Uncastillo – eine Burgruine und ein romanisches Juwel
Mit Uncastillo, einem Stecknadel kleinen Punkt auf meiner Straßenkarte, setze ich meine aragonische Rundreise fort. Der Name des Dorfes ist Programm. Eine Burg (Uncastillo) erhebt sich nämlich schon von weitem sichtbar auf dem zerklüfteten Felsmassiv des Peña de Ayllón.
Nachdem ich das Ortsschild passiert habe, parke ich, mangels ausgeschilderter Alternativen, in einer Haltebucht an der Durchgangsstraße. Obwohl nicht bestellt, erwartet mich auf der anderen Straßenseite ein mehrköpfiges Empfangskomitee, das mich mit strengen Blicken einer eingehenden Musterung unterzieht. Mein Gute-Laune-Guten-Morgen-Gruß wird von den Damen und Herren fortgeschrittenen Alters umgehend, aber stillschweigend beantwortet. Als ob sie es jahrelang einstudiert hätten, weist ein knappes Dutzend Arme in einer perfekten Choreografie Richtung Burgruine. Ich bedanke mich für den ungefragten Hinweis mit einem kurzen Nicken, denn ich lerne schnell. In Uncastillo werden nicht viele Worte um Nichts gemacht.
Ich und Uncastillo und sonst Niemand
Auf dem Weg durch die steil ansteigenden, mittelalterlichen Gassen Richtung Burgruine begegne ich keiner weiteren Menschenseele. Nur das Klappern von Kochtöpfen hinter geöffneten Fenstern und eine Katze, die neugierig aus ihrem Hauseingang lugt, sind die einzigen wahrnehmbaren Lebenszeichen. Ich bin nicht überrascht, denn die Einwohnerzahl von Uncastillo ist innerhalb eines Jahrhunderts von etwa 3.500 auf ein Fünftel zusammengeschrumpft.
Schuld daran ist die ausgedehnte Landflucht in diesem eh schon dünn besiedelten Landstrich. Mit Ackerbau und Schafzucht, den Haupteinnahmequellen der landwirtschaftlich geprägten Region, ist eine langfristige Familienplanung mit gesicherter Existenzgrundlage zu ungewiss. Hinzu kommt, dass die nächst größere Stadt weit über 100 Kilometer entfernt liegt. Ein breites Kultur- oder Freizeitangebot für jüngeres Publikum ist ebenso Mangelware, wie eine umfassende medizinische Versorgung oder bildungspolitische Infrastruktur.
Doch die Ortschaft bestritt nicht immer ein Dornröschen-Dasein. Im Mittelalter galt Uncastillo als strategisch bedeutende Festungs- und blühende Handelsstadt im Grenzgebiet der benachbarten Königreiche Navarra und Aragón. Die Ruinen des Castillo Pedro IV. legen heute noch Zeugnis davon ab, dass die Gemeinde mehr als einmal Schauplatz, sowohl kriegerischer Auseinandersetzungen, als auch umstürzlerischer politischer Verschwörungen war.
Showtime im Bergfried
Nach Entrichtung eines minimalen Wegezolls am Eingang zur Burgruine, werde ich als erste Besucherin des Tages mit einer Solo-Kinovorstellung zur Historie von Uncastillo im Museo de la Torre belohnt. Im historischen Ambiente des ehemaligen Bergfrieds wird die 20-minütige Vorführung zu einem lebendigen Geschichtserlebnis. Und das auf Englisch! Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, da Uncastillo bei Weitem nicht der hoch frequentierte Touristen-Anziehungspunkt ist.
Der mächtige, vier Stockwerke hohe Bergfried Torre del Homenaje beherbergt außer dem „Kinosaal“ und der Boutique auch ein kleines, aber überaus professionell gestaltetes Museum.
