Szene mit der Anbetung der Hirten der Weihnachtskrippe in der Cathedrale de Strasbourg
Münstergeschichten,  Straßburger Spaziergänge,  Typisch Straßburg

Elsässische Weihnacht Teil 4 – Weihnachtskrippen im Straßburger Münster


Für einen Besuch des Straßburger Münsters gibt es unzählige Gründe: seine außergewöhnliche Ästhetik, die beeindruckenden Ausmaße, ihre erstaunliche Baugeschichte und berühmten Bauherren, der filigrane Engelspfeiler, die unvergleichliche astronomische Uhr, die wunderschönen Glasfenster, die grandiose Aussichtsplattform, die unglaublichen Legenden oder, oder, oder. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Und für einen Besuch in der Adventszeit gesellen sich drei weitere schlagkräftige Argumente hinzu. Da wären die neapolitanischen Krippenfiguren aus dem Spätbarock, die riesige Weihnachtskrippe mit den über drei Dutzend geschnitzten Akteuren und Akteurinnen sowie die wertvollen barocken Tapisserien, die nur einmal im Jahr aus dem Bestand geholt werden, um das Langhaus zu schmücken. Doch das ist eine andere Münstergeschichte.

weihnachtlich geschmueckter Innenraum der Kathedrale von Strassburg

Der Ursprung der Krippentradition

Weihnachtskrippen blicken auf eine sehr lange Tradition zurück. Sie sind sowohl Ausdruck einer handwerklichen Volkskunst als auch des tief verwurzelten Glaubens. Sei es als gespieltes Brauchtum oder statisches Objekt. Ihr Ursprung geht bis in das 6. Jahrhundert zurück, wo in Rom nachweislich die Heilige Nacht mit der Verehrung mutmaßlicher Krippenreliquien umrahmt von Statuen der Heiligen Familie gefeiert wurde. Einen überregionalen Bekanntheitsgrad erreichte auch die lebende Krippe des Franz von Assisi im italienischen Ort Greccio. Er soll im Jahr 1223 unter Einbezug der Dorfbewohner inklusive Ochs und Esel das erste Krippenspiel auf die Beine gestellt haben. 65 Jahre später schuf der Florentiner Bildhauer Arnolfo di Cambio dann schon die erste Steinkrippe, die heute noch in der Sixtinischen Kapelle der Marienbasilika in Rom zu besichtigen ist.

Die Geburt Christus, Radierung von Martin Schongauer, 1470 - 1490
Die Geburt Christus,
Martin Schongauer, ca. 1470

Über die Jahrhunderte etablierten sich die Weihnachtskrippen zum festen Element der weihnachtlichen Liturgie. Wohlgemerkt nur in katholischen Kirchen und Klöstern. Für die Protestanten kam die profane Darstellung der Geburt Jesu einer Herabwürdigung seiner Göttlichkeit gleich. Sie bevorzugten stattdessen den Tannenbaum als Symbol des Sieges des christlichen Glaubens über den heidnischen Götterkult. Umso mehr bedienten sich der Jesuiten- als auch Franziskanerorden der Weihnachtskrippe als plastisch-biblisches Anschauungsmaterial während der Gegenreformation. Mit den inzwischen deutlich kleineren und transportfähigen Krippen war es ein leichtes, dem einfachen Volk das Neue Testament mit den Erzählungen zu Jesu Geburt näher zu bringen.

Dabei wollte man keinem der beiden Evangelisten Lukas und Matthäus, die das Wunder der Weihnachtsgeschichte jeder auf seine Weise für die Nachwelt festgehalten hatten, den Vorzug geben. Vielmehr wurden die unterschiedlich geschilderten Begebenheiten fusioniert und ungeachtet der chronologischen Reihenfolge aus Platzgründen zu einem einzigen Bildwerk verschmolzen.

Kitsch und Kuriositäten unterm Weihnachtsbaum

Im 18. Jahrhundert erreichten die Krippen ihre Blütezeit. Dabei nahmen sie teilweise bizarre Ausgestaltungen an. In Frankreich standen die sogenannten Rocaille-Krippen hoch im Kurs, die das biblische Szenario in einen exotischen Unter-Glas-Paradiesgarten mit Muschelgrotte, Wasserfall und allerlei Glitzer verwandelten. Absurde Blüten trieb der Krippenkult in Marseille. Anstelle von Wachs und Brotkrumen als Figuren-Baustoff setzte man mechanische Gliederpuppen in lokalen Trachten in Szene. In dem grotesken Schauspiel segnete der Papst in einer vorbeifahrenden Kutsche die Heilige Familie, während im Hintergrund ein Kriegsschiff eine volle Breitseite Salven abfeuerte, um den Messias auf Erden willkommen zu heißen. Von dem Lärm geweckt, schlug das Christuskind in seiner Wiege die Augen auf und winkte begeistert den Zuschauern zu.

