stehen bei den ersten drei Bänden ganz klar im Fokus. Durch die immer wieder wechselnden Perspektiven gewinnt der Leser ein aussagekräftiges Gesamtbild über die Gestalt, den Erhaltungsgrad sowie das dörfliche Umfeld des sächsischen Erbes. Dazu liefert Anselm Roth kurzweilig formulierte Einblicke in die Geschichte der jeweiligen Kirche und ihrer Dorfgemeinschaft.

In den weiteren Ausgaben entwickeln sich die Innenaufnahmen zum festen Bestandteil des präsentierten Kirchenburgenkosmos. Trotz aller Widersprüchlichkeit zum Buchtitel wertet dieser inhaltliche Kurswechsel die Bücher nochmals auf, denn nicht immer lässt der äußere Zustand die richtigen Rückschlüsse auf das Innere zu. Mit der Kombination aus gelungenen Außen- und interessanten Innenaufnahmen hat man auf jeden Fall eine perfekte Entscheidungshilfe, um sich die wehrhaftesten, ungewöhnlichsten oder schönsten Kirchenburgen für eine Besuchsrunde auszusuchen.

Ein Muss für alle Kirchenburgen-Liebhaber


Wer (wie ich) sein Herz an die sieben.ürgisch-sächsischen Kirchenburgen verloren hat, bei dem darf die Buchreihe Über Siebenbürgen auf keinen Fall im Bücherregal fehlen.

Selbstverständlich leben die Bildbände vor allem durch die aufschlussreichen Luftbildaufnahmen der Kirchenburgen, doch erst das Zusammenspiel mit den Fotografien der Innenräume und den knackigen Texten macht daraus eine Dokumentation, die man immer wieder gerne zur Hand nimmt. Besonders bemerkenswert finde ich, dass sich die Buchreihe nicht nur auf die Vorzeige-Kirchenburgen des UNESCO-Welterbes, wie Birthälm, Keisd, Tartlau oder Wurmloch konzentriert, sondern auch den unbekannten Kleinoden der siebenbürgisch-sächsischen Kulturlandschaft die gleichberechtigte Aufmerksamkeit widmet.

Anselm Roth und nach dessen Tod 2020 Bogdan Muntean sowie Ovidiu Sopa haben insgesamt 171 Kirchenburgen porträtiert. Die zehn Bände sind in folgende geographische Regionen aufgeteilt:

Last, but not least:
Als optimale Ergänzung der Buchreihe oder einfach nur zur Reiseplanung dient die seit kurzem von Petra Henning im Internet zur Verfügung gestellte Übersichtskarte.


Über Siebenbürgen

Kategorie: Bildband
Reihe: Über Siebenbürgen
Autor(en):
Anselm Roth (Fotografien und Text)
Bogdan Muntean (Fotografien und Text)
Ovidiu Sopa (Luftfotografien)
Verlag: Schiller Verlag Bonn
Erscheinungsjahr: 2015 – 2022
Ausgabe: Hardcover
Umfang: 10 Bände; insgesamt über 900 Seiten
Preis: 224,60 € für 10 Bände
(der Einzelpreis liegt zwischen 19,90 – 24,00 €)

Das Buchcover und die mit Copyright versehenen Bilder sind Eigentum des Verlags, Herausgebers, Fotografen bzw. sonstigen Rechteinhabers. Die Rezension ist unbezahlt und unbeauftragt.

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