Zutritt erhält man über eine moderne Außentreppen-Konstruktion aus Aluminium. Sie führt zu den Obergeschossen und damit zum Original-Eingang, der früher nur über eine Leiter erreichbar war. Aus Sicherheitsgründen befand sich im Mittelalter der Zugang zum Wehrturm meistens im ersten Stock. Im Bedarfsfall, also bei Anrücken des Feindes, wurde die Leiter eingezogen. Damit war der Turm uneinnehmbar, es sei denn, die Angreifer schafften es tatsächlich, vor Wut die Wände hochzugehen.
Die Ausstellung informiert nicht nur über mittelalterliche Bautechniken, sondern illustriert vor allem die Entwicklung Unum Castrums von der überschaubaren Gemeinde im 9. Jahrhundert, als Muselmanen, Juden und Christen unter dem Spähturm noch friedlich zusammenlebten, bis zur Metamorphose in die uneinnehmbare Festung Uncastillo. Dazu veranschaulichen Waffen und Rüstungen in der zweiten Etage das Thema „Krieg und Frieden im Mittelalter“.
Und es geht noch höher hinaus. Die Zinnen gekrönte Aussichtsplattform bietet einen grandiosen Rundblick sowohl auf die umliegende Landschaft, als auch auf das 6000 Quadratmeter große Felsplateau mit den Ruinen des gotischen Palastes auf seiner Südseite.
Von Feierlichen, Grausamen und Brudermördern
König Pedro IV. von Aragón gilt als Initiator für die Errichtung des zweigeschossigen Palastes, dessen Grundsteinlegung auf das Jahr 1356 zurückgeht. Ein bedeutungsschweres Jahr in der Geschichte Aragoniens. Es war der Beginn des, mit einigen Unterbrechungen, weit über ein Jahrzehnt andauernden Krieges der beiden Peter, in dem es um die Gebiete des Königreichs Valencia und der Zugang zum bzw. die Vormachtstellung am westlichen Mittelmeer ging.
Hauptdarsteller der Auseinandersetzung
König Pedro IV. el Ceremonioso (der Feierliche) von Aragón und
sein Gegenspieler, König Pedro I. von Kastilien-León, von seinen Gegnern mit dem Beinamen „der Grausame“ bedacht, von seinen Anhängern als „der Gerechte“ gelobt.
Schauplatz
Die Grenzregion zwischen Aragón und Kastilien.
Nicht unbedeutender Nebenschauplatz
Die Thronstreitigkeiten zwischen Pedro I. von Kastilien und seinem illegitimen Halbbruder Enrique de Trastámara.
Die historischen Ereignisse in Kürze
Die Kriegsscharmützel der beiden Peter hielten bereits mehrere Jahre an, und ein Ende war nicht abzusehen. Angriffe und Gegenangriffe wurden geführt, Friedensverträge unterzeichnet und wieder gebrochen, marginale territoriale Gewinne von Verlusten abgelöst. Also ein endloses Hin und Her, von dem nur der Sensenmann profitierte.
Um endlich eine Entscheidung herbeizuführen, lud Pedro IV. Enrique de Trastámara zum Kriegsrat in seinen kürzlich fertiggestellten Palast nach Uncastillo. Der aragonische König erhoffte sich, mit Unterstützung des Erzfeindes seines Erzfeindes, dem Krieg endlich die entscheidende Wendung zu seinen Gunsten zu geben.
Allerdings verfolgte Enrique de Trastámara ganz eigene Ziele, nämlich den Sturz seines Widersachers Pedro I. und Inthronisation seiner Person auf dem kastilischen Thron. Die win-win-Allianz war eine schnell beschlossene Angelegenheit. Trotzdem zogen noch weitere drei Jahre ins Land bis Enrique de Trastámara seinen Teil des Vertrages erfüllte. Pedro I. musste aus seinem Königreich fliehen.
Die Rolle des Schwarzen Prinzen
Pedro I. gab sich und sein Königreich Kastilien und León nicht so leicht auf. Er fand in Eduard (of Woodstock) Plantagenet, bekannt als „Schwarzer Prinz“, einen streitkräftigen Verbündeten. Nur ein Jahr später, 1366, hatte der grausam Gerechte seinen Thron zurückerobert.
