Blick in die Katharinenkapelle im Muenster von Strassburg
Münstergeschichten,  Straßburger Spaziergänge

Die Katharinenkapelle im Straßburger Münster – Grablege eines ambitionierten Fürstbischofs


Großartig sollte sie sein. Mit allen künstlerischen Raffinessen der Zeit ausgestaltet. Dazu Standort des Heiligen Grabes und vor allem die würdige letzte Ruhestätte des Bischofs Berthold II. von Buchegg. Großartig in ihren Dimensionen präsentiert sich die Katharinenkapelle im Straßburger Münster immer noch. Auch die Ausstattung gehört nach wie vor zum Feinsten, was die Gotik zu bieten hat. Nur die Sache mit der Grabkapelle ist schon seit Jahrhunderten Geschichte, der Bischof und das Kenotaph Christi in Vergessenheit geraten.

Vielleicht ist dies ein Grund, warum der überdimensionierte Anbau heutzutage von den Besuchern so wenig Achtung erfährt und meistens nur als Abkürzung von der astronomischen Uhr zum Münstershop frequentiert wird. Dabei bietet er mehr als ein sehenswertes kunstgeschichtliches Detail und hat mehr als eine spannende Geschichte zu erzählen. Es ist also an der Zeit, ein wenig die Werbetrommel für die Katharinenkapelle zu rühren.

Berthold von Buchegg – der Stifter

Siegel Bischof Berthold II. von Buchegg
Siegel Berthold II. von Buchegg; © Archives nationales de France

Berthold Graf von Buchegg/Bucheck (vor 1279 – 1353) machte zunächst Karriere als Komtur des Deutschen Ritterordens, bevor er nach kurzem Intermezzo als Bischof von Speyer 1328 zum Fürstbischof von Straßburg gewählt wurde. Bereits drei Jahre nach Amtsantritt stiftete er die Katharinenkapelle. Damit schlug er eine ganze Fliegenschar mit einer Klappe.

Dass die Bischöfe zur damaligen Zeit einen Begräbnisplatz im Münster erhielten, war gang und gäbe. Eine eigene Kapelle hingegen bedeutete ein absolutes Novum. Die Aufnahme ins himmlische Paradies war Berthold von Buchegg damit gesichert. Jetzt hieß es noch die Zeit im Fegefeuer auf ein Minimum zu reduzieren. Hierfür gab er sage und schreibe vier Altäre in Auftrag. Zusätzlich bezahlte er vorab alle Messen, die nach seinem Ableben täglich für sein Seelenheil gelesen werden sollten.

Eingangstuer mit blumigen Eisenapplikationen und dem Wappen des Bischofs Berthold von Buchegg ueber dem Eingang
Zugangstüre zur Katharinenkapelle mit dem Wappen Berthold II. von Buchegg

Ganz nebenbei trieb der Fürstbischof mit seinem ehrgeizigen Bauvorhaben einen Riesenstachel in das Fleisch des städtischen Magistrats, der nach der Schlacht von Hausbergen 1262 die Kontrolle über die Münsterbauhütte übernommen hatte. Eine derart bedeutende Stiftung konnten die weltlichen Herren nicht ignorieren. Sie mussten dem Wunsch Berthold von Bucheggs Folge leisten, womit er ihnen deutlich die Grenzen ihrer Macht aufgezeigt hatte.

Allerdings musste sich der geistliche Würdenträger bis zur Umsetzung seines Jenseits-Vorsorge-Projekts noch ein wenig in Geduld üben. Bis 1342 waren die Baumeister mit dem Gewölbe des Südquerhauses beschäftigt. Erst danach konnten die Arbeiten an der Grabkapelle unter Leitung von Meister Gerlach, dem Enkel Erwin von Steinbachs, aufgenommen werden. Am 16. April 1349 fand endlich die Weihung zu Ehren der Heiligen Katharina von Alexandrien statt. Eine Hommage an die Nothelferin, deren Gedenktag am 25. November mit dem Tag der Geburt, der Ordination und, als ob er in die Glaskugel geschaut hätte, ebenfalls mit dem Todestag des Stifters zusammenfiel.

