Puente de la Rabia in Zubiri, romanische Brücke im Estribar-Tal
Navarra,  Spanische Erinnerungen

Zubiri im Esteribar-Tal


Seit der Völkerwanderung der Kelten, vor über zweitausend Jahren, haftet dem Esteribar Tal der Makel einer Durchgangsstation an. Weder Römer noch Goten oder Araber befanden die Region für besonders attraktiv, als dass sie sie intensiv zu besiedeln gedachten. So herrschte in der Talsenke seit jeher ein permanentes Kommen und Gehen.

Bis heute hat sich daran nicht viel geändert. Zwar gehören mittlerweile über 30 Gemeinden zu dem Pyrenäental, doch wie sagt man so schön: „Papier ist geduldig“. Nur die wenigsten Ortschaften kommen über eine zweistellige Einwohnerzahl hinaus. Vielmehr breitet in einigen Dörfern eine wild wuchernde Vegetation ungehemmt den Mantel des Vergessens über die verlassenen Gebäude aus.

Diese Entwicklung verwundert wenig. Die Jagd, über Jahrhunderte Existenzgrundlage und Haupteinkommensquelle der Talbewohner, besitzt heutzutage nur noch einen untergeordneten Freizeitwert. Auch die Real Fábrica de Armas de Eugi, eine 1766 aus dem Boden gestampfte Waffenfabrik für Kanonen, Munition und Artilleriegeschütze, besaß nur eine kurze Lebensdauer.

Munitionskugeln zur Quarkherstellung

Auf Initiative der Reformminister des Bourbonenkönigs Carlos III. im weitläufigen Gebiet des Quinto-Real-Waldes errichtet, stellte die Königliche Munitionsfabrik ein völlig neuartiges Industriekonzept dar. Auf 10.000 Quadratmetern entstand eine hochproduktive Industrie- und Wohnanlage in Staatseigentum. Durch ihre Lage weitgehend von der Außenwelt isoliert, umfasste die Anlage, neben den Schmelzöfen, Kalibrierwerkstätten, Kohlebunkern und Gussformwerkstätten, auch Einrichtungen des sozialen Lebens wie eine Schule, Kirche, medizinische Versorgungseinrichtung und natürlich die Wohnstätten für über 500 Fabrikarbeiter und ihre Familien.

Nach 28 Jahren war es vorerst vorbei mit dem emsigen Treiben im Wald des Esteribar-Tals. Französische Truppen schleiften die Industrieanlage während des sogenannten Ersten Koalitionskrieges, der durch die Französische Revolution ausgelöst worden war. Nachdem wieder Frieden in der Pyrenäenregion eingekehrt war, gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen zaghaften, allerdings wenig erfolgreichen Wiederbelebungsversuch. 1843 wurde die Munitionsfabrik endgültig aufgegeben.

Dafür erlebte ein privater Wirtschaftszweig Hochkonjunktur: die Quarkherstellung. Es gab fast keinen Haushalt im nordspanischen Tal, der nicht eine oder mehrere mit Schießpulver gefüllte Kugeln unterschiedlichen Kalibers sein Eigen nennen konnte. Im Flussbett des Río Arga, der mitten durch das ehemalige Fabrikgelände floss, gab es genügend davon. Erhitzte man die Kugel im Ofen und fügte sie anschließend der bereits erwärmten Milch hinzu, ließ sich die Herstellung von Quark um ein Vielfaches beschleunigen.

Zubiri – die Brückenstadt

Doch zurück zum „Kommen und Gehen“ im Esteribar-Tal. Die einzige Konstante im Reigen der Durchziehenden bildete, die seit dem Mittelalter stetig zunehmende Schar der Jakobspilger. Der über den Ibañeta Pass und durch Orreaga / Roncevalles führende Camino Francés leitet die Wallfahrer direkt über die berühmte Puente de la Rabia durch das Dorf Zubiri, die Hauptstadt des Esteribar-Tals. Bereits die Römer führten ihre gepflasterte Straße an dieser Stelle über den Fluss Arga. Als der Pilgerboom im 12. Jahrhundert einsetzte, ersetzte man den frequentierten Überweg mit einer romanischen Steinbrücke.

Jakobspilger auf der Puente de la Rabia in Zubiri, im Esteribar-Tal in Navarra

Ihr Alter sieht man der Brücke mehr als deutlich an, zumal die ausgeführten Schönheitsreparaturen an manchen Stellen eine sachgemäße Restaurierung vermissen lassen. Trotz, oder möglicherweise aufgrund mehrfacher Flickschusterei, bröckelt die Brüstung des Handlaufs, während rudimentäre, unverputzte Backsteine als anachronistisches Füllmaterial herhalten. Lediglich ein einzelner, wuchtiger Wellenbrecher stemmt sich beharrlich dem Zahn der Zeit entgegen. Wie ein Bollwerk teilt er den träge vor sich hin gurgelnden Fluss, der kaum die Sockel der beiden halbrunden Brückenbögen umspült. Neben, auf und entlang des mit Geröll aufgeschütteten Übergangs fordert die Natur vehement ihr Wegerecht zurück.

Puente de la Rabia; Tollwut-Brücke in Zubiri, Navarra

Die Brücke, die der Gemeinde zu ihrem baskischen Namen verhalf, präsentiert sich wahrlich nicht als fotogene Schönheit. Vielleicht war sie das auch nie. Aber bekanntlich sind es ja die inneren Werte, die zählen.

Wie viel Wahrheit in dieser Lebensweisheit steckt, zeigte sich bereits im Mittelalter, als die Brücke eingehender Instandsetzung bedurfte. Die bestehenden Brückenpfeiler mussten abgetragen, und eine neue Basis in der Flussmitte errichtet werden. Doch die Arbeiten kamen einfach nicht voran. Trotz aller Bemühungen, gelang es nicht, das Fundament zu legen. Um der Ursache auf den Grund zu gehen, ließen die Baumeister jede Unebenheit im Flusslauf untersuchen, jeden Stein anheben und umdrehen. Und siehe da, man beförderte aus dem Erdreich, wo der Pfeiler gesetzt werden sollte, ein eisernes Kästchen zutage.

Ein Esel spielt Schicksal 

Diese überraschende Entdeckung sprach sich in Windeseile herum. Schnell rief man die Stadthonorigen zusammen, um das ungewöhnliche Fundstück zu öffnen. Die Anwesenden staunten nicht schlecht, als die Reliquien der Heiligen Quiteria zum Vorschein kamen.

Um den Gebeinen der frühchristlichen Märtyrerin eine angemessene Verehrung zukommen zu lassen, sollten sie in die Kathedrale nach Pamplona überführt werden. Sicher auf einem Packesel verschnürt und von hohen geistlichen Würdenträgern flankiert, machte sich der festliche Geleitzug auf den Weg in die zwanzig Kilometer entfernte Hauptstadt des Königreichs Navarra. Kurz vor dem Ziel, in der Ortschaft Burlada, stellte das Maultier seinen störrischen Charakter unter Beweis. Es war keinen Schritt mehr weiterzubewegen. Weder gutes Zureden, noch gewalttätige Argumente halfen weiter. Um das Beste aus der peinlichen Situation zu machen, interpretierte die Delegation die Weigerung des Esels als ein göttliches Zeichen. Sie entschieden deshalb, die Gebeine der Heiligen Quiteria an Ort und Stelle, in der Kirche San Juan de Bautista de Burlada, zurückzulassen, wo sie bis heute ihren würdigen Platz gefunden haben.

Die Bewohner von Zubiri und des Esteribar-Tals fühlten sich doppelt betrogen. Nicht nur, dass man ihnen die Reliquie weggenommen hatte, auch die versprochene Kapelle in der Nähe des Fundortes wurde nie gebaut. Um nicht ganz mit leeren Händen dazustehen, schufen sich die Talbewohner ihr ganz eigenes Heiligen-Ritual.

Strassenschild "Puente de la Rabia" in Zubiri

Als Erstes tauften sie den Fundort der Reliquien auf den Namen Puente de la Rabia, Tollwut-Brücke. Santa Quiteria galt weit über die Region hinaus als Schutzheilige gegen die tödliche Infektionskrankheit, da sie mit ihrer sanften Stimme die wildesten und aggressivsten Bestien und Bluthunde in handzahme Haustiere verwandelte.

Aberglaube gegen Wissenschaft 

Danach sprachen sie dem mittleren Brückenpfeiler magische, schutzbringende Kräfte gegen die Tollwut zu. Einmal jährlich trieben deshalb alle Bauern aus der Umgebung ihr Vieh zusammen, machten sich mit ihren Familien auf den Weg nach Zubiri, um in einer feierlichen Prozession den mittleren Brückenpfeiler im flachen Flussbett dreimal zu umrunden.

Puente de la Rabia in Zubiri, romanische Brücke im Estribar-Tal

Dieses heidnische Ritual hielt sich bis in die Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts. Dann erst vertraute die abergläubische Landbevölkerung dem bereits 1885 von Louis Pasteur entwickelten und erfolgreich getesteten Tollwut-Impfstoff. Die einst viel beschworene Zeremonie geriet in Vergessenheit.

Beinahe. Denn, hätte ich meine Gummistiefel dabei gehabt, ich hätte doch glatt drei Runden um den Brückenpfeiler gedreht. Man kann ja nie wissen!

Zubiri (Comunidad Foral de Navarra), April 2011


Weitere Anregungen für Erkundungslustige

Quinto Real

Ein etwa 3000 Hektar großes Naherholungsgebiet im Esteribar-Tal, das durch seine Vielfalt an Flora und Fauna besticht. Eiben, Buchen, Ahorn, Buchsbaum und Stechpalme bilden besonders im Herbst eine farbenfrohe Kulisse für den durchfließenden Río Arga. Der Name des Waldes geht auf das Königliche Fünftel zurück, die im Mittelalter übliche Steuer zur Nutzung von Forst- und Weidegebieten. 

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