Kleiner Exkurs
Als Dank für seinen vernichtenden Schlag gegen den Usurpator wurde der Schwarze Prinz von Pedro I. mit einem riesigen Rubin belohnt, der noch heute an der britischen Königskrone prangt.
Fortsetzung der historischen Ereignisse und Ausgang
Als der Schwarze Ritter nach erfülltem Auftrag mit seinen Gefolgsmännern nach England zurückkehrte, sah der Thronräuber Enrique seine zweite Chance gekommen. Erneut kam es zum kriegerischen Aufeinandertreffen. Pedro I. de Castilla y León, der nun ohne alliierte Verstärkung auskommen musste, unterlag erneut der Übermacht seines Halbbruders. Doch der machtsüchtige Bastard Enrique begnügte sich nicht damit, den König gefangen zu setzen, sondern räumte ihn ein für alle Male aus dem Weg.
Unter einem halbseidenen Vorwand versetzte er persönlich seinem Widersacher den tödlichen Dolchstoß und krönte sich als Enrique II. zum König von Kastilien und León.
Die Ironie der Geschichte
Der Krieg der beiden Pedros wurde im Laufe der Jahre vollkommen von den Kastilien-internen Thronstreitigkeiten in den Schatten gestellt und mutierte vom Haupt- zum Nebenschauplatz.
Pedro I. de Castilla y León bezahlte den Kampf mit seinem Halbbruder mit seinem Leben, während Pedro IV. sich mit Enrique einige Jahre später überwarf und seine hinzugewonnen Ländereien auf kastilischem Boden zurückgeben musste. Somit ging aus dem aragonisch-kastilischen Nachbarschaftszwist keiner der beiden Pedros als Sieger hervor.
Es gab nur einen lachenden Dritten: Enrique de Trastámara. Welch tragische Ironie der Geschichte!
Und noch ein Verlierer – das Königreich Aragón
Die adligen Ritter des Mittelalters zogen für Ihren König und um der Ruhm, Ehre als auch Anerkennung Willen in den Krieg. Die Leibeigenen hingegen hatten keine Wahl. Für sie ging es um das nackte Überleben ihrer Familien. Umso bitterer, dass die Zwangsrekrutierten am Ende des Krieges der beiden Pedros gar nicht mehr wussten, weshalb sie eigentlich kämpften. Und so waren, wie in allen Kriegen, vor allem die Zivilisten die Haupt-Leidtragenden des blutigen Tauziehens zweier machthungriger Monarchen.
Nicht nur dass in den Grenzregionen beider Königreiche das Land verwüstet war, nein, es kam noch schlimmer. Wen oder was der Krieg nicht getötet hatte, das schafften die Pest und eine verheerende Wanderheuschreckenplage. Das Königreich Aragón lag am Boden.
Es bleibt noch viel zu tun
Doch zurück nach Uncastillo.
1389, nach dem Ableben Pedro IV. von Aragón verloren die Herrscher über das inzwischen geeinte Spanien das Interesse an Uncastillo. Aus der einst strategischen Grenzfestung wurde ein politisch unbedeutender Marktflecken. Erst zwei Jahrhunderte später sollte der kleine Ort eine kurze Phase der kulturellen und wirtschaftlichen Renaissance erleben. Neue Prachtbauten wie das Rathaus zeugen noch heute davon. Dann, zu Beginn des 18. Jahrhunderts erinnerten sich, im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges, die Truppen des Erzherzogs Karl von Österreich an die Festungsanlage und besetzten diese. Als jedoch abzusehen war, dass der österreichische Thronprätendent seinen Machtanspruch nicht würde durchsetzen können, zogen sich die Truppen zurück. Natürlich nicht, ohne vorher die Burg zu schleifen.
Inzwischen wurden die verbliebenen Ruinen des schlichten Palastbaus teilweise instand gesetzt. Das Kreuzgewölbe, die beiden hohen Spitzbogenfenster sowie der große Kamin am Ende des Saales im Erdgeschoss sind bereits restauriert. Das zweite Stockwerk darf noch hoffen, dass die privaten und staatlichen Mittel zur Rekonstruktion auch weiterhin fließen.
Aufklärungsunterricht im Mittelalter
Beim Abstieg durch die Altstadtgassen treffe ich mehr oder weniger durch Zufall auf die Iglesia de Santa María. Welch Offenbarung an romanischer Kirchenkunst, die mir beinahe entgangen wäre! Der Figurenschmuck des Portals und der Kragsteine an der Apsis verdienen das Prädikat sensationell skandalös.
Hier wird ein Sündenpfuhl und Karneval der Absonderlichkeiten vor aller Öffentlichkeit breitgetreten. Heutzutage gäbe es einen lauten Aufschrei angesichts der schamlosen, ungeschönten, geradezu obszönen und naturalistisch-realistischen Darstellungen. Damals, zur Bauzeit der Kirche im 11. Jahrhundert, störte sich Niemand daran. Nicht einmal der Klerus, der hier wahrlich nicht gut wegkommt.
Beim Anblick des Kragsteins, auf dem sich ein Weib mit einem Mönch in einer eindeutigen Stellung verlustiert, während sich gleichzeitig eine Schlange als Sinnbild der Versuchung an den Genitalien des Klosterbruders zu schaffen macht, treibt es mir die Schamesröte ins Gesicht.
Was muss Aufklärung im Mittelalter doch einfach gewesen sein. Man schickte die Heranwachsenden zur Kirche, verordnete ihnen stille Kontemplation des Figurenschmucks und schon wusste die Jugend, was Sache ist. Manche Darstellungen ersetzen ungelogen jedes Anatomiebuch.
Neben einigen biblischen Motiven, tummelt sich allerlei Volk an der Außenwand der Kirche und den Archivolten. Da gibt es den mutigen Mann, der ein Löwenmaul mit beiden Händen umfasst und es so weit auseinanderzieht, dass selbiger alle Zähne entblößt und mit mir um die Wette grinst. Musiker und Gaukler, Verdrehungskünstler, Fratzenschneider, ein Scharlatan mit Riesenzange, der seinem Opfer die Zähne ziehen möchte, Männer, bei denen man nicht weiß, ob sie sich den Kopf halten, weil sie zu sehr dem Alkohol zugeneigt waren, oder ihrem Gegenüber den Vogel zeigen, ziehen an meinen verblüfften Augen vorbei.
Ein Possenspiel niedrigster Natur, ein symbolträchtiges Kabinett menschlicher Lächerlichkeit, welches hier für die Nachwelt in Stein gemeißelt festgehalten wurde. Einfach grandios!
Stilkunde der spanischen Großväter
Als ich mich wieder auf den Weg zurück zu meinem Auto mache, stehen die „abuelos y abuelas“, also die spanischen Großmütter und -väter, immer noch beisammen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht festgewachsen sind, dennoch erwecken sie den Eindruck, als ob sie Modell für ihr eigenes Denkmal stehen würden. Gebeugt, ergraut, aber unverwüstlich.
Die Männer in gestärkten Hemden mit vom vielen Waschen sichtbar zerschlissenen Krägen, darüber ein dicker Wollpullover und ein etwas ausgebeultes Sakko. Dazu Straßenschuhe, bei deren Abnutzungsgrad man mutmaßen könnte, dass sie dieses Paar bereits bei ihrer Hochzeit getragen haben. Aber es sind niemals Arbeitsschuhe und auf gar keinen Fall diese schweren, erd- und lehmverkrusteten Gummistiefel. Der stolze Spanier ist und bleibt, so tief er auch in seinem dörflichen Leben verankert sein mag, immer ein Mann von Welt. Und zu diesem Status gehört, beim täglichen Dialog an der Straßenecke, die gesellschaftsfähige Garderobe mit Sakko und Straßenschuhen.
… und die verschiedenen Spezies spanischer abuelas
Bei der weiblichen Spezies existieren im fortgeschrittenen Alter zwei komplett unterschiedliche Kategorien.
