Nordfassade der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)
Rumänien,  Unterwegs

Weidenbach / Ghimbav Kirchenburg-Kleinod im Burzenland


Die Kirchenburg in Weidenbach (rum. Ghimbav) gehört mit Sicherheit nicht zu den meistbesuchten Kirchenburgen Siebenbürgens. Dennoch erhält sie von mir eine klare Besuchsempfehlung. Die Gründe hierfür: ein Blumenmeer, das Wappen mit Herz und ein goldener Pelikan. Doch eines nach dem anderen.

Mittlerweile habe ich mein „Zelt“ in Kronstadt (rum. Braşov), im Südosten Siebenbürgens, aufgeschlagen. Der ideale Ausgangspunkt, um die Kirchenburgen im historischen Burzenland, zu erkunden. Von der Kreishauptstadt aus folge ich der viel frequentierten E68 und erreiche das Dorf an den Weiden in weniger als einer Viertelstunde. 

Kartenausschnitt des Burzenlandes mit Weidenbach (Ghimbav)

Das Schmuckkästchen des Burzenlandes

Ein berühmter evangelischer Bischof (die Meinung gehen darüber auseinander, ob es Georg Daniel Teutsch 1879 oder Viktor Glondys 1930 war) soll von dem gepflegten Erscheinungsbild Weidenbachs beeindruckt gewesen sein. Die Straßen wurden jeden Morgen gekehrt, die Hofeingänge gefegt, die Fenster geputzt, die Fensterläden regelmäßig frisch gestrichen, sowie die Haussockel gegen die aufsteigende Feuchtigkeit ordentlich geweißelt. Dermaßen von der Schönheit des Ortes angetan, bekam er den Beinamen „Schmuckkästchen des Burzenlandes“ verliehen.

Ob das heutige Ghimbav immer noch diese Auszeichnung verdient?
Ich bin gespannt.

Lassen wir die im Aufbau und Umbruch befindlichen industriellen Randzonen der Kleinstadt außer Acht, gebührt dem Ortskern auf jeden Fall ein „tadellos“. Gepflegte Blumenrabatte vor Kirchenburg und Rathaus wurden angelegt, die Wege davor liebevoll gepflastert, Sitzbänke zum Verweilen aufgestellt, der sonst omnipräsente Kleinmüll weggezaubert.

Gruenanlage vor der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)

Alles ein bisschen zu schön, um wahr zu sein, denke ich für mich. Sozusagen die Blender-, die Vorzeige-Ecke von Ghimbav. Ein paar 100 Meter oder Straßenzüge weiter, herrscht dann wieder nüchterne Realität. Offensichtliche Anstrengungen das Schmuckkästchen-Image aufrecht zu erhalten, sind ansatzweise sicht- und spürbar, aber über ein „man hat sich bemüht“, gehen sie leider nicht hinaus. Da helfen auch die vergoldeten Kuppeln (die einzigen in ganz Rumänien) der orthodoxen Kathedrale nicht weiter. 

Zugegebenermaßen liegt Schönheit immer im Auge des subjektiven Betrachters. Vielleicht bin ich mit meinem Urteil zu kritisch, zu unbarmherzig und argwöhnisch. Möglicherweise aus gutem Grund. Möglicherweise benötige ich auch einfach ein wenig mehr Zeit, um meine normdeutschen Ansprüche den lokalen Möglichkeiten und der rumänischen Mentalität anzunähern.

Die innere Schönheit zählt

Das soll jetzt auf keinen Fall despektierlich oder überheblich klingen. Ich lehne mich sogar aus dem Fenster und stelle die kesse Behauptung auf, dass Rumänien uns in einigen Bereichen längst den Rang abgelaufen hat:

  • High-Speed-Internet bis in den hintersten Winkel Transsilvaniens – flächendeckend vorhanden;
  • IT- und Kommunikationstechnik – auf dem neuesten Stand;
  • Vorhandensein von Einkaufsmalls und Auswahl an Konsumgütern – zum Bauklötze staunen;
  • Universitäten – von beneidenswert hohem europäischen Renommee;
  • Einfallsreichtum, die Nickligkeiten des täglichen Lebens zu meistern – unerreicht;
  • Gastfreundschaft – unschlagbar.

