Ringmauer der Kirchenburg in Valea Viilor, Wurmloch, Siebenbuergen, Rumaenien
Rumänien,  Unterwegs

Wurmloch / Valea Viilor Kirchenburg und UNESCO-Weltkulturerbe


Als ich meine Reise durch Siebenbürgen plante, stand von vorneherein fest, dass die sieben Kirchenburgen, die dem UNESCO-Weltkulturerbe angehören, ein absolutes Muss auf meiner Besichtigungstour sind.
Manche davon, wie zum Beispiel Deutsch-Weisskirch, Tartlau oder Birthälm, haben mittlerweile durch mediale Aufmerksamkeit auch in Deutschland einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Andere wiederum, dazu zählt auch die Kirchenburg von Wurmloch, führen nach wie vor ein Dornröschen-Dasein, eingebettet in der märchenhaften Landschaft des alten Kokellandes.

Uebersichtskarte zu den Kirchenburgen in Siebenbuergen (Rumaenien), die dem UNESCO-Weltkulturerbe angehoeren

Auf ins Abenteuerland

Als ich mich heute von Sibiu / Hermannstadt in das zum gleichnamigen Landkreis zugehörige Kokeltal aufmache, weiß ich nur eines mit Sicherheit: Ich brauche Zeit, Geduld und einen oder lieber gleich mehrere Schutzengel.

Die Entfernungsangaben der einschlägigen Routenplaner sind seit mehreren Jahren auch für Osteuropa durchaus präzise. Was jedoch die veranschlagte Fahrtzeit anbelangt, kann die Schere ganz schnell, ganz weit auseinandergehen. Nach wie vor ist Rumänien in Sachen Schnellstraßen-Infrastruktur ein Entwicklungsland. Autobahnen sind Mangelware. Die Nationalstraßen ein Hochsicherheitsrisiko für Mensch und maşină, sprich Auto.

Unbefestigte Randstreifen, fehlende Markierungen, tiefergelegte Abflussschächte oder unvollendete Straßenkonsolidierungsarbeiten sind dabei noch die geringeren Übel. Gefahr Nummer Eins stellen die unberechenbaren Raser in ihren überdimensionierten, PS-strotzenden Vehikeln dar, die weder den Verlust ihres Führerscheins noch des eigenen oder fremden Lebens fürchten.

Hat man Glück gehabt, allen halsbrecherischen Überholmanövern des Gegenverkehrs auf der Landstraße, ausgewichen zu sein, findet man sich anschließend garantiert im Windschatten eines Kipplasters wieder, der im Schritttempo durch die zahlreichen Straßendörfer schleicht. Bestenfalls darf man einer kreuzenden Schafherde den Vortritt lassen.
Kurz und gut, der Faktor Zeit ist in Rumänien dehnbar wie ein Kaugummi. So benötige ich für die knapp 60 Kilometer aus der Kreishauptstadt bis ins idyllische Seitental der Großen Kokel (rum. Târnava Mare) nach  Valea Viilor / Wurmloch ganze anderthalb Stunden.

Schafherde

Der Wurm, der eine Schlange war

Ein Blechschild-Ensemble am Ortseingang schickt dem jährlich zunehmendem Besucherstrom ein dreisprachiges „Willkommen“ entgegen. Zum Glück, denke ich, sind darunter bestimmt viele englischsprachige Touristen, die der unschöne Ortsname „Wurmloch“ nicht abschrecken kann.

Es gibt diverse Interpretationsversuche, wie das 1265 erstmals urkundlich erwähnte Dorf zu seinem Namen kam. Damals war es in ungarischem Adelsbesitz und hieß noch „Barwmlak bzw. Baromlaka. Eine Wohnung für das Großvieh, also keine besonders schmeichelhafte Bezeichnung. Als die Ansiedlung Mitte des 14. Jahrhunderts den Status einer freien Gemeinde erhielt, setzte sich vermutlich die sächsische Bezeichnung Wormlich beziehungsweise Wormloch durch. Allerdings, versteckt sich hinter dem mittelhochdeutschen „urm“ kein Wurm, sondern eine Schlange, die im „loh“, dem Wald, ihre Heimat hat. Lag das Dorf folglich in der Nähe eines Schlangenwaldes?