Das vielköpfige Heiligen-Empfangskomitee

Selbstredend wählte Berthold von Buchegg für sein Prunkgrab den besten noch verfügbaren Platz im Münster. So entstand zwischen südlichem Querhaus und Seitenschiff ein Anbau von beachtlichen zwei Joch Länge. Nur durch drei Arkaden, einen Strebepfeiler sowie ein halbhohes Schmuckgitter vom Hauptschiff getrennt, versperrte nichts den direkten Blick zum Chor und damit auf das Allerheiligste. Vor der Kapelle ließ der kirchliche Würdenträger ein vierköpfiges Heiligengremium bestehend aus Elisabeth von Thüringen, dem Apostel Andreas, der Märtyrerin Katharina und Johannes dem Täufer als Wachmannschaft postieren.

Blick vom Südschiff auf die Arkadenfiguren vor der Chapelle sainte Cathérine der Cathedrale notre-Dame de Strasbourg

Die Beweggründe, die zur Auswahl der vier Heiligen führte, unterliegen im Falle von Johannes dem Täufer und dem Heiligen Andreas reiner Spekulation. Naheliegend sind jedoch die Vorreiterrollen, die beide in der Heilsgeschichte einnahmen. Johannes als Vorbote von Jesus und Andreas als dessen erstberufener Jünger.

Die Heilige Katharina und die Sache mit dem Rad

Sockelfigur der Heiligen Katharina mit Folterrad vor der Chapelle sainte Cathérine der Cathedrale notre-Dame de Strasbourg

Über die Zusammenhänge der Heiligen Katharina mit den zentralen Lebensstationen des Berthold von Buchegg sind wir bereits im Bilde. Die Konsolenfigur zeigt sie traditionell mit dem Rad als Folterwerkzeug in der linken Hand.

Die hübsche und gebildete Königstochter galt als ausgesprochen wählerisch. An potenziellen Heiratskandidaten mangelte es ihr nicht. Doch keiner erfüllte ihre Erwartungen, bis sie eines Tages auf einen Eremiten traf. Nach dieser schicksalsschweren Begegnung ließ sie sich taufen und erwählte Jesus Christus als einzig in Frage kommenden „Bräutigam“. Sie verließ ihr Elternhaus, um ihrem neuen Glauben zu dienen und traf dabei in Alexandria auf Kaiser Maxentius.

Der heidnische Herrscher hatte gerade eine Christenmenge zusammengetrieben, um von ihnen ein Götzenopfer zu verlangen. Katharina ging entschlossen dazwischen und forderte den König auf, dem falschen Göttern abzuschwören. Daraufhin bestellte Maxentius die 50 klügsten Philosophen seines Landes ein. Sie sollten Katharinas Irrglauben offen legten. Doch der Schuss ging nach hinten los. Alle Philosophen ließen sich taufen, während Katharina zum Martyrium durch das Rad verurteilt wurde. In letzter Minute griff ein Engel ein und zerschmetterte mitsamt dem Folterrad mehrere Tausend Heiden. Schlussendlich fand die Heilige den Tod durch Enthauptung. Das Schwert wurde ihr im Münster abgenommen. Trotzdem hat der heidnische Glaube unter ihren Füßen jegliche Gegenwehr aufgegeben.

Elisabeth von Thüringen – eine Königstochter im Dienste der Barmherzigkeit

Katharina ist zwar die Patronin der Kapelle und steht als solche im Zentrum der Arkadenheiligen, allerdings laufen ihr alle Mitstreiter in Sachen Größe und künstlerischer Ausführung den Rang ab. Insbesondere Elisabeth von Thüringen (1207-1231) weiß direkt neben dem Kapelleneingang mit ihrem liebreizenden Antlitz die Blicke auf sich zu ziehen.

Arkadenstatue der Heiligen Elisabeth mit Bettler vor der Chapelle sainte Cathérine der Cathedrale notre-Dame de Strasbourg

Als Tochter des ungarischen Königs Andreas II. war ihr zukünftiger Lebensweg als Spielball politischer Interessen vorgezeichnet. Bereits im Alter von vier Jahren wurde sie mit dem Sohn des Herzogs von Thüringen verlobt und zur Erziehung ins Ausland geschickt. Ihr neues Zuhause wurde die Wartburg bei Eisenach. Kein Jahrzehnt später erfolgte die Hochzeit mit dem Landgrafen Ludwig, dem sie in kürzester Zeit zwei Kinder schenkte.

Insofern erfüllte Elisabeth jegliche Erwartungshaltungen an eine Landgräfin, wäre da nicht ihr Hang zur Mildtätigkeit und Nächstenliebe gewesen. Anstatt sich wie jede Frau ihres Standes mit Stickarbeiten, Musizieren oder belanglosen Plaudereien die endlosen Stunden am Hof zu vertreiben, kümmerte sie sich lieber um das Wohl von Armen und Kranken. Selbstverständlich sehr zum Missfallen der adligen Entourage, die das unwürdige Verhalten als beschämend empfanden.

Noch während der Schwangerschaft mit ihrem dritten Kind stand Elisabeth plötzlich als Witwe da. Eine Seuche hatte ihren geliebten Mann auf dem Kreuzzug ins gelobte Land dahingerafft. Damit verlor die junge Mutter jegliche Rückdeckung in ihrer Umgebung. Sie kehrte der Wartburg den Rücken, zog sich auf ein Landgut bei Marburg zurück, wo sie ein Hospital gründete. Elisabeth entsagte allen weltlichen Besitztümern, legte das Gelübde des Franziskanerordens ab und widmete sich fortan als einfache Spitalsschwester vor Leprakranken, Schwangeren, Gelähmten und Kindern. Nach kurzer Krankheit verstarb sie mit nur 24 Jahren. Bereist vier Jahre später erfolgte ihre Heiligsprechung.

Aus Vier mach Fünf

Elisabeths Statue schöpft aus dem Vollen ihres kurzen Lebens. Die schmale Krone und edle Kleidung weisen sie als Königstochter aus. Die Bibel in der linken Hand bezeugt ihren festen Glauben. Mit der anderen Hand reicht sie einem Bettler einen Laib Brot. Ohne viel Aufhebens, sondern ganz selbstverständlich. Diese Haltung gehörte zu Elisabeths Credo. „Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten“, (MT 6,2-6,4).

Die Krücke des Bettlers und der volle Trinkbeutel liefern einen weiteren Hinweis auf Elisabeths Taten, die der Steinmetz mit einem letzten Griff in seine stilistische Trickkiste herausgearbeitet hat. Der eklatante Größenunterschied zwischen der Heiligen und dem Bedürftigen unterstreicht die Großartigkeit ihrer Werke der Barmherzigkeit.

Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Wer heutzutage nachzählt, kommt auf fünf Statuen vor der Kapelle. Bis ins 19. Jahrhundert blieb der östlichste Arkadenpfeiler unbesetzt. Dann störte man sich an der Unausgewogenheit der Komposition und vergab den freien Platz an den Heiligen Florentius. Seine zu Füßen abgelegte Mitra weist ihn als einen der Bischöfe aus der Gründerzeit des Bistums Straßburg aus.

Feuerzungen, Spendenbüchsen, verschlungene Rippen und der Ablasshandel

Die Katharinenkapelle durchlief im Laufe der Jahrhunderte einige gestalterische Transformationen. Manche waren dem Geschmack der Zeit, manche politischen Umständen und andere wiederum äußeren Einflüssen geschuldet. Zu den gelungenen Veränderungen gehört zweifelsfrei das prächtige Schlingrippengewölbe.

Unwetter hatten dem damals zur Crème de la Crème der gotischen Architektur gehörenden Sterngewölbe mit hängendem Schlussstein dermaßen zugesetzt, dass es zur Mitte des 16. Jahrhunderts vom damaligen Leiter der Münsterbauhütte, Bernhard Nonnenmacher, ersetzt werden musste. Seither lodern die Feuerzungen des Heiligen Geistes (Apg 2,3) zwischen den wundersam ineinander verflochtenen Gewölberippen, während zwei Engel mit erhobenen Krügen auf das Emblem der Münsterbauhütte anstoßen. Oder schütteln sie vielmehr ihre Spendenbüchsen?

Mit Farbenpracht geizen auch die Altäre nicht. Heute sind es derer nur noch zwei. Wo einst die vier vom Fürstbischof auserwählten Heiligen den Fürbitten Gehör schenkten, haben nun der Erlöser und Maria deren Platz in neugotischem Rahmenwerk eingenommen. Dem Altar neben dem Kapellenzugang mit der Pièta im Schrein und der Darstellung der Mater Dolorosa darunter kam bis ins 20. Jahrhundert eine besondere Rolle zu. Eine an diesem „Altare Privilegatum“ gelesene Messe konnte eine Seele frühzeitig aus dem Purgatorium erlösen. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nahm man von dem gekauften Ablasshandel an katholischen Altären offiziell Abstand.