Auf der einen Seite gibt es die Gattung der städtischen Rentnerinnen, die Abwechslung suchen von der Eintönigkeit des Haushaltes und mehr sein möchten als nur die Hüterinnen der Enkelschar. Die spanischen Damen von Welt möchten sehen und gesehen werden. Während ihre Männer sich mit Ihresgleichen auf ein zwangloses Bier in der Eckkneipe verabreden, werfen Sie sich in Schale. Sie treffen sich nachmittags im Kaffeehaus, Kostüm, Handtasche und Pumps farblich aufeinander abgestimmt, die Haare frisch frisiert, meist mit einem leichten ins Bläulich-Violette abgleitenden Grauton, sorgfältig geschminkt und mit dem kompletten Inhalt der Schmuckschatulle dekoriert.
Auf der anderen Seite gibt die „echten Omas“. Und diese stehen hier in Uncastillo.
Ihre Gesichter sind runzlig, verlebt, ihre Falten tief wie Ackerfurchen. Man kann darin lesen wie in einem offenen Buch: Entbehrungen in der Kindheit, eine kurze Jugend, baldige Familiengründung, Kinderkriegen, schlaflose Nächte, Glück und Alltagssorgen im steten Wechsel, Schicksalsschläge, Familienfeiern, Freudentränen, Enkelkinder, begrabene Träume, Tod und vor allem Arbeit – tagein und tagaus.
Aber ihre Züge, in denen sympathischen Lachfalten genauso ihren Platz gefunden haben, lassen auch erkennen, dass es ein erfülltes Leben war. Diese Großmütter haben raue Hände. Sie spreizen nicht den kleinen Finger beim Kaffeetrinken ab, dafür kennen sie bestimmt die leckersten Rezepte für den berühmten Lammbraten „Ternasco de Aragón asado“ oder das traditionelle Hühnchen-Eintopfgericht „Pollo al Chilindrón“.
Sie stecken in mehreren Schichten Kleidern, die ihre Stattlichkeit betonen oder ihre Zerbrechlichkeit potenzieren. Es kümmert sie nicht, was die Nachbarinnen über sie denken, denn hier herrscht ein stillschweigendes Einverständnis: Kleidung dient einem praktischen Zweck und ist kein zur Schau getragenes Attribut.
Eine Generation als Institution
Diese Generation stellt eine einmalige spanische Institution dar.
Es sind diese lebenserfahrenen Menschen, die die kleinen ländlichen Gemeinden am Leben erhalten. Noch. Nicht auszudenken, wie das Dorfbild aussehen wird, wenn diese Generation nach und nach ausstirbt. Wie viele der winzigen Dorfgemeinschaften im Niemandsland werden im Laufe der nächsten Jahrzehnte von der Landkarte verschwunden sein?
Noch gibt es für die Mitte der 60-er Jahre einsetzende Landflucht keine rückläufigen Anzeichen oder Bewegungen. Sicherlich sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beweggründe der jüngeren Jahrgänge für den Fortzug nachvollziehbar. Nichtsdestotrotz stimmt mich die Vorstellung, wie ich in zehn Jahren erneut in Uncastillo Halt mache und keiner Menschenseele mehr begegne, nachdenklich.
Ich habe ein gruseliges déjà vue: Eine gespenstische Vorstellung, die ich gestern in Ruesta bereits als Realität erlebt habe: leerstehende Höfe, verlassenes Kulturerbe, eine beängstigende Stille. Und dabei haben sich diese alten Menschen offensichtlich so viel zu erzählen.
Bis heute bin ich nicht dahintergekommen, was der Gegenstand der angeregten Diskussion unter den señores und señoras gewesen sein könnte. Die Menschen leben praktisch wie Eremiten in ihrer winzigen Dorfgemeinschaft. Welche Themen könnten also hier im Nirgendwo jeden Tag für neuen Gesprächsstoff sorgen? Ob es die gestrigen Nachrichten im Fernsehen waren oder gar politische oder wirtschaftliche Themen? Eventuell die Lottozahlen, das Wetter oder die Fußball-Ergebnisse der Primera División? Womöglich eine Nachricht der Kinder oder Enkel aus der Ferne? Tipps oder Hausmittelchen gegen die Gebrechen des Alters, während alte Jugenderinnerungen hochschwappen?