Zum Glück setzten sich derart skurrile Kuriositäten-Kabinettstückchen nicht durch. Dafür eroberten bald darauf mit der einsetzenden Massenproduktion von bemalten Gipsfiguren die Miniaturkrippen die heimischen Wohnzimmer. Bedauerlicherweise geraten seit Jahren der Sinn der Weihnacht und das althergebrachte Brauchtum immer mehr ins Hintertreffen. Mit der Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes und den riesigen Geschenkebergen bleibt unter dem geschmückten Tannenbaum bald kein Platz mehr für das überlieferte Kulturgut.

Der französische Krippenstreit

Apropos Kulturgut. Das in Frankreich gültige Laizität-Gesetz sieht seit 1905 eine strikte Trennung von Kirche und Staat vor. Doch einige Bürgermeister nahmen es in der Vergangenheit mit der religiösen Neutralität in den städtischen Räumlichkeiten nicht so genau. In dem ein oder anderen konservativ geführten Rathaus gehörte die Aufstellung einer Krippenszene zum gesetzten vorweihnachtlichen Dekorationsstandard, an dem sich lange Zeit niemand empörte. Doch im letzten Jahrzehnt entzündete sich daran ein erbitterter Krippenstreit. Auslöser war das staatliche Verbot zur Vollverschleierung.   

Plötzlich entwickelten sich die Weihnachtskrippen zum politischen Zündstoff. Von Diskriminierung, Ungleichheit, religiöser Indoktrination war die Rede. Sechs Jahre lange beschäftigte das Thema sowohl Presse als auch regionale Gerichte, bis der Staatsrat 2016 ein endgültiges Urteil fällte. Krippen hatten in städtischen, staatlichen oder öffentlichen Einrichtungen nichts zu suchen. Das Christuskind wurde auf die Straße gesetzt! Als neuzeitliche Herberge kamen nur noch ein künstlerisches, kulturelles oder klerikales Umfeld infrage.

Doch Moment mal! Unwillkürlich kommt mir der Einleitungssatz jedes Asterix- und Obelix-Comics in den Sinn. Selbstverständlich in leicht abgewandelter Form. Wir befinden uns im Jahre 1905 n. Chr. Ganz Frankreich wird dem Laizismus-Gesetz unterstellt. Ganz Frankreich? Nein! Ein von unbeugsamen Elsässern bevölkerter Landstrich ganz im Osten hört nicht auf, der Trennung von Kirche und Staat Widerstand zu leisten. Na gut, die Faktenlage war damals ein klein wenig anders. Als das Gesetz verabschiedet wurde, gehörte das Elsass zum Deutschen Kaiserreich. Nachdem die Grenzregion 1919 an Frankreich zurückfiel, weigerten sich die Elsässer erfolgreich das Gesetz zu übernehmen. Bis heute. Insofern zog der Kelch des Krippenkriegs unbeschadet am Elsass vorbei und die Heilige Familie muss sich keine Sorgen um ihre Unterkunft machen.

Ein wertvolles Vermächtnis

Dass das Straßburger Münster im Besitz von gleich zwei Weihnachtskrippen ist, verdankt sie ihrem ehemaligen Ehrendomherrn Eugène Muller. Der katholische Geistliche, der sich zudem als Professor für Kirchengeschichte und christliche Archäologie sowie als Landtagsabgeordneter und Senator im Elsass einen Namen machte, war ganz nebenbei noch ein leidenschaftlicher Sammler religiöser Objekte. Diese vermachte er nach seinem Ableben im Jahr 1948 der Erzdiözese Strasbourg mit dem Wunsch, ein Museum für Sakralkunst einzurichten. Dieser Wunsch sollte sich leider nicht erfüllen. Anstelle der Präsentation in repräsentativen Ausstellungsräumen wanderten die Sammlungsstücke erst einmal für mehrere Jahrzehnte in die Tiefen der Archive.

