Kassettendecke mit Strahlenkranz-Beleuchtung in der evangelischen Kirche von Zeiden / Codlea, Rumaenien
Rumänien,  Unterwegs

Zeiden / Codlea – Die Kirchenburg der Superlative


Die Kirchenburg von Zeiden / Codlea besitzt den größten Mauerring aller zwölf noch erhaltenen kirchlichen Befestigungsanlagen des Burzenlandes. Doch das ist nicht der einzige Rekord, mit dem die siebenbürgisch-sächsische Niederburg samt evangelischer Kirche den Besucher für sich einnimmt.

Mein Besuch im siebenbürgischen Zeiden ist deshalb ein veritables 3-Gänge-Menü.
Als Vorspeise habe ich mir bereits das abwechslungsreiche Museum der Traditionen gegönnt. Zum Hauptgang gibt es nun die Kirchenburg und als Nachspeise…?
Lasst Euch überraschen.

Die Kirchenburg von Zeiden – die Rekordhalterin des Burzenlandes

Auch wenn der Kirchenburg von Tartlau (rum. Prejmer) als UNESCO-Weltkulturerbe und der konkurrenzlos schönen Kirchenburg von Honigberg (rum. Hărman) ein höherer Bekanntheitsgrad vorauseilt, kokettiert die Kirchenfestung von Zeiden gerne mit einer Handvoll sowohl architektonischer als auch künstlerischer Superlative.

Zeiden / Codlea - Die Kirchenburg der Superlative

Alles beginnt damit, dass die Zeidner Kirchenburg das älteste, noch erhaltene Gebäude der Stadt am Fuße der markanten Silhouette des gleichnamigen Berges (rum. Măgura Codlei) ist.
1432, direkt nach den verheerenden Türkeneinfällen im Landstrich der Ostkarpaten, machten sich die sächsischen Dorfbewohner an die Errichtung des ersten Mauerrings um ihr Gotteshaus.

Mit einem Durchmesser von etwa 85 Metern stellte der acht bis zehn Meter hohe und zwei Meter dicke Verteidigungswall alle anderen Befestigungsringe des Burzenlandes in den Schatten. Reichlich ausgestattet mit Schießscharten und Maschikulis sorgten außerdem vier Wehrtürme für zusätzlichen Schutz.
Möglicherweise trotzten einst sogar fünf Türme den immer wieder heranstürmenden Türken, denn es war üblich, dass jede im Ort vertretene Zunft ihren eigenen Verteidigungsposten unterhielt. Heute existieren derer allerdings nur noch drei.

Der Weberturm im Norden mit seinem Pultdach und Zinnenkranz ist der wohl markanteste unter ihnen. Die östliche Flanke sicherte der Turm der Böttcher bzw. Fassbinder, während der Wagnerturm im Westen Ende des 19. Jahrhunderts abgetragen wurde. Vom möglichen Schusterturm fehlt jegliche Spur.

Fruchtkammern und Weberturm in der Zeidner Kirchenburg in Codlea, Siebenbuergen

Auch der ehemalige Torturm im Südosten des Berings, der einst in der Obhut der Schmiedezunft lag, ist nicht wieder zu erkennen. Während seiner von den Grundfesten bis zur Spitze durchgeführten Metamorphose zum Glockenturm der Kirchenburg verlor er jeglichen Verteidigungscharakter. Dafür darf er sich jetzt als Rekordhalter fühlen. Mit einer Höhe von 65 Metern überragt er aktuell alle anderen Gebäude der 20.000 Einwohner Stadt Codlea.

Kirchturm der Kirchenburg in Zeiden / Codlea, Siebenbuergen

Von Kornkammern und Fruchtfässern

Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts befestigte die sächsische Gemeinde ihre Kirchenburg mit einer zweiten Ringmauer und einem Wassergraben. Damit hielt sie jeglichen Eroberungsversuchen stand. Erst durch eine List des grausamen und skrupellosen Fürsten Báthory gelangte sie vorübergehend in feindliche Hände.

Ansonsten hatten die Zeidner für den Belagerungsfall wohl überlegte Vorkehrungen getroffen. In den zweistöckig angelegten Fruchtkammern entlang der kompletten Innenseite des Berings konnten sie sich und ihre gehorteten Vorräte bestens verschanzen. Mit dem Inhalt der Fruchtfässer, auch Koffen genannt, überstanden sie sogar eine längere Blockade problemlos. Auch das Gemeindeleben ging innerhalb der Ringmauern seinen gewohnten Gang. Außer der Kirche als spirituellem Zufluchtspunkt, war mit einer Schule, Werkstätten und selbst einem Richteramt im überwölbten Durchgang zur Kirchenburg, für Alles gesorgt.