Vielleicht war es auch einfach nur die Frage, was macht diese blasse junge Frau alleine mit ihrem roten Peugeot in unserem Dorf?
Gut zu wissen
Adresse
Oficina de turismo de Uncastillo
C/ Santiago s/n (Iglesia de San Martín)
ES-50678 Uncastillo, Zaragoza
Weitere Information in englischer Sprache sind hier zu finden.
Übernachtungsmöglichkeit
Als ideale Übernachtungsmöglichkeit zur Erkundung des aragonisch-navarresischen Grenzgebiets eignet sich der 4–Sterne Parador in Sos del Rey Católico. Wer ganz auf Nummer sicher gehen möchte, was der Parador und die kleine Ortschaft mit dem mittelalterlichen Stadtkern zu bieten hat, sollte einen Blick in den Hotel- und Reiseführer Spaniens Paradores von Wolfgang Abel in meiner Blogbibliothek In Leselaune werfen.
In der Nähe
Iglesia San Lorenzo
Umzingelt von Privatgärten trifft man an der Ausfallstraße nach Sos auf die wenigen Überreste der San Lorenzo Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Nur die Südwand mit ihrem romanischen Eingangsportal und Teile der Außenmauer des Chorraums sind erhalten geblieben. Interessant ist die Darstellung des Schutzpatrons auf dem Tympanon der einstigen Templerkirche. Trotz des starken Verwitterungsgrades leidet man mit dem Heiligen Laurentius Höllenqualen auf dem glühenden Eisenrost, dessen Feuer unentwegt von einem Knecht weiter angefacht wird.
Iglesia San Juan
Ebenfalls auf einer Anhöhe erhebt sich unübersehbar die dem Evangelisten Johannes geweihte romanische Kirche. Warum sie auf einem Gräberfeld errichtet wurde, ist bis heute unklar. Unstrittig ist allerdings, dass es sich um die größte frühmittelalterliche Nekropolis in ganz Aragonien handelt. An die 150 in den Felsen gehauene Gräber kann man im und um das Gotteshaus herum zählen. Als zweite Besonderheit der einschiffigen und schlichten Kirche aus dem 13. Jahrhundert gelten die wunderbar erhaltenen Fresken in der rechten Seitenkapelle.
Für Abenteuerlustige
Castillo de Sibirana
Die Ruinen der Festung von Sibirana sind nicht ganz einfach zu erreichen. Bevor man sich auf den Weg in Richtung Landstraße nach Luesia macht, sollte man sich unbedingt im Tourismusbüro von Uncastillo die Route erklären lassen. Eigentlich ist es übertrieben von einer Festungsruine zu sprechen, denn erhalten sind nur zwei Zwillingstürme, die sich majestätisch auf einem Felsen erheben. Auch wenn sie seit dem 10. Jahrhundert unerbittlich Wache halten, konnten sie nicht verhindern, dass sowohl die einstige Burganlage, die dazugehörende Kapelle als auch das völlig verlassene Dorf zu Füßen der Anhöhe komplett dem Verfall anheimgefallen sind. Vielleicht, aber nur vielleicht hätten Festung und Kapelle ein anderes Schicksal erfahren, wenn der Komplex nicht in Privatbesitz wäre?
Weitere Anregungen für Erkundungslustige
Castillo de Sádaba
Nur 15 Kilometer südwestlich von Uncastillo erwartet den Besucher an der höchsten Stelle des kleinen Ortes Sádaba eine monumentale Festung aus dem 13. Jahrhundert. Weder Bauherr(en) noch Bewohner der Burg sind bekannt, was jedoch ihrer Schönheit keinen Abbruch tut.