Mit den Vorbereitungen zur 1000-Jahr-Feier des Münsterbaus 2015 stieß das eingelagerte Vermächtnis plötzlich wieder auf allgemeines Interesse. Man sichtete die Bestände und restaurierte die angeschlagenen Gegenstände. So fanden die seither immer zur Weihnachtszeit im nördlichen Seitenschiff unter Glas präsentierten neapolitanischen Krippenfiguren ihren Weg zurück ans Tageslicht.

neapolitanische Krippenfiguren in der Kathedrale von Strasbourg

Die neapolitanische Krippe

Die gut zwei Dutzend aus Terrakotta, Holz und Wachs modellierten Personen, Tiere und Engel stammen aus dem Neapel des 18. Jahrhunderts. Das Außergewöhnliche der im Süden von Italien beheimateten Krippentradition ist die Wiedergabe der Geburt Christi im zeitgenössischen Kontext. Neben den kanonischen Figuren gehört die ganze Bandbreite des prallen Lebens zur Standardausstattung einer neapolitanischen Weihnachtskrippe. Wir sehen eine Gruppe elegant gekleideter Bürgersfrauen auf ihrem Weg zum Markt, einen verschmitzt dreinschauenden Kaufmann mit junger weiblicher Begleitung, durchreisende Händler als auch zwielichtige Gestalten in Pluderhosen mit grimmigen Mienen und verstecktem Messer in der Leibbinde. Was muss es den Vorbesitzern doch eine Freude bereitet haben, die Puppen zum Leben zu erwecken und sich die fantastischsten Geschichten dazu auszudenken. Denn noch eine Besonderheit besitzen die realitätsnahen Figuren mit den Glasaugen. Während die Köpfe aus Ton geformt und die Gliedmaßen aus Holz geschnitzt sind, besteht der vollbewegliche Korpus aus Stroh und Metalldraht.

Die neapolitanische Krippe erinnert also durchaus an ein großes Puppenhaus. Allerdings an ein sehr kostspieliges. Nur die wertvollsten Materialien kamen bei den traditionellen Krippenbauern zum Einsatz. Spitze, Brokat und feine Seide, gewebte, bestickte und golddurchwirkte Stoffe ebenso wie handgefertigte Knöpfe, lederne Stiefel, Taschen oder Felljacken. Ganz zu schweigen von den Accessoires wie Perlen und anderes Geschmeide. Insbesondere die Heiligen Drei Könige und ihre farbigen Begleiter geizen nicht mit Pomp und Prunk. Deutlich bescheidener, aber dennoch elegant ist der Auftritt von Maria und Josef. Die Gottesmutter zeigt sich in einer klassisch blau-rosé-weißen Kombination, wogegen Josefs brombeerfarbige Seidenweste mit dem Stehkragenhemd doch reichlich befremdlich wirkt. Irgendwie beschleicht mich angesichts dieses kunterbunten Treibens das Gefühl, dass das Jesuskind hier nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Eine Straßburger Institution – die berühmte Münsterkrippe

Im südlichen Seitenschiff sorgt jedes Jahr die Grande Crèche de Noël de la Cathédrale für staunende Gesichter. Dabei ist es wahrlich untertrieben, die 18 Meter lange und drei Meter breite Installation schlicht als Krippe zu bezeichnen. Vielmehr handelt es sich um eine monumentale Krippenlandschaft, die von Osten nach Westen die fünf wichtigsten Stationen der Weihnachtsgeschichte erzählt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwarb der bereits erwähnte Domherr Eugène Muller die damals dreiteilige Krippe aus der bayerischen Holzschnitzer-Metropole Oberammergau. Thematisch konzentrierte sie sich auf die Geburt Jesu, die Anbetung der Heiligen Drei Könige sowie die Darstellung im Tempel. Neben den 80 Zentimeter großen Holzfiguren gehörte auch die entsprechende Kulisse mit Stall und Häusern des Dorfes Bethlehem zum Lieferumfang dazu. Erst in den 1990-er Jahren entschloss man sich die Krippe um die beiden Eingangsszenen der Weihnachtsgeschichte, Mariä Verkündigung und Mariä Heimsuchung, zu erweitern. Ganz im Stile des vorhandenen Ensembles fertigten dieses Mal Künstler aus dem nahe gelegenen Oberkirch die dafür benötigten Hauptdarsteller:Innen an. Anschließend wurde dann auch die Tierwelt mächtig aufgestockt, sodass die Straßburger Krippe mittlerweile 42 bemalte Figuren umfasst.

Nachdem während des Zweiten Weltkriegs die Krippendekoration irreparabel zerstört wurde, erfolgt nun alle zwei Jahre ein Wechsel des „Bühnenbilds“. Mal erhalten mediterrane oder orientalische Dekorationselemente den Vorzug, mal spielt sich die Geburt des Heilands in traditioneller Umgebung ab. Und vor nicht allzu langer Zeit sorgten ein Fachwerkhaus-Modell zusammen mit Plätzchenausstechern, karierter Tischwäsche, Rumtöpfen und Traubenpressen für ein durch und durch elsässisches Ambiente. Dieses Jahr durfte sich die Münsterbauhütte einbringen. 2020 von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt, können sich die Krippen-Zaungäste anhand der aufgestellten Sandsteinminiaturen von der Kunstfertigkeit der Steinmetze überzeugen.