Da das deutsche Alphabet über eine reichliche Auswahl an Konsonanten verfügt, hielten es die Einwohner womöglich für angebracht, ein „W“ voranzustellen und die Schlange als Wurm auszugeben. Das hört sich doch schon einladender an. Vor allem, wenn man sich dazu ein Dorf vorstellt, das sich wie ein Wurm durch das Tal schlängelt.   

Welcher etymologische Ansatz der Wahrheit am nächsten kommt, bleibt jedem selbst überlassen. Fakt ist, dass die Ortschaft 1965 zwangsumgetauft wurde. Ob sie wollte oder nicht, ein Mitspracherecht gab es nicht. Aus dem rumänischen Vorumloc, benannt nach dem Dorfbach, der später seinen Beitrag zur Großen Kokel leistet, wurde das vollmundige Valea Viilor. Das Tal der Weinreben. Zugegebenermaßen klingt der neue, offizielle Name wesentlich sympathischer. Eine Alliteration mit Mehrwert sozusagen.

Und, man höre und staune, diese neue Identität war kein kommunistisches Wunschdenken, sondern Realität. Zumindest für ein knappes Vierteljahrhundert, in dem die staatliche Weinkooperative die umliegenden Weinberge tatsächlich bewirtschaftete. Nach dem Umsturz 1989 gingen im Staatsunternehmen relativ schnell die Lichter aus. Die fruchtbaren Böden wurden sich selbst überlassen. Was blieb, war der Name.

Eine aussterbende sächsische Gemeinde

Seit Gründung im 13. Jahrhundert kam Wurmloch nie über den Status eines Dorfes hinaus. Der Übergang von einer leibeigenen zu einer freien Gemeinde sorgte ab dem 15. Jahrhundert für eine kurzzeitige Blüte. Selbst die wiederkehrenden Grenzstreitigkeiten, vor allem mit dem Nachbarort Mortesdorf, und ein großer Brand im Jahr 1511 konnten dem Aufschwung keinen Dämpfer verpassen. Im Gegenteil. Mit Hilfe der in diesem Zusammenhang vom König erlassenen, dreijährigen Steuerbefreiung, entwickelte sich Wurmloch sogar zum zweitgrößten Ort des Schelker Stuhls.

95 Wirte (Haushalte), 10 Siedler, 11 Witwen, 1 Hirte, 2 Müller und 1 Schulmeister hatten sich anno 1516 hier niedergelassen. Dass sowohl Müller, Witwen und Schulmeister besonders hervorgehoben wurden, betonte ihre wirtschaftliche beziehungsweise soziale Stellung. Bei den Siedlern war es genau umgekehrt, da sie keinen Hof besaßen. Ich frage mich allerdings, was sich der Pfarrer zuschulden kommen ließ, dass er keine gesonderte Erwähnung fand? 

1660 musste die Gemeinde Konkurs anmelden. Sie war ökonomisch am Ende. Nur langsam erholte sich der Weiler. Immerhin 1161 Gemeindemitglieder, davon 98 % Siebenbürger Sachsen, erfasste die Volkszählung von 1850.

Knappe 150 Jahre später sah alles anders aus. Nach dem Sturz von Ceauşescu setzte der große Exodus der deutschsprachigen Bevölkerung ein. Die jungen Generationen zog es nach Deutschland. Zurück blieben diejenigen, denen der Begriff Heimat das Lebenselixier bedeutete. 2002 zählte man noch 21 Sachsen in Vorumloc. Heute sind es gerade noch zwei.

Wurmloch rüstet auf

Die Wurmlocher Kirchenburg ist nicht zu verfehlen. In der Ortsmitte, direkt an der Durchgangsstraße erhebt sich die Glaubensfestung.
Archaisch, wehrhaft, unerschütterlich. Von außen, auf den ersten Blick primitiv, fast ein wenig hässlich. Aber sie hat Charakter, und das verleiht ihr eine faszinierende Schönheit. Ein Gebäude für die Ewigkeit. Geschaffen von den Wurmlocher Sachsen für die Wurmlocher Sachsen.

Chor mit hochgezogenen Strebepfeilern der Wehrkirche von Wurmloch, Siebenbuergen

Ästhetik war angesichts der türkischen und osmanischen Bedrohung zweitrangig. Der Schutz von Mensch und Eigentum stand im Vordergrund. Bei Baubeginn im 14. Jahrhundert hatte man die Kirche als gotische Basilika konzipiert. Einhundert Jahre später besannen sich die Wurmlocher um. Besser in einem gut befestigten Gebäude dem Angriff der Ungläubigen standhalten, als in einem hübschen Gotteshaus sein Leben lassen. Der Umbau zur Wehrkirche war somit beschlossene Sache. Ohne weitere Verzögerung wurde der Plan in die Tat umgesetzt.

Zum Verteidigungskonzept gehörte eine Ringmauer von sieben Meter Höhe mit Wehrgang und Schießscharten. Zusätzlich sicherten drei vorgelagerte Bastionen sowie die zweigeschossige Toreinfahrt samt Fallgitter den Rückzugsort. Um einer längeren Belagerung standhalten zu können, legten die Sachsen auf der Innenseite zwischen den Arkadenbögen Vorratskammern an. Leider wurden die meisten davon in 1960-er Jahren abgetragen. Womöglich war Brennholz gerade Mangelware im kommunistischen Regime.

Ringmauer mit Arkadenboegen und Bastion der Kirchenburg in Wurmloch, Rumaenien

Eine Kirche so robust wie der Glaube

Das „unorthodoxe“ Aussehen des Sakralbaus ist auf die mächtigen Türme mit den extrem hochgezogenen Strebepfeilern zurückzuführen, die sich im Osten und Westen gegenüber stehen.

Im Westen hielt der verstärkte Glockenturm mit den diversen Wehrgeschossen den Feind auf Distanz. Um ihn uneinnehmbar zu machen, mauerte man das ursprüngliche Portal zu. Stattdessen wurde auf der Südseite nachträglich ein robuster und enger Treppenturm angefügt. Unerschrockene, sprich Klaustrophobie resistente Besucher können so heute noch Höhenluft auf den oberen Wehrgängen schnuppern. Neben dem Anbau sind an der Außenwand des Turms noch latente Spuren von Wandmalereien vorhanden. Sie stammten vermutlich aus vorreformatorischer Zeit. Wie alle sächsischen Gemeinden konvertierte Wurmloch im 16. Jahrhundert vom Katholizismus zum Protestantismus. Heiligenbilder waren unerwünscht und wurden, ohne Rücksicht auf kunstgeschichtliche Verluste, entweder unter einem dicken Farbauftrag versteckt oder sogar abgemeißelt.

Noch höher, noch massiver kommt der ummantelte Chor im Osten daher. Anderthalb Meter sind seine Mauern dick, fünf Geschosse ist er hoch. Der Altarraum bekam drei, aus Ziegeln gemauerte Wehrgeschosse mit Schießscharten aufgesetzt sowie eine weitere Etage mit Fachwerkbrüstung und offenem Wehrgang.

Nun war es ein leichtes, die Angreifer zu beschießen und gleichzeitig mit herabstürzenden, heißen Flüssigkeiten oder Wurfgeschossen in die Flucht zu schlagen. Auch das 24 Meter lange Schiff verfügte über diese ausgeklügelten Defensivmaßnahmen.

Da die Wehrgeschosse ausschließlich über Wendeltreppen im Innern der Kirche zugänglich waren, hatte der Feind nicht den Hauch einer Chance, diese zu stürmen. Selbst die einzigen Schwachstellen des Gebäudes, der Nord- und Südeingang, sicherten jeweils massive Fallgitter.

Ich bin wirklich erstaunt über dieses Bollwerk mit den komplexen Wehranlagen. Die Wurmlocher Sachsen wussten sich und alles, was ihnen lieb war, hervorragend zu schützen. Kein Wunder, dass man in der Gemeinde- und Kirchenchronik vergeblich nach Aufzeichnungen über feindliche Angriffe, Belagerungen oder Eroberungen sucht.

Die vergebliche Suche nach dem Heiligen Petrus

Im Innern der Kirche ist von der äußeren Wehrhaftigkeit absolut nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil. Ich habe eine kleine Saalkirche vor mir, die ein filigranes Netzgewölbe überspannt, während im Westen, auf der dreiseitig umlaufenden Empore, eine schmucke Orgel ihren Platz gefunden.

Innenansicht mit Orgel der Wehrkirche von Valea Viilor, Wurmloch, Siebenbuergen

Als ich mich, begleitet vom Knarzen der Dielen des Holzfußbodens, Richtung Chorraum begebe, springt mir an einer Kirchenbank ein wunderschön gedrechselter und farbig bemalter Pfosten ins Auge. Dieser Platz ist aktuell der Pfarrerin vorbehalten, die einmal im Monat hier den Gottesdienst abhält. Dagegen erweckt im leicht erhöhten Altarraum zunächst das über 500 Jahre alte Taufbecken aus Sandstein meine Aufmerksamkeit.

Anschließend wandern meine Blicke zum Barockaltar aus dem Jahr 1779. Ich bin, zugegebenermaßen, kein Anhänger der barocken Schnörkel- und Kitschengel-Kunst. Hier hält sich das Bling-Bling noch im Rahmen. Selbstredend in einem Goldenen. Stephan Folbart, Bildhauer aus Schäßburg, hat im Mittelbild eine interessante Komposition mit 3D-Effekt geschaffen. Ein Landschaftsgemälde als Kulisse für die davor installierte, aus Holz geschnitzte Figur des gekreuzigten Jesus.

Eingerahmt wird das Altarbild auf der einen Seite von Paulus, der das Schwert des Glaubens und seines Martyriums mit sich führt. Auf der anderen Seite hat sich Johannes postiert. Der Adler zu seinen Füßen, als Symbol der Freiheit des Geistes, hält in seinem Schnabel ein Tintenfass, in das der Evangelist jederzeit seine Feder tauchen kann, um sein Werk zu vollenden.

Aber wo hat sich der Heilige Petrus, der Namenspatron der Kirche versteckt? Ich habe ihn weder auf dem, mit floralen Motiven, verzierten Chorgestühl gefunden, noch im Sakramentshäuschen an der Nordseite des Chores. Offensichtlich ein scheuer Zeitgenosse. Ob die Erinnerung an ihn, zusammen mit dem ehemaligen Brunnen im Chor, vor langer Zeit zugeschüttet wurde, sodass beide heute nicht mehr zu sehen sind?

Sakramentshaeuschen in der Kirchenburg von Wurmloch in Siebenbürgen

UNESCO-Weltkulturerbe –
eine moralische Verpflichtung?

1999 wurde die Wurmlocher Kirchenburg in die Liste des UNESCO- Welterbes aufgenommen. Ausschlaggebend war, neben dem ungewöhnlich guten Zustand, die außergewöhnliche Architektur, die sich von vielen anderen sächsischen Kirchenburgen abhebt.

Eintrittskarte fuer die Kirchenburg in Valea Viilor (Wurmloch), Siebenbuergen, Rumaenien

Ich hoffe, dass die Wehrkirche noch lange in der Lage ist, den an ihr mahlenden zerstörerischen Kräften der Zeit und Umwelt standzuhalten. Der Status eines UNESCO-Weltkulturerbes ist keine Garantie dafür. Ebenso wenig die 2%, die vom Eintrittspreis von 8 Lei an das Nationale Amt für historische Denkmäler, abgeführt werden. So steht es zumindest schwarz auf weiß auf der Eintrittskarte aufgedruckt.
Vielleicht mag mir jemand aus besagtem Amt vorrechnen, wie bei 3.000 Besuchern im Jahr, der lächerliche Betrag von 0,03 Euro!!! pro Nase zur Erhaltung dieses Kulturguts beitragen kann?

Aussenansicht der Wehrkirche von Valea Viilor, Wurmloch, Siebenbuergen

Drum Bun – Gute Fahrt!

Als ich Wurmloch verlasse, passiere ich erneut das windschiefe, hölzerne Wegkreuz, das wie ein vergessenes Relikt aus einer anderen Zeit anmutet. Dieses Mal halte ich an, um mir das aus den Fugen geratene Schnitzwerk genauer anzuschauen. Leider beschließt in diesem Moment der Akku meines Handys in den Stromsparmodus zu schalten, sodass mir wahrscheinlich niemand glaubt, was ich jetzt erzähle.

Ich stehe vor einer Posse der Extraklasse, einem Werk eines transsilvanischen Till Eulenspiegels. Das Opfer: der geschnitzte Jesus am Kreuz. Irgendein besonders unmotivierter Arbeiter (womöglich mit Ţuică-Pflaumenschnaps-vernebeltem Blick) nagelte dem Schmerzensmann ein Brett vor den Kopf. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ungelogen. „Drum Bun – Auf Wiedersehen“ lautet die Botschaft darauf.
Willkommen im Rumänien des Hier und Jetzt! 


Gut zu wissen

UNESCO-Weltkulturerbe

Buchempfehlungen

Verein Kulturerbe Kirchenburgen e.V.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert