Chorraum mit Altar und Kanzel der Wehrkirche von Bussd bei Muehlbach in Siebenbuergen
Rumänien,  Unterwegs

Bußd – Boz – die kleinste Kirchenburg im Unterwald


Der Tag ist nicht mehr ganz jung. Die reichhaltige gotische Bauplastik der Stadtpfarrkirche von Mühlbach (Sebeş) bescherte mir einen kurzweiligen Vormittag. Die Mittagszeit verbrachte ich im Zekesch-Hochland in nobler Gesellschaft der „Grande Dame“ von Weingartskirchen (rum. Vingard). Zeit also, die beiden durch und durch verregneten Bekanntschaften mit einem weiteren nassfeuchten Rendezvous abzurunden. Eine „richtige“ Kirchenburg soll es nun sein, oder zumindest eine Miniaturausgabe davon.

Nach einer guten halben Stunde auf einsiedlerischen Wegstrecken durch die Hügellandschaft im Norden des historischen Unterwalds erreiche ich mein Ziel. Das Dorf Boz wie das monolinguale Ortsschild verkündet. Die sächsische Vergangenheit zunächst von Bussendorf einsilbig auf Bußd reduziert und schlussendlich sprachlich ausradiert. Nur der Zwergholunder, slawisch boz(yna) hat alle Jahrhunderte überdauert. Ein toxisches Gewächs, vor dem man sich in Acht nehmen sollte. Selbst die Kreisstraße, so könnte man meinen, lässt das 450-Seelendorf links bzw. rechts liegen. Und so wirkt Bußd wie von der Welt vergessen.

12 Mark Feinsilber – der Wert eines halben Dorfes

Die heute zum Kreis Alba gehörende Gemeinde taucht zum ersten Mal 1291 in den Archiven der Geschichtsschreibung auf (und ist nicht mit der namentlichen Doppelgängerin in der Nähe von Mediasch zu verwechseln). Diese Erwähnung besagt, dass die Hälfte des Ortes und „Erbes seit altersher“ für 12 Mark Feinsilber den Besitzer wechselte. Daraus lassen sich drei interessante Erkenntnisse gewinnen. Zunächst, dass die Wurzeln der Siedlung noch wesentlich weiter zurückreichen. Zweitens, dass Bußd nicht auf freiem Königsboden lag. Und drittens, dass auf dem sogenannten Komitatsboden ganze oder halbe Dörfer mitsamt Einwohnern nach Belieben, Finanzbedarf, Gunstbeweis oder -entzug von König oder Adel verschachert werden konnten.

Die Hörigen im Südwesten Siebenbürgens hatten besonders schwer unter der adligen Willkürherrschaft zu leiden. Neben dem drückenden Frondienst (Robot), der an vier Tagen in der Woche abgeleistet werden musste, waren sie an die Scholle gebunden. Somit gab es aus der Untertanentretmühle kein Entkommen. Und da der Grundherr zudem die oberste Gerichtsbarkeit besaß, konnte er nach Belieben schalten, walten und bestrafen.

In den folgenden Jahrzehnten lösten sich Hatterstreitigkeiten und Grenzbegehungen munter ab. Mal ging es gegen den inzwischen längst untergegangenen Nachbarn Ringelkirch, dann überwarfen sich die Grundherren mit Thorstadt (Doştat) und selbst Kleinenyed (Sângătin) mischte munter im Gerangel der Besitzansprüche mit. Doch nicht nur der Adel trachtete eifrig danach, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. In Kreisen des Klerus war das Bereicherungsgen ebenso weit verbreitet. Im 15. Jahrhundert wagten die Kirchenvertreter sogar, ihren Anspruch auf die Zehntanteile aus Bußd einzuklagen. Jedoch tut Übermut selten gut und so wiesen sowohl Papst als auch König Sigismund die gierigen Plebane in ihre Schranken.  