Gotische Steinmetzkunst neben politischem Statement

Wohlstand war auch bei Conrad Bock und Margareta Beger im Spiel, dass sie sich ein ehrendes Andenken im Straßburger Münster leisten konnten. Das Ehepaar gehörte zu den angesehensten Familien Straßburgs. Als der langjährige Stettmeister 1480 verstarb, gab möglicherweise seine Frau das Epitaph in der Südwand in Auftrag. Es zeigt im Zentrum Mariä Entschlafung im Kreis der Apostel, darunter die Aufforderung für den Dahingeschiedenen zu beten. Zusammen mit den beiden Stifterfiguren und den Familienwappen (man beachte besonders den Steinbock in Verbindung mit dem männlichen Familiennamen) liefert uns dieses Erinnerungsmal ein beeindruckendes Zeugnis lokaler Steinmetzkunst des 15. Jahrhunderts.

steinerne Epitaph mit der Entschlafung Maria in der Katharinenkapelle im Strassburger Muenster
Figur Johanna von Orléans im Strassburger Muenster

Politische Instrumentalisierung ist dagegen das treffende Stichwort für die Holzfigur der Jeanne d’Arc in einer Seitennische der Kapelle. Geschnitzt wurde sie in einer Elsässer Werkstatt, Rüstung und Schwert stammen aus Paris. Die Jungfrau von Orléans ebnete mit dem Sieg über die Engländer im Hundertjährigen Krieg den Weg für ein von der Fremdherrschaft befreites Frankreich. Somit war die 1937 vorgenommene Aufstellung der Märtyrerin in der Kathedrale nicht ohne nationalistische Symbolkraft. Seit knapp 20 Jahren befand sich das Elsass wieder in französischer Hand und so sollte es auch bleiben.

Doch während die Engländer nach dem 15. Jahrhundert keine invasorischen Anstrengungen mehr auf dem Festland unternahmen, überquerten die Deutschen 1940 nochmals den Rhein. Vier Jahre später, nach der Befreiung Straßburgs am 23. November 1944, nahm die Heilige Johanna dann wieder ihren patriotischen Dienst auf im Münster auf.

Glasfenster als Statussymbol und klerikale Kampfansage

Generell ist die Straßburger Kathedrale kein lichtdurchfluteter Sakralbau, wie man es von einem Meisterwerk der Gotik erwartet. An einem regnerischen Herbsttag oder über die Wintermonate bleibt die Katharinenkapelle deshalb meist in diffuses Dunkel gehüllt. Daran ändern auch die über acht Meter in die Höhe schießenden Glasfenster in der Südwand nichts, die noch zur Originalausstattung der Grabkapelle gehören. Erst wenn die Sonne durch die gotische Scheibenpracht mit den Maßwerk verzierten Bogenfeldern fällt, entfaltet sich ein ungeahnter Farbenzauber.

Glas war im Mittelalter ein extrem teurer Werkstoff. Viel Glas bedeutete großen Reichtum und die Möglichkeit, diesen zur Schau zu stellen. Allerdings hatte Berthold von Buchegg mit dem Großauftrag an Meister Johann von Kirchheim noch ganz anderes im Sinn. Nachdem bereits allerlei weltliche Herrscher ihren Platz auf den Glasfenstern im nördlichen Seitenschiff gefunden hatten, verlangte es dringend nach einem klerikalen Gegengewicht. Mit den zwölf Aposteln, dazu Maria Magdalena und Martha setzte der Bischof ein klares Statement in Sachen Jesu Nachfolger und Gottes Werk.

Vier Jahr dauerte die Anfertigung der insgesamt acht Glasfenster, von denen heute nur noch sechs auf der Südseite erhalten sind. Ihre immense Höhe zusammen mit dem streng vorgegebenen Inhalt stellte den Glasmaler vor eine große künstlerische Herausforderung. Nur eine einzige Figur mit maximal zwei Metern Höhe pro Lanzette bedeutete, er musste eine Menge Leerraum mit dekorativer Kreativität füllen. Das Problem löste Johann von Kirchheim geschickt, in dem er die Hauptdarsteller in eine gemalte Turmarchitektur mit lang gezogenen Fialen und fantasievollen Wimpergen platzierte.

Das Fenster der 100 Gesichter sorgt für Zündstoff

Innovativ, allerdings auf ganz andere Weise, kommt das zweigeteilte Glasfenster im Westen daher. Ursprünglich komplettierten auf dieser Seite die Hll. Maria, Agnes, Katharina, Elisabeth und Johannes der Täufer die Apostelgalerie. Nachdem das Originalglas jedoch 1683 kaputt ging, wurde es mangels finanzieller Mittel durch schlichtes weißes Fensterglas ersetzt. Eine Notlösung mit über 300 Jahre Bestand. Erst das Jahr 2015 bescherte dem Münster anlässlich der bevorstehenden 1000-Jahr-Feier ein neues Fenster. Und als Gratisgeschenk obendrauf gab es vom französischen Staat eine Spaltung der Anhängerschaft der Liebfrauen-Kathedrale.

Der Eigentümer hatte sich nämlich nicht für das Wiedereinsetzen historischen Bestands z. B. aus der ehemaligen Dominikanerkirche, sondern für ein modernes Konzept entschieden. Den Ausschreibungswettbewerb gewann das sogenannte „Vitrail aux 100 visages – das Fenster der 100 Gesichter“. Ein Mosaik aus 150 Miniaturporträts anonymer Straßburger Bürger, die zusammen das Gesicht Jesu ergeben. Als Bildvorlage diente das Gemälde „Segnender Christus“ des flämischen Primitiven Hans Memling.

Ich kann die hitzigen Diskussionen, die sich an dem aus der Zeit gefallenen Glasfenster entzündeten, mehr als nachvollziehen. Hätte es im Vorfeld eine öffentliche Abstimmung über die zukünftige Gestaltung gegeben, hätte ich mich sicherlich für eine kunsthistorisch authentische Restitution ausgesprochen. Und würde es immer noch.

Das mag allerdings nicht heißen, dass mich das neue Glasfenster nicht begeistert. Die Idee, die Menschwerdung Gottes durch die Fusion realer Gesichter mit dem Antlitz Christi gestalterisch umzusetzen, ist genial. Dazu liefert im Hintergrund Gottes großartige Schöpfung mit ihren Wundern der Natur das perfekte Setting. Es hat ein wenig gedauert, aber mittlerweile habe ich mich mit dem Millenniumsfenster ausgesöhnt. Mit Ausnahme des Standorts. Mit dem hadere ich immer noch.

Der Grab-Tauschhandel

Nachdem wir die Katharinenkapelle mit ihrer sehenswerten Einrichtung in Augenschein genommen haben, müssen wir noch der Geschichte mit dem Heiligen Grab auf den Grund gehen. Und zu guter Letzt bleibt die Frage nach dem Verbleib Berthold von Bucheggs zu klären. Immerhin stehen wir in seiner Grabkapelle.

Die kunstgeschichtliche Tradition des Heiligen Grabes kam im 14. Jahrhundert in Mode. Sie war eng verbunden mit dem Wunsch eines visuell erlebbaren Osterfestes. „Ein ausgezeichneter Anlass, noch mehr Pluspunkte für das Purgatorium zu sammeln“, muss sich der Bischof gedacht haben und gab parallel zu seiner eigenen letzten Ruhestätte eine Nachbildung des Heiligen Grabes in Auftrag. Damit befand er sich mit seiner sterblichen Hülle zukünftig in bestmöglicher Gesellschaft. Für die Ausführung beauftragte Berthold von Buchegg vermutlich den elsässischen Bildhauer Woelflin de Rouffach.

Der Steinmetz machte sich umgehend an die Arbeit, als eines Tages überraschend der Bischof vor ihm stand und die Fortschritte an seinem Grabmonument zu begutachten wünschte. Voller Stolz präsentierte Woelflin von Rouffach sein Werk mit den Worten: „Es wird so großartig, dass man den Heiland hineinlegen könnte.“ Die Aussage beschämte den Bischof dann doch. Also bestimmte er: „Daz sol nüt sin, daz min grab gottes grab ubertreffe“ und nahm einen Tausch vor. Er selbst begnügte sich mit einem bescheideneren Exemplar, während das Grab des Herrgotts „noch besser und schonre“ gestaltet werden sollte.

Das Heilige Grab

Leider können wir uns heute nur noch anhand eines zweidimensionalen Rekonstruktionsversuchs von der Größe und aufwendigen Ausführung des Heiligen Grabes überzeugen. Mit der Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes im Münster verschwand es 1681 in der Krypta, bevor es in Kleinteile zerschlagen als Füllmaterial zur Erhöhung des Chorraums verwendet wurde. Bei der Neugestaltung des Chors durch Gustave Klotz Mitte des 19. Jahrhunderts fanden sich zufällig mehrere Fragmente, die heute aufwendig restauriert im Musée de l’Œuvre Notre-Dame ausgestellt sind.

Wie darf man sich nun das Heilige Grab vorstellen?
Auf einem 3,5 x 2 Meter großen Sarkophag lag die lebensgroße Liegefigur Christi. Am Kopfende Christi knieten mit Maria Magdalena, Maria, der Mutter des Jakobus und Johanna Chusa die Heiligen Frauen, die am Ostermorgen Jesu Grab aufgesucht hatten. Darüber erhob sich ein ebenfalls 3,5 Meter hoher Baldachin mit überhöhtem Mittelteil.

Die Basis des leeren Grabes schmückten Darstellungen der teils wachen, teils schlafenden römischen Legionäre. Egal ob verdreht, verrenkt, aufgeschreckt, aufgeregt mit dem Arm fuchtelnd oder tief schlafend, die Wächter sind eine künstlerische Augenweide an Detailgenauigkeit. Von den verschiedenartigen Helmen über die Glieder des Kettenhemds, die beweglichen Panzerhandschuhe, die Umwicklung des Schwertknaufs, die Kniebuckel oder Beinschienen, ist jede Feinheit akribisch herausgearbeitet.

Am ursprünglichen Aufstellungsort des Gesamtkunstwerks, der Westwand zwischen Ein- und Ausgang der Katharinenkapelle, findet sich noch der Umriss der erhöhten Mittelarkade und dazu drei auffällige, scharf umrissene Wandmalereien. Sie werden als Negative des polychrom verzierten Baldachins interpretiert. Bei gutem Lichteinfall lassen sich im mittleren Feld zwei Engel mit Heiligenschein erkennen.

200 Jahre bischöflicher Glanz und Gloria im Verborgenen

Vermutlich dem Heiligen Grab gegenüber an der Südwand muss sich die Grablege Berthold von Bucheggs befunden haben. Wir erinnern uns an seinen Wunsch nach der bestmöglichen Aussicht auf den Chorraum. Noch bis in das Jahr 1547 war sie existent. Dann wurde sie im Zuge der Restaurierung des einsturzgefährdeten Gewölbes geöffnet und offensichtlich entsorgt.

Daniel Specklin, der bei der Exhumierung zugegen war, beschrieb seine Eindrücke, wie folgt: „[…] er lag mit dem Haupt auf einem schönen Küssen / daran Gold war / […] hatte ein schönes Inful auff seinem Haupt von Gold und Silber / und einen schönen Ornat von grünem Sammet mit güldenen Rosen / er lag etwas auf der rechten Seiten / an seinem rechten Arm hett er ein Bischöfflichen Stab ganz verguldet / an dem Lincken ein verguldet Schwerdt / und in der Hand ein Buch / an den Händen handschuh und guldene Ringe / an den Fssen ware er gestiffelt und darüber Pantofflen und vergulte Sporen. Zu verwundern ist es / daß er 194 Jahr also ganz geblieben / nicht anderst / als wann er allererst vor 3 Tagen gestorben wäre […].“

Die Abschrift des offiziellen „Actus des Magistrats“ führt weiter aus, dass die Grabplatte der Münsterbauhütte übergeben wurde und nur das kupferne Epitaph in der Wand verblieb. Punkt. Über den Verbleib der seligen Überreste sowie der wertvollen Beigaben wird kein weiteres Wort verloren. So schnell kann es gehen. Stiftung hin oder her, Entsorgung macht auch vor den höchsten geistlichen Würdenträgern nicht halt. Immerhin hatte der Fürstbischof knappe 200 Jahre seinen Frieden. Und sein bauliches Vermächtnis erstrahlt beinahe noch so schön wie zu seinen Lebzeiten.

Blick aus dem Hauptschiff der Strassburger Muensters auf die Glasfenster der Katharinenkapelle

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Quellen

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