Fakt ist allerdings auch, dass das Land in anderen Sektoren nach wie vor auf der Stelle tritt, beziehungsweise sich in der Entwicklung selbst im Weg steht. Potentiale für ein breites gesundes wirtschaftliches Wachstum sind gegeben, aber sie werden nicht richtig kanalisiert. Das ist in erster Linie ein politisches Thema und würde an dieser Stelle zu weit führen. Dachte ich. Doch dann entdecke ich das in die Ringmauer der Kirchenburg integrierte Bürgermeisteramt. Doch dazu später mehr.

Historisches Wappen mit Herz und drei roten Rosen der saechsischen Gemeinde Weidenbach

Zurück zum einstigen Schmuckkästchen. Schönheit kann bekanntermaßen auch von innen, von Herzen kommen. Das wäre dann auch das passende Stichwort zum historischen Wappen der Gemeinde am Namengebenden Fluss Ghimbăşel. Aus einem blutroten Herzen, das die sächsische Seele und ihre Verbundenheit zum Burzenland verkörpert, entspringen drei rote Rosen. Sie symbolisieren den gemeinschaftlichen Zusammenhalt, die große Heimatliebe und den unerschütterlichen Glauben der Weidenbacher. Eigenschaften, die die sächsische Gemeinde in ihrer über 800-jährigen turbulenten Geschichte zusammengeschweißt haben. Denn nur so konnte sie nach jedem Rückschlag, und davon gab es genügend, wieder aufblühen.

Seit einigen Jahrzehnten sind die Rosen am Verblühen. Das Herz, ihr Dünger, ist verkümmert. Die Heimat ist 1500 Kilometer weiter nach Norden gezogen.

Von der romanischen Basilika zur Wehrkirche

Seit Gründung durch den Deutschen Orden zu Beginn des 13. Jahrhunderts stand die sächsische Ansiedlung stets im Fokus feindlicher Interessen. Zunächst waren es die Türken, die um 1420 das Dorf auf Königsboden komplett verwüsteten. Dem ungarischen König Sigismund war jedoch daran gelegen, die Südost-Flanke seines Reiches gegen weitere osmanische Angriffe zu sichern. Wie in Wolkendorf auch, setzte er die Steuerzahlungen für einen Zeitraum von zehn Jahren aus. Einzige Auflage, Weidenbach hatte mehr in den Schutz der Dorfgemeinschaft zu investieren.

Das musste man den Sachsen nicht zweimal sagen. Sie hatten durch den verheerenden Türkenüberfall ihre Lektion gelernt. Deshalb begann man schnellstens die dreischiffige, spätromanische Tuffstein-Basilika zu einer Wehrkirche umzubauen.

Suedfassade mit Glockenturm der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)

Als erstes wurde ein bis zu zwei Meter dicker, polygonaler Mauerring mit umlaufendem Wehrgang angelegt. Zur Verstärkung der neuralgischen Eckpunkte zog man an diesen Stellen rechteckige Wehrtürme mit bis zu fünf Geschossen hoch. Mit Pechnasen und Schießscharten ausgestattet, hielt man so die Angreifer in Schach.

Im gleichen Atemzug erhielt der Chorraum im Osten ein Kreuzrippengewölbe sowie gotische Maßwerkfenster, während im Westen die Seitenschiffe verlängert und der Glockenturm mit einem hölzernen Wehrgang und einem aufgesetzten Pyramidendach als Turmhelm verstärkt wurde.

Der Weidenbach wurde umgeleitet, um den vor der Ringmauer ausgehobenen Wassergraben zu speisen. Der Zugang in die Kirchenburg war ab sofort nur noch über einen Torturm mit Zugbrücke möglich.

Das Konzept der Fluchtburg mit Verteidigungscharakter schien aufzugehen. Weitere Bedrohungen blieben vorerst aus, Weidenbach prosperierte. 1510 zählte die rein sächsische Dorfgemeinschaft 133 Wirte, 11 Witwen (Hofbesitzerinnen ohne Mann), 6 Hirten, 1 Müller, 1 Glöckner, 1 Amtsdiener und 1 Schulmeister. Die besondere Erwähnung des Schulmeisters ist bezeichnend, da die Sachsen die Schulpflicht in Siebenbürgen einführten.

Eine Geschichte der Tiefschläge

Bald stand jedoch die erste wirkliche Bewährungsprobe für die Kirchenburg an (sieht man einmal von einem Blitzeinschlag ab, der 1521 die Kirche teilweise in Brand setzte). Zuerst fiel 1599 der walachische Fürst und spätere rumänische Volksheld Mihai Viteazul (Michael der Tapfere) in Weidenbach ein. Da er der Kirchenburg nicht viel anhaben konnte, steckte er kurzerhand das Dorf in Brand.

Drei Jahre später zogen habsburgische Truppen unter dem Kommando von Giorgio Bastas plündernd durch Weidenbach. Die Kirchenburg blieb unangetastet. 1611 war die nächste Bedrohung, in Gestalt des siebenbürgischen Fürsten Gabriel Báthory, im Anmarsch. Warum sich die Weidenbacher kampflos ergaben, bleibt ungeklärt. Hatten sie kein Vertrauen in ihre Kirchenburg? Waren sie nicht auf eine Belagerung vorbereitet? Oder erschien ihnen die gegnerische Übermacht einfach zu groß? Leider vermochte die widerstandslose Kapitulation die Zerstörungswut des bekennenden Sachsen-Hassers nicht zu mildern. Der Fürst verschonte zwar die Kirchenburg, nicht aber den Rest des Dorfes.

Die Schrecken des Burzenlandes

Weidenbach war selten das eigentliche Ziel der gewaltsamen Übergriffe. Es war die räumliche Nähe zur Hauptstadt des Burzenlands, die sich für die kleine Dorfgemeinschaft im Laufe der Jahrhunderte als doppeltes Verhängnis herausstellte. Zumeist hatten die feindlichen Truppen das mächtige Kronstadt für ihre Eroberungszüge im Visier. Da bot es sich natürlich an, quasi en passant, alles was auf dem oder im Wege war, dem Erdboden gleichzumachen. In den kurzen Friedenszeiten dazwischen mussten die Weidenbacher dann dem jeweiligen Herrscher ihre Manpower bei der Erweiterung der Befestigungsanlagen um Braşov herum zur Verfügung stellen.

Der schwärzeste Tag

Doch damit des Leids noch nicht genug. Neben den machthungrigen Fürsten und Königen war das Feuer der größte Feind von Ghimbav. 1469 und 1586 brannte das Dorf bis auf die Grundfesten nieder. Zwar sorgten steuerliche Vergünstigungen für ökonomischen Rückenwind, dennoch ist es nur den unermüdlichen Anstrengungen der Gemeinde zu verdanken, dass sie sich nach jedem Schicksalsschlag wieder aufrappelte (man denke an die drei Rosen). Mitte des 17. Jahrhunderts zählte sie sogar zu den reichsten Ortschaften der Region.

Ringmauer der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)

Ende gut, alles gut?
Weit gefehlt. Es kam der 25. August 1658. Der schwärzeste Tag in der Historie von Weidenbach. Die Krimtartaren machten auf ihrem Vormarsch nach Norden in Ghimbav Halt. Den meisten Einwohnern gelang es rechtzeitig sich in der Kirchenburg zu verschanzen. Da die Türken keine Geduld für eine längere Belagerung hatten, versprachen sie den Sachsen die Freiheit, sollten sie sich kampflos ergeben. In treuem Glauben verließen die Weidenbacher den Schutz ihrer Kirchenburg. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Die Türken dachten nicht im Traum daran, ihre Zusage einzuhalten, sondern metzelten sie nieder oder verschleppten sie nach Kronstadt, um sie dort als Sklaven zu verkaufen.

Von einem Tag auf den anderen verlor Weidenbach drei Viertel seiner Einwohner. Dorf und Kirchenburg wurden verwüstet. Acht Jahre dauerte danach allein der Wiederaufbau der Kirche, der mangels wirtschaftlicher und vor allem personeller Ressourcen nur in Etappen voranging.

Fremde Unterstützung war vonnöten. Es verwundert deshalb nicht, dass im Jahr 1700 zum ersten Mal rumänische Taglöhner, Pächter und Schafhirten in der Dorfchronik Erwähnung fanden. Gemeinsam hielt man den mehrfachen Angriffe der Kuruzzen zwischen 1703 und 1711 stand, sodass außer dem Diebstahl von 200 Pferden keine größeren menschlichen Verluste zu beklagen waren. Dies war die letzte größere feindliche Bedrohung. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts trat endlich Ruhe ein.

Ohne Sachsen, kein Ghimbav

Apropos Ruhe. Jetzt habe ich Herrn Mihaly, den Betreuer der Kirchenburg, der nebenan im ehemaligen Pfarrhaus wohnt, mit meinem Anruf aus seiner nachmittäglichen Ruhe aufgeschreckt. In der Nebensaison öffnet sie ihre Pforten nämlich nur nach vorheriger Anmeldung, und meine ist sehr kurzfristig. Ich falle ja quasi mit der Tür ins Haus, aber darüber sieht der pensionierte Rumäne mit viel Gelassenheit hinweg.

Bereitwillig holt er den Schlüssel aus seinem Geheimversteck und schließt nacheinander die große Toreinfahrt und die Eingangstür für Normalsterbliche  an der Südseite der Kirche auf. Der westliche Zugang in den Glockenturm bleibt genauso verschlossen, wie die nur für den Pfarrer reservierte Tür zur Herrlichkeit in der Nähe des Chorraumes. Man kann nur noch erahnen, dass dieser gotische Eingang einst mit Steinmetzarbeiten verziert gewesen sein muss. Bedauernswerter Weise konnte der weiche Tuffstein den jahrhundertelangen schädigenden Witterungseinflüssen nicht standhalten. 

Suedfassade der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)

Herr Mihaly führt gerne durch die Kirchenburg. Auch wenn es nicht „seine“ Kirche ist. Er fühlt eine geschichtliche Verpflichtung. „Ohne die Sachsen, kein Ghimbav“, bringt er es auf den Punkt.
Eine weitere, in die Tiefe und ins Detail gehende Konversation gestaltet sich etwas schwierig, da der gute Mann leider nur der rumänischen Sprache mächtig ist. Trotzdem kann ich einige Eckdaten seines Kirchenführer-Monologes aufschnappen.

Die Kirchenburg, wie sie sich heute präsentiert, entspricht im Großen und Ganzen dem Status quo nach dem mühsamen Wiederaufbau, der auf den „Schwärzesten Tag“ folgte. Nur der Kirchturm büßte an Höhe ein. Die Ausstattung des Kircheninneren stammt dagegen aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Nicht ohne Stolz zeigt Herr Mihaly zunächst auf das Prachtstück von barocker Orgel auf der Westempore. Sie stammt aus der Werkstatt des berühmten siebenbürgischen Orgelbauers Johannes Prause.

Orgel von Johann Prause in der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)

Am gegenüberliegenden Ende des Kirchenschiffs, im fünfeckigen Chorraum, schwebt Christus im Sternenkranz zwischen den Marmorsäulen des klassizistischen Altars, den das Auge Gottes in Klarschrift krönt.

Blick auf den Altarraum der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)

Eine Blumenwiese in der Kirche

Ich höre nur mit halbem Ohr zu, denn mich haben die Kirchen- und Gewölbewände völlig in ihren Bann gezogen. Seit ich den Fuß über die Schwelle gesetzt habe, befinde ich mich im „ich bekomme den Mund vor Staunen nicht zu“-Modus.

Bemalter Gewoelbesockel in der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav)

Die kompletten Innenwände sind beinahe vom Boden bis unter das Gewölbe mit wunderschönen dekorativen Malereien überzogen. Angefangen beim Altar, über den sich ein hellblauer Sternenhimmel spannt, über die herbstliche Blättergirlande der Gewölbebögen bis zur grün-roten Blumenwiese, die sich über alle Mauern des Chorraumes ergießt. Dazu züngeln an den Ausläufern der Gewölbebögen orangegelbe Flammen dem Himmel entgegen, während darunter ein verschlungenes Wurzelwerk auf hellblauem Grund den Weg nach oben sucht.

Ich denke, die Weidenbacher Gemeinde hatte ein Optimismus-Gen im Erbmaterial. Sie betrachten das Haus Gottes wahrhaftig als ihr zuhause. Und da man die eigenen vier Wände, sprich die sächsische Wohnstube ja auch mit Blumentapeten schmückte, sprach doch nichts dagegen, die Kirche ebenfalls in ein Blumenmeer zu tauchen.

Ich spüre, dass Herr Mihaly erleichtert aufatmet, als ich endlich meine Kamera verstaue. Offensichtlich ist er der Meinung, dass ich den Wandmalereien, die um 1902 angefertigt wurden, genügend Aufmerksamkeit gewidmet habe. Aus gutem Grund. Er hat nämlich noch mehr Schmuckstücke in petto, die er mir nicht vorenthalten möchte.

Der aufopferungsvolle Pelikan und die elektrischen Stühle

Kanzel mit vergoldetem Pelikan in der Kirchenburg von Weidenbach (Ghimbav) in Siebenbuergen

Als nächstes darf die Kanzel bewundert werden. Ein außergewöhnliches Exemplar aus der Biedermeierzeit. Insbesondere der vergoldete Pelikan auf dem kunstvoll geschnitzten Kanzeldach ist sehr symbolträchtig. In einer sehr alten Legende herrscht auf Erden eine lang anhaltende Dürre. Menschen und Tiere leiden großen Hunger. Auch ein Pelikan und seine Brut sind betroffen. Die Lage spitzt sich dramatisch zu, denn die Jungen werden jeden Tag schwächer und schwächer. Der Pelikan sieht keinen anderen Ausweg als sich mit seinem Schnabel die Brust aufzureißen, um seine Nachkommenschaft mit seinem eigenen Fleisch und Blut zu füttern. Diese vollkommene Hingabe wurde in der christlichen Mythologie auf den Opfertod Christi übertragen. Jesus gibt seinen Leib und sein Blut für uns Menschen.

Zum anderen ist der Levitenstuhl in der Südwand des Chores eine Seltenheit. Hier konnten sich der Pfarrer und seine Diakone zurücklehnen, während die Gemeinde Credo und Gloria sangen.

Unterhalb der Kanzel fallen mir entlang der Holzbänke auf der Nordseite des Kirchenschiffes zahlreiche elektrische Verteilerkästen auf. Von jedem Kästchen zweigt eine dünne Leitung zu den mit einem Stoffpolster bezogenen Sitzbänken ab. Bekommen hier etwa Gottesdienst-müde Kirchgänger kleine Stromstöße verpasst, damit sie der Predigt aufmerksamer folgen? Spaß beiseite. Selbstverständlich handelt es sich hierbei nicht um eine Foltereinrichtung. Vielmehr ist es ein Versuch durch die Sitzheizungen die immensen Heizkosten in den kalten Monaten zu reduzieren und gleichzeitig die Kontinuität des Gottesdienstbetriebes aufrecht zu erhalten. Die Kirche mit teurem Heizöl auf Betriebstemperatur zu bringen, kann sich die immer noch über fünfzig Mitglieder zählende Gemeinde nicht leisten.

Das Problem mit den Ratten

Der Mauerring ist noch vollständig erhalten, nicht jedoch die von innen angebauten Vorratskammern. Eine Vielzahl davon wurde bereits 1940 abgetragen. Als in den 60er-Jahren Teile der Wehrmauer einstürzten, mussten auch die restlichen Getreidemagazine entfernt werden. Die Schuld daran gab man einer Kolonie nimmersatter Nagetiere, die auf der Suche nach Korn- und Speckresten die Vorratsräume dermaßen untergraben hatten, dass die Ringmauer ihre Standfestigkeit verlor, Risse bekam und teilkollabierte.

Am Ende meines Rundgang, stoße ich inmitten des Berings auf das mintgrün-hellbeige gestrichene Amtsgebäude des Stadtrats. „Bürgermeister der Stadt Weidenbach Toma Dorel“ steht in großen altdeutschen Lettern auf dem Schriftzug an der Hauswand. Ich bin perplex. Wer ist dieser Bürgermeister, der sich auf einem öffentlichen Gebäude selbst zelebriert? Vielleicht ein Mann mit Napoleon-Komplex? Innerlich ärgere ich mich über die unnötigen Kosten für die Kommune. Hätte man das Geld nicht sinnvoller für einen sozialen Zweck einsetzen können?

Rathaus von Weidenbach (Ghimbav) in Siebenbuergen

Vielleicht tue ich dem Mann der Partidul Social Democrat PSD ja Unrecht und er hat tatsächlich Großes für die Gemeinde geleistet. Was ich bei meinen Nachforschungen ans Tageslicht befördere, lässt mir allerdings den Schaum vor den Mund treten. Der Bürgermeister wurde im vergangenen Jahr wegen Amtsmissbrauch und Geldwäsche für 60 Tage unter gerichtliche Aufsicht gestellt. Er soll die Stadt, zusammen mit vier Mitarbeitern, um 18 Millionen Lei (ca. 3,8 Mio. Euro) betrogen haben. Das Strafverfahren läuft noch.

Zum Glück gibt es ausreichend Baumärkte rund um Ghimbav. Deckende Wandfarbe dürfte nicht so teuer sein.

Wie eingangs erwähnt, bin ich immer um politische Zurückhaltung und Neutralität in meinem Blog bemüht. Es gibt jedoch Situationen, in denen Klartext gesprochen werden muss. Ich hoffe, man sieht mir das nach.


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