Chor der Wehrkirche von Bußd / Boz bei Muehlbach in Siebenbuergen

Aufstand, Aufschwung und Abgang

Danach verloren die Chronisten Bußd bis zum Bauernaufstand 1784 aus den Augen. Vor allem rumänische Leibeigene und vereinzelt siebenbürgisch-sächsische Hörige aus dem Unterweißenburger Komitat schlossen sich den Anführern Horea, Cloşca und Crişan an. Ziel war es, der unerträglichen Ausbeutung und Unterdrückung durch den ungarischen Adel ein Ende zu bereitet. Allerdings wurde der Kampf um Freiheit, Grund und Boden von habsburgischen Truppen blutig niedergeschlagen. Immerhin führten die politischen Nachwehen der Revolte ein Jahr später zur Aufhebung der Leibeigenschaft.

Bußder Sachsen in typischer Tracht vor dem Torturm
© Karl Ernst Krafft aus dem Buch: Siebenbürgen, ein abendländisches Schicksal

An den etablierten Besitzverhältnissen änderte dies kaum etwas. Über ein Jahrhundert später befand sich das Dorf noch immer im Eigentum von einem halben Dutzend ungarischer Adliger. Erst die Gründung der siebenbürgischen Vereinsbank brachte die Wende. 1909 erwarb das Finanzunternehmen den grundherrlichen Besitz und teilte anschließend die Parzellen gegen Kleinstkredite wieder aus. Endlich konnten die Bauern wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Der Aufschwung ließ nicht lange auf sich warten. 541 Siebenbürger Sachsen lebten 1930 auf dem Gemeindegebiet von Bußd. 50% mehr als noch zur Jahrhundertwende. Danach führten Krieg, Deportation sowie das kommunistische Regime innerhalb von fünf Dekaden vom schleichenden, zum sprunghaften und dann endgültigen Exodus.

Die Sache mit dem „A“

Kaum mehr als drei Dutzend Touristen jährlich finden den Weg nach Bußd. „Eingefleischte Kirchenburgen-Liebhaber“, lässt mich Gheorghe Tiron wissen, der heute in nachbarschaftlicher Vertretung den Schlüssel für das Gebäudeensemble auf dem Dorfanger bereit hält.

Informationstafel zur Kirchenburg von Bussd bei Muehlbach in Siebenbuergen

Auf kleinstem Raum, umgeben von einer mannshohen, einfachen und polygonalen Ringmauer haben sich eine spätgotische Saalkirche, ein befestigter Torturm sowie eine zweigeschossige Bastei erhalten. Wobei das mit dem „Erhalten“ so seine Sache ist. Schon der Blick auf die am Straßenrand platzierte Informationstafel spricht Bände. Dieses Mal sogar in drei Sprachen. Rumänisch, Englisch und – nein, kein Deutsch. Stattdessen gab man auf dem Panneau dem mondänen Französisch den Vorzug. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Nichtsdestotrotz verrät die in Auflösung begriffene Tafel ein spannendes Detail: AB-II-m-A-00191.01. Ich stehe also vor einem historischen Denkmal der Klasse A. Ein Denkmal von nationalem Interesse! Nicht zu verwechseln mit einem Denkmal, für das man sich auf nationaler Ebene tatsächlich interessiert. Ein Buchstabe ist folglich noch lange kein Garant für eine restauratorische Grundsicherung oder nachhaltige Instandhaltungsmaßnahmen. Und beides hätte das außergewöhnliche, siebenbürgisch-sächsische Kulturerbe dringend nötig.

Das Bußder Bollwerk – klein aber fein

Grundriss Kirchenburg Bussd bei Muehlbach in Siebenbuergen

Das Bußder Gebäudetrio zählt zu den verkannten Juwelen unter den Kirchenburgen des Unterwalds. Allein der im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts vollendete Sakralbau ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Die Nord-Süd-Ausrichtung macht dabei nur den Anfang. Außerdem gehört die Kirche mit nicht einmal 15 Metern Länge und sechseinhalb Metern Breite zu den kleinsten Wehrbauten Siebenbürgens. Und als ob das noch nicht genug der Besonderheiten wäre, verbirgt sie unter ihrem Dach als vertikalen Ausgleich ein doppeltes Wehrgeschoss. 

Doch zunächst steht eine Umrundung des in Einheitsbreite angelegten Baukörpers an. Ein kompaktes, hoch aufgeschossenes, turmloses Bollwerk. Es galt dem Feind keine Angriffsfläche, keine Schwachstelle zu bieten, sondern die Lage stets aus allen Winkeln im Blick und unter Kontrolle zu haben. Dies garantierte die Kombination aus Geradeaus- und Senkrechtscharten. Letztere gut getarnt unter der auf abgetreppten Strebepfeilern ruhenden Kragsteingalerie. Lediglich auf der Nordseite verzichtet man auf den Gussschartenkranz. Hier übernahmen ein Torturm sowie das angeschlossene Kampfhaus die Sicherung des sächsischen Zufluchtsorts. Ebenfalls zum verteidigungstechnischen Ausstattungskatalog gehörte die Ringmauer mit Wehrgang. Heute nur noch ein kläglicher Schatten ihrer selbst.

Himmelblaue Tristesse

Ein tiefgezogener überdachter Vorbau schützt den Ein- und zugleich einzigen Zugang ins Innere der Wehrkirche. Himmelblau ist angesagt. Und das ist gut so. Aufmunternde Farbtupfer in einem von omnipräsenten Verfallserscheinungen gebeutelten Schmuckstück.

Das Kirchenschiff geht nahtlos in den winzigen Chorraum über oder umgekehrt. Einzig eine Frage der Sichtweise. Der gedrungene, uniforme Baustil deutet auf einen wesentlichen älteren, womöglich sogar romanischen Ursprung hin. Allerdings schweigt sich die Geschichtsschreibung hierzu aus. Man darf sich deshalb nicht von der Jahreszahl 1523 im Gewölbe der Apsis irritieren lassen. Sie dokumentiert lediglich den Abschluss der Wehrbarmachung. Daneben finden sich Eintragungen zu späteren Renovierungsbemühungen. Die Letzte datiert aus 1877. Meine Schlussfolgerung bedarf keiner Worte.

Abgesehen von dem steinernen Kanzelkorb an der Westwand stammt die liturgische Innenausstattung aus dem 19. Jahrhundert. Sie beschränkt sich im Chorraum auf den frühbarocken Altar mit voluminösem Schnitzwerk und Kreuzigungsszene sowie die Orgel des Hermannstädter Orgelbauers Wilhelm Hörbiger auf der Nordempore. Das 1880 angefertigte Instrument mit schlichtem, klassizistischem Prospekt hat schon seit Längerem keinen melodischen Ton mehr von sich gegeben. Die Reihen der stramm stehenden Orgelpfeifen haben sich merklich gelichtet. Der Spieltisch gleicht einem Büffelklavier.

Von Tristesse begleitet, fällt mein Blick auf die Stoffbahnen-Fahnen der Trauer und des Gedenkens. Löchrig, stellenweise fadenscheinig wie die Erinnerung, die sich zwischen den Rädern der Zeit auflöst. Auf erdbraun-blutrot getränktem Tuch das Foto eines jungen Soldaten mit seinem Kleinkind auf dem Arm. Am 2. Mai 1915 für das Vaterland gestorben. Ein Vaterland, das wenige Jahre später für die Siebenbürger Sachsen keinen Bestand mehr haben sollte. Davor hängt ungewollt symbolträchtig das Bild eines Witwers. Ein sächsischer Bauer in Tracht mit dem typischen Kirchenpelz, schwarzen Hochschaftstiefeln und dem Filzhut in der Hand auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft.

Blick in den Innenraum auf Altar, Kanzel und Gewoelbe der saechsischen Wehrkirche von Bussd

Von einstmals wehrhaften zu heute wehrlosen Wehrgeschossen

Treppensteigen ist angesagt. Gheorghe Tiron freut sich über jede*n Besucher*in, der*die einen Blick unter das Dach der Wehrkirche werfen möchte. Gut versteckt zwischen Vorbau und Eingangstüre führt in der Nordostecke ein rundlicher Turmanbau mit integrierter Wendeltreppe zum doppelstöckigen Wehrgeschoss. Ein Aufstieg, der mit einem schwindelerregenden Blick in das hölzerne Labyrinth belohnt. Auf der unteren Ebene konnten die Senkrechtscharten als Schuss- und Wurflöcher genutzt werden, um Angreifern am Fuß der Kirche den Garaus zu machen. Gleichzeitig hielt man durch die Geradeausscharten den heranstürmenden Feind auf Distanz. Einen noch größeren Trefferradius erlaubten die Schießstände im oberen Wehrgeschoss, das mitunter auch als Getreidespeicher diente.

Mein Kirchenburgenführer ist nun in seiner Erzählfreude nicht mehr zu bremsen. Es geht den Treppenturm wieder hinab und zunächst den gegenüber liegenden ehemaligen Torturm wieder hinauf. Ein wichtiges Element des Bußder Verteidigungskonzepts. Außer jeder Menge Taubenkot erwarten mich im offenen Wehrgeschoss drei Glocken.

Die größte davon soll am Klöppel ungewöhnliche Abdrücke eines ungebetenen Gastes aufweisen. So berichtet zumindest eine Jahrhunderte alte Legende. Einst lebte auf dem Hönnekiepchen-Hügel unweit des Dorfes ein unersättlicher Hüne. Insbesondere nachts bekam der „Henje“ immer einen schrecklichen Hungeranfall. Auf der Suche nach einer ergiebigen Mahlzeit fiel seine Wahl auf die 1678 gegossene Stundenglocke. Doch schon nach dem ersten kräftigen Biss in den Klöppel verging ihm gründlich der Appetit, und er zog mit schmerzverzerrtem Gesicht von dannen. Als der Küster am darauffolgenden Tag in den Torturm stieg, entdeckte er nicht nur drei Riesenzähne am Boden liegend, sondern auch die verräterischen Bissspuren am Klöppel.

Hoffnungsschimmer oder düstere Zukunftsaussichten?

Zusätzlich zum Glockentrio zeigte eine 1762 an der Holzverschalung angebrachte Uhr, was die Stunde geschlagen hatte. Von ihr hat sich lediglich das Ziffernblatt als Abdruck im Holz erhalten. Selbst die Uhrgewichte, die mangels Platzangebot kurioserweise über die Ringmauer hinaushingen, haben im Laufe der Zeit das Weite gesucht.

Am gravierendsten ist jedoch das Taubenproblem. Nicht nur im Torturm. Gheorghe berichtet von der letzten Säuberungsaktion im Jahr 2017. Mehrere Tonnen Taubenkot wurden alleine aus dem Wehrgeschoss der Kirche entfernt. Doch leider schuf man das Problem nicht dauerhaft aus der Welt. Dringend müsste eine Dachhaut eingezogen und die fehlenden Ziegel nachgesteckt werden.

Mit der Begutachtung des Kampfhauses endet mein Besuch in Bußd. Über Jahrzehnte, womöglich Jahrhunderte wurde die Bastei als Schule genutzt. Ich staune noch über die kostengünstige Tapetenalternative, sprich das blumige Druckmuster an der Wand des Klassenzimmers, als mein neugieriger Blick in den Nebenraum fällt. Hier offenbart sich der dramatische Zustand des historischen Gebäudes auf nur einem Quadratmeter. Bilder sagen mehr als Worte.

Es grenzt nahezu an ein Wunder, das Gebäudetrio noch steht. Einen großen Anteil daran hat der ehemalige Bußder Daniel Schuster, der sich in den letzten Jahrzehnten mit großem Engagement für die Rettung der Kirchenburg eingesetzt hat. Allerdings bedarf es dringender Nacharbeiten, um dieses einzigartige Kulturerbe zumindest in das nächste Jahrzehnt hinüberzuretten. Eine Summe von „nur“ 3.500 € steht derzeit im Raum, um die nötigsten Sicherungsmaßnahmen durchzuführen. Eine Summe, die machbar erscheint.
Doch kaum dass ich mich wieder auf den Weg mache, öffnet der Himmel erneut seine Schleusen. Zufall oder gar ein trauriges Zukunftsomen?


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Quellen und Credits

Verein Kulturerbe Kirchenburgen e. V.

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