Mauerring der Kirchenburg von Zeiden mit Kornkammern

Zeiden entwickelte sich über die Jahrhunderte zu einer schnell wachsenden und prosperierenden Gemeinde, sodass die vorhandenen Fruchthäuschen bald überfüllt waren. Da half nur eine unschöne Notlösung. Weitere Kornkammern mussten entlang der Nord- und Außenwand des Chores (wie sie heute noch in Honigberg zu sehen sind) hochgezogen werden.

Später verkaufte die Kirche, zu deren Besitz die Fruchthäuschen gehörten, diese an die Meistbietenden. Damit finanzierte sie dringend notwendige Ausbesserungsarbeiten. Die Koffen selbst, und ihr Standort, waren allerdings unveräußerliches Familieneigentum. Sie wurden von Generation zu Generation weiter vererbt. So kam es vor, dass in manchen Fruchtkammern die Koffen von unterschiedlichen Familien standen.

Als sich Siebenbürgen im 19. Jahrhundert außenpolitisch in ruhigeres Fahrwasser zubewegte, trug man sowohl die Fruchtkammern an der Kirche als auch den äußeren Mauerring wieder ab, und schüttete den Wassergraben zu.

Radierung Zeiden / Codlea - Die Kirchenburg der Superlative

Sein oder nicht sein – die Frage zur Lutherrose

Im Zentrum des Kirchenburgovals steht die, für die Gemeinden rund um Kronstadt, typische unbefestigte Saalkirche.

Im Gegensatz zu den mit Wehrgeschossen und Pechnasen ausgestatteten Gotteshäusern des benachbarten Repser- und Haferlandes, setzten die Burzenländer ganz auf die Standfestigkeit des Mauerrings.
Ungewöhnlich für die Zeidner Kirche ist jedoch, dass sie sich, selbst nach ihrem Umbau in eine gotische Hallenkirche im 15. Jahrhundert, keinen Glockenturm leistete.

Vom romanischen Vorgängerbau blieb nur das Westportal erhalten. Es entstand um das Jahr 1264. Und somit sind wir schon bei einem weiteren Superlativ angelangt.
Als einziges romanische Portal im Burzenland überstand es nicht nur alle kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern auch die zahlreichen Brände, von denen der Rest des Kirchenbaus nicht verschont blieb. So geschehen 1685 und 1701. Möglicherweise stand es um den Inhalt des Gemeindesäckels nicht zum Besten, oder aber es mangelte schon damals an kompetenten Fachkräften. Fakt ist jedenfalls, dass seit den beiden verheerenden Feuern, die Nordwand als auch der sich daran anschließende Chor ohne Fenster auskommen müssen.

Im Innern überrascht die Kirche mit einem farbenfrohen Ensemble aus pastellgelben Wänden, hellblau gestrichenen Galerien und weinroten Samtbezügen der Kirchenbänke.

Blick vom Chor in das Innere der evangelischen Kirche von Zeiden / Codlea

Der Höhepunkt ist dabei die überaus schmucke Kassettendecke. Eine weitere Einmaligkeit unter den Kirchenburgen des Ţara Bârsei. Denn sage und schreibe 252 Lutherrosen schmücken in allen möglichen Formvarianten die 1702 umgestaltete Decke.

bunt bemalte Kassettendecke in der Kirchenburg der Superlative von Zeiden / Codlea
bunt bemalte Kassettendecke in der Kirchenburg der Superlative von Zeiden / Codlea

Offen gestanden, habe ich mit der offiziellen Interpretation der floralen Verzierungen an der Kassettendecke so meine Probleme. Beim besten Willen ist es mir nicht möglich, darin die Lutherrose, und damit das vom protestantischen Reformator selbst entworfene Wappen, zu erkennen. Doch das tut der außergewöhnlichen Schönheit der bemalten Kirchendecke keinen Abbruch.

Ein halbes Dutzend Superlative

Ebenfalls zu den Prachtstücken der Kirchenausstattung zählt die Barockorgel des berühmten Kronstädter Orgelbauers Johann Prause. Mit 2000 Pfeifen gehört das 1783 gebaute Meisterwerk zu den größten Instrumenten in Siebenbürgen. Die Farbgebung des Orgelprospekts erinnert mich dabei stark an die „Miniaturorgel“ in der Kirchenburg im nur zehn Kilometer entfernten Wolkendorf (rum. Vulcan).

Prause-Orgel in der Kirchenburg von Zeiden / Codlea im Burzenland

Apropos Miniatur. In Anbetracht der imposanten Außenmaße der Kirche, erstaunt mich doch die Enge des einschiffigen Kirchenraums. Sicherlich trägt die abgehängte Kassettendecke viel zu diesem gedrungenen Erscheinungsbild bei. Doch auch die gedrängt hintereinander stehenden Bänke mit dem schmalen Mittelgang zum Chorgestühl, sowie die niedrige Holzempore an der Nordwand, bei der ich mich frage, wie man überhaupt auf der oberen Etage Platz nehmen konnte, verstärken dieses Bild. Dafür entschädigt, ohne Weiteres, die Größe des mit einem Netzgewölbe überspannten Chorraumes. Des längsten im ganzen Burzenland. 

Nach der ausgezeichneten, kulturellen Hauptmahlzeit des Tages und einem kurzen Verdauungsspaziergang im Oval des Kirchenburghofs, bin ich bereit für das Dessert meines Zeidner Drei-Gänge-Menüs.

Ich finde es am westlichen Mauerring, dessen Fruchtkammern vor einigen Jahrzehnten zurückgebaut wurden. Direkt neben dem Gemeindesaal für die immer noch knapp 400-köpfige Kirchengemeinde, beherbergt der Bering nämlich auch einen Ausstellungsraum mit Werken des Siebenbürger Kunstmalers Eduard Morres (1884 – 1980).

Die Eduard Morres Stiftung

Selbstbildnis Eduard Morres


Das schöpferische Talent des gebürtigen Kronstädters erkannten bereits seine Lehrer am Honterusgymnasium. Allerdings war Rumänien nicht gerade das tonangebende Land in Sachen Bildender Kunst, sodass es den begabten Lehrersohn zur Ausbildung ins europäische Ausland zog. Budapest, Weimar, München und Paris hießen nur einige Stationen seiner Studienzeit und jungen Künstlerlaufbahn, bevor er Mitte der 1940-er Jahre Zeiden zu seiner Wahlheimat machte.

Aus Frankreich brachte er den Einfluss der Pleinair-Malerei mit, die sich in vielen seiner Werke widerspiegelt. Raus aus der kreativen Enge des Ateliers mit den idealistischen genormten Einheitslandschaften und hinaus in die reale, natürliche Welt unter freiem Himmel, lautete das Credo der neuen Kunstströmung.

So avancierte Morres bald zum über die Landesgrenzen hinaus bekannten Heimatmaler. Die Motive für seine Genre- und Landschaftsbilder fand er direkt vor seiner Haustüre, in der bis heute noch dörflich geprägten, siebenbürgischen Landschaft.

Erst in den späteren Jahren seiner langen Schaffenszeit mischten sich vermehrt Porträts und christlich inspirierte Motive unter seine Werke.

Eduard Morres war ein äußerst kreativer Mensch. An die 2000 Gemälde und 5000 Zeichnungen umfasst sein Lebenswerk. Umso erstaunlicher ist es, dass ihm angesichts dieser enormen Schaffenskraft noch Zeit bleib, aktiv das Kulturleben der Stadt mitzugestalten. Neben der Gründung eines Literaturkreises stand er auch 1959 bei der Restaurierung der wertvollen Kassettendecke der Kirchenburg beratend zur Seite.

Zeitlebens war der Maler der evangelischen Kirchengemeinde von Zeiden eng verbunden, weshalb er ihr bereits vor seinem Tod 42 Bilder vermachte, die seit 1975 hier präsentiert werden. Das bekannteste Werk aus seinem Nachlass ist das Ölgemälde „Der unglückselige Brief“. Es zeigt einen erschütterten, siebenbürgisch-sächsischen Bauern, der die Nachricht über die Enteignung seines Besitzes in Händen hält. Ein Schicksal, dass der Porträtierte mit vielen seiner deutschsprachigen Nachbarn teilte.

Gemaelde Der unglueckselige Brief von Eduard Morres

Gut zu wissen

In der Nähe

Anregungen für Erkundungslustige

Kulturerbe Kirchenburgen e.V.

Buchempfehlungen

Ein Kommentar

  • Siegfried Ziegler

    Sehr schöne Bilder und dazu noch der Kommentar.
    Habe viele Jahre in Zeiden gelebt, sogar die Berufsschule habe ich in Zeiden absolviert.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert