Ausschnitt Buchcover Ueber Siebenbuergen Band 10
auf Reisen,  in Leselaune,  in Rumänien

Über Siebenbürgen – Band 10

Mit großer Spannung erwartet, gleichzeitig von viel Wehmut begleitet, liegt der zehnte und zugleich letzte Band der vor sieben Jahren von Anselm Roth und dem Schiller Verlag ins Leben gerufenen Buchreihe Über Siebenbürgen vor mir.

Auf 916 Seiten mit weit über 1000 Fotografien und 171 besuchten Orten erlebte ich eine abwechslungsreiche Reise durch die siebenbürgisch-sächsische Kulturlandschaft. Gotische Steinmetzarbeiten oder vorreformatorische Wandmalereien zogen mich in ihren Bann, „luftige“ Panoramaaufnahmen luden zum Tagträumen ein, außergewöhnliche Bauleistungen brachten mich zum Staunen, kuriose Anekdoten zum Schmunzeln und der omnipräsente Verfall des gebauten Erbes zum Nachdenken. Mit dem Abschlussband über die Kirchenburgen im Nösnerland und Reener Ländchen geht nun eine Ära der Bestandsaufnahme zu Ende.

Kirchenburgen im Nösnerland und Reener Ländchen


Die von Bogdan Muntean und Ovidiu Sopa zu Papier gebrachte Kirchen(burgen)-Bilderschau führt durch den Landstrich zwischen dem Rodnaer Gebirge (Muntţii Rodnei) mit dem Großen Somesch (Someşul Mare) im Norden sowie dem in den Ostkarpaten entspringenden Fluss Mieresch (Mureş) im Osten.

Bereits im 12. Jahrhundert ließen die ungarischen Monarchen Siedler aus dem Rhein- und Moselgebiet anwerben, um die an Bodenschätzen reiche Region wirtschaftlich zu erschließen. So entstanden in weniger als vier Generationen etwa einhundert Ortschaften. Erst der verheerende Mongolensturm der Jahre 1241 und 1242 brachte die weitere Binnenbesiedlung zum Erliegen und liefert eine mögliche Erklärung für die vielen kleinen Ansiedlungen mit kaum mehr als zwei Dutzend Höfen.

Eigentumsrechtlich erwies sich der Nordosten Siebenbürgens als inhomogenes Gebilde. Zahlreiche Weiler im Nösner Gau einschließlich dem Hauptort Bistritz profitierten von den Privilegien des freien Königbodens. Andere wiederum lagen auf Komitatsboden und unterstanden somit einer adligen Grundherrschaft. Dazu zählten vor allem die Gemeinden des südlich gelegenen Reener Ländchens um den mit Sonderrechten ausgestatteten Marktflecken Sächsisch-Regen. Immerhin erlangten einige Hörigendörfer im Laufe der Jahrhunderte die begehrte Freiheit. Sei es mangels adliger Nachkommenschaft oder weil der Grundherr in königliche Ungnade gefallen war.

Jahrhunderte zwischen Blüte, Elend und machtpolitischem Gerangel

Trotz des verbreiteten Untertänigenstatus sorgten die Erz- und Edelmetallvorkommen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Hinzu kam im 14. Jahrhundert die aufblühende Handelsbeziehung mit dem benachbarten Fürstentum Moldau. Kein Viertel Jahrtausend später erhielt die Blütezeit einen massiven Dämpfer. Zunächst wütete der Walachenfürst Mihai Viteazu in Siebenbürgen und anschließend hinterließen die Habsburger Machtkämpfe nichts als verbrannte Erde. Manche Chroniken berichten von nur einem überlebenden Dorfbewohner. Doch Jammern half nicht. Man griff sich gegenseitig unter die Arme, sodass Jahrzehnte später die ein oder andere Gemeinde dermaßen stark prosperierte, dass Teile der Einwohner mangels zur Verfügung stehender Höfe in umliegende Orte umziehen mussten.

Im 19. und 20. Jahrhundert geriet Nordsiebenbürgen dann zum Spielball ungarischer als auch rumänischer Territorialansprüche. Während der k. u. k. Doppelmonarchie stand das Gebiet unter ungarischer Verwaltung, bis es durch den Vertrag von Trianon 1920 dem Königreich Rumänien zugesprochen wurde. Exakt zwei Dekaden später übereignete der Zweite Wiener Schiedsspruch die nordöstlichen Gebiete Transsilvaniens erneut in ungarische Hände. Das Intermezzo dauerte keine vier Jahre und wurde mit dem Seitenwechsel Rumäniens im Zweiten Weltkrieg beendet.

Gleichzeitig flüchteten mit dem Heranrücken der russischen Front große Teile der deutschsprachigen Bevölkerung aus dem Nösnergau und Reener Ländchen nach Österreich und Westdeutschland. Mancherorts war nach 1944 keine Sachsenseele mehr anzutreffen. Zusätzlich machten die nachfolgenden Auswanderungswellen bis in die 1990-er Jahre aus den einst mehrheitlich sächsischen Enklaven eine Nachkommastellen-Minderheit.

Im Buch unterwegs


Das nördlichste Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen nimmt in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Die geografische Abseitslage ist allerdings nur ein Grund für das Schattendasein auf der Kirchenburgen-Landkarte. Vielmehr liegt es an den weniger ausgeprägten und größtenteils verloren gegangenen Wehranlagen. Klassische Kirchenburgen mit übermannshohen Mauerringen, umlaufenden Wehrgängen, Zwingern, Bastionen oder Verteidigungstürmen sucht man hier vergeblich. Selbst Wehrkirchen sind Mangelware.

Hinzu kommt, dass sich das Nösnerland und das Reener Ländchen durch den Massenexodus Mitte des letzten Jahrhunderts früher als jede andere siebenbürgische Region mit dem Thema Leerstand auseinandersetzen musste. Dies verlangte einen teilweise radikalen Spagat zwischen Erhalt, Aufgabe und umstrittener Neuorientierung des sächsischen Kulturerbes. Entsprechend präsentieren sich die in diesem Band im Mittelpunkt stehenden Kirchen zwischen „bedrückender Agonie bis strahlender Ekstase„, wie Autor Bogdan Muntean treffend formuliert.

Die Kirchenburgen im Nösnerland und Reener Ländchen

Sächsisch-Regen – Reghin
Obereidisch-  Ideciu de Sus
Botsch – Batoş
Weilau – Uila
Tekendorf – Teaca
Dürrbach – Dipşa
Lechnitz – Lechinţa
Wermesch – Vermeş
Moritzdorf – Morut
Mönchsdorf – Herina
Bistritz – Bistriţa
Mettersdorf – Dumitra
Tschippendorf – Cepari
Treppen – Tărpiu
Senndorf – Jelna
Minarken – Monariu

Erfreulich ist, dass immerhin zwei Drittel der vorgestellten 16 Sakralbauten noch eine Nutzung erfahren. Allerdings nicht zwangsläufig als evangelisches Gotteshaus. Häufig wurden die Kirchen anderen Konfessionen überlassen. Zum Schutz vor Vandalismus und im guten Glauben auf eine Instandhaltung des Gebäudes. Leider erfüllte sich diese Hoffnung nicht immer.

Dunkle Schatten…

In Senndorf gab die orthodoxe Gemeinde die baufällige sächsische Hinterlassenschaft bereits in den 1970ern auf. Es kam, wie es kommen musste. Das Gewölbe des Schiffes stürzte ein und mit ihm jegliche Hoffnung. Wer heutzutage den Weg in das ehemalige Landgut der ungarischen Königinnen auf sich nimmt, findet ein Paradoxon vor. Verstreute Mauerreste der 500 Jahre alten Saalkirche im Dornröschenschlaf und ein provisorisch verschlossener Chorraum mit neu gedecktem Ziegeldach.

Wie das? Durch die gleichfalls schadhafte Choreindeckung hatte der hereindringende Regen den Wandputz gelöst. Dadurch erlangte die Fachwelt schon seit längerer Zeit Kenntnis von der Existenz frühgotischer Fresken. Dennoch vergingen weitere Jahre ohne ernsthafte Konservierungsmaßnahmen des Denkmalschutzes. Erst die Identifizierung des berühmten Navicella-Motivs machte aus den Wandmalereien eine kunsthistorische Sensation und brachte einen späten finanziellen Rettungsstein ins Rollen.

Apropos Stein bzw. Steine. Davon gibt es in der Tekendorfer Kirche im Reener Ländchen mehr als genug. Brüchige, herabgefallene, heruntergeschlagene, umherliegende und taubenkotübersäte. Dazwischen eine frühgotische und elegant mit Maßwerk verzierte Kanzel und ein schwergewichtiger mittelalterlicher Bußstein. Der desaströse Zustand ist augenscheinlich. Neben den Überresten eines bemalten Gestühls und dem bilderlosen Altaraufsatz mit Durchblick dominieren gähnende Leere, provisorische Holzstützen und fragwürdige restauratorische Interventionen den Innenraum.

Abbildungen der Kirche von Tekendorf aus dem Buch Ueber Siebenbuergen Band 10

… und ein wenig Licht

Der Anblick der Vorzeige-Basilika mit Krypta im ehemaligen Hörigenort Mönchsdorf hinterlässt dagegen einen gepflegt leer gefegten Eindruck. Wie aus dem Ei gepellt, nahezu steril wirkt der markante romanische Bau mit der einzigartigen Doppelturmfassade, der heute überwiegend für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird.

30 Kilometer weiter nördlich wartet Mettersdorf mit einem kontrastreichen architektonischen Ensemble auf. In Nachbarschaft zu dem trutzigen, aus Hau- und Bruchsteinen gefertigten Tor- und Glockenturm aus dem Jahr 1488 erstrahlt eine verspielt neugotische Saalkirche in Pastellgelb. Und wer genau hinschaut, erkennt auf dem Blechdach der Kirche bereits ein verräterisches Detail, bevor er beim Umblättern ein strahlend blaues Wunder erlebt.

1974 ging die ehemals evangelische Pfarrkirche mangels sächsischer Gemeindeglieder in den Besitz der orthodoxen Glaubensgemeinschaft über. Seither überspannt die neobyzantinische Farbenpracht nicht nur die Gewölbe, sondern setzt sich über die Arkadenemporen bis in den verstecktesten Winkel fort. Wenngleich ein liturgischer Fremdkörper, so fügt sich der hinter der Ikonostase erhalten gebliebene evangelische Altar nahezu harmonisch in das von Engeln und Heiligen bevölkerte Himmelszelt ein.

In Obereidisch empfängt die nüchtern-klassizistische Kirche  die Besucher weitaus weniger Aufmerksamkeit heischend. Stattdessen setzt man hier auf subtile Symbolik. Nachdem der barocke Altar mit Kreuzigungsszene durch Holzwurm und Deckeneinsturz Schaden genommen hatte, organisierte der Gemeindepfarrer kurzerhand ein zusätzliches Exemplar aus einer aufgelassenen Kirche in der Bukowina. Ist es Zufall, dass nun Jesus als Sämann das Hauptaugenmerk gilt? Immerhin scheint die Botschaft zu funktionieren. Die gute Saat geht weiterhin auf und die Gemeinde zählt heute sage und schreibe 60 Mitglieder.

In Leselaune’s Schlussansichten


Die Über Siebenbürgen-Buchreihe genießt mittlerweile Kultstatus.
Anselm Roth, Bogdan Muntean sowie Ovidiu Sopa schufen in 10 Bänden eindrückliche Fakten über das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe. Sie fingen Stimmungen unterschiedlichster Schattierungen ein und ließen Fotografien und Texte für sich sprechen. Auch Band 10 mit den Kirchenburgen im Nösnerland und Reener Ländchen reiht sich gestalterisch nahtlos in die Kirchenburgenschau ein, weshalb man sich erneut über eine sorgfältig gestaltete Hommage überwiegend unbekannter Kleinode im Norden Siebenbürgens freuen darf. Einziger Wermutstropfen: der Titel verspricht Kirchenburgen, wo keine mehr sind oder höchstens ein einsamer Turm die Erinnerung daran wach hält.

Trost findet der Leser in jeder Menge Diversität. Sei es architektonisch, kunsthistorisch, konfessionell oder einfach nur farblich. Mittelalterliche Bausubstanz wechselt sich mit barockem Überschwang und kühlem Klassizismus ab. Kirchenlose Türme geben turmlosen Saalkirchen die Hand. Dafür gibt es andernorts sogar derer zwei oder wie in Bistritz den höchsten Glockenturm Siebenbürgens und einzigen mit Aufzug. Aufgegebene und übergebene Gotteshäuser liegen ebenso dicht beieinander wie protestantische Altarräume und orthodoxe Ikonostasen.

Mit zu den größten Überraschungen gehört die Geschichte der Kirchengemeinde Weilau. An einem Ort, wo Gotteshaus und Glockenturm gänzlich getrennte Wege gehen, fand eine kaum für denkbar gehaltene Dorfgemeinschaft im Glauben zueinander. Die im heutigen Uila lebenden Roma schlossen sich noch vor 1944 der evangelischen Landeskirche an und sind ihr bis heute treu. Evakuierung, Flucht und der spätere Wegzug der sächsischen Einwohner änderte daran nichts. Picobello herausgeputzt lädt deshalb die kleine Saalkirche noch immer jeden zweiten Sonntag zum Gottesdienst, bei dem die protestantischen Zigeuner die Bankreihen füllen.

Inspirationsquelle, Zeitdokument und Reisebegleiter in Einem

Eine Einzigartigkeit nach der anderen füllt die 92 Buchseiten. Offensichtlich spielte dieses Kriterium die entscheidende Rolle bei der Auswahl der sakralen Buchprotagonisten. Dadurch hat die Rundkirche in Minarken ebenso ihren Auftritt wie der Modellfriedhof in Tschippendorf oder die wertvollen gotischen Steinmetzarbeiten in Treppen. Dazu liefern die Ortsmonografien historische Rückblenden, bereichern mit Einblicken in die Baugeschichte und sorgen mit der ein oder anderen Anekdote für reichlich Kurzweil.

Fantasievolle Eigenleistung ist in Tschippendorf gefordert, wo das geschriebene Wort verspricht, was das Foto nicht leistet, nämlich die Ausmalung mit orthodoxen Fresken. Hier haben sich Text, Zeit und Foto gegenseitig überholt. In Bistritz wären weniger Luftaufnahmen mehr gewesen. An ihrer Stelle hätte man getrost der Entdeckung einer der weiteren beiläufig erwähnten Ortschaften wie Großeidau, Deutsch-Zepling, Paßbusch, Kyrieleis, Baierdorf etc. den Vorzug geben können.

Meine Neugier ist auf jeden Fall geweckt. Möglicherweise war dies genau die Absicht des Autors. Ein Anstoß, bekannte Pfade zu verlassen und sich eigenständig auf Spurensuche zu begeben. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Die Zeit drängt. Moritzdorf, Senndorf, Tekendorf mahnen. Wermesch dagegen hat im Wettlauf gegen den Verfall den Kürzeren gezogen. Zwei Monate vor Erscheinen dieses Buches stürzte ein Teil des Chordaches ein.

Der Mangel an erhalten gebliebenen Kirchenburgen im Nösnerland und Reener Ländchen stellte die Herausgeber mit Sicherheit vor eine thematische Herausforderung. Doch das Problem wurde mit Bravour gelöst. Band 10 zeigt neben ästhetischen Sakralbauten vor allem die ungeschönte Wahrheit. Mehr als jeder Vorgängerband. Er schreckt nicht vor Ruinen zurück, vor bröckelnden, leeren Hüllen ohne Bestimmung. Gleichzeitig dokumentiert er den gesellschaftlichen Wandel und wird damit zum wichtigen Zeitdokument.

Summa summarum wird mir auch das nunmehr letzte Über Siebenbürgen-Buch ein treuer Begleiter durch die facettenreiche Kirchenburgenlandschaft sein und setzt damit einen gelungenen Schlusspunkt hinter sieben Jahre wort- und bildreiche Exkursionen durch das siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe.


Buchcover Ueber Siebenbuergen Band 10

Über Siebenbürgen – Band 10
Kirchenburgen im Nösnerland und Reener Ländchen

Kategorie: Bildband
Reihe: Über Siebenbürgen
Autor(en):
Bogdan Muntean (Fotografien und Text)
Ovidiu Sopa (Luftfotografien)
Verlag: Schiller Verlag Bonn
Erscheinungsjahr: 2022; 1. Auflage
Ausgabe: Hardcover
Umfang: 80 Seiten
ISBN: 978-3-946954-93-4
Preis: 24,00 €

Das Cover als auch die Bilder sind Eigentum des Verlags, Fotografen bzw. sonstigen Rechteinhabers. Die Buchvorstellung ist unbezahlt und unbeauftragt. Das Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ein herzliches Dankeschön hierfür. Meine Rezension wurde davon nicht beeinflusst.

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