Münsterspione bei der Verkündigung des Herrn

In der ersten Szenerie befinden wir uns inmitten einer fiktiven Gartenlandschaft. Die Jungfrau Maria ist gerade mit dem Studium der Heiligen Schrift beschäftigt, als der Erzengel Gabriel zu ihr tritt. Erschrocken blickt sie von ihrer Lektüre auf, denn der Gottesbote mit den mächtig himmelwärts strebenden Flügeln verkündet ihr eine gar unglaubliche Botschaft. „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. […] Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“ (Luk 1,26–35)

Dass Maria die Auserwählte ist, unterstrichen die Krippenbauer symbolisch mit der Farbgebung ihrer Kleidung. Die rote Robe zeugt von der Liebe zu Gott, der blaue Umhang weist sie bereits als Himmelskönigin aus und das weiße Tuch symbolisiert ihre Reinheit und Jungfräulichkeit. Doch der Erzengel und Maria sind in dieser intimen Szene nicht allein. Habt Ihr die verschiedenen Münster-Miniaturen auf dem Foto entdeckt? Das berühmte Münstermaskottchen alias Geilers Hund, der Engelspfeiler, die wunderschönen Schlusssteine in Rosettenform als auch ein angeketteter Affe sind heimliche Zeugen der Verkündigung des Herrn.

Krippenszene Maria Verkuendigung mit dem Engel Gabriel im Strassburger Muenster

Mariä Heimsuchung – eine semantische Stolperfalle

Nach der Empfängnis macht sie Maria auf den Weg zu ihrer Cousine Elisabet, um gemeinsam ihre Doppelschwangerschaft zu feiern. Denn auch die bereits betagte Elisabet ist unerwartet in anderen Umständen mit Johannes dem Täufer. Drei Monate verbringt Maria bei ihrer Cousine, bevor sie nach Nazareth zurückkehrt. Nicht ganz so lange, aber auch nicht eben wenig, habe ich darüber nachgegrübelt, warum die katholische Kirche in der deutschen Übersetzung dieses Ereignis als Mariä Heimsuchung bezeichnet. Sicherlich kann ein unerwarteter bzw. unerwünschter Besuch durchaus einer Prüfung Gottes gleichkommen, aber doch nicht in diesem Fall. Dann ging mir plötzlich das ganz nahe liegende Licht auf. Euch auch?

Krippenszene Maria Heimsuchung bei Cousine Elisabeth in der Cathedrale de Strasbourg

Die Geburt Jesu – Geduld ist gefragt

Im Zentrum der Krippenlandschaft steht das Thema Christi Geburt und zwar ganz traditionell im Bildzusammenhang mit der Anbetung der Hirten. Im Hintergrund hat der Verkündigungsengel mit Spruchband bereits seine Mission erfüllt und den Schafhütern die Ankunft des Messias vorausgesagt. Schnellstens sind sie mitsamt ihrer Herde herbeigeeilt, um das „Kind zu finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ Doch noch ist es nicht soweit. Die Figur des Jesuskinds wird erst in der Heiligen Nacht am 24. Dezember in Erscheinung treten. Bis dahin müssen sich alle Anwesenden, einschließlich Ochs, Esel und Kirchenbesucher, gedulden.

Krippenszene Maria und Josef und Anbetung der Hirten in der Cathedrale de Strasbourg

Die Anbetung der Heiligen Drei Könige – die Geschichte einer Metamorphose

Die Heiligen Drei Könige und ihre zwei- und vierbeinigen Reisegefährten sorgen für reichlich Exotik in der vierten Krippenszene. Ursprünglich nur als die drei Sterndeuter aus dem Morgenland bekannt, durchlebte das Trio über die Jahrhunderte eine genealogische Metamorphose. Man gab ihnen die Namen Caspar, Melchior und Balthasar, krönte sie zu Königen und machte aus ihnen würdige Repräsentanten der im Frühchristentum bekannten Kontinente Europa, Afrika und Asien. Mit im Gepäck haben sie die wertvollsten Gaben ihrer Zeit, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Damit huldigen sie dem Sohn Gottes, der erwartungsfroh auf dem Schoß seiner Mutter sitzend, die Geschenke betrachtet.

