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Über Siebenbürgen – Band 8

Kirchenburgen im mittleren Kokelland mit Birthälm


Die Reise Über Siebenbürgen nähert sich langsam aber sicher dem Ende entgegen. Im 2019 erschienen Band 8 liegt der Schwerpunkt auf den Kirchenburgen im mittleren Kokelland mit Birthälm. Er schließt damit nahtlos an den dritten Überflug an, der uns bereits drei Jahre zuvor wunderschöne Aufnahmen aus dem westlichen Kokelland bis Mediasch beschert hat.

Die kleine, ehemals unfreie Gemeinde Irmesch und das abgelegen im wenig frequentierten Kaltwassertal liegende Mardisch begrenzen den Kirchenburgen-Ausflug im Norden bzw. Süden, während in Richtung Osten bereits in Scharosch an der Kokel Endstation ist. Dadurch bewegen wir uns in einem 20 Kilometer schmalen Korridor, der allerdings mit einem reichhaltigen siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbe gesegnet ist.

So haben Autor Anselm Roth und Luftbildfotograf Ovidiu Sopa insgesamt 18 Kirchenburgen im mittleren Kokelland innen und außen fotografisch erfasst. Dazu setzen die gewohnt informativen Begleittexte die Dorfgemeinden und ihre wehrhaften Hauptdarsteller in einen historischen und baugeschichtlichen Kontext.

Die Kirchenburgen im mittleren Kokelland mit Birthälm

Almen – Alma Vii
Birthälm – Biertan 
Bogeschdorf – Băgaciu 
Bußd – Buzd
Durles – Dârlos  
Hetzeldorf – Aţel 
Irmesch – Ormeniş
Kirtsch – Curciu 
Mardisch – Moardăş
Martinsdorf – Metiş
Meschen – Moşna 
Nimesch – Nemşa 
 Pretai – Brateiu
Reichesdorf – Richiş 
Reußdorf – Cund 
Scharosch an der Kokel – Şaroş pe Târnave  
Tobsdorf – Dupuş 

Grün, grüner, Kokelland

Was uns außer einer bunten Mischung an Kirchenburgen auf den 104 Seiten des Bildbands erwartet, darauf deutet bereits das farbenprächtige Cover hin. Und damit meine ich jetzt nicht vorrangig das UNESCO-Welterbe Birthälm, sondern vielmehr die Farbe Grün. Sie begleitet uns in allen Schattierungen durch das ganze Buch. Mal in Form dichter, tiefgrüner Wälder, mal als unendliche, sich bis zum Horizont erstreckende Rasen- oder Weideflächen und besonders romantisch in der sanften Hügellandschaft um Hetzeldorf, wo es nur von dem gewöhnungsbedürftigen Mintgrün im Kircheninnern in den Schatten gestellt wird. In Birthälm konkurriert das Grün der Kirchenfassade mit den terrassierten Hängen der ehemaligen Weinberge. In Nimesch begrüßt ein lindgrüner Kirchturm die Besucher und im dezent hellgrün gehaltenen Innenraum der Kirche von Reichesdorf verbreiten die flaschengrünen Bankkissen einen zusätzlichen symbolischen Hoffnungsschimmer.

Eine gut erhaltene Kirchenburgenlandschaft

So viel Grün verspricht einen fruchtbaren Landstrich mit wohlhabenden Gemeinden. Allerdings bestand aufgrund der unterschiedlichen politischen Gegebenheiten ein deutliches Süd-Nord-Gefälle. Die freien Gemeinden südlich der Großen Kokel profitierten von den im Goldenen Freibrief aus dem Jahr 1224 zuerkannten Rechten und Freiheiten, während sich die Bewohner auf Komitatsboden bis in 19. Jahrhundert hinein gegen ihr Schicksal als Hörige ungarischer Adelsfamilien wehrten.

Kirchenburg in Birthaelm aus dem Buch Kirchenburgen im mittleren Kokelland mit Birthaelm

Dennoch fällt trotz der unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schon beim ersten Durchblättern der erstaunlich gute Erhaltungsgrad des über 500 Jahre alten Baubestands ins Auge. Allen voran glänzt selbstverständlich Birthälm als ehemaliger Bischofssitz und UNESCO-Welterbe, doch auch in den kleinen Gemeinden Mardisch und Martinsdorf wurde dank erfolgreicher Kooperationen mit ausländischen, auf das Bauhandwerk spezialisierten Schulen in die Instandhaltung investiert. Lediglich in Irmesch stimmt nicht nur die Erwähnung der Hexenverbrennung im 18. Jahrhundert nachdenklich, sondern auch das als Lagerraum genutzte Kircheninnere mitsamt der zerstörten Orgel. Absolutes Schlusslicht der munteren Reise durch das mittlere Kokelland bildet Reußdorf, das mit seinem verwaisten Innenraum gegenüber seinen evangelischen Mitstreitern eine absolute Außenseiterposition einnimmt.

Im Buch unterwegs


Vielerorts präsentieren sich die Kirchenburgen immer noch als wehrhafte, mit Mauerringen und Wehrtürmen ausgestattete Bollwerke der Dorfbewohner gegen die omnipräsenten Bedrohungen aus allen ethnischen, politischen, Glaubens- und Himmelsrichtungen.

Kirchenburg Bogeschdorf; Foto aus dem Buch Ueber Siebenbuergen Kirchenburgen im mittleren Kokelland

Bogeschdorf, eine freie Gemeinde im Mediascher Stuhl, legt davon ein beeindruckendes Zeugnis ab. Das 500-Seelen-Dorf ging mit ihrem wuchtigen Kirchenausbau im 16. Jahrhundert keine Kompromisse ein. Hauptschiff als auch Chor erhielten Wehrgeschosse auf Strebepfeilern und der acht Meter hohe Mauerring wurde mit einem Torturm, drei Basteien und einem zusätzlichen Zwinger gesichert. Doch diese Defensivmaßnahmen waren für die Bogeschdorfer noch nicht ausreichend. Sie mussten Tod und Teufel und möglicherweise auch die Rache ihrer Nachbarn für die begangenen Raubmorde gefürchtet haben, als sie den immensen, sieben Stockwerke hohen Westturm hochzogen. 

Aber die Weinbau-Gemeinde besaß auch durchaus Sinn für Ästhetik. Die Steinmetzarbeiten der beiden Stufenportale am Süd- und Westzugang der Kirche machen den Anfang, bevor im Innern zwei wertvolle Chorgestühle und ein spätgotischer Flügelaltar mit filigranem Springwerk die Blicke auf sich ziehen. Außerdem warten an der Nordwand Reste von Fresken aus dem 15. Jahrhundert auf weitere Freilegung.

Mit vorreformatorischen Wandmalereien geizt die Kirchenburgenlandschaft um Mediasch generell nicht. Eine beinahe kerzengerade Fresken-Achse zieht sich von Bogeschdorf im Norden über das nur wenige Kilometer entfernt liegende Kirtsch nach Durles und Pretai bis ins südliche Seitental der Großen Kokel nach Nimesch.

Meschen, wo Eleganz auf Wehrhaftigkeit trifft

Innenraum der Kirche von Meschen; Foto aus dem Buch Ueber Siebenbuergen Kirchenburgen im mittleren Kokelland

In direkter Nachbarschaft zu Nimesch treffen wir in Meschen auf eine der größten und elegantesten Kirchenbauten des achten Flugs über Siebenbürgen. Dominanz und Stärke strahlen noch heute der mächtige Torturm gegenüber des Kirchenchors als auch der achtgeschossige Glockenturm mit Blechdach im Westen aus. Dazu sorgten eine Ringmauer mit Wehrgang, ein Zwinger, zwei Wehrtürme, eine Speckkammer sowie eine Bastei für zusätzlichen Schutz.

Um die vielfältige Bauplastik der spätgotischen Hallenkirche ausreichend zu würdigen, reichen die Finger einer Hand nicht aus. Äußerst ungewöhnlich sind die spiralförmig gedrehten Pfeilerpaare, die in zehn Meter Höhe in ein bildschönes Netzgewölbe übergehen. Der Chorraum lädt mit dem kunstvoll gefertigten Sakristeiportal, der dreigeteilten Sedile und dem Meisterwerk spätgotischer Maßwerkarbeit, dem Sakramentshäuschen im Flamboyant-Stil, gleich mehrfach zum Staunen und Bewundern ein.

Gotisch-barocke Gegensätze

Zehn Kilometer Luftlinie östlich von Meschen, gut geschützt in einem tiefen Taleinschnitt, verbirgt sich mit der gotischen Basilika in Reichesdorf ein weiteres Juwel gotischer Steinmetzkunst. In der ehemaligen Zisterzienser-Klosterkirche aus dem 14. Jahrhundert tummeln sich unzählige Fratzen, Tiere, Köpfe und andere Gestalten an Konsolen, Schlusssteinen und Kapitellen. Als sich unter der sächsischen Bevölkerung zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Reformation durchsetzte, wurden die Mönche von dannen gejagt, der wundersame Skulpturenschmuck blieb glücklicherweise größtenteils erhalten.

Einen Blickfang ganz anderer Art bietet der mit Engeln, Schnörkeln und farbenprächtigen Säulen, Pilastern und Architraven überladene Barock-Altar des Bildhauers Johann Folbarth aus Schäßburg. Während Johannes der Täufer als auch Johannes der Evangelist die Holzplastik des gekreuzigten Jesus im Altarbild einrahmen, hat mittlerweile ein vierter Johann seinen drei Namensvettern längst den Rang abgelaufen. Der bald 90-jährige Kirchenkurator Johann Schaas ist nämlich ein wandelndes Kirchenburgen-Kompendium, das jede Führung zu einem ganz besonderen Erlebnis macht. Zusammen mit seiner Frau Johanna (!) ist die Reichesdorfer Ikone der letzte im Dorf lebende Siebenbürger Sachse.

Mit gotisch-barocken Gegensätzen im Innenraum wartet ebenfalls die imposante Wehrkirche in Bußd auf. Der überdimensionierte Barockaltar mit den Rokoko-Schleierbrettern füllt beinahe die ganze Chorapsis aus. Hierbei handelt es sich um den ältesten Abschnitt des Gotteshauses, der auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Der Chor ist auch von außen das auffälligste Bauelement der Kirchenburg, die im Osten des Dorfes auf einer kleinen Anhöhe thront. Das ungewöhnliche Walmdach sorgt mit den drei darunterliegenden Wehrgeschossen aus leuchtend rotem Ziegelmauerwerk, wovon das letzte auf schmalen, hochgezogenen Strebepfeilern ruht, für die archaischste Silhouette aller Kirchengebäude in diesem Buch.

aus dem 8. Bildband Kirchenburg in Bussd; Foto aus dem Buch Ueber Siebenbuergen Kirchenburgen im mittleren Kokelland
Kirchenburg Bußd

In Leselaune’s Schlussansichten


Nachdem Band 6 Kirchenburgen im Unterwald in Sachen Luftfotografie eine positive Entwicklung genommen hatte, Band 7 Kirchenburgen im Haferland und Repser Ländchen deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, präsentiert sich der achte Band Kirchenburgen im mittleren Kokelland mit Birthälm als bisheriger Höhepunkt der Serie Über Siebenbürgen.

Portal der Kirche in Kirtsch aus dem Bildband Ueber Siebenbuergen Band 8
Kirtsch

Die Bildperspektiven sind sorgfältig und abwechslungsreich gewählt, der alte Baubestand hervorragend in Szene gesetzt. So erhält der Leser neben den Hochglanz-Drauf- und Seitenansichten der Kirchenburg immer auch ein Landschaftspanorama einschließlich heutiger Dorfstruktur. Besonders gelungen sind die Impressionen von Bußd (S. 34), Birthälm (S. 63-65), die Abendidylle aus Reichesdorf (S. 72) sowie der ungewohnte Betrachtungswinkel des eindrucksvollen Portals in Kirtsch (S. 92). Luftfotografisch bleiben also nur wenige Wünsche offen wie die Außenfresken von Durles anstelle der Großaufnahme des Daches mit Storchennest.

Auch die Innenaufnahmen mit Blick in beide Richtungen der Ost-West-Achse schenken einen aufschlussreichen ersten Eindruck über die baulichen und kunstgeschichtlichen Besonderheiten. Besonders gelungen sind dabei die doppelseitigen Anordnungen. Pompöse, verspielte, schlichte, ausgehöhlte, notdürftig ersetzte oder inexistente Altäre als auch Orgeln erhalten dabei ebenso ihren Auftritt wie abblätternder Putz, Feuchteschäden, Risse in den Wänden oder Ton- in Ton auf das Interieur abgestimmte Bankkissen. Auch hier hat die Bildqualität gegenüber der letzten Ausgabe deutlich zugenommen. Nur wenige Abbildungen wie Kirtsch (S. 96/97), Reichesdorf (S. 70/71) oder der Chorraum in Bogeschdorf (S. 88) wirken durch ein Zuviel an Kontrast unwirklich und unauthentisch. Vermutlich eine notwendige technische Krücke, um die ungünstigen Lichtverhältnisse in diesen Kirchen auszugleichen.

Band 8 – eine runde Sache

Die kurzen Textbeiträge zu den einzelnen Kirchenburgen sind leichtfüßig formuliert und vermitteln einen ausreichenden ersten Überblick über die Wurzeln und Schicksalsschläge jeder Ortschaft. Lediglich Meschen sowie Birthälm als ehemaliger Bischofssitz erhielten eine umfangreichere prosaische Aufmerksamkeit. Dazu gibt es, in wenige Worte gefasst, interessante Details zur Architektur und Ausstattung jeder Kirchenburg.

Alle Angaben von der Dorfchronik über die Baugeschichte bis zur Beschreibung der Bauplastiken und des Kircheninventars entstammen in gekürzter Form dem über 800 Seiten dicken Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen von Hermann Fabini. Selbstverständlich profitieren alle Über Siebenbürgen Bildbände von diesem dokumentarischen Zugewinn. Dennoch vermisse ich durch die enge Anlehnung an die „Kirchenburgen-Bibel“ das Überraschungsmoment, eine noch nicht in vorgenannter Quelle gelesene Beschreibung, Erkenntnis oder Begebenheit.

Zu guter Letzt und auf die sichere Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Die Buchstruktur ist in meinen Augen nach wie vor der durchgängige Schwachpunkt der Buchreihe. Auch dieses Mal geht es auf den über einhundert Buchseiten geografisch und alphabetisch wieder mächtig im Zickzackkurs durch die Kirchenburgenlandschaft. Der stark vereinfachte Kartenausschnitt ist bedauerlicherweise keine Hilfe bei der Orientierung.

Dennoch ist Band 8 definitiv mein Favorit der Buchreihe. Das liegt einerseits an der inhaltlichen Ausgewogenheit von Bild- zu Textmaterial und andererseits an der gleichberechtigten Wertschätzung der abgelegenen Kleinode im Vergleich zu den touristischen Aushängeschildern. Der erfreulich gute Zustand der Kirchenburgen im mittleren Kokelland, gepaart mit der unvergleichlichen Fülle an alten Gemäuern, Fresken und Bauplastiken aus dem 15. Jahrhundert machen aus der gelungenen fotografischen Momentaufnahme ein genussvolles Leseerlebnis.


Buchcover Ueber Siebenbuergen Band 8

Über Siebenbürgen – Band 8
Kirchenburgen im mittleren Kokelland mit Birthälm

Kategorie: Bildband
Reihe: Über Siebenbürgen
Autor(en):
Anselm Roth (Fotografien und Text)
Ovidiu Sopa (Luftfotografien)
Verlag: Schiller Verlag Bonn
Erscheinungsjahr: 2019; 1. Auflage
Ausgabe: Hardcover
Umfang: 104 Seiten
ISBN: 978-3-946954-59-0
Preis: 24,00 €

Das Cover als auch die Bilder sind Eigentum des Verlags, Fotografen bzw. sonstigen Rechteinhabers. Die Buchvorstellung ist unbezahlt und unbeauftragt. Das Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ein herzliches Dankeschön hierfür. Meine Rezension wurde davon nicht beeinflusst.

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