Szene mit der Anbetung der Heiligen Drei Koenige der Weihnachtskrippe in der Cathedrale de Strasbourg

Die Darstellung im Tempel oder die unerklärliche Alterung des Josef von Nazareth

Vom 6. Januar springen wir im christlichen Kalender zum 2. Februar, dem Tag der Darstellung des Herrn im Tempel. Nach dem Gesetz Mose musste jeder erstgeborene Sohn symbolisch Gott übergeben (= dargestellt) werden. Dies geschah im Tempel, wo gleichzeitig die nach der Geburt unreine Maria durch Übergabe einer Taube ihre Reinheit wieder erlangte. Im Moment, als das Kind dem Hohepriester zur Segnung übergeben wird, erkennen der Prophet Simeon und die Prophetin Hanna in Jesus den erwarteten Messias. So weit, so gut. Allerdings frage ich mich, was dem armen Josef zugestoßen ist? Haben die Geburt Jesu und die turbulenten Geschehnisse drumherum den Zimmermann binnen zwei Monaten vom jungen Mann mit Lockenpracht zum gesetzten Herrn mit Halbglatze altern lassen?

Szene mit der Darstellung des Herrn im Tempel der Weihnachtskrippe in der Cathedrale de Strasbourg

Die Glasfenster im südlichen Seitenschiff – eine gotische Auslegung der Weihnachtsgeschichte

Bevor ich mir mit dieser Frage weiter den Kopf zerbreche, werfe ich lieber noch ein Blick hoch zu den Glasfenstern über der Krippenlandschaft. Im östlichsten Fenster des südlichen Seitenschiffs kann man hier nämlich ganzjährig das Leben Marias, die Kindheit Jesu und damit auch die Weihnachtsgeschichte aus dem künstlerischen Blickwinkel des 14. Jahrhunderts bewundern.

Glasfenster im Strassburger Muenster mit der Darstellung des Leben Marias und Kindheit Jesu

Dabei fällt auf, dass der Besuch Marias bei ihrer Cousine Elisabet von den Glasmachern als belangloser Nebenschauplatz eingestuft und unterschlagen wurde. Kunstgeschichtlich aufschlussreich ist die Szene mit der Geburt Jesu. Sie wurde in einen „Stall“ mit gotischen Bögen und Maßwerk platziert, wodurch sich die zeitliche Einordnung der Glasfenster bestätigt. Dieser Aspekt erschien den Künstlern besonders wichtig, denn dafür mussten sogar Maria mitsamt dem Jesuskind an den Bildrand rücken. Einen soziologisch interessanten Vergleich zur Weihnachtskrippe liefert der gläserne Auftritt der Heiligen Drei Könige unter dem strahlenden Stern von Bethlehem. Hier überreichen eindeutig drei weiße Weisen dem Heiland ihre Gaben, ohne dass jemand an der mangelnden Diversität Anstoß genommen hätte.

Was hat Aristoteles in der Weihnachtsgeschichte zu suchen?

Zwei Fenster weiter gibt es eine weitere spannende Entdeckung. Der jüdische Klientelkönig Herodes fürchtet durch die Ankunft des Messias seine Machtposition zu verlieren. Um die bedrohliche Konkurrenz loszuwerden, lässt er, ohne mit der Wimper zu zucken, alle Knaben unter zwei Jahren von seinen Häschern ermorden. So steht es zumindest im Matthäusevangelium 2, 16 geschrieben. Weiter ist dort zu lesen: „Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia […].“ Doch anstelle des für den Propheten vorbestimmten Platzes hat sich ein philosophischer Fremdgänger in die Szenerie eingeschlichen. Das Spruchband weist ihn eindeutig als Aristoteles aus.

Es stellt sich also die Frage, was bewog die Glaskünstler zu diesem Personentausch? Erschien ihnen die Ethiklehre des Universalgelehrten mit dem Glück als oberstem Lebensziel besonders erstrebenswert? Oder war es vielmehr ein dezenter Verweis auf Logik und Wissenschaft, die nach einer Erklärung für die Anwesenheit des anachronistischen Herodes (dieser starb bereits vier  Jahre vor Christi Geburt) in der Frohen Botschaft sucht?

Glasfenster Koenig Herodes im Strassburger Muenster

Nun gilt es also gleich mehrere Rätsel zu lösen. Ob sich eventuell eine Antwort auf diese Mysterien am Tympanon des nördlichen Westportals findet? Ich fürchte, nein. Dafür bietet die wunderschöne gotische Steinmetzarbeit eine weitere abwechslungsreiche Reise durch die Weihnachtsgeschichte.


Gut zu wissen
Mehr über die Straßburger Weihnachtstraditionen in und